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tümer liquidierten, das ganze Land unter ihrer Oberherrschaft vereinigten und es politisch in neue Verwaltungsbezirke aufteilten, wobei sie geflissentlich die alten Territorialgrenzen mißachteten. Also können wir von der Herausbildung lokaler Kulturgruppen in einer Zeit, wo die Bedingungen für ihre Entstehung schon nicht mehr vorhanden waren, doch wohl kaum sprechen. An dieser Schlußfolgerung ändert sich auch dann nichts, wenn wir das Zurückbleiben des archäologischen Abbildes hinter der historischen Situation in Rechnung stellen. Ein zeitlicher Unterschied zwischen historischen Prozessen und ihrem archäo logischen Abbild ergibt sich nämlich in dem Sinne, daß ältere archäologische Formen noch einige Zeit nach der Veränderung der wirtschaftlichen und gesell schaftlichen Verhältnisse weiterleben und einen verspäteten Reflex dieser Ver änderungen in der materiellen Kultur bewirken. Der Zabrusaner Typus der doppelkonischen Gefäße, der erst in der Zeit des Premyslidenstaates entsteht, ist aber kein Ausklang irgendwelcher älteren Lokalformen und kann deshalb nicht als verspätete Erscheinungsform der alten Verhältnisse betrachtet werden. In den historischen Quellen finden wir außerdem Hinweise, daß die Stammes- gebiete der Lemuzen, Daner und Litomerizen offenbar schon sehr früh unter die direkte Herrschaft der Premysliden kamen, denn niemals treten sie als selbständige Einheiten auf, die mit Gewalt hätten unterdrückt werden müssen, wie das z. B. im 9. Jahrhundert bei den Lucanern und im 10. Jahrhundert bei den Zlicanen oder bei dem Slavnikover Fürstentum der Fall war. Der dritte, sehr gewichtige Umstand, der gegen die Interpretation des Zabru saner Typus als Produkt einer Stammeseinheit spricht, ist sein quantitatives Verhältnis zu den übrigen zeitgenössischen Keramikformen im Lande. Er stellt nämlich nur einen Bruchteil des hiesigen keramischen Fundinventars dar. Handelte es sich hier tatsächlich um den schöpferischen Ausdruck einer Stammes- individualität, so müßte er sich notwendigerweise auf dem überwiegenden Teile des Fundmaterials stilistisch bemerkbar machen. Diese Sondererscheinung im eigenen Milieu spricht doch markant dafür, daß es sich hier nicht um einen kollektiven schöpferischen Ausdruck des Stammes, sondern vielmehr um ein individuelles Erzeugnis einer Töpferwerkstatt handelt, die neben andern Werkstätten bestand und mit ihrer Ware eine weitere Umgebung belieferte, ohne Rücksicht auf die damaligen ethnischen oder politischen Grenzen. Die gleiche Situation finden wir in Ostdeutschland wieder, wo die erwähnten Lokaltypen nirgends die einzigen Repräsentanten ihres Milieus darstellen, und so wird es auch bei uns sein. In der Umgegend von Zatec (Saaz) z. B. begegnen wir sehr oft einer Gefäßform mit einem durch stark hervor tretenden, scharfen Bruch abgesetztem Halse, wovon ohne Zweifel dasselbe gilt wie vom Zabrusaner Typus. In jedem Falle wird man in den böhmischen oder mährischen Gegenden, wo keramische Lokaldifferenzen festgestellt werden, aus diesen Besonderheiten allein keine Schlüsse ziehen dürfen, sondern vor allem ihr Verhältnis zu den übrigen keramischen Lokalfunden und ihr quantitatives und qualitatives Verhältnis zum gegebenen Milieu erforschen müssen. Die Analyse des Fundmaterials aus Zabrusany und seiner Analogien in Nord westböhmen, die hier skizziert wurde, zeigt, daß die Frage der Stammesgebiete auf Grund der archäologischen Funde nicht immer eindeutig und klar zu lösen ist. Sie zeigt besonders, daß das gegebene Problem überhaupt nicht nur im Hinblick auf die lokalen Besonderheiten der Keramik zu lösen ist, deren Ent stehung auch auf andere Weise erklärt werden kann. Am Beispiel einiger ost-