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No. 45. Berlin, den 9. November 1899. XIV. Jahrgang. Eigenthum des Verbandes der Handelsgärtner Deutschlands, Organ des Gartenbau-Verbandes für das Königreich Sachsen, herausgegeben unter Mitwirkung der hervorragendsten Fachmänner des In- und Auslandes. Das „Handelsblatt für den deutschen Gartenbau etc.“ erscheint am Donnerstag jeder Woche. Abonnementspreis für Nicht-Verbandsmitglieder in Deutschland u. Oesterreich-Ungarn pr. Jahrgang 8 M. 50 Pf., für das übrige Ausland IO M., für Verbandsmitglieder kostenlos. Verantwortlich: F. Nevermann, Steglitz-Berlin, Geschäftsführer des Verbandes der Handelsgärtner Deutschlands. Redaktion: F. Johs. Beckmann, Steglitz-Berlin. Verlag: Verband der Handelsgärtner Deutschlands, eingetragen auf Seite 179, Band IV, des Genossenschaftsregisters des Königl. Amtsgerichts zu Leipzig Wir bitten unsere Mitglieder um möglichst schnelle Mittheilung jeder für unsere Zeitung wichtigen Notiz über 7 agesss zignisse Personalien, Vereinswesen u. s. w. Die für die Veröffentlichung im Handelsblatte geeigneten Artikel werden honorirt. Vom Leipziger Wohlfahrtsausschuss". Den Lesern ist aus früheren Veröffentlichungen im Handelsblatt bekannt, dass in verschiedenen Städten, so z. B. in Berlin, Hamburg und Leipzig, von der Gehilfenschaft unter dem Namen „Wohlfahrtsausschüsse“ Kommissionen gebildet worden sind, welchen u. A. die Ueberwachung der Sonntagsarbeit in den Gärtnereien obliegt. Wir haben unsere Ansicht über dieses Vorgehen so klar ausgedrückt, dass wir eine Wiederholung für überflüssig halten. Es liegt uns seit einiger Zeit ein Resultat dieser praktischen Arbeit des Leipziger „Wohlfahrtsausschusses“ vor, das wir schon wegen der daraus gezogenen rechtlichen Folgerungen nicht verfehlen wollen bekannt zu geben. Der Privatgärtner und Hausmann G. V o gt in Leipzig- Plagwitz und der Gärtnergehilfe Oswald Jentsch, zurZeit in Seelingstädt in Sachs.-Altbg., beides Mitglieder der Ueber- wachungskommission der Leipziger Gehilfenvereine, hatten, nachdem sie eines Sonntags die Gärtnerei von J. C. Hanisch-L.-Reudnitz ca. eine Stunde „überwacht“ hatten, den Inhaber angezeigt, weil um 101/2 Uhr Vormittags in der Gärtnerei in Körbe verpackte Schnittblumen auf einen Wagen geladen wurden,ferner sich Jemandan einem Fenster, „aber keinem Mistbeet- oder Gewächshausfenster, sondern vielleicht an einem Stallfenster“ zu thun gemacht, vielleicht es verglast habe. Ausserdem sei eine Leiter im Garten getragen worden, ohne dass die Beobachter anzugeben vermochten, wohin und zu welchem Zweck. Das war das Resultat eines einstündigen Doppelpostenstehens. Auf Grund einer Uebertretung des sächsischen Gesetzes vom 10. September 1870, die Sonn-, Fest- und Busstags feier betreffend, erliess der Rath der Stadt Leipzig gegen Hanisch ein Strafmandat, dessen Zahlung letzterer ver weigerte und gerichtliche Entscheidung beantragte. Der Rath der Stadt Leipzig ging von dem ganz richtigen Standpunkt aus, dass die in dem gärtnerischen Betriebe des Angeklagten verrichteten Arbeiten nicht unter den § 105b der Gewerbeordnung, die Sonntagsruhe betreffend, fielen. Er leitete die Bestrafung aus dem oben erwähnten sächsischen Gesetz von 1870 her, wonach Arbeiten z. B. auch in der Landwirthschaft und im Gartenbau an Sonn- und Festtagen ausserhalb der Wohnungen und Oekonomiegebäude u. s. w. u. s. w. verboten sind. Das Leipziger Schöffengericht, welches am 22. September in der Sache verhandelte, sprach den Angeklagten frei, allerdings unter einer zwar interessanten, aber sehr anfechtbaren Begründung. Das Schöffengericht stellte sich auf den Standpunkt, dass die verrichteten gärtnerischen Arbeiten, wie unten weiter ausgeführt, doch dem § 105 b der Gewerbeordnung unterstellt seien. Zuwiderhandlungen gegen diesen § sind aber keine Uebertretungen sondern Vergehen.*) Da nun die Polizeibehörde nur Straf mandate für Uebertretungen erlassen darf**), ist die Straf Verfügung zu Unrecht erfolgt und das Schöffengericht hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, die Straf verfügung einfach aufzuheben.***) *) Eine mit Gefängniss oder Geldstrafe von mehr als 150 Mark bedrohte Handlung ist ein Vergehen. Eine mit Haft oder mit Geld strafe bis zu 150 Mark bedrohte Handlung ist eine Uebertretung (§ 1 Strafgesetzbuch f. d. Deutsche Reich). Zuwiderhandlungen gegen den § 105 b der Gewerbeordnung können aber mit Geldstrafe bis zu 600 M. bestraft werden. D. Red. **) Wo nach den Bestimmungen der Landesgesetze die Polizei behörden befugt sind, eine in den Strafgesetzen angedrohte Strafe durch Verfügung festzusetzen, erstreckt sich diese Befugniss nur auf Uebertretungen. (§ 453 Strafprozessordnung.) ***) Stellt sich nach dem Ergebnisse der Hauptverhandlung die That des Angeklagten als eine solche dar, bei welcher die Polizei behörde zum Erlass einer Strafverfügung nicht befugt war, so hat das Gericht die letztere durch Urtheil aufzuheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. (§ 458 Strafprozessordnung).