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«r. 250. 25. Oktober lSSS. ^^38 Verlag: L. M. SSrtner. Aue. 2. BetblaN Die letzte« Tage -es Weltkrieges. Nach amtliche« Dokumenten und FrontkSmpferberichte«. / Von Walter Steding Die erste« «chSye. Der Weltkrieg begann am 88. Juli 1914, 3 Uhr nach mittags, mit der Mobilmachung Serbiens, die von Oesterreich. Ungarn um 9 Uhr abends durch Teilmobilisierung erwidert wurde. Für Deutschland dauerte der Krieg vom 1. August 1914 bi« 11. November 1918 12 Uhr mittags, der Stunde des Waffenstillstandes. Der erste Gewehrschuß des Welt- krieges wurde am 28. Juli 1914, nachmittags zwischen 6 und 7 Uhr von dem österreichischen Korporal Petranaye abgegeben. Unter Führung dieses Korporals hatte eine Patrouille des k. u. k. Infanterie-Regiments 68, Frhr. von Reicher, die kleine Zigeunerinsel in der Save vor Belgrad besetzt. Als sich ein serbisches Patrouillenboot näherte, eröff- nete Petranaye das Feuer; sein Schuß traf den Steuermann. Diese kleine so historisch gewordene Insel wird verschwinden; denn durch die von der jugoslawischen Regierung betriebenen Arbeiten, die die Mündung der Save in die Donau neu regulieren, wird diese kleine Insel mit dem Festland vereinigt. Die letzte« Kämpfe a« der Westfront. Als Oesterreich die Waffen nisderlegte, sprangen Deutsch- lands Südgrenzen auf. Noch einmal, zum letztenmal, handelte der Deutsche und suchte mit ersterbender Kraft und in aus sichtsloser Läge Flanke und Rücken zu schirmen. Mackensen sammelte die aus der Moldau und aus der Walachei ab- ziehenden Divisionen, um durch Ungarn heimzugelangen, Schdltz bemühte sich, am Nordufer der Donau eine Front zu bilden, und Krafft von Delmensingen würf sich mit ein paar tausend Mann über München und Tirol, um die bayrische Grenze auf den Tiroler Pässen zu schützen. Es war umsonst; da Oesterreich und Ungarn sich gegenüber der Entente ver- pflichtet hatten, binnen vierzehn Tagen den Abzug aller deutschen Truppen zu veranlassen und die nicht abziehenden zu entwaffnen, blieb diese letzte strategische Gebärde unvollendet. In diesen Tagen treten die alliierten Armeen im Westen aufs neue zum Generalangriff gegen die Hermann- und die Hunding-Drunhildstellung an. Bei Dalenciennes pinnen sich schwere Kämpfe an, in denen die deutschen Dioi- ionen langsam zUrückiveichen. Zwischen Argonnen und Maas irücken die Amerikaner zäh in nördlicher Richtung. Am Horizont dieses aussichtslosen Ringens zeigt sich drohend ein Durchbruch durch die deutsche Mitte nördlich Verdun und die Einkesselung des ganzen Nordflügels bis zum Meere an. Die Oberste Heeresleitung entschließt sich, den allgemeinen Befehl zum Rückzug in die Antwerpen — Ma asst el- I u n g zu geben. So will sie die Gefahr der Einkreisung bannen. Sie glaubt zudem, in den bisherigen Stellungen sich nicht mehr auf eine Abwehrschlacht großen Stils einlassen zu dürfen. Es hat ja auch keinen Sinn mehr. Die Zeit der strategischen Wagnisse ist vorüber, seitdem Man nicht mehr für einen Sieg kämpft. Täglich ist der Waffenstillstand zu er warten, auf dessen Gestaltung man so gut wie keinen Einfluß hat. Kämpfend gehen die Armeen zurück. Zögernd rückt der Feind nach. Tagsüber Rückzugsgefechte in rasch aus- geworfenen Erdlöchern, nachts Rückmarsch in die nächste Aus nahmestellung. Gewaltige Anforderungen müssen noch einmal gestellt werden. Sie werden erfüllt. Wenn auch das Versagen einzelner Divisionen immer häufiger wird, wenn auch die Gefangtnenzahlen anschwellen — der feste Halt der Front bleibt gewahrt. An der Front. Novemberwetter. Nachts regnet es in Strömen. Am Tage kommr bisweilen die Sonne noch einmal durch. Gefechte an jedem Tag, mit Beginn des Morgens, wenn die feindlichen Truppen gegen die in der Nacht neu besetzten Stellungen vorfühlen. Kavallerie, leichte Tanks, Feldartillerie und Flieger, Flieger, Flieger. Gegen Mittag kommt auch die feindliche Infanterie heran. Zögernd gehen ihre Wellen vor. Das deutsche Maschinengewehrfeuer faßt sie. Die Batterien stehen dicht hinter der Infanterie in Parks, an Waldrändern, hinter Häusern. Die wenige Munition, die noch da ist, muß sparsam verausgabt werden. Es wird fast nur noch mit .direktem Schuß gefeuert. Hier und da gibt die Linie nach. An anderen Stellen wird sie zurückgenommen, um zu ver meiden, daß einzelne Teile abgeschnitten werden. Der Gegner macht jetzt weniger Gefangene. Jedermann weiß ja, daß morgen oder übermorgen Schluß ist. Niemans will sich schnappen lassen, um vielleicht noch monatelang hinter französischem Stacheldraht zu hocken, während die anderen schon daheim bei Muttern find. Wo die feindliche Artillerie erkannte Stellungen unter heftiges Feuer nimmt, weicht die Infanterie aus. Es kommt da jetzt nicht mähr darauf an, für jeden aufgegebenen Quadratmeter mit Mut zu bezahlen. Ein stiller, lähmender Begleiter ist neben jedem einzelnen. Das ist die beklemmende Furcht, einen oder zwei Tage vor dem Schluß noch daran glauben zu müssen. Am Morgen liegt man wieder in Erdlöchern und wartet auf den Feind. Das gleiche Spiel beginnt. Die Garde, tapfer bis zur letzte« Stunde. Generalleutnant Tiede, der Führer der 1. Garde-Reserve- Division, berichtet über diese Tage: Viele Mannschaften hatten kaum noch Strümpfe auf den Füßen. Es regnete fast täglich, und die Nächte waren schon empfindlich kalt. In den wenigen Tagen, wo sie wirklich warm und satt gegessen hatten und ausrühten, wo der Körper endlich wieder einmal gereinigt war, Waffen, Bekleidung und Schuhzeug in Stand gesetzt worden waren, wo die Komman- deure und Kompanieführer aufklärend, ermahnend und er- munternd zu ihren Leuten gesprochen hatten, da kehrte das Vertrauen zurück; die Truppe „glaubte" wieder an ihr'e Führer und in der äußeren Erscheinung und dem Verhalten den Vorgesetzten gegenüber zeigt fick der Geist des Gehorsams und der Manneszucht. Der Kitt, der die Truppe zusgmmenhielt, war zu fest, um selbst bei einer solchen Belastungsprobe sich zu lösen. Die Briefe des Grafen Eulenburg aus diesen Tagen lassen die Beanspruchung erkennen, denen das Erste Garde- Rgt. zu Fuß ausgesetzt war, und den Stolz auf seinen letzten siegreichen Angriff im Weltkriege. Am 9. 11. schreibt er: „Gegen A3 Uhr kamen wir zur Ruhe. Gestern früh um 7 Uhr gings dann wieder zum Stellungaussuchen. Diese ist denkbar ungünstig. Es wurde trotz Ermattung der Leute, die schweren Nachtmarsch und viele nasse Biwaknächte hinter sich haben, sofort mit Hochdruck an die Arbeit gegangen. Denn der Feind konnte jeden Augenblick auf den gegenüberliegenden Höhen erscheinen, und in der Stellung war nichts, rein nichts vorbereitet. Gegen Mittag schlugen auch richtig die ersten Granaten in die Arbeit hinein. Nun hieß es diese bis zur Nacht einstellen. Denn der Abschnitt liegt ohne die geringste natürliche Deckung in voller Sicht des Feindes. Das Regiment befindet sich jetzt seit sieben Wochen im Großkampf Und hat seitdem nur dreimal je 24 Stunden unter Dach gelegen. Seit drei Wochen biwakiert es ununterbrochen. Dabei regnet es unausgesetzt. Die außer ordentlich anstrengenden Nachtmärsche mit schwerem Gepäck und Maschinengewehrgerät auf schlüpfrigem Boden kommen hinzu, ferner der aufreibende Posten- und Streifendienst! Ruhiger Schlaf ist ausgeschaltet. Die Anforderungen' sind übermenschlich. Die Truppe ist aufs äußerste ausgepumpt, man kann nur voll Dank und Bewunderung sein, daß sie es noch leistet. Aber der Zustand der Leute erfüllt einen doch mit Sorge! Unsere Feinde können stets mit frischen Truppen kämpfen. Darin kommt ihre zahlenmäßige Ueberlegenheit viel mehr zur Geltung, als in der jedesmaligen augenblick- lichen Ueberzahl der Kampftruppe." In einem späteren Brief heißt es: „Der Franzmann war in den eben von uns abgegebenen Abschnitt eingebrochen, und zwar genau an der Stelle, vor der ich gewarnt hatte. Diese Warnung hatte ich schriftlich niedergelegt mit genauen Vor schlägen für die Art der Sicherung. Aber alles war vergebens: teils durch die Sorglosigkeit der Führer, teils durch die geringe Widerstandsfähigkeit der sehr ausgepumpten, früher guten Truppe gelang dem Franzmann der Einbruch über den (Scherl-Bilderdienst-M.) breiten Maas ström hinweg — wohl zu seinem eigenen Erstaunen. Nun hieß es: 1. Garderegiment Gegenangriff, die Stellung wieder nehmen! Für die Leute wars außerordentlich hart: nach sieben Wochen unsagbarer Beschwerden und zer- mürbcnder Kämpfe durften sie endlich auf etwas Ruhe rechnen. Da gabs erneute Enttäuschung. Nach wenigen Stunden Schlafes in schlechter, kalter Unterkunft mußten sie wieder hinaus in «die Schweinerei, um die Verfehlungen anderer gut zu machen. Umso mehr war ich stolz und dank bar, daß das Regiment am letzten Tage des Krieges — daß er es sein würde, wußten wir. noch nicht — seinen alten Angriffsgeist noch einmal bewährte." Das Drama von SompiLgne. Während so die Westfront bis zum letzten Tage kämpfte, vollzog sich hinter der Front das Drama des Waffen stillstandes von Eompiögne. Am 8. November, 9 Uhr morgens, begannen die Verhandlungen im Walde von Tompiögne in einem Sonderzuge des Marschalls Foch. Foch eröffnete sie mit der Frage: „Que desirent ces messieurs?" (Was wünschen die Herren?) und forderte die Unterzeichnung der unge» heuerlichen Waffen still st andsbedingungen innerhalb von 72 Stunden (d. h. bis zum 11. November, vormittags 11 Uhr); da Waffenruhe schroff abgelehnt wurde, mußten die Fronten noch weiter verbluten. Marschall Foch forderte die Räumung von Nordfrankreich, Belgien und Glsaß- Lothringen in fünfzehn Tagen. Binnen weiteren zehn Tagen müssen die deutschen Armeen hinter dem Rhein stehen. Die alli erten Truppen besetzten Brückenköpfe jenseits von Köln, Koblenz und Mainz. Eine dreißig Kilometer breite Zone unter Führung des Infanterie- Bei Abwehr amerikanischer Angriffe östlich der Maas zeichneten sich durch erfolgreiche Gegenstöße das brandenbur gische Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 207 unter seinem Kommandeur Oberstleutnant Hennigs und Truppen der 192. sächsischen Infanterie-Division unter Führung Oberstleutnants v. Zeschau, Kommandeur des Infanterie- östlich des zu besetzenden Gebietes muß sbenfas von deutschen Truppen geräumt werden. Der ganze Osten muß freigegeben werden, überall haben sich die deutschen Truppen hinter die Grenzen von 1914 zurückzuziehen. Der Friede mit Rußland und mit Rumänien wird als null und nichtig erklärt. Marschall Foch forderte weiter 5000 Geschütze, 26 000 Maschinengewehre, 3000 Minenwerfer, 1700 Flugzeuge in unversehrtem Zustande. Gr forderte 5000 Lokomotiven, 150 000 Waggons, 5000 Lastkraftwagen. Er forderte die sofortige Auslieferung von allen Unterseebooten, 6 modernen Panzer- kreuzern, 10 Linienschiffen, 8 kleinen Kreuzern und 50 Tor- pedobooten des neuesten Typs. Aber das Ungeheuerlichste — die Blockade gegen Deutschland blieb bestehen/ Am 11. November 1918, morgen 6 Uhr, wurde Ger Waffenstillstand im Walde von Tompiegne unterzeichnet von: Marschall Foch, Staatssekretär Erzberger, Admiral Wemyß, Graf Oberndorfs, General v. Winter feld t und Kapitän Banselow. Sechs Stunden später, um 12 Uhr mittags, wurden auf allen Fronten die Feind- seligkeiten eingestellt. Der letzte deutsche Sturm. Hauptmann von Steinwehr schreibt über den letzten Kampf des vierten Garderegiments zu Fuß am Mässen- stillstandstage, dem 11. November 1918: > „Trübes regnerisches Novemberwetter lag über der Land- schäft und bedrückte die Stimmung, die trotz aller heldenhaften Leistungen der letzten Kriegsjahre und der letzten Zeit im besonderen das erhoffte Ziel — den Sieg — immer mehr im Schwinden sah. Da kam am Morgen des 10. November, der Befehl für das Bataillon zum Einsatz in die vordere Linie. Gleichzeitig verbreitete sich die Nachricht vom Uebertritt des Kaisers über die holländische Grenze, von der Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen, vom Herübersenden von Par lamentären. Alles deutete darauf hin, daß dieser letzte Befehl nur gegeben war, um nach einigen Tagen der Rlche durch Einsatz des Bataillons dem II. Bataillon nun auch Ruhe zuteil werden zu lassen. Aber die Kämpfe des 10. Novembers belehrten uns anders. Die Nacht zum 11. November verlief ruhig. Um 5 Uhr morgens schrillte das Telephon. Man wußte, jede Stunde tonnte unerhörte Neuigkeiten bringen, und da kam nun die langersehnte Nachricht: Um 11^55 Uhr heute Mittag Waffenstillstand. Jubel, Aufatmen, Gott sei Dank, wir haben getan, was wir konnten. Da, um 7 Uhr morgens, wieder das Telephon. Klar und trocken kam der Befehl, durch Gegenangriff den im benachbarten Divisions abschnitt noch eingedrungenen Feind, also die Maschinen- gewehrnester an der Bahn vor Höhe 249, wieder zu beseitigen. Er sollte auf Befehl des Regiments durch Flankenstoß, der Kompanie Dannecker vom Bahnhof Drigne, entlang der Eisenbahn nach Nouvion, erfolgen. Als Zusatz wurde gesagt: Die Waffenstillstandskommisston bittet, um günstige Bedingungen beim Gegner durchzudrücken, daß alle Angriffe mit voller Wucht erwidert werden, damit nicht der Feind den Eindruck eines zermürbten, kampfmüden und kampfunfähigen Heeres hat. Die 12. Kom panie trat um 8 Uhr früh am Waffenstillstanbstage zum letzten Sturm an. Im Morgennebel und noch ehe die Franzosen ihre Munition jenseits der Maas ergänzt hatten, traf sie an der Bahn flankierend der Stoß der Kompanie, die den franzö sischen Maschinengewehrschützen im rücksichtslosen Anlauf an der Kehle war, ehe sie ihre im Regen und Nebel gequollenen Gurte hatten ersetzen können. Zwei schwere und vier leichte Maschinengewehre fielen der Kompanie und ihren Stoßtrupp führer in die Hände. Zwölf Franzosen blieben tot bei ihren Waffen, und 15 wurden gefangen abgeführt." Die letzte« Schüsse des Weltkrieges. Auf dem Schlachtfeld von Sedan, auf dem es sich 1870 ausgezeichnet hatte, erlebte das 1. bayrische Feldartillerie, regiment Prinzregent Luitpold den Waffenstillstand. „Nicht weit hinter uns lag die Maas", so schreibt Unteroffizier Sturhahn, „und wir sehen, wie die Unsrigen eifrig mit dem Sprengen der Brücken beschäftigt waren/" Dienstfreie Leute begaben sich in das naheliegende, ziemlich verwüstete Schloß Bellevue, in dem am 2. September 1870 Napoleon Hl. sich dem König Wilhelm I. ergeben hatte. Schon seit längerer Zeit waren die viel besprochenen Waffenstillstandsverhand lungen bekannt. Ueber ihre große Gefahr aber war die Truppe sich nicht im klaren. Vollends über die Vorgänge in -er Heimat wußte sie nichts. Irgendwelche Umtriebe waren dem Regiment völlig fern geblieben. Daher erregte die am 9. No- vember umlaufende Nachricht unmittelbar bevorstehender Waffenruhe bei der Mannschaft Freude. Leuchtkugeln gingen in Sie Höhe, Freudenfeuer flammten auf. In der Nacht waren aber im rechts anschließenden Abschnitt Franzosen über die Maas gekommen. Am Morgen des 10 November wurde, als letzte Patrouille, Leutnant Schoch dorthin entsandt, der die Meldung zurückbrachte, daß der Feind wieder zurück geworfen sei, zugleich aber schlimme Kunde aus der Heimat. Noch feuerte der Feind am 10. und in der Nacht lebhaft. Don 6 bis 7 Uhr morgens am 11. November schossen einzelne Batterien der Division Störungsfeuer, so die 6. Batterie 25 Schuß auf Straßen um Frönois, um dem Feind zu zeigen, daß er uns nicht über den Hausen rennen könne. Im übrigen war der Morgen fast ganz still. Den letzten Schuß gab wohl Oberleutnant Alberti mit der 4. Batterie etwa um 11.45 Uhr also unmittelbar vor der Waffenruhe, auf den Park Mich Schloß Bellevue ab. Der letzte deutsch« Heeresbericht. Der letzte deutsche Heeresbericht lautet: Großes Hauptquartier, 11. November 1918.