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Nr. 64. 28. Oktober 1916. Der Zweck der Berufsgenossenschaft. D ie Gärtnerei-Berufsgenossenschaft hat in den letzten Wochen die Heberollenauszüge für 1915 an die Mitglieder gesandt und damit die Beiträge für 1915 eingefordert. Es sind nun eine große Anzahl von Beschwerden gegen die Beiträge ein gelaufen, aus denen vielfach hervorgeht, daß die Mitglieder noch gar nicht recht wissen, was die Berufsgenossenschaft über haupt ist. Viele Mitglieder wollen zunächst Aufklärung haben über den Zweck der Berufsgenossenschaft, bevor sie zahlen. Es ist sehr zu bedauern, daß so viele Mitglieder der Berufs genossenschaft jetzt, nachdem dieselbe bereits fast vier Jahre für die deutsche Gärtnerei arbeitet, sich mit dem Wesen der Berufsgenossenschaft noch nicht vertraut gemacht haben, trotz dem der Verband der Handelsgärtner seit Oktober 1913 fort gesetzt vierzehntägig die vorliegenden Mitteilungen über die Gärtnerei-Berufsgenossenschaft erscheinen läßt. Es soll daher in folgendem nochmals den Mitgliedern kurz vor Augen ge führt werden, welche Bedeutung die Berufsgenossenschaft über haupt hat. Die Berufsgenossenschaft ist eine Reichseinrichtung und zwar eine Reichsversicherung. Sie ist keine Privatversicherung und mit einer solchen durchaus nicht zu verwechseln. Sie ist auch keine direkte Reichsbehörde, sondern nur eine be hördenähnliche Einrichtung. Sie ist eine Zwangs Versiche rung aller im Genossenschaftsgebiet wohnenden Gärtner auf Grund des großen deutschen Reichsversicherungsgesetzes, der Reichsversicherungsordnung, die den Zweck hat, die deutschen Gärtner und ihre Angestellten (Gehilfen, Arbeiter, Arbeits frauen und Lehrlinge) gegen die Folgen von Betriebsunfällen, d. h. von Unfällen, die ihnen in den gärtnerischen Betrieben zustoßen können, zu sichern. Die Berufsgenossenschaft ist also eine Reichsunfallversicherung. Die Versicherung der in gewerblichen und landwirtschaft lichen Betrieben beschäftigten Personen durch Berufsgenossen schaften, d. h. durch Reichsinstitute, ist zurückzuführen bis auf das Jahr 1884. Seit diesem Jahre bestehen bereits Berufs genossenschaften. Die Gärtnerei-Berufsgenössenschaft ist durch Bundesratsbeschluß am 1. Januar 1913 ins Leben getreten, nachdem die Reichsversicherungsordnung, die im Jahre 1912 Gesetz wurde, ausdrücklich verfügte, daß sämtliche Gärtnereien und Gartenbaubetriebe versicherungspflichtig seien. Die G. B. G. ist also keine Lebensversicherung, keine Feuerversicherung, keine Hagelversicherung, keine Militärdienstversicherung, keine Kranken- und Invalidenversicherung, sie ist auch keine all gemeine Unterstützungskasse für Gärtner, sondern sie ist eine Reichs Unfall Versicherung für die Gärtner. Irgendwelche anderen Nebenzwecke verfolgt sie nicht und darf sie nach dem Gesetz nicht verfolgen. Es ist daher völlig zwecklos, wenn jetzt während des Krieges so viele Gärtner und Gärtnersfrauen an die Berufsgenossenschaft Gesuche richten mit der Bitte, sie zu unterstützen, da es ihnen wirtschaftlich infolge des Krieges schlecht gehe. Die Berufsgenossenschaft kann diesen Gesuchen nicht nachkommen, da sie nicht in den Aufgabenkreis der Ge nossenschaft fallen. Sie kann diese Gesuche nur zur zustän digen Erledigung abgeben an den Verband der Handelsgärtner, dessen Aufgabenkreis ein viel größerer ist, wie der der Berufs genossenschaft. Alles, was die wirtschaftliche Lage der Gärtner anlangt, die Verhältnisse des Berufes im Inneren und die Be- Ziehungen der deutschen Handelsgärtner zum Auslande, ist Sache der handelsgärtnerischen Verbände, nicht Sache der Berufsgenossenschaft. Welchen Zweck hat nun die Reichsunfallversicherung? Es wird von vielen Mitgliedern, wenn sie die Beiträge an die Berufsgenossenschaft zahlen sollen, darüber geklagt, daß die Berufsgenossenschaft für sie ganz wertlos wäre. Ein Unfall sei in ihren Betrieben seit 30 Jahren nicht vorgekommen, außerdem seien sie persönlich bei einer privaten Unfallversiche rungsgesellschaft versichert und zahlten an diese bereits hohe Beiträge, und sie hätten keine Lust, daneben noch Beiträge zur G. B. G. zu zahlen, und erklären sonach ihren Austritt. Der artige Schreiben erhält die Berufsgenossenschaft gerade jetzt, wo sie im Begriff ist die Beiträge einzuziehen, zu Hunderten. Die Beschwerdeführer sind aber im Irrtum. Zunächst gibt es einen Austritt aus der G. B. G. überhaupt nicht. Jeder gärtnerische Betrieb ist auf Grund des Gesetzes bei der Berufsgenossenschaft zwangs versichert. Dadurch unterscheidet sich eben die Be rufsgenossenschaft wesentlich von einer Privatversicherung. Ein Austritt aus der Berufsgenossenschaft ist nur möglich, wenn der betreffende Gärtnereibesitzer stirbt oder seinen Betrieb aufgibt. Solange er die Gärtnerei hat, m u ß er bei der Berufsgenossen schaft versichert sein. Die Berufsgenossenschaft wäre gar nicht lebensfähig, wenn das Gesetz (die Reichsversicherungsordnung) nicht diese Zwangsmitgliedschaft der Gärtner bestimmen würde. Wenn die Berufsgenossenschaft lediglich, wie die Privatver sicherungsgesellschaften, nur die Unternehmer versichern würde, die sich freiwillig bei ihr versichern wollen, dann wäre sie über haupt nicht zustande gekommen. Nun ist die Berufsgenossenschaft in erster Reihe auch gar nicht für die selbständigen Gärtnereibesitzer da, sondern für das von ihnen beschäftigte Personal. Dieses Personal, die Arbeiter, will das Reich durch die berufsgenossenschaftliche Versicherung gegen die Folgen von Betriebsunfällen schützen. Ihre Zwangs versicherung ist ausdrücklich im Gesetz vorgeschrieben. Auch die Betriebsbeamten (Garteninspektoren, Obergärtner usw.) sind zwangsversichert bis zu einem Gehalt von 5000 M. Versiche rungsfrei sind also nur die Betriebsbeamten, die mehr als 5000 M. Jahreseinkommen haben. Weshalb hat nun das Reich diese Zwangsversicherung für die Arbeiter seit 1884 eingeführt? Aus sehr guten Gründen. Die Mitglieder der Berufsgenossen schaften müssen nicht glauben, daß die Reichsregierung, die damals noch vom Fürsten Bismarck geleitet wurde, irgend etwas eingerichtet hätte, was zwecklos gewesen wäre. Die Regierung hat ihre guten Gründe gehabt, die Berufsgenossen schaften zu errichten, denn diese Versicherung war eine unbe dingte Notwendigkeit für die Arbeiter, eine ebenso große Not wendigkeit allerdings auch für die Unternehmer. Die Reichs unfallversicherung schützt nicht nur die Arbeiter, sondern auch die Unternehmer. Die Arbeiter erhalten von der Berufsgenossen schaft für die Folgen von Betriebsunfällen zunächst einmal freie ärztliche Behandlung, ein vollständiges Heilverfahren, das sie wieder möglichst gesund und arbeitsfähig macht, sodann aber für den etwa noch nach dem Heilverfahren verbleibenden Teil von Erwerbsbeschränkung eine entsprechende Geldrente. Diese Geldrente hat die Bedeutung, einen etwa infolge des Unfalles eintretenden Ausfall an Arbeitslohn zu ersetzen. Die Arbeiter