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noch durch das mit dem ersten Schlage der anderen Seite aufgeprägte Bild be einträchtigt. Die Einsicht sagte dem Präger, daß er mit der halben Arbeit ein nicht nur gleichwertiges, sondern besseres, ästhetisch befriedigenderes Ergebnis erzielte: Auch in technischer Beziehung litt die einzelne Münze unter dem zweiten Arbeits gang; denn das Metall wurde durch den zweiten Stempelschlag federhart, verlor seine Biegsamkeit und Nachgiebigkeit gegen Druck. Man muß selbst einige Hundert dieser Münzen vom. anhaftenden Schmutz befreit, also Stück für Stück mehrfach in der Hand gehabt und nach allen Seiten gewendet haben, um zu wissen, was diese zwei nacheinander mit dem Prägehammer geführten Schläge für die Haltbarkeit der Münzen bedeuten. Eine unvorsichtige Bewegung, und ein verborgener Riß springt auf, ein sichtbarer Riß vergrößert sich, ein angerissenes Metallblättchen reißt voll kommen auseinander, durchgebeulte Münzen drücken sich knackend nach der anderen Seite durch und lassen Schlimmes befürchten. Ein Hinweis des Prägers beim Münzmeister auf die geringere Haltbarkeit muß diesen sofort überzeugt haben, daß es besser sei, die Weglassung des zweiten Stempelschlages anzuordnen oder zu dulden, um gleichzeitig vier Vorteile zu erzielen: 1. Arbeitslohn zu sparen, 2. schneller zu arbeiten, 3. die Haltbarkeit zu vergrößern, 4. das Münzbild zu verbessern. Damit ist die Brücke zu den ältesten Brakteaten geschlagen. Alle bisherigen Lösungsversuche der Frage nach der Herkunft der Brakteatenform blieben irgendwie unbefriedigend, weil das Bindeglied zwischen den Dünnpfennigen und den Brakteaten fehlte. Die zuletzt ausgesprochene und zunächst auch an sprechende Ansicht (der ich mich bei der Beschreibung des Fundes von Puschwitz auch angeschlossen hatte) war folgende: Die Brakteatentechnik sei ein altes ger manisch-deutsches Handwerkserbe, das durch Jahrhunderte treu überliefert und der Münzprägung gewissermaßen aufgezwungen worden sei, als man zu der — gegen Mitte des 12. Jahrhunderts sprunghaft ausgeweiteten — deutschen Münzprägung „berufsfremde“, in der herkömmlichen Münztechnik nicht bewanderte Feinschmiede hätte heranziehen müssen (Günther). Diese Ansicht ist heute überholt durch die viel handgreiflichere Erklärung, die uns der Kaschwitzer Fund liefert. Die Brakteaten sind nicht eine aus schließlich ungreif barem „Ahnenerbe“ hervorgesprossene Wunderblume, sondern sie sind viel schlüs siger erklärbar als letztes Glied einer nunmehr nachgewiesenen lückenlosen Ent wicklungsreihe. Diese Entwicklungsreihe zeigt zunehmende Verwilderung und Verwahrlosung des Münzbildes. Lückenlos ist sie zu beobachten bei den Rückseiten mit dem drei türmigen Turmgebäude. Sie geht vom zweiseitigen Denar im Stile der karlingischen, sächsischen und fränkischen Kaiserzeit (Nr. 2) über die denarartigen Dünnpfennige nach Art der flachprofilierten mittel- und westdeutschen Dünnpfennige (Nr. 3 bis 5) bis zu den stark profilierten brakteatenartigen Dünnpfennigen (Nr. 6, 8, 9), der Neu heit des Kaschwitzer Fundes, die mitunter von Brakteaten nicht mehr zu unter scheiden sind. Deren nächste Verwilderungsstufe schon sind dann die frühen Meißner und Ober lausitzer Brakteaten von Gerstenberg, Trebatsch, Lommatzsch und Puschwitz. Der Nachweis eines Bindegliedes zwischen den älteren Dünnpfennigen und den frühesten Brakteaten, wie ihn der Fund von Kaschwitz führt, erklärt auch die abstoßende groteske Häßlichkeit dieser ersten Brakteaten: Sie sind die unmittelbaren Nach folger der häßlichen rohen Dünnpfennige von Kaschwitz und zwingen geradezu zu der Schlußfolgerung: Die ältesten Brakteaten sind die nächste Entartungsstufe der jüngsten Dünnpfennige. Die Brakteaten sind also jetzt als Entartungsforni der zwei seitigen Denare nachgewiesen. In dieser Erkenntnis liegt die einzigartige Bedeutung der Kaschwitzer Dünnpfennige für die Geschichte der Brakteatenprägung und die Erklärung ihrer Entstehung.