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«r. 272. 22 November 1S37. Srzgebirgischer Dolkssreund. Verlag: T. M. Gärtner, Aue. 8. Beidlatk. oenk»ke-.ttc«lrLL«u7r ovecn erei.^ oi««a ^5irrk«.«k»o/»o 1. Justiziar Lange warf ärgerlich den Bleistift auf den Schreibtisch. „Sie werden mit Ihren Harun al Raschid-Manieren vereinfallcn, Herr Hall!" „Das nehme ich auf mich, Justizrat." „Das Ganze ist eine Idee aus einem Roman!" „Das Leben ist oft viel bunter als ein Roman!" „Ihr Einfall ist einfach verrückt!" „Ist er ungesetzlich?" „Nein. Sie können natürlich Ihre Besitztümer ver schenken an wen Sie wollen, aber diese Sache ist doch zu toll." „Mir macht sie Spaß und ich Vin neugierig, wie sie ansaeht." „Sie sind ein Romantiker!" „Vielleicht." Der Justtzrat brummte und Lugte über den Rand sciner Brille prüfend nach seinem Gegenüber. Da saß ein großer Mann mit einem hageren, braunen Gesicht. Sein Haar war dunkel, Lie Schläfen leicht er graut, die Hellen Augen blickten lebhaft und jetzt ein bißchen amüsiert. Die Züge waren ruhig, undurchdring lich. Es ließ sich nicht in ihnen lesen, welche Gedanken sie bargen. Justizrat Lange seufzte. „Und warum soll das Mädchen daS HauS bekommen, der Chauffeur aber das Geld?" fragte er. Rudolf Hall schnippte die Asche von seiner Zigarette und lachte. „Weil man einer Frau Sachwerte in die Hand geben muß. Damit weiß sie etwas anzufangen. Großen Geld summen steht sie hilflos gegenüber. Entweder sie bleibt ängstlich darauf sitzen, was nicht in meinem Sinne wäre, oder sie verplempert sie. Jedenfalls fehlt ihr für Geldbesitz der nötige Unternehmungsgeist. Unter nehmungsgeist ist eine männliche Eigenschaft." „Na, na, Herr Hall, ich kenne einige Ausnahmen." „Die bestätigen nur die Regel. Jedenfalls soll Fräu lein Schuster das Hans haben und -er Chauffeur Max Gehrke das Geld." „Und wie soll -er, Ihrer Meinung. nach, seinen männlichen Unternehmungsgeist betätigen?" „Oh, er hat verschiedene Möglichkeiten! Er kann zum Beispiel mehrere Autodroschken laufen lassen, statt der einen, die er jetzt fährt. Er kann eine Garage auf machen. Oder eine Äutoschlosserei. Gehrke ist gelernter Autoschlosser, wie ich festaestellt habe. Macht einen fevr intelligenten Eindruck. Er wird schon etwas mit dem Gelde unternehmen." „Vielleicht versäuft er eS auch," spottete der Justiz- rat. „Na, ich will zu Gehrkes Ehre annehmem -aß er den von Ihnen zitierten männlichen Unternehmungs geist zeigt. Was aber dieses Fräulein Schuster mit dem Hause am Kurfürstendamm anfangen soll, ist mir ein fach schleierhaft!" „Darauf bin ich eben neugierig!" „Wenn sie überhaupt etwas damit beginnen kann, hat sie mehr Unternehmungsgeist als ein halbes Dutzend Männer zusammen. DaS HauS steht von oben bis unten leer. Es hat nur große Wohnungen und die sind zur Zett »«vermietbar.^ „Stimmt. Aber die Parterreräume hat die Depositen kasse der Dedibank mit langfristigere gutem Vertrage inne. Die Miete daraus deckt die Unkosten, die auf dem Hause liegen, Zinsen, Steuern und dergleichen," sagte Hall. Justizrat Lange blinzelte seinen Klienten an. „Hm. Wer ist dies Fräulein Schuster eigentlich?" „Besitzerin einer transportablen Schreibmaschine, auf -er sie stundenweise bei den verschiedensten Leuten nach Diktat arbeitet." »Ist sie hübsch?" Rudolf Hall lachte. Das Lachen gab seinem Gesicht etwas Jungenhaftes, „Wollen Sie mir eine Liebesgeschichte andichten, Justiziar? Damit befinden Sie sich am dem Holzweger Ich habe das Mädchen in der dunklen Allee höchst un genau gesehen. Aber Sie können sich ja über ihr Aus- sehen informieren wenn sie in Ihr Büro kommt. Und nun rufen Sie bitte Ihre Stenotypistin herein und diktieren Sie die Briefe an Max Gehrte und Fräulein Schuster." „Gut, wenn Sie auf Ihrer Idee bestehen?" Rudolf Hall nickte und griff nach Hut und Mantel. „Ich mache eine Geschäftsreise, Justizrat. In einer halben Stunde geht mein Zug. In ein paar Wochen Vin ich wieder in Berlin. Ich bin sehr gespannt, wie sich mein Experiment entwickelt." „Es wird ein grandioser Reinfall werden. Soll ich Ihnen irgendwohin Nachrichten geben?" „Danke, nicht nötig. Meine Adresse wird außerdem ständig wechseln. Leven Sie wohl, Justi-rat!" . * Rudolf Hall fuhr in sein Hotel. Während er seine Rechnung beglich, wurde sein Ge päck in die Autodroschke geschafft. „Lehrter Bahnhof," sagte er vernehmlich. Unterwegs dirsgterte er daS Gefährt um. „Fahren Sie mich -um Kurfürstendamm, Pension Minerva." In der Pension Minerva wurde Hall bereits er wartet. Man führte ihn in daS Zimmer, da» er am Vormittage telephonisch bestellt hatte. Ein Boy brachte daS Anmeldeformular, in daS sich Hall alS Rudolf Weigelt eintrug. Dann schloß er die Tür und trat ans Fenster. Er starrte auf die breite Prachtstraße hinab. Bogen lampen und Lichtreklamen strahlten^ Ems LnahMjgk Kette von AutöS zog voküber. Menschenströme schoben sich an den Hellen Schaufenstern vorbei. Gegenüber war eine HauSfront von Scheinwerfern grell erleuchtet. Die warfen Lichtbündel auf ein riesiges Kinoplakat, daS eine unwahrscheinlich blonde Schönheit -arstellte; irgendein prominenter Kinostar. Bunte Glühbirnen umrahmten das Titelschild deS FilmS. „Glück über Nacht!" knallten die Schriftzüge ins weiße Licht. Rudolf Hall lachte. Sollte er sich nachher daS Flimmerstück ansehen? Sicher handelte es von Liebe und happy end. Gott, auf der Leinwand war daS alles ia so einfach! Neben dem Kinopalast stand ein andere» Gebäude. Seine Fenster waren dunkel wie tote Augen. Und vom ersten bi» zum vierten Stockwerk trugen sie alle den selben roten Zettel: Zu vermieten!... Zu vermieten! Ueber Len Räumen LeS Erdgeschosse» kündeten Gold buchstaben: Dedibank, Depositenkasse L. Das war Rudolf Halls Haus und ... er hatte eS soeben -er Stenotypistin Frie-el Schuster notariell Übermacht! „Idee aus einem Roman!" hatte der Justizrat die Sache genannt. Aber was wußte der alte Aktenmensch vom bunten Leben? War nicht sein, Rudolf Halls Leben, selber wie ein bunter Roman abgerollt? Von der Schulbank in den Krieg. Schützengräben von Dpern bis Gallipoli. Dann Friedensschluß. Zurück in Sie Heimat. Suche nach Arbeit, die man nicht fand. Hunger. Bettel auf den Landstraßen. Eine Nacht in Belfort, wo man von den Franzosen für die Fremden legion gekapert wurde. Die Hölle von Sibi bel Abbös und wil-e Flucht. Matrose auf Trampdampfern. Bieh- hirt in Australien. PerlenwilLerer in der Südsee. Re volutionssoldat in einem südamerikanischen Staat. Wieder Seemann auf Frachtschiffen. Und bann eine tolle Nacht in einem mexikanischen Hafen, wo man bei Schnaps und Würfelspiel einem trunkenen Amerikaner seinen Anteil an den Petroleumfeldern bet Tampico abgewann. DaoeegeweL-es Haar MM» soll man nie ahn» Wagerwellen tragen, da» sieht wü» UN» ungepsiegi au», ist iHS-lich «n» Sa» haar hat k»i«u -tanz, maß immer ln wafferweUea grlegt seln, »a «vir» »a» haar am besten geschont, betommt «anz un» »in gepflegte« ftussehen. war, DaS brachte die Wendung. Endlich geruhte Fortuna zu lächeln. Der Anteil war mehr wert, als der Betrunkene ge glaubt hatte. Das Oelfeld war nicht tot. Neue Bohrun gen brachten Reichtum über Reichtum. „Aber, zum Teufel, sollte sich ein reicher Mann bei den stinkenden Bohrtürmen abplagen?" Nein! Man nahm sein Geld, ging nach Neuyork, lebte als Krösus und holte nach, was man in Len letzten zehn Jahren an Lebensgenüssen versäumt batte. Doch man blieb nicht auf seinem Gelbe sitzen. Dazu hatte man viel zu viel männlichen Unternehmungsgeist! Man spekulierte an -er Börse. Man verdoppelte, ver dreifachte sein Vermögen. Es waren goldene Zeiten! Und dann bekam man eines Tages gründlich eins auf den Kopf und büßte bei Börsenkrach und Dollarfall zwer Drittel seines Geldes ein. Es blieb allerdings immer noch ein hübsches Sümmchen übrig: eine runde Million. Aber -er Schreck war einem Loch eklig in die Glieder gefahren. Und mit dem Schreck war ein Einfall gekommen. „Romantiker!" würde der Justizrat natürlich gesagt haben. Man stellte sich den guten Freunden und Len schönen Frauen als verkrachter Börsenspekulant vor. Man spielte Lie Komödie goldecht. Wurde Geschirrwäscher in einem Hotel, Gast in den Suppenküchen Ler Heils- armee und ... wartete auf die Hilfsaktion der guten Freunde. Aber die verkrümelten sich. j Und die schönen Frauen kannten einen nicht mehr. Nur eine zeigte ein wahrhaft goldenes Her»! Dorothy Älossom, in die man sterblich verliebt war, Lot einem die Stelle eines Chauffeurs an. Die pikfeine Limousine sollte man fahren, die man der Holden in einer Laune geschenkt hatte. Man lachte Dorothy aus. Dann rannte man mit einem bitteren Gefühl im Herzen durch die Straßen, kam zum Hafen und ging in eine Kneipe, um den ganzen Ekel zu ersäufen. Da saß ein halbeS Dutzend blauer Jungen, die kamen von einem deutschen Schiff und waren in Stimmung. Volks lieder sangen sie von daheim: „Am Brunnen vor Lem Tore . . und „Nach der Heimat zieht'- mich wieder ..." Da kriegte man das Heulen und da- große, große Heimweh. Drüben, auf der anderen Seite -er Welt, lag Deutsch land ... die Heimat. Wie würde die einen aufnehmen? Man packte kurzerhand seine Sachen und fuhr hinüber. Ging nach Berlin. Dort besaß man sogar Grund und Boden, ein HauS. DaS hatte man in der Zeit der Geld- stille einem Neuyorker Grundstücksspekulanten abge kauft, der es in der deutschen Inflation für ein paar Dollar erworben hatte. Irgend jemand verwaltete da- HauS. Justtzrat Lange HM der.WglM. Man fand Lie Heimat verarmt und da» Hau» stan- leer. Aber die Menschen waren ander» al» in dem harten Nankeelande. Als man denen den verhungerten Tramp vormimte, waren sie weicher. Sie kannten die Armut und fühlten mit dem Armen. Eie gaben. DaS Mädchen in dem dünnen Mäntelchen batte ge holfen. Braune Haare hatte sie gehabt, ein frische» Ge sicht und gescheite Augen. Oh, man hatte sich Friedel Schuster recht genau angesehen, trotz der dunklen Allee! Aber da» brauchte man Lem alten Justizrat ja nicht auf Lie Nase binden! Und Ler blonde Junge, der Chauffeur, hatte auch die milde Hand aufgetan. Trotzdem er nicht gerade nach üppigen Mahlzeiten auSsah ... Ein Gong ertönte und rief die PensionSgäste -um Abendessen. Rudolf Hall schrak au» seinen Gedanken auf. Von der-Straße lärmte der Verkehr herauf. Das Bild des KinostarS lächelte noch immer im Scheinwerferlicht. Es sah der blonden Dorothy auS Neuyork ähnlich, hatte dieselbe leere Schönheit, daS gleiche nichtssagende^ Lächeln. „AdjüS, Dorothy!" winkte Hall dem Plakat spöttisch zu. Dann ging er zum Essen. s. Am Hause Karlstraße 15 prangte folgende» Schild: Privatmittagstisch, drei Gänge, 0.90 Mark. Hier, mitten im Studentenviertel, hatte die Witwe Klara Schuster ihr bescheidenes Unternehmen etabliert, weder den Mut noch den Humor verloren und sich schlecht und recht durchgeschlagen. Seit Lie Friedel mit ihrer Schreibmaschine noch dazu verdiente, lebte man sogar schulden, und sorgenfrei. Die Mittagszeit war schon vorüber, aber in dem sauberen Speisezimmer saßen noch ein paar junge Leute beisammen. Der Mediziner Werner Lifan, der stud. jur. Heinz Brandt und die Sportlehrerin Tina Krell. Sie waren Stammgäste und im Laufe der Semester in ein Freundschaftsverhältnis zu Frau Schuster und Friebel getreten. Demzufolge hatten sie Anrecht auf einen Nach- tischkaffee nebst privatem Schwatz. Frau Schuster, eine kleine, rundliche Frau mit ver gnügten Augen und krausem Grauhaar, trat ein. „Der Mokka kommt, Kinder!" „Und ein Napfkuchen," schrie Tina Krell erfreut, denn sie war ein Leckermaul. „Was ist -enn los, Schusterchen?" „Ich habe Geburtstag! Bin wieder mal ein Jahr jünger geworden!" Die kleine Frau wurde von drei Paar kräftigen Armen gepackt und auf einen Stuhl gestellt. Junge Kehlen ließen einen Gratulationschorus steigen. „Die Blumenpötte werden nachgeliefert, Mutter Schuster!" „Alle zusammen nur einen, bitte. DaS genügt. Haltet euer Geld zusammen. Nun wollen wir Kaffee trinken." „Ohne Lie Friedel?" i „Wo steckt daS Mädel eigentlich?" ' „Ist schon zum Essen nicht dagewesen!" So klang's durcheinander. „Ich weiß auch nicht, wo sie heute bleibt," sagte Frau Schuster. „Hat wohl eine neue Arbeitsstelle bekommen. Heute früh kam ein Brief von einem Justizrat Lange. Vielleicht mutz sie da tippen ..." „Da kommt sie ja!" „Fährt im Auto vor wie eine Millionärin!" „Na, so was!" Alle drängten sich ans Fenster nnb sahen zu, wie ei» junges Mädchen Leu Chauffeur ablohnte und dann eilig über die Straße rannte. Zwei Minuten später stürmte Friedel Schuster in» Zimmer, bummste die transportable Schreibmaschine zwischen die Kaffeetassen, schleuderte die Baskenmütze hinterdrein und fiel ihrer Mutter um den Hals. „Herrjeh, Mädel, was ist denn los?" „Ist was passiert?" „Eine Unmasse, Kinder!" „Was denn, Friedel?" „Erzählen! Wir platzen vor Neugier!" „Mutti! Tina! Jungens! Hört mal zu! Ich habe ein Haus geschenkt gekriegt!" „BummS" sagte Werner Lisan. „Der 1. Apri! ist ge wesen." „Wirklich und wahrhaftig! ES ist ein Hau- am Kurfürstendamm!" Stille. Dann lautes Gelächter. „Friedel erzählt das Märchen der 1002. Nacht!" „DaS Kind mutz ins Bett! Grippe mit Fieber. Tem peratur 45,8!" „Schöner Doktor! Dann wäre ich ja tot," lachte Friedel. „Und das mit dem Hause stimmt. Bloß ist eS von oben bis unten leer und ..." „Ueberhaupt nicht vorhanden!" Nun wurde Friedel ernstlich böse und wollte mit ge- ballten Fäusten auf die Spötter losgehen, aber Frau Schuster faßte sie bei den Schultern und brückte sie auf einen Stuhl. „Htnsetzen, Frie-el! Ein leeres HauS, geschenkt ober nicht, ist cs nicht wert, daß uns der Kaffee kalt wird. Ich habe dir dein Mittag warmgestellt, Kind." „Ich hab' gar keinen Hunger, Mutti. Bor lauter Auf regung. Kaffee und Kuchen genügen." Frau Schuster hatte eingeschenkt, den Kuchen ange schnitten und strich nun der Tochter über- Haar. „So, jetzt erzähle mal." „Los, Friedell „Wir sind gespannt wie die Flitzbogen." Friedel gab ihrer Mutter einen Kuß. „Mir ist vor einiger Zett eine komische Geschichte passiert, Mutti. Ich habe sie nicht erzählt, um dir reine Unruhe zu machen. Aber ... na, ich fang« wohl am besten von vorn an: Wie ihr alle wißt, arbeite ich hin nnd wieder in der Billenkolonie Grunewald bet dem Schriftsteller Wallmann, der die gruseligen Detektiv- geschichten schreibt." „ES ist unmöglich von Waltmann nicht gefesselt zu sein." witzelte stud. tur. Brandt. , Kortse-ung solgt.)