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Mitteilungen des Handelsblattes für den deutschen Gartenbau usw. Nr. 64 sollen also durch die Betriebsunfälle nicht um ihre Gesundheit und um ihr Brot kommen, sondern sollen durch die Berufs genossenschaft ihre Gesundheit möglichst wieder erlangen und durch die Rente der Berufsgenossenschaft auch wirtschaftlich gesichert sein. Vor der Gründung der Berufsgenossenschaften, also vor 1884, war die Sache anders. Da sorgte keine amt liche Stelle für die durch Betriebsunfälle geschädigten Arbeiter, es war vielmehr denselben überlassen, ihre Ansprüche gegen die betreffenden Betriebsunternehmer vor den ordentlichen Ge richten einzuklagen, d. h. die Betriebsunternehmer für die Folgen der Unfälle haftpflichtig zu machen. Nun war eine Haftpflicht der Unternehmer aber nur gegeben, wenn der betreffende Arbeiter seinem Arbeitgeber nachweisen konnte, daß er den Unfall durch Fahrlässigkeit selbst verschuldet hatte. War der Unfall dagegen ohne Fahrlässigkeit des Unternehmers lediglich auf einen unglücklichen Zufall zurückzuführen, so konnte der Arbeiter seinen Brotherrn nicht haftpflichtig machen und ging vollständig leer aus, d. h. er fiel der öffentlichen Armenpflege zur Last und trieb sich womöglich an den Straßen ecken als Bettler umher. Dieser Zustand war für beide Teile, für die Arbeiter und auch für die Arbeitgeber, im höchsten Grade unerfreulich. Selbst wenn ein Arbeiter seinen Haft pflichtanspruch gegen den Unternehmer durchsetzen konnte, mußte er unter Umständen in einem langwierigen Gerichtsver fahren monate-, unter Umständen sogar jahrelang warten, bis ihm vom Gericht eine Entschädigung zugesprochen war. In zwischen konnte er zusehen, wovon er lebte. Viele Arbeiter waren durch diese Verhältnisse direkt dem Hunger und dem Elend preisgegeben. Für die Unternehmer war dieses Verhältnis auch ein höchst mißliches. Denn sie mußten darauf gefaßt sein, daß jeden Tag ein Unfall in dem Betriebe eintreten konnte und sie mit ihrem ganzen Vermögen haftpflichtig gemacht würden. Viele, namentlich kleine Unternehmer, sind durch diese Haft pflichtprozesse vor 1884 direkt um ihre ganze Existenz ge kommen, denn die Haftpflichtsummen aus schweren Unfällen, z. B. aus dem Verlust eines Beines, sind derart hoch, daß ein kleiner Unternehmer sie überhaupt nicht bezahlen kann, ohne alles daran zu setzen, was er bisher durch seine Arbeit erworben hat. Allen diesen Übelständen machte die Regierung 1884 dadurch ein Ende, daß sie die Unternehmer gleicher Betriebe zu Berufsgenossenschaften zusammenschloß und bestimmte, daß diese Berufsgenossenschaften selbst die Haftpflicht der Unter nehmer tragen und allen in den betreffenden Betrieben ver unglückten Arbeitern Heilverfahren und Rente zahlen sollten. ■AB» Die Industrie und die Landwirtschaft nahm diese Reichs unfallversicherung mit großer Freude auf, denn es lag auf der Hand, daß die Berufsgenossenschaften nicht nur die Arbeiter sicherstellten, sondern auch die Unternehmer sehr entlasteten, und das ist der große Segen der Berufsgenossenschaften, der heute noch fortdauert, ja in einem wesentlich höheren Maße wie vor 30 Jahren sich bemerkbar macht, da im Laufe der 30 Jahre Industrie und Landwirtschaft durch die enorme Steige rung unserer Erzeugnisse und die immer umfangreichere Ein führung von Maschinen in den Betrieben weit unfallgefährlicher geworden sind wie zu jener Zeit. Dadurch, daß durch die Berufsgenossenschaften die früheren leidigen Haftpflichtprozesse weggefallen sind, ist auch das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein bedeutend besseres geworden. Die Arbeiter haben die Gewißheit, daß für sie in jeder Richtung gesorgt wird, wenn ihnen etwas im Betriebe zustößt, und die Arbeitgeber sind die schwerwiegende Verantwortung für etwaige sich im Betriebe ereignende Unfälle los geworden. Wir bitten alle Mitglieder der Berufsgenossenschaft vor stehendes zu beherzigen. Schon seit 30 Jahren hat die deutsche Gesetzgebung den heute noch in Amerika und in anderen aus ländischen Staaten geltenden Grundsatz, daß jeder Arbeiter und jeder Arbeitgeber selbst sehen soll, wie er mit seinem Lebens schicksal fertig wird, zum Besten der Allgemeinheit aufgegeben. Die deutsche Gesetzgebung hat das größte Interesse daran, daß die der deutschen Volkswirtschaft obliegende schwere Arbeit, die sich in den Betrieben vollzieht, von Staats wegen so ge regelt wird, daß jeder Arbeiter und Unternehmer mit Ruhe und unter gewissen staatlichen Garantien seine Arbeit verrichten kann. Vor allen Dingen hat das Reich das größte Interesse daran, daß die Gesundheit der arbeitenden Klassen durch staat liche Einrichtungen, wie Kranken-, Unfall- und Invalidenver sicherung, möglichst geschont und erhalten wird. Wenn das Reich in den 30 Jahren seit 1 884 nicht diese allgemeine Reichs versicherung eingeführt und fortgesetzt ausgebaut hätte, wären wir nicht imstande gewesen, in dem Völkerkrieg seit 1914 Millionen von gesunden, kräftigen Männern aus der arbeitenden Bevölkerung zum Schutze unserer Grenzen dem Feinde ent gegenzuwerfen, und wären vielleicht heute längst schon eng lische oder russische Untertanen. Dann würde es allerdings bei uns keine Reichsversicherung mehr geben. Jeder deutsche Gärtner wird aber sicher lieber deutscher Untertan m i t staat licher Versicherung als Ausländer ohne Versicherung sein wollen. Wir bitten daher dringend die Provinzial- und Gruppen vorstände der gärtnerischen Verbände und die Vertrauens männer der Berufsgenossenschaft, auf allen Versammlungen diesen Segen der berufsgenossenschaftlichen Versicherung fort gesetzt den Mitgliedern vor Augen zu führen. Es muß einem jeden deutschen Gärtner in Fleisch und Blut übergehen, daß die ganze deutsche Gärtnerei mit der Berufsgenossenschaft steht und fällt, daß die Berufsgenossenschaft unzweifelhaft von den vielen Erfolgen und Errungenschaften, die die gärtnerischen Verbände für ihren Beruf erreicht haben, den größten Erfolg darstellt, und daß es sehr traurig um die deutschen Gärtner bestellt sei, wenn sie ihre Berufsgenossenschaft nicht hätten. Es sollte einem jeden deutschen Gärtner geradezu eine Freude sein, für diese segensreiche Einrichtung des Reiches den Beitrag zu zahlen. Die Berufsgenossenschaft ist, wie wir oben gesagt haben, keine Reichsbehörde im eigentlichen Sinne. Sie wird nicht von Reichsbeamten verwaltet. Aber sie ist eine behördliche öffent liche Einrichtung, sie hat behördlichen Charakter. Sie hat den Zweck, die Unfallversicherung auf Grund der Reichsversiche- rungsordnung durchzuführen. Auch hat sie das Recht, Mit glieder, die sich den Bestimmungen des Gesetzes nicht fügen, zu bestrafen. Wenn die Berufsgenossenschaft dieses Recht nicht hätte, wäre sie nicht imstande, ihre gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen. Die Regierung hat die Verwaltung der Berufsgenossen schaft den Gärtnern .selbst überlassen, indem sie davon aus geht, daß die G ä r t n e r s el b s t am besten wissen werden, wie sie ihre Berufsgenossenschaft zum Wohle ihres Berufes am praktischsten und billigsten einrichten. Der Zweck der Be rufsgenossenschaft ist lediglich die Unfallversicherung. Die Be rufsgenossenschaft muß so eingerichtet werden, daß sie diesen Zweck mit möglichst geringen Ausgaben für die Unternehmer erreicht, d. h. daß sie möglichst billig arbeitet. Eine Hauptaufgabe 'für sie ist also eine möglichst billige Ver waltung zu haben. Die Berufsgenossenschaft hat zwei große Gruppen von Ausgaben, einmal die Entschädigungen für die Verletzten, also Heilbehandlung und Unfallrenten, zweitens Verwaltungskosten. Die Höhe der Entschädigungen wird durch das Gesetz bestimmt. Das Gesetz schreibt ganz genau vor, nach welchem Jahresarbeitsverdienst für den einzelnen Verletzten die Rente berechnet werden soll. Das Gesetz verpflichtet weiter die Be rufsgenossenschaft, alles zu tun, was nötig ist, um die Verletzten wieder gesund zu machen. Das Gesetz gibt endlich den Rahmen für die Verwaltung, indem es bestimmt, daß die Ver waltung der Berufsgenossenschaft geleitet werden soll durch zwei Organe der Gärtner, die Genossenschaftsversammlung, das höchste Organ, gewissermaßen der Reichstag der deutschen Gärtner, und den Vorstand der Berufsgenossenschaft, der die laufenden Geschäfte führt. Der Vorstand seinerseits richtet die innere Verwaltung der Genossenschaft ein und stellt die nötigen Beamten an. Diese gesamte Organisation ist eine durchaus klare, durchsichtige, leicht verständliche. Die Hauptaufgabe der Verwaltung ist nun die, ihre Aufgaben möglichst gut und