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Da es sich jedoch dort um ein Gebiet handelt, in dem es viele Köpfe, also auch viele Sinne gibt, mögen es die Baumschulleute mit sich ausmachen, ob sie der alten oder der neuen Heilslehre anhangen wollen. Im deutschen Straßenbau gilt aber nur noch jene eine Meinung, die in fünf Jahren scharfer Prüfung sich als die unserer Zeit gemäße erwiesen hat. Hat nach dieser die Bepflanzung der Autobahnen und der Reichs- und Landstraßen die Aufgabe, das tech nische Werk in die deutsche Landschaft einzugliedern, so kann dieses Ziel auf zwei entgegengesetzten Wegen erreicht werden. Nach dem ersten wird alles, was jeweils an Aufwuchs von Strauch und Baum in der Landschaft sich findet, in gleicher Art, aber in ge drängterer Fülle an die Straße heran und über sie hinweggezogen. Es bekommen die landwirtschaftlich nicht nutzbaren Steilböschungen das ihnen gemäße Brombeeren - Wildrosen - Eichengebüsch; es läuft das Ufergehölz der Bäche und Gräben über Straßen böschungen und Mittelstreifen hinweg; vor die auf- gerissenen Forste legt sich ein neuer Laubholzsaum; es stehen auf Restflächen und Rastplätzen Gruppen von großen Bäumen, wie auch sonst in der Landschaft. Alle Pflanzung dieser Art kann nur aus standorts gemäßen, einheimischen Bäumen, Büschen und Kräu tern bestehen. Auf dem anderen Weg kann versucht werden, die Straße zur Krone der Landschaft zu machen dadurch, daß sie von der geordneten Baum reihe, der Allee, begleitet und betont wird. Für diese Pflanzung in gebundener Form kommen außer boden ständigen Wildbäumen auch Kulturbäume und selbst landschafts- und reichsfremde Arten in Betracht. Die Allee tritt an den großen Straßen gegenüber den früheren Verhältnissen stark zurück, da sie be schränkt ist auf jene Strecken, in denen die Straße nicht mehr als 1 m über oder unter dem anstoßenden Gelände liegt, und da die Baumreihen künftig min destens 3 m außerhalb der Straße stehen müssen. An ihre Stelle tritt in starkem Maße der früher nur von selbst entstandene Bewuchs von Busch und Baum in freier landschaftlicher Form. Die für die e i n z e1n e n 0 r t e b o d e n s t ä n- d i g e Gehölzgesellschaft wird nach den Lehren der neuen Wissenschaft der Pflanzensoziologie bestimmt, mit deren gesicherten Ergebnissen auch der Gartenbau sich ver traut machen muß, wenn er in der freien Landschaft mit Erfolg arbeiten will. Es gehört auf jede Bodenart und in jede Klimalage eine sie kennzeichnende und aufeinander auf Gedeih und Verderb eingeschworene Gesellschaft von Sträuchern und Bäumen, von denen ein Teil, die Pioniergehölze, die Aufgabe hat, zunächst den Boden und das Bodenklima so umzu formen, daß die anspruchsvolleren und endgültig das Landschaftsbild bestimmenden Baumarten in ihrem Schutz gesichert heranwachsen können. Diese letz teren werden entweder mit Samen gesunder Mutter bäume aus derselben Landschaft unter den Jungwuchs gesät oder in starken, mehrmals verschulten Heistern gepflanzt. Die Pioniergehölze werden zum Teil (be sonders Birken und Aspen) gesät, zum anderen in junger ein- oder mehrmals verschulter Ware in ziem lich dichtem Schluß gepflanzt. Aus Art und Absicht dieser naturnahen und land schaftsgebundenen Pflanzung ist ohne weiteres zu er kennen, daß in ihr der baumschulmäßig gezogene Hochstamm fehl am Platz ist. Es dauert allzu lang, bis sich dieser wieder zu einer natürlichen Form aus wächst. Der große, starke Heister aus weitem Stand ist die einzig mögliche Baumschulform, die wir hier gebrauchen können; bei der Pflanzung darf er nicht zurückgeschnitten, sondern nur ausgelichtet werden. Die Reihe dagegen, die Allee, wird, mit gelegentlichen Ausnahmen vielleicht von Linden, aus Hochstämmen gebildet. Auch für diese gelten andere Forderungen als früher. Jeder Straßenbaum muß einen durchgehenden Mitteltrieb haben. Nur ein solcher Baum wird alt, nur ein solcher kann auch den Anforderungen des Ver kehrs gemäß hoch genug aufgeastet werden. Wieviel Alleen, besonders von Ahorn, sind zu vorzeitigem Ver fall verurteilt, weil der Stamm sich in zwei, drei oder vier starke Aeste gabelt, an der Gabelungsstelle zum Faulen kommt, im Unwetter auseinanderbricht oder beim Aufasten auf die Verkehrsprofilhöhe von 4,50 m so große Wunden bekommt, daß sie nicht mehr aus- heilen können. Straßenobstbäume müssen ebenfalls auf durchgehenden Mitteltrieb gezogen werden; auch hier siegt das Natürliche über alle Moden. Von entscheidender Bedeutung ist von nun an die Herkunft des Saatgutes. Von der Meeres küste bis zur Baumgrenze in den Alpen, von dem fast mediterranen Oberrhein- und Moseltal bis zum Fich tengebiet Ostpreußens, von dem atlantischen Nord westen bis zum kontinentalen Schlesien und der pon- tischen Steppe südlich und nördlich von Wien enthält Deutschland viel zu verschiedene und entgegengesetzte Klimalagen, als daß man weiterhin mit Holsteiner Ein heitsware das ganze Reichsgebiet versorgen könnte. Der deutsche Waldbau hat ungeheuren Schaden er litten dadurch, daß man in dem rechnerisch eingestell ten 19. Jahrhundert das jeweils Billigste gepflanzt hat an Stelle der 'standortsgemäßen Rasse. Der Reichs forstmeister hat in der „Ersten Anordnung zur Aus führung des Forstlichen Artgesetzes vom 22. 11. 1938“ (Verlag Deutscher Holzanzeiger, Berlin NW 7, Fried richstraße 18) Richtlinien über Abkunft und Verwen dung der einzelnen Rassen von Kiefer, Fichte, Tanne, Lärche, Eiche, Rotbuche, Esche, Erle, Birke, Aspe auf gestellt, die auch für Straßenbäume gelten. Wenn wir gesunde, wüchsige, widerstandsfähige, langlebige Bäume an unseren Straßen haben wollen, müssen wir auch für Arten, die in dieser Anordnung nicht auf geführt sind, verlangen, daß sie zu standortsgemäßen Rassen gehören, daß sie also von schönen Mutter bäumen in ähnlichen Klimalagen abstammen. Wir finden z. B. in Hochlagen der Mittelgebirge und in den Alpen sehr gesunde, wüchsige Ebereschen; Ebereschen fremder Herkunft aber, die eben dort an Straßen gepflanzt sind, versagen vollständig und brechen schon im Behang von Rauhreif zusammen. Der kümmerliche Zustand auch anderer Straßenbaum- 218