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8 Die „Chronik der christlichen Welt" teilt mit, daß der Oberkirchenrat thatsächlich über Stöcker und die christlich-soziale Bewegung dem Kaiser Bericht erstattet hat. Das Ergebnis de« BortrageS sei, daß man von einem Disziplinarverfahren gegen Stöcker Abstand genommen, dagegen beschlossen habe, gegen die jüngere Na um an ns che Richtung der Christlich- Sozialen durch die Kirchenbehörden vorzugehen. Ein entsprechende» Rundschreiben deS Oberklrchenrat« an die Konsistorien sei bereits ergangen. Auch stehe die Konferenz der Generalsuperintendenten und Kon- sistorialpräsidenten am 4. Dezember mit diesem Vor gehen der Kirchenbehörde in Zusammenhang. Zu dieser Meldung schreibt der „ReichLboie", von einem Disziplinarverfahren gegen Stöcker sei gar nicht die Rede gewesen, ebensowenig sei über Stöcker und die Christlich-Sozialen ein Bericht an den Kaiser erstattet worden. Auch ein Vorgehen gegen die Anhänger Naumanns wird abgeleugnet. Dagegen schreibt die „Kreuzztg.": „So viel mag ja an diesen Notizen richtig sein, daß die soziale Bewegung, namentlich unter der jüngeren Geistlichkeit, und deren Wirkung auf da« kirchliche Leben einen Gegenstand ernster Aufmerksamkeit sür das Kirchenregiment bildet, und man wird wohl auch nicht fehlgehen, wenn man vorauSsetzt, daß demnächst eine Kundgebung hierüber erfolgen werde. Daß ein disziplinarisches „Vor gehen" schon jetzt in Aussicht genommen sei, glauben wir nicht; viel eher dürfte man wohl mit der An nahme das Richtige treffen, daß es die Aufgabe der Generalsuperintendenten sein wird, die Bewegung im Auge zu behalte» und nötigenfalls auf die Geistlichen einzuwirken, der-n soziales Auftreten Bedenken er weckt". 8 Das „Kl. Joucn." meldet, daß Fürst Bis marck zur Feier der Kail-rproklamation, wie die Verhandlungen, die seit längerer Zeit zwischen Fried- richsruh und Berlin gepflogen worden seien, ergeben hätten, in Berlin erscheinen werde, wenn sein Ge sundheitszustand und die Witterung ihm die Reise erlaubten. * * Teplitz, 13. Dez. Heute früh 5 Uhr erfolgte in dem Franz Josefs-Stollen in Wohontsch ein Schwimmsandeinbruch, welcher jedoch bereits zum Stillstand gelangt ist. Personen sind nicht verunglückt. Eine Veränderung der Erdoberfläche ist nicht wahrzunehmen. Die erforderlichen Vor sichtsmaßregeln sind getroffen. * * London, 14. Dez. Das „Reut. Bureau" meldet aus Bombay von heute: vr. Warth, der Leiter der geologischen Vermessungsabteilung, ent deckte beim Goldsuchen in dem Gebiete von Chota Nagpore in der Provinz Bengal ein „Reef" von merkwürdiger Reichhaltigkeit; die indische Regierung ordnete die Aufstellung von Maschinen zum Probe stampfen an. * * London, 14. Dez. Nach Meldungen der „Cape Times" aus Damaraland ist der Versuch, die Mündung des Flusses Swakop in einen Hafen zu verwandeln, gänzlich gescheitert. Jüngst wurden alle Landungsboote in der wütende» Brandung zerstört, eine Menge Waren gingen verloren, 17 Personen er tranken. Die Nachrichten aus dem Innern lauten entschieden ungünstig. Witbooi sei unzufrieden, weil der von ihm init den Deutschen geschloffene Friedens- Vertrag noch nicht zu Papier gebracht wurde. Unter den Eingeborenen herrscht Gährung, einzelne Stämme unter dem Bastard Samara bereiten den Expeditionen der Südwestafrika-Gesellschaft häufig ernste Hin dernisse. * * Fiume, 14. Dez. Gestern stürzte hier ein Teil eines im Bau begriffenen vierstöckigen Hauses ein; mehrere Arbeiter wurden verschüttet, bisher wur den ein Toter und vier Verwundete herausbefördert. Auf den Wogen des Lebens. Roman ans dem Englischen von A. Nicola. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) „Bald darauf stellte mich mein Großonkel einer jungen Dame vor — einem koketten, lauten, eman zipierten Mädchen, so recht die Art, dis mir geradezu unausstehlich ist; und meine Mutter sowohl als ich merkten bald die Absicht heraus. Um die Sache kurz zu machen, das Mädchen hatte sich zum Ziel gesetzt, meine oder meines Großonkels Frau zu werden — gleichviel wessen — jedenfalls aber in Besitz deS Geldes zu gelangen. Das Sprichwort sagt: „Alter schützt vor Thorheit nicht" und ich glaube, damit ist Mr. D'Aubreys sonst unbegreifliche Zu neigung, die er für das Mädchen empfand, erklärt. Anfangs wollte er, daß ich sie heiratete, worauf ich ihm erwiderte, daß ich eher die Medusa oder eine Schwarze zur Frau nehmen würde, als dieses Mäd chen. Wir hatten einen heftigen Wortwechsel. Er wurde wütend — ich blieb ruhig und fest; er droht« mir mit Enterbung und diesmal war es Ernst. Darauf gab er mir noch acht Tage Bedenkzeit. Na türlich lautete meine Antwort nach Ablauf derselben noch genau so. Er warnte mich, es nicht dahin zu bringen, daß ich mich mit meiner Mutter mittellos in die Welt hinausgestoße» sähe — doch natürlich umsonst; ich war jung, kräftig und besaß einen festen Willen". „Und er hielt wirklich sein Wort, nachdem er Sie in der Meinung groß gezogen hatte, Sie würden dereinst sein Erbe sein?" „Ja, weil ich einer Laune wegen Ehre und * * Die Nachrichten aus Italienisch- Afrika lauten immer ernster. ES hat sich herauS- stellt, daß eS die italienifchen Truppen in ihrer vorgeschobenen Stellung mit der gesamten Heeres- macht Meneliks und aller Fürsten ÄethiopienS zu thun habe», deren Streitkräfte auf 90,003 Mann gcschätz twerden. Die Regierung hat jetzt auch zu gegeben, daß der Major Toselli gefallen ist, mit ihm fast seine ganze Abteilung von 1203 Mann; nur etwa 303 eingeborene Kolonialtruppen konnten sich retten und mit General Arimondi, der zur Unter stützung heranzog, aber zu spät kam, sich vereinige». Die Feinde erlitten zwar auch schwere Verluste, aber sie können wegen ihrer großen Anzahl dieselben leichter überwinden. Jedenfalls werden sie weiter vorrücken; die Italiener ziehen sich in ihre befestigte» Stellungen zurück, wo sie den Angriff der Menellk- schen Streitkräfte erwarten. Eine entscheidende Schlacht wird demnach bald geliefert werden. Aus Jlalien werden Verstärkungen geschickt, aber eS fragt sich, ob sie so früh «intrcffen, um bei der Entschei dung mithelfen zu können. Die Fahrt nach Massaua ist weit, und der Weg von dort auf de« Kampfplatz noch weiter. Es begreift sich daher, daß die Regie rung Verhandlungen mit England führt, um den kürzeren Weg von dem englischen Zeilah aus be nützen zu können. Es ist aber leicht möglich, daß die Verstärkungen auch auf dem kürzeren Weg zu spät kommen. Deutscher Reichstag» Sitzung vom 14. Dezember. Eingegangen sind das Margarinegesetz und die Justizuovelle. Die erste Beratung des Gesetzentwurfs zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs wird fortgesetzt. Abg. Vielhagen (Antis.): Die Signatur der heutigen Zeit ist schrankenlose Gewinnsucht. Wenn der Staat dieser freien Lauf läßt, weshalb giebt er dann nicht schrankenlose Freiheit auf dem Gebiete des Unterrichtswesens, wo dieselbe segens reich wirken müsse. Auf dem Gebiete des Erwerbs lebens bedarf cs der Ordnung. Heute jedoch gilt Derjenige, der einen wirtschaftlichen Mord begeht, trotzdem nach wie vor als solider Geschäftsmann. Derjenige, welcher Waren zu jedem Preise losschlägt, um andere zu ruiniereu, bleibt straflos. Das vor liegende Gesetz wird wirkungslos bleiben, denn die jenigen, welche das Gesetz treffen soll, werden andere unlautere Mittel und Wege finden. Mit dem Prin zip des 8 9 bin ich einverstanden, aber nicht mit der Fassung, welche für dis Angestellten nachteilig ist. Für die Angestellten giebt es keine Vertragsfreiheit, deshalb ist 8 9 sür die Angestellten zu einseitig. Abg. Singer (Joz.): Wir sehen die heutigen Zustände nach wie vor als notwendige Folge der bestehenden Produktionsweise an, werden aber trotz dem für das Gesetz stimmen, abgesehen von ß 9. Gerade der gegenwärtige Moment war zu solchen Aussprüchen, wie sie der Herr Staatssekretär v. Böt ticher gegen uns richtete, der allerungeeignetstr. Der Herr Staatssekretär wird wissen, daß uns viele Vorgänge der U unoralität auch in höheren Gesell schaftskreisen bekannt sind, die wir zur Sprache bringen konnten, wenn wir wollten; wir thun das aber nur, wenn uns ein Interesse dafür vorzuliegen scheint. Staatssekretär v. Bötticher: Der Vorredner hat heute viel milder gesprochen als gestern. Wenn ! ich ihm ebenfalls lebhaft entgegentrat, so geschah es, weil Herr Singer gestern die Vorlage nachsagte, z dieselbe fordere „Niedertracht und Auswucherung", i Wenn Herr Singer vorhin meinte, daß er und seine ! Freunde Vorgänge der llnmoralität in höher» Kreisen f Wahrheit nicht verleugnen wollte. So zogen meine Mutter und ich fort aus dem glänzenden Heim und zwei Monate später ließ mein Großonkel sich selbst mit dem Mädchen trauen". „Das war sehr hart". „Es war grausam, ungerecht; doch würde es mich wenig gekümmert haben, wenn meine arme Mutter nicht mit hätte darunter leiden müssen. Ich versuchte meine litterarischen Fähigkeiten zu verwerten, aber ohne pekuniäre Mittel war eS unendlich schwer, etwas vor sich zu bringen. Indessen wir kämpf ten und litten —" Hier machte er eine Pause. „Bitte, reden Sie nicht weiter", bat sie mild; „es schmerzt Sie". Doch ohne ihrer Worte zu achten, fuhr er fort: „Armut ist bitter! Und dennoch würde ich sie leicht ertrage» haben, hätte meine arme Mutter sie nicht mit mir tragen müssen. Es brach mir fast das Herz, wenn ich sah, wie sie thatsächlich am Nötig- sten Mangel leiden mußte, doch sie klagte niemals, suchte mich im Gegenteil aufzurichten, wenn ich vo» dem Schmerz überwältigt, sie so dahinwelken zu sehen, und unter der Angst, sie zu verlieren, zusammen brach. Ich kniete vor ihr nieder und bat sie — trotz meines Stolzes — flehentlich, zu meinem Groß onkel zurückzukehren, vielleicht würde er sie wieder aufnehmen. Doch sie wollte nicht; um ihretwillen sollte ich mich nicht erniedrigen. So blieb eS beim Alten, und ihre Gesundheit wurde immer schwanken der — im Luxus geboren und erzogen, wie war eS da anders möglich? Ich ergriff alles, was sich mir bot, um etwa» zu verdienen; ich habe schon seltsame Dinge im Leben gethan! Schließlich wurde «eine zur Sprache bringen könnten, so erwidere ich iHtn, daß in meiner Person absolut kein Hindernis siegt, solche Dinge hier zum Gegenstände der Kritik zu machen. Die Vorlage wird an eine 21er Kommission überwiesen. Es folgt erste Beratung der Genossenschafts novelle. (Verbot für Konsumvereine, an Nichtmit glieder zu verkaufen, bez. Ergänzung dieses Verbots durch Strafvorschriften, ferner Vorschriften über Zwangs-Legitimation, endlich Sonderstellung land- wirtschaftlicher Konsumvereine in dieser Beziehung.) Abg. Dr. H i tz e (Centr.): Die Vorlage geht nicht ganz so weit, als unsere vorjährigen Anträge, aber sie ist als Abschlagszahlung zu acceptieren. Die Konsumvereine und Konsumanstalten sollten eigentlich nur für Arbeiter, insbesondere für verheiratete Ar beiter da sein, die es nötig haben, sich die LebenS- mittelpreise etwas zu verbilligen. Sonst ist daS einzig Gute an den Konsumvereinen nur die Bar zahlung, welche erzieherisch wirkt. Abg. Dr. Pieschel (nat.-lib.) begrüßt daS Gesetz. Leider sei aber in der Vorlage nicht gegen einen Uebelstand Vorsorge getroffen, der dringend Abhilfe erheische. Im Interesse der Gerechtigkeit liege es, daß die Konsumvereine bei Abgabe von Bier und Branntwein zum Genuß auf der Stelle — in dem gemeinsamen Einkauf dieser Getränke behufs Verteilung an Mitglieder will ich die Konsumvereine keineswegs beschränken — genau ebenso der Konzes sionspflicht unterliegen, wie alle Andere», welche geistige Getränke ausschänken. Abg. v. Czarlinski (Pole): Wir sind nicht im Prinzip gegen die Gewerbefreiheit, aber gegen deren Auswüchse. Die Stellung der einzelnen Ge werbetreibenden wird durch die Beamten-Konsum- vereine und die bekannten U. 10. 1. Vereine (Hanse mann, Kennemann, Tiedemann) geradezu unhaltbar. Abg. Dr. Schneider (frei?. Volksp.): Das Verbot des Verkaufs an Nichtmitglieder, welches jetzt durch eine Strafbestimmung ergänzt werden soll, ist überhaupt- unberechtigt; wenn eS aber aufrecht erhalten wird, bamr muß cs auch für landwirtschaft liche Genossenschaft!!» gelten. Daß die Konsumvereine an sich nützlich wirken, auch für Handwerker und Landwirte, ersieht man aus der großen Zahl der Handwerker Landwirte, welche den Konsum vereinen angehören. Sie machen zu Gunsten der Vorlage das Prinzip geltend, das Reich müsse für die Schwachen eintreten (sehr richtig, Centrum), aber durch dieses Prinzip kommt es doch zu eigen tümlichen Konsequenzen, wie Sie auch an dem An trag sehen, der bas Reich verpflichten will, den Han del mit ausländischem Getreide zu übernehmen im Interesse der P-oduzenten inländischen Getreides. Nach dem Urteile der Gewerbe-Aufsichtsbeamten haben sich die Konsumvereine gut bewährt, unterdrückt man sie, so werden sich an ihrer Stelle neue Läden auf- thun, welche den Arbeitern bedeutend höhere Preise abnehmen werden. Wir stimmen gegen die Vorlage. Abg. Wurm (soz ): Den Verkauf der Kon sumvereine an Nichtmitglieder verbieten, heißt, die Weiterentwickelung der Vereine hemme». Die Herren möchten am liebsten die Konsumvereine ganz unter drücken. Sie sollten bas wenigstens offen aussprechen, aber nicht auf solchen Schleichwegen herankommen. Mit dem gleichen Rechte könnten Sie Eisenbahnen, Fabriken und andere kulturelle Einrichtungen unter- drücken, denn auch diese schädigen stets eine Reih? von Gewerbetreibende». Warum schreitet man gegen die Fabrikanten-Vereine nicht ein? Abg. 3ock(C;ntr.): Es steht fest, daß dir Konsumvereine die Existenz von hunderttausendeu Geschäftsleuten in Deutschland vernichtet haben. Mutter ernstlich krank. Sie suchte es mir zu ver bergen, doch das Auge der Liebe ist scharf. Eines Abends ging ich aus — ich war der Verzweiflung nahe. Meine Hilfsquellen waren erschöpft und ich wußte thatsächlich nicht, wohin ich mich für den nächsten Tag wenden sollte. An jenem Abend lernte ich begreifen, daß die Not den Menschen zum äußer sten treiben kann. So stand ich endlich auf einer Brücke und blickte in das dunkle Wasser hinab, in dem sich die Lichter der Straßenlaternen spiegelten, als zwei Männer, die von entgegengesetzten Rich tungen kamen, sich dicht hinter mir begegneten. An fangs achtete ich nicht auf ihr Gespräch, daS wie im Traum an mein Ohr tönte; plötzlich aber rief der eine mit laut erhobener Stimme, die mich aus mei nem trüben Hinbrüten riß: „Der Menfch hat Wechsel gefälscht und ist mit meiner Brieftasche, die mir unbezahlbar ist, auf und davon. Nun sagen Sie mir, lieber Holmark, daß Sie dem Menschen nicht auf die Spur kommen kön nen, und ich würde doch auf der Stelle fünf Pfund geben, wenn mir Jemand sagte, er wolle den Be trüger austreiben". Ich hörte diese Worte und war schnell ent schlossen. Ich wendete mich um und sagtegelassen: „Legen Sie die Sache in meine Hand, und ich werde Ihne» in kurzer Zeit den Betrüger sowohl als die Brieftasche ausliefern; zahlen Sie mir nur meine Auslagen — um diese bitte ich, weil ich mich augenblicklich in zu schlechten Verhältnissen befinde, um sie selbst bestreiten zu können. Mehr verlange ich nicht, bis ich Ihnen die Brieftasche einhändige, Mr. Holmark. Sie sehen, Ihr Name ist mir nicht unbekannt". (Fortsetzung s»IM