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Nr. 177. Dienstag, den 1. August 1S3S. Jahrg. 92. Englische und französische Politik «ach de« Wünsche« der Sowjets. »Ein witcklich urtgervöhnlicher Beschluß." Loudon strebt eine angelsSchfische Front im Ferne« Oste« an. gen mit dem Kreml zu beschleunigen, sei, den Außenminister Halifax nach Moskau zu entsenden, oder Molotow nach London einzuladen. Chamberlain erwiderte Sinclair, der Augenblick, da Eng land mit den verschiedensten Machten Verhandlungen „delika tester Art" führe, sei zu ernst, um persönliche Meinungsverschie denheiten zuzuspitzen. Großbritannien habe die Zeit nicht un- genutzt verstreichen lassen und einen Derteidigungsapparat „von furchtbarem Charakter" aufgebaut. Auf den Vorwurf antwortend, daß die „Friedensfront" durch das lange Hinaus zögern eines Verhandlungsausschusses in Moskau immer noch nicht voll ausgebaut sei, erklärte Chamberlain: „Die Ueberein kommen, die wir mit der Türkei und Polen im Verein mit unserem Verbündeten Frankreich getroffen haben — sind sie nicht von offenkundiger Bedeutung für den Aufbau einer wirksamen Friedensfront? Was Rumänien und Griechenland betreffe, so seien dies« beiden Länder nicht in der Lage, England eine gleiche Garantie zu geben, wie sie sie von London erhalten hätten. Die britischen Hilfsversprechen an Bukarest und Athen hatten jedoch Rumänien und Griechen land bewiesen, daß sie „nicht ohne Freunde in der Welt sind". Diese Freunde hätten feierlichst versprochen, ihnen im Kriegs fall zu Hilfe zu kommen. London, 31. Juli. Das Kriegsministerium hat beschlossen, Truppen von Indien nach den Malaienstqaten zu entsenden. Es handele sich hierbei um. eine „Vorsichtsmaßnahme". „Times" wollen wissen, daß die Verstärkung in etwa einer Woche ein- treffen würde. Auch Pole« bettelt tu Moskau. Warschau, 31. Juli. Der stellv. Dizeaußenminister Arciszewski wird sich demnächst nach Moskau begeben. Der Zweck der Reise soll die Abtastung Les Geländes, vor allem auch für eine „Belebung des Warenaustausches" im Rahmen des am Herbst abgeschlossenen Wirtschaftsabkommens sein, Las bis jetzt Len erhofften Umfang nicht erreicht hat. Dor allem möchte Warschau die Sowjetunion zu „Waffen- und Muni- tionslieferung" soweit zur Lieferung von „für die Kriegs industrie wichtigen Rohstoffen" in größerem Umfangle de- wegen. Weiterhin scheint Warschau angesichts der französisch- englisch-sowjetischen Verhandlungen viel an der Klärung der politischen Dezichungen -wischen Moskau und Warschau zu liegen. Die Fern°Ost-Berha«dlu«gen stocke«. Massenkundgebungen gegen England in Tokio. Tokio, 1. Aug. In Ler gestrigen Tientsin-Konferenz einigte man sich über die Ausübung der Polizeigewalt in Len inter nationalen Niederlassungen. Die Hauptschwierigkeit der Ver handlung liegt aber auf wirtschaftlichem Gebiete. Da das Aufgeben des chinesischen Dollar» und die Anerkennung der neuen chinesischen Währung für England da» Ende seiner bis- herigen China-Politik bedeuten würde und auch die bisherigen militärischen Erfolge der Japaner wirtschaftlich sichern würde, sind auf diesem Gebiet noch recht schwierig« Auseinandrsetzun gen zu erwarten. Die Presse vermutet daß di« plötzlich versteifte Haltung Englands auf di« Moskauer Verhandlungen zurückzufichren sei. Di« Entscheidung über die Fortführung der Konferenz liege allein in den Händen Eng lands. Wenn dieses unter Verleugnung des geschlossenen Abkommens jetzt Schwierigkeiten machen wolle, dann sei Japan durchaus vorbereitet, die Verhandlungen abzubrechen. Seit den frühen Morgenstunden waren zahlreiche Kund- gebungszüge nach Lem Regierungsviertel von Tokio unter wegs, die, wie di« Fahneninschriften besagten, gegen England gerichtet waren. Die Kundgeber zogen an der britischen Botschaft und am japanischen Außenamt vorüber. E» waren über 60000 Personen beteiligt. Versuch«, in die britische Bot- schäft «inzudringen, wurden von der Polizei verhindert. Di« Kundgebungen wurden mit einer ,Hstasiatischen Massenver anstaltung" in der Hihiua-Halle beendet. Es sprachen Vertreter der provisorischen -Roglerung in China, Abgesandte von den Philippinen, aus Indien, Irwochina, der Türkei, Ler Mongolei, Annam und aus Mai zu den Kundgebern. Das Wort ergriff u. a. auch Ler frühere japanische Bonchafter in Berlin, Honda. Alle Redner setzten sich für Japans Kampfziel ein, Las in der Ausscheidung de» britischen Einflüsse« in Ostasien besteht. Der Sprecher des japomtschen Außenamte« «Eärte auf, englisch« und «neriöanisch« Anfragen dazu. Laß Lie Regienum derartige. Kundgebungen nicht vevhindern könne, solange sie spontan London, 31. Juli. Chamberlain gab heute im Unterhaus bekannt, daß eine britische und eine französische Militärabordnung sich wahrscheinlich noch Liese Woche nach Moskau begeben werde. Es sei fast beispiellos in der Geschichte, daß Großbritannien und Frankreich sich damit einverstanden erklärten, vor dem Abschluß eines politischen Abkommens Militärabovdnungen zu entsenden. Großbritan nien beweise damit größtes Vertrauen zu Len Sowjets. Die Ansicht Molotows, daß nach der Eröffnung militärischer Besprechungen sich politische Schwierigkeiten nicht als unüberwindlich erweisen willen, habe die Regierung dazu bestimmt, diesen wirklich ungewöhnlichen Beschluß zu fassen. Es sei beabsichtigt, gleichzeitig mit den militärischen Lie politischen Besprechungen fortzusetzen. Die militärischen Be- sprechungen würden wahrscheinlich diese Woche beginnen. Aus der Zusammensetzung der britischen Abordnung könne man den Schluß ziehen, daß auch Flotten- und Luftfragen be sprochen würden. EHamberlain wandte sich dann gegen den Vorwurf der Opposition, daß die Regierung an der Verzögerung eines Abkommens mit Sowjetrußland schuld sei. Es sei kein Geheimnis« daß di« Sowjets und hie französische unü britische Regierung bisher nicht in der Lage gewesen seien, sich auf eine für alle Parteien zufriedenstellende Erklärung des Begriffs „indirekter Angriff" zu einigen, ferner sei die Regierung darauf bedacht, den Anschein zu vermeiden, als ob sie die Unabhängigkeit anderer Staaten zu beschneiden wünsche. Um diese Frage handele es sich gerade bei der von der sowjet- russischen Regierung befürworteten Formel des indirekten Angriffs. Molotow habe erklärt, daß die politischen Schwie rigkeiten nicht unüberwindlich sein dürften, wenn die mili- tärischen Besprechungen, denen er Bedeutung beimesse, eröffnet seien. Zu der Frage eines vorläufigen Abkommens zu einem baldigen Zeitpunkt sagte Chamberlain, die Sowjetregierung sei anderer Meinung gewesen und habe es vorgezogen, nichts zu unterzeichnen oder zu paraphieren, solange man nicht zu einer vollen Uebereinstimmung gelangt sei. Die britische Re- gierung sei deshalb nicht in der Lage gewesen, der Welt zu einem früheren Zeitpunkt ein vorläufiges Abkommen zu unterzeichnen. Bezüglich Danzigs sehe di« Regierung keinen Grund -u übermäßiger Besorgnis, zumal die Nachrichten über eine Mobilisierung der Stadt übertrieben seien. Ihr« Politik im Fernen Osten werde die Regierung nicht auf die Forderung irgendeiner Macht hin ändern, unL sie sei von der japanischen Regierung auch nicht darum ersucht worden. Wenn die englandfeindliche Bewegung in Nordchina weiter anhalte und die Angriff« auf britische Interessen und Rechte in Novdchina ungehindert weitergingen, würde die Regierung gezwungen sein, dieLagealssehr ernst anzusehen. Hinsichtlich der Kündigung des ameri- kanisch-japanischen Handelsvertrages wies Chamberlain auf die Gemeinsamkeit „der allgemeinen Ziele und Absichten der Vereinigten Staaten und Großbritanniens" hin tl). Es sei Labei nicht nötig, daß jeder von ihnen notwendigerweise genau dasselbe tun müsse wie der andere. Das Haus könne aber versichert sein, daß di« Regierung größten Wert auf Zusam- menarbeitmitden Vereinigten Staaten lege. Die Regierung habe keinerlei britische Interessen in China aufgegeben. Fragen bezüglich der Uebergabe von Silber- beständen urw der Unterstützung der chinesischen Währung gingen nicht nur England an und könnten daher ohne vollste Verständigung mit anderen Ländern, deren Interessen ebenso berührt seien, nicht erörtert werden. Die Schwierigkeiten bei den englisch-polnischen Verhandlungen hätten sich nicht im Zusammenhang mit der Frag« des Waffenkauses in anderen Ländern, sondern dadurch ergeben, baß Lie polnische Regierung ein« Anleihe in Gold gefordert habe. Abschließend erklärte Chamberlain sein Bedauern über die „Giftpropaganda". Er ließ hierbei nicht klar erkennen, ob er damit King-Hall meinte. Der Führer der Liberalen, Sinclair, brachte ganz offen das Mißtrauen der Opposition zum Ausdruck, daß. Chamber lain es mit der Einkreisungspolitik nicht ernst meine und daß ihm die Politik der Befriedung immer noch am Herzen liegen könnt«. i Der Sprecher der Labour Party, Dalton, erklärte, die international« Lage sei zu ernst, als daß sich das Land den Luxus langer Parlamentsferien erlauben könne. Dalton be schwor di« Regierung in eindringlichen Worten, alle» zu tun, pW di« Moskauer Verhandlungen vor dem Scheitern zu be- wahren. Die einzige praktisch« Möglichkeit, di« Verhandlun- Da« stolze Albt»«. Wie der britische Ministerpräsident gestern im Unterhaus erklärt«, sollen Li« Moskauer Verhandlungen bisher daran gescheitert sein, daß man kein« beide Teil« befriedigend« Bestimmung des Begriffs des „indirekten Angriffs" gefunden habe. Vermutlich ist das nicht die ganz« Wahrheit, denn es gibt noch eine Anzahl weiterer Streitpunkte, unter denen das Verhältnis England« zu Japan nicht der unwichtigste'ist. Aber es macht, so rechnet man in London, schließlich auf die „kleinen" Völker einen guten Eindruck, wenn die Dinge so dargestellt werden, als ob England nur deswegen mit den Sowjets nicht einig wird, weil es Rücksicht auf die schwachen Staaten nimmt. Außerdem ist es natürlich auch nicht sehr angenehm für di« — ach so friedensfreundlichen — Herren im Londoner Regierungsviertel, wenn sie aus Moskau den Befehl bekommen, in den Krieg zu ziehen, weil irgendwo ein „indirekter Angriff" auf di« Sowjetunion unternommen worden ist. Ein derartiger Angriff bedarf tatächlich einer genauen Begriffsbestimmung, zumal dann, wenn es sich um Bundesbrüder handelt, di« einander — mit Recht — nicht über den Weg trauen. Denn schließlich kann ja als mittelbarer Angriff, Ler Len Bündnisfall auslösen würde, schon angesehen werden, wenn z. B. das Reich in Riga oder Reval einen Gesandten ernennt, der den Leuten in Moskau nicht gefällt, oder wenn eine Gruppe Hitlerjungen einen Besuch in Finn land macht. Das wäre ja schließlich die Knochen der englischen und französischen Jugend noch weniger wert, als z. D. «in Streit, der etwa über di« Rückkehr der deutschen Stadt Danzig in das Deutsche Reich entstchen würde. Au den weiteren Merkwürdigkeiten Ler gestrigen Unter- Haussitzung gehört das Eingeständnis Chamberlains, daß Moskau es abgelehnt habe, sich mit einem ihm angebotenen vorläufig« n^llebereinkommen einverstanden zu erklären. Große Seelenkunmge sind die maßgeblichen Leute in England nicht, sonst müßten sie längst erkannt haben, daß Moskau mit dem kleinen Finger nicht zufrieden ist, sondern die ganze Hand haben will. Besonders dann, wenn es auf Schritt und Tritt sieht, in welcher Klemme Albion steckt. * Nachdem die Diplomaten versagt haben, sollen auch das erklärte gestern ohne einen Anflug von Verlegercheit der britische Ministerpräsident — die Militärs versuchen, den verfahrenen Karren aus dem Dreck zu ziehen. Als Leitpferd wird ein Flügeladjutant der britischen Majestät dem Hüh und Hott des Muschiks gehör chen müssen. Und es wird weiter ganz allein von Ler Gnade des Herrn Molotow abhängen, ob das Unternehmen nun «Mich gelingt oder nicht. Es ist schon richtig, daß Las etwas „wirklich ungewöhnliches" ist, wie Chamberlain trocken sagt«. Und die Ueberschrift? Das stolze Albion. E. D. erfolgten. Die Regierung habe nicht di« Absicht, dem vom Volk auf Lies« Weise »um Ausdruck gebrachten Unwillen über Englands Haltung Fesseln anzulegen. Japanische Forderungen. Tokio, 1. Aug. (Ostasiendienst.) Die heutigen japanischen- englischen Währungsverhandlungen sind ohne Erfolg geblie ben. Japan hat folgenden Standpunkt eingenommen: 1. Die Befriedung Nordchina« ist solange gefährdet, wie der Tschunking-Dollar, der sonst in Nordchina allgemein ver boten ist, in Tientsin zugelassen ist. 2. Der Tschunking-Dollar in der britischen Niederlassung von Tientsin stellt ein Bindeglied -wischen der Tschunking-Regie- rung und den Gegnern Japans in der Niederlassung dar. 8. Der Silberbetrag in der britischen Niederlassung gehört der norbchinestschen Regierung. 4. Di« britische Niederlassung hat deshalb da« Silber an di« nordchlneflsche Regierung auszuliefern. Ein britischer Gegenvorschlag, diese Frqaen Finan-ver- ständigen vor»ulegen, wurde von Japan abgelehnt. Man ver- mutet hier, daß England seine endgültige Entscheidung so- lange hinauszögere, bis Washingtons Ansicht eingeholt ist. Da Tokio aber die Einmischung dritter in die Tientsinfrage ab- lehn«, so hält man es für fraglich, ob die Konferenz in Tokio abgehalten werden kann. 2n Len Ministerien fanden mehrer« Auisprachen statt.