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Nr. 7. Leipzig, 1. April 1891. VI. Jahrgang. Eigentum des Verbandes der Handelsgärtner Deutschlands, Organ des Gartenbauverbandes für das Königreich Sachsen, sowie vieler gärtnerischer Lokalvereinigungen, herausgegeben unter Mitwirkung der hervorragendsten Fachmänner des In- und Auslandes. Das „Handelsblatt für den deutschen Gartenbau etc.“ erscheint am 1. und 15. jeden Monats. Abonnementspreis für Nicht verbandsmitglieder pro Jahrgang 7 Mk. 50 Pf.; für Verbandsmitglieder kostenlos. Redaktion: Otto Mohrmann, Leipzig-Lindenau, Geschäftsführer des Verbandes der Handelsgärtner Deutschlands. Verlag: Expedition des Handelsblattes etc. Die Alpenpflanzen. (Mit Abbildungen auf Seite 87.) 40- ie Vegetation, welche die Alpenabhänge an der Stelle bedeckt wo unsere Wälder aufhören und die Grenze des ewigen Schnees beginnt, bildet einen ganz eigentümlichen Charakter, einen Cha rakter, welcher sich auf den ersten Blick von demjenigen in der Ebene durch den Habitus der einzelnen Pflanzen sowohl als die Zusammen setzung der gesamten Flora unterscheidet und dem Cha rakter der Pflanzenwelt aller Schnee- und Bergregionen sich nähert. Bei dieser Alpenflora ist alles verkrüppelt, zusammen geschrumpft und gedrückt, nur die Blüten der Pflanzen sind im Vergleich zu letzteren ungewöhnlich gross ent wickelt und die Farben der Blumenblätter lebhaft und meist glänzend. Diese Blütenpracht wirkt lebhaft auf den Beschauer und wird bewundert von allen denen, welche diesen Alpenschmuck in ihrer Einsamkeit aufsuchen. Es ist eine wunderbar schöne Flora, von besonderen Formen und Farben, eine Flora, welche nur hohen Bergen eigen ist und die jeder Besucher dieser Berge gern mitnehmen möchte, um seinen Garten oder sein Heim damit zu be leben. Die Alpenpflanzen bilden im allgemeinen und beson ders auf den höchsten Höhen geschlossene, zusammen gewachsene Büschel mit kurzen, ziegeldachartig über ein andergedrängtem Blätterwerke, welches in mehr oder we niger aufeinandergedrängter Rosettenform an seinen kurzen Zweigen auf dem Boden oder Felswänden aufliegt. Das Blattwerk selbst ist bei den meisten Alpenpflanzen wenig effektvoll, wenig entwickelt und grösstenteils behaart oder mit einem feinen Flaum bedeckt, welcher den Zweck zu haben scheint, die Blattorgane vor Kälte oder starker Sonnenhitze zu schützen. — Doch nicht alle Pflanzen sind hierin gleich, einige besitzen lederartige Blattorgane, deren Bildung einen schildartigen Charakter trägt und dies wohl wiederum, um den harten Existenzkampf in ihrer Einöde bestehen zu können. Diese Art Blätter sind von dichter Struktur und mit einer starken Oberhaut versehen, welche einen wachsartigen Ueberzug besitzt, der das zartere Zellen gewebe vor den versengenden Sonnenstrahlen ebenso als vor den Angriffen durch die Feuchtigkeit erfolgreich schützt. Alle Pflanzen hingegen, welche etwas beschattet oder an feuchten Stellen wachsen, weisen diese Eigenschaften nicht auf, ihre Blattorgane sind weicher und zarter und be dürfen nicht der besonderen Schutzvorrichtungen; ihre Blütenfarben besitzen aber auch nicht die Lebhaftigkeit als jene. Die, infolge ihres Standortes der Sonne voll aus gesetzten Arten, wie unsre Abbildungen einige zeigen, mit ihren grösseren Blumen und lebhafteren Farben als: Enxianen, Astern, Silenen, Anemonen, Rhododendron etc. geben den mit blassen und kleinen Blumen versehenen Pflanzen gegenüber den Beweis, dass auf den Höhen die Wirkung der Sonne intensiver zu sein scheint. Ein weiteres Merkzeichen der Alpenpflanzen ist, dass sie meist perennierend und seltener einjährig sind, sie können eben in den wenigen ihrer Vegetation in dem einzelnen Jahre bewilligten Wochen den Kreislauf ihrer Jahresexistenz nicht vollenden; sie sind auch alle nur Zwergpflanzen, welche den Boden, den sie um Schutz gegen die Kälte und Nachtluft anzuflehen suchen, kriechend bedecken, als ob zwischen beiden, Pflanzen und Boden, in ihrer Einsamkeit gleichsam eine engere Gemeinschaft bestände. Die Pro dukte des Pflanzenreichs, welche in unseren Ebenen hohe Bäume und mächtige Sträucher bilden, sind somit hoch oben auf den Bergen durch kaum fusshohe, kriechende Zwerge vertreten. Die Salix, Arbutus, Azaleen etc. ge hören hierzu. Was die Natur an den Riesenbergen ver schwendet zu haben scheint, vergilt sie scheinbar — dem ewigen Ausgleich in der Natur Rechnung tragend — an der Pflanzenvegetation.