Volltext Seite (XML)
Nr. 40. 17. Juli 1915. Die Organisation der deutschen Unfallversicherung. i. D ie deutsche Unfallversicherung, die zurückzuführen ist auf das Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884 betreffend die Versicherung der in Fabriken und Bergwerken beschäftigten Personen, ferner auf das Gesetz betreffend die Kranken- und Unfallversicherung der in forst- und landwirtschaftlichen Be trieben beschäftigten Personen vom 5. Mai 1886, das Gesetz betreffend die Unfallversicherung von an Bauten beschäftigten Personen vom 8. März 1887, das Gesetz betreffend die Un fallversicherung von Seeleuten vom 13. Juni 1887, sowie das Gesetz betreffend die Ausdehnung der Unfall- und Kranken versicherung vom 18. Mai 1885 ist, im juristischen Sinne be trachtet, weiter nichts als eine Ausdehnung der zivilrechtlichen Haftpflicht der Unternehmer für Unfälle der von ihnen be schäftigten Personen, und zwar eine Ausdehnung nach zwei Richtungen hin: Einmal gewährt die deutsche Unfallversiche rung ihre Entschädigungen jedem Arbeiter, der im Betriebe verunglückt, ganz gleich, ob der Unfall auf eine Fahrlässigkeit des Unternehmers zurückzuführen ist oder nicht, zum zweiten aber wird die Haftpflicht des einzelnen Unternehmers ab gewälzt auf die Gesamtheit aller Unternehmer desselben Berufs, die zu diesem Zwecke genossenschaftlich zusammengeschlossen worden sind. Bei der Schaffung des Unfallversicherungs gesetzes, Mitte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts, machte die Form dieser Versicherung den Reichsbehörden viel Kopf zerbrechen. Man entschied sich schließlich für die berufs genossenschaftliche Form, die auch heute noch besteht, d. h. für den Zusammenschluß aller Unternehmer eines Berufes oder ähnlicher Berufe, die eine gleich große Unfallgefahr darstellen, zu in sich abgeschlossenen Versicherungsträgern. So entstanden die Berufsgenossenschaften, von denen es zurzeit 68 gewerb liche und 49 landwirtschaftliche gibt. Daneben hat man den Reichs- und Staatsbehörden das Recht gegeben, die Versiche rung der staatlichen Betriebe selbst in die Hand zu nehmen und ausführen zu lassen durch sogenannte „Ausführungs behörden“. Derartige Ausführungsbehörden gibt es sowohl für das Deutsche Reich bezüglich der versicherungspflichtigen Reichsbetriebe wie für die einzelnen Bundesstaaten bezüglich der bundesstaatlichen Betriebe. Von diesen Ausführungs behörden werden insbesondere versichert: 1. Im Reiche: die Kaiserlichen Werftbetriebe, der Kaiser liche Post- und Telegraphenbetrieb, der Betrieb des Kaiser- Wilhelm-Kanals und die auf dem Versuchsfeld der Kaiser lichen Biologischen Anstalt in Berlin-Dahlem beschäftigten Personen. 2. Innerhalb der staatlich versicherten Betriebe sind wieder fünf Untergruppen zu unterscheiden, und zwar: a) die Betriebe der Heeresverwaltung, b) die Eisenbahnbetriebe, c) die Betriebe, die den Ministerien für Landwirtschaft unterstellt sind, also Domänen und Forsten — in Preußen einschl. des Tiergartens in Berlin, des Bota nischen Gartens in Berlin-Dahlem und der sonst in Staatsverwaltung stehenden öffentlichen Parks, d) die Betriebe der staatlichen Bauverwaltung, und zwar der allgemeinen Bauverwaltung, nämlich der Straßen bauverwaltung, Hochbauverwaltung, auch der Strom bauverwaltungen einschließlich der Baggerei-, Flößerei-, Kahn- und Fährbetriebe und der Kanalbaudirektionen, und endlich e) die staatlichen Seeschiffahrtsbetriebe. Diese Ausführungsbehörden sind auch in den Hansa- Städten vorhanden; in Hamburg insbesondere für den staat lichen Betrieb der Kaiverwaltung, für den staatlichen Betrieb des Lotsenwesens, des Hafenwesens und der Zollverwaltung. Besonders ist noch hervorzuheben, daß im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin auch die Betriebe des großherzoglichen Haushalts von den staatlichen Ausführungsbehörden versichert werden, so z. B. auch die großherzoglichen Hofgärten, die daher nicht bei der Gärtnerei-Berufsgenossenschaft ver sichert sind. Die Ausführungsbehörden sind für das Gebiet des Reiches die betreffenden Kaiserlichen Behörden, also die Kaiserlichen Werften, das Kaiserliche Kanalamt, für die Reichspost- und Telegraphenverwaltung die Post-Versicherungskommission in Berlin und endlich die Kaiserliche Biologische Anstalt in Berlin-Dahlem. Für die einzelnen Staaten sind die Aus führungsbehörden in den kleinen Staaten gewöhnlich die Ministerien, in den Hansastädten die sogenannten Deputationen, d. h. Abteilungen der Senate gemischt mit Vertretern der Bürgerschaft. Im Königreich Preußen sind es für den ganzen Bereich der Heeresverwaltung die Intendantur der militärischen Institute in Berlin, für den Betrieb der' Eisenbahnverwaltung sämtliche Eisenbahndirektionen und das Eisenbahnzentralamt in Berlin, für die land- und forstwirtschaftlichen Verwaltungen sämtliche Regierungen, und zwar bei jeder Regierung die Ab teilung für Domänen und Forsten, für die Bauverwaltungen zum Teil die Oberpräsidenten, zum Teil die Regierungs präsidenten. Neben den staatlichen Ausführungsbehörden gibt es noch kommunale Ausführungsbehörden, d. h. Ausführungsbehörden für Gemeindeverbände, welche vom Staat für die zur Tragung der durch die Unfallversicherung entstehenden Lasten für leistungsfähig erklärt worden sind. Das sind in den meisten Bundesstaaten die Provinzial- und Kommunalverbände, sowie eine größere Anzahl von Städten. Die Berufsgenossenschaften haben sich ihrerseits wiederum zum gemeinsamen Vorgehen in grundsätzlichen Fragen zu Ver bänden zusammengeschlossen, und zwar bestehen da folgende V erbände: 1. Der Verband der deutschen Berufsgenossenschaften. Dieser Verband umfaßt sämtliche gewerblichen Berufs genossenschaften, dagegen nicht eine einzige landwirtschaft liche, er würde also richtiger den Namen Verband der gewerb lichen Berufsgenossenschaften führen. Seine Bezeichnung ist wohl darauf zurückzuführen, daß er bereits gegründet wurde, bevor das Gesetz vom 5. Mai 1885 die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften ins Leben rief. Dieser Verband hat seinen Sitz in Berlin. Er hat einen ge schäftsführenden Ausschuß, der gebildet wird von 14 Berufs genossenschaften. Der Vorsitzende, der stellvertretende Vor sitzende und der Schatzmeister des Verbandes werden von drei anderen Berufsgenossenschaften gestellt, so daß insgesamt