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Nr. 60 Mitteilungen des Handelsblattes für den deutschen Gartenbau usw. 239 war 12 ha groß, mit Blumen und Sträuchern bepflanzt und diente lediglich zur Obstgewinnung. Gärtnerisch technische Einrichtungen waren nicht vorhanden, Personal wurde in ihm nicht beschäftigt. Die Erzeugnisse des Gartens wurden zum Teil in der Wirtschaft des Unternehmers selbst verwandt, zum Teil verkauft. Die G. B. G. lehnte die Übernahme des Betriebes ab, da es sich nicht um einen gärtnerischen Obstbaubetrieb, sondern um einen bäuerlichen Obstgarten handele, für deren Versicherung die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft zuständig sei. Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft brachte die Sache zur Entscheidung vor das Oberversicherungsamt, indem sie ausführte, daß ein gärtnerisch betriebener Obstbau vorliege, weil der Garten eingezäunt sei. Das Oberversicherungsamt hat darauf den Garten auch der G. B. G. zur Versicherung zugewiesen und folgendes ausgeführt: Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft hat den bisher bei ihr versicherten Gesamtbetrieb (Gärtnerei und Landwirtschaft) des Eigen tümers W. in Sch. mit Wirkung vom 1. Januar 1914 ab an die Gärtnerei- Berufsgenossenschaft überwiesen. Hiermit ist W. nicht einverstanden und hat deshalb rechtzeitig Beschwerde erhoben. Die G. B. G. hat die Über nahme des Betriebes abgelehnt, da W. einen bäuerlichen Baumgarten, aber keine gärtnerische Obstplantage unterhalte. Für die Versicherung von bäuerlichen Obstgärten seien nach dem Erfurter Abkommen vom 6. Januar 1913 (Grundsätze für die Auseinandersetzung zwischen den landwirt schaftlichen Berufsgenossenschaften und der Gärtnerei-Berufsgenossenschaft) die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften zuständig. W. betreibe keine erwerbsmäßige Gärtnerei; nur die Unternehmer solcher Betriebe aber gehörten nach der Satzung der G. B. G. dieser Genossenschaft an. Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft dagegen hält daran fest, daß ein gärtnerisch betriebener Obstbau vorliege, weil W. in einem eingezäunten Garten auf gärtnerische Weise Strauch- und Beerenobst ziehe und, indem er fast den gesamten Ertrag verkaufe, hierbei seinen ausschließlichen Er werb finde. Es war, wie geschehen, zu entscheiden. Nach den amtlichen Ermittlungen liefert der Garten des Eigentümers W. in Sch. in der Hauptsache Baumfrüchte und daneben einiges Strauch- und Beerenobst. Fast der gesamte Ertrag wird verkauft. W. bezieht sein gesamtes Einkommen nur aus den Gartenerzeugnissen. Sein früheres Schneidergewerbe übt er nicht mehr aus und betreibt auch keine Landwirtschaft mehr; er besitzt nur den Garten. Unter diesen Umständen ist es zweifellos, daß hier lediglich ein gärtnerisch und erwerbs mäßig betriebener Obstbau vorliegt, der bei der G. B. G. zu versichern ist (vgl. Ziffer 5 des Erfurter Abkommens vom 6. Januar 1913). Die G. B. G. legte dagegen weitere Beschwerde beim Reichsversicherungsamt ein, indem sie ausführte, daß der Besitzer des Gartens Schneidermeister auf einem Dorfe wäre, der Garten liege bei seinem Haus, er hätte keinerlei gärtnerisch-technische Betriebseinrichtungen und zweifellos den Charakter eines bäuer lichen Obstgartens, sogenannten Baumgartens. Nach dem Erfurter Abkommen vom 6. Januar 1913 zwischen den land wirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und der G. B. G. sei bei dieser nur der gärtnerisch betriebene Obstbau versichert, hierunter seien zu verstehen die sogenannten Obstplantagen, d. h. Obstbaumpflanzungen, auf die besondere Sorgfalt hinsichtlich der Pflege, Düngung, Aberntung usw. durch fachmännisches Personal verwandt würde. Ein kleinbäuerlicher Obstgarten wie der des W. gehöre nicht zur G. B. G. Das Reichs versicherungsamt hat jedoch die weitere Beschwerde der G. B. G. zurückgewiesen und damit den Garten der G. B. G. endgültig zugesprochen. In dem Urteil des Reichsversiche rungsamts wurde äusgeführt: Nach Prüfung des Sachverhalts hat das Reichsversicherungsamt keinen Anlaß gefunden, von der Entscheidung des Oberversicherungsamts abzu weichen, da sie die Sach- und Rechtslage zutreffend würdigt. W. be treibt ausschließlich und zum Zwecke des Erwerbs Gartenbau und zieht in seinem am Wohnhaus gelegenen, eingezäunten, l A ha großen Garten hauptsächlich Baumfrüchte sowie auch etwas Strauch- und Beerenobst. Mit Recht hat daher das Oberversicherungsamt angenommen, daß es sich um eine gewerbsmäßig betriebene Gärtnerei handelt, für deren Versicherung die G. B. G. zuständig ist. Dr, G. □ □ □ Schiller als „klassischer“ Zeuge in einem Rentenprozess. F ast 100 Jahre vor dem Inkrafttreten der deutschen Unfall versicherung hat sich bereits Friedrich Schiller in einem seiner Werke über den Einfluß des Verlustes von Finger gliedern auf die Gebrauchsfähigkeit der Hand ausgelassen. Er läßt nämlich in „Wallensteins Lager“ im 11. Auftritt den Wachtmeister folgendes sagen: „Zum Exempel! Da hack’ mir einer von den fünf Fingern, die ich hab’, hier an der Rechten den linken ab: Habt ihr mir den Finger bloß genommen? Nein, beim Kuckuck, ich bin um die Hand gekommen! S’ist nur ein Stumpf und nichts mehr wert.“ Schiller hat es sich aber wohl nicht träumen lassen, daß er mit diesen Versen nach mehr als 1 00 Jahren von einem Arbeiter in einem Rentenprozesse als Sachverständiger heran gezogen werden würde, wie es tatsächlich der Fall gewesen ist. Vor kurzem hat eine Textil-Berufsgenossenschaft einem Arbeiter, der am linken Mittelfinger 2 Glieder verloren hatte, eine Rente von 1 0 % gewährt. Der Arbeiter war damit nicht zufrieden und prozessierte gegen die Berufsgenossenschaft vor dem Oberversicherungsamt, indem er die obigen Verse Schil lers dafür anführte, daß mit den verlorenen 2 Gliedern eigent lich die ganze Hand wertlos geworden sei. Aber selbst die Autorität des großen Dichterfürsten hat dem Arbeiter nicht helfen können, denn das Oberversicherungsamt hat die Beru fung verworfen und folgendes ausgeführt: Die Beweiskraft der Schiller sehen Verse würde durch den Umstand, daß Schiller weder ein Arzt im modernen Sinne, noch Sachverständiger der Textilindustrie war, auch bei jenen Versen noch nicht an die deutsche Unfallversicherung denken konnte, sehr herabgesetzt, vielmehr sei das Schieds gericht der Überzeugung, daß die Rente von 10 % an gemessen sei. — Der vorliegende Fall ist insofern typisch, als er zeigt, wie sich in den Kreisen der Versicherten immer noch die Auf fassung hält, daß ein einmal verlorenes Glied des Körpers, fort gesetzt, d. h. bis zu dem Tode des Verletzten entschädigt werden müsse. Diese Auffassung ist vom Standpunkt der Ver sicherung aus durchaus hinfällig. Denn die Berufsgenossen schaft versichert und entschädigt nicht den körper lichen Schaden als solchen, sondern nur den durch diesen Schaden hervorgerufenen Ausfall an Erwerbsfähigkeit. Der körperliche Schaden an sich bleibt bei Gliedverlusten in jedem Falle. Anders dagegen ist seine Einwirkung auf die Erwerbsfähigkeit. Diese Einwirkung nimmt im Laufe der Jahre unzweifelhaft ab, durch ein Moment, das von den Ver sicherten niemals völlig anerkannt wird, nämlich durch das Mo ment der Gewöhnung. Es ist eine Erfahrungstatsache, daß selbst bei schweren Fingerverletzungen durch eine weitgehende Anpassung an den veränderten Körperzustand ein vollkom mener Ausgleich stattfindet, so daß die unmittelbar nach dem Unfall noch schwer empfundene Minderung an Erwerbsfähig keit in späteren Jahren vollständig ausgeglichen wird. Das zeigt sich nämlich darin, daß die betreffenden Verletzten trotz der Fingerschäden denselben oder vielfach noch höheren Lohn be ziehen, wie vor dem Betriebsunfall. Was also der ehrenfeste Wachtmeister in „Wallensteins Lager“ sagt, ist zwar die Mei nung des Volkes, kann aber vor der ärztlichen Erfahrung und den Tatsachen des Erwerbslebens nicht bestehen. Dr. G. □ □ □ Rentenherabsetzung trotz Abweichung vom ärztlichen Gutachten. D er Parkwächter V. hatte sich im Jahre 1901 im Betriebe einer städtischen Parkverwaltung an einem Rosendorn ge stochen. Im Anschluß an diesen Stich entstand eine Blutver giftung, die wiederum eine Versteifung des linken Daumens zur