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organisierten Einsatz zahlreicher Arbeitskräfte, sondern auch gößere Wirtschafts- räume und Speicher. Dem konnte nur ein großräumiges Haus Rechnung tragen, dessen Entstehung letzten Endes in einem Wandel der Wirtschaftsform begründet ist 22 ). Der in dieser Stufe erreichte Hochstand im Hausbau, wie die sich auf die gesamte Bodenfläche erstreckende Dielung, hat in erster Linie dem Schutz der in gebrannten Lehmgruben und großen Tongefäßen aufbewahrten Getreide Vorräten zu dienen. Mit dem im Laufe der weiteren Entwicklung der Vorklassengesellschaft begin nenden Zerfall des Sippenkollektivs vollzog sich auch die Trennung in Einzelräume, zugleich eine allmähliche Lockerung der Gemeinschaftswirtschaft anzeigend. Den Nachweis, daß dieser Prozeß seinen Niederschlag im Hausbau gefunden hat, konnte die Bodenforschung erbringen. Noch nicht vollständig von der Sippe gelöst, sind die neu entstehenden Familienräume durch nachträgliches Einziehen von Zwischen wänden oder durch späteren Anbau an den alten Wohnraum gebildet worden. Die wirtschaftliche und soziale Struktur hat darüber hinaus auf die Anlage und Größe des Tripoljedorfes nachhaltigen Einfluß ausgeübt. Da mit der weiteren Ent wicklung der Nahrungsproduktion auch eine stärkere Konzentration von Menschen auf verhältnismäßig kleinem Raum ermöglicht wurde, mußte auch in der Anlage der Siedlung weit planmäßiger verfahren werden. Obzwar sich die Zahl der Tripolje- fundstätten um ein vielfaches erhöhte, war die großflächige Erforschung vollständiger Siedlungskomplexe früher kaum berücksichtigt worden. Nur aus dem Flußgebiet des Bug (Pianiskova und Popudnja) sind durch die Arbeiten von M. Himner runde bis ovale Dorfanlagen schon länger bekannt gewesen 23 ). Die Ausdehnung dieses Sied lungstypus auf den übrigen ukrainischen Raum, wofür einzelne Forscher bereits früher eingetreten waren, konnte erst durch die Großgrabungen der Tripolje-Expe- dition nachgewiesen werden. Die größte der bisher untersuchten Dorfsiedlungen ist die gleichfalls im mittleren Buggebiet liegende Station Vladimirovka 24 ). Hier ergeben die etwa 200 bis 1946 ausgegrabenen bzw. mittels Sonden in ihrer Lage festgestellten Grundrisse vier bis fünf konzentrisch verlaufende Ovalringe, deren Ostwest gerichtete Längsachse 900 m und deren nordsüdliche Ausdehnung 800 m beträgt (Abb. 2, S. 33). Ohne Zweifel geht diese mehrfache Ringbildung auf eine lange Besiedlungsdauer zu rück. Bedingt durch das rasche Anwachsen der Dorfbevölkerung setzte eine nach außen fortschreitende Besiedlung ein, wobei der alte Typus des Runddorfes weiter bei behalten wurde. Charakteristisch ist für fast alle diese Tripoljedörfer, daß sie auf der Hochfläche oder an einem sanft abfallenden Abhang des Steppenplateaus liegen und meist die von kleineren Flüssen oder heute ausgetrockneten „Balkas" begrenzte Spornlage ausnützen. Ein leichter zu überschauendes Bild der klassischen Tripoljesiedlung gibt das weit kleinere Dorf Kolomyscina I in der Kievcina. Die in den Jahren 1934—1938 erfolgte Freilegung von 15000 qm Dorffläche ergab die Grundrisse von 39 Lehmbauten, die sich in zwei mehr oder weniger konzentrischen Kreisen um einen freien Zentralraum reihen (Tafel 16). Die Verwendung des letzteren als Viehpferch, vielleicht auch als Kult- und Versammlungsplatz, wäre denkbar. Ein fast in der Dorfmitte stehendes Rechteckhaus, schon durch seine Ausmaße den Verdacht auf ein Häuptlingshaus lenkend, fügt sich aber in seiner räumlichen Gliederung in Ofenräume und ofenlose Vorratsräume durchaus in das allgemeine Siedlungsbild ein. Der äußere Ring besitzt einen Durchmesser von 160 bis 170 m und wird meist von Großhäusern gebildet. Deutlich ist die planmäßige Anlage in der radialen Erstreckung der Häuser mit ihren 22) Fr. Schlette, Die ältesten Siedlungsformen des Menschen und ihre wirtschaftliche Bedingtheit, in Urania Jg. 13, H. 1950, S. 94ff. 23) M. Himner, tude sur la civilisation prmycnienne, in Swiatowit XIV, Warszawa 1933, S. 26ff., Abb. 2 u. 8. 24 ) T. S. Passek, Tripolskie poselenie u Vladimirovki v svete novych sledovanii, in Kratkie soobenija 1 I M K XXI, 1947, S. 65 ff. 31