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Erkämpftes Glück. Novelle von Th. Hempel. : : : Nachdruck verboten. s (Fortsetzung.) Der Tag ist gekommen, an welchem der Sohn des Hause« den Eltern die Braut das erste Mal zuführen wird. Warm schemt die Sonne nach lange,, rauhen Winterlager? wieder durch die Fenster. Früh lingsblumen schmückten die Zimmer und erfüllen die Räume mit ihrem balsarmschen Duft. Die Frau vom Hause geht auf und nieder, mit scharfen Blicken noch einmal übersehend, ob alles Wohl geordnet ist. Sie streicht dort ein Fältchen zurecht und wischt dort einen Staubfleck weg, welcher wohl nur in ihrer Phantasie besteht, dann blickt sie durch das Fenster, ob die Erwarteten, ihr Mann ist ihnen zur Bahn entgegengefahrsn, noch nich. kommen und nimmt dann, sich zur Ruhe zwingend, in einem Sessel Platz; aber wenn die Füße auch ruhen, das Klopfen chreL Herzens vermag sie nicht zu hemmen. Ein Wagen rollt die Straße daher; er hält an der Thür, ja, sie sind es, die Erwarteten. Schon hört sie Schritte im Flur, sie steigen die Treppe herauf. Auf der obersten Stufe steht die Mutter mit ausgebreiteten Armen, die Kinder zu empfangen. Sic denkt nicht darüber «ach, wie sie die künftige Schwiegertochter begrüßen soll, sie folgt nur ihrem Herzen. Aber die junge Dame, in elegantem Seidenkleid, mit dem Federhütchen auf dem dunkel geleckten Haar, scheint entweder die aaS- gestreckten Arme nicht zu bemerken, oder sie fürchtet, daß ihre fast zu reiche Spitzengarnitur darunter lei den könne; sie begnügt sich mit einer tadellosen Verbeugung die Mutter des Bräutigams zu begrüßen. Beinah erschrocken wendet sich diese zu ihrem Sohns, welcher durch eins zärtliche Umarmung gut zu machen sucht, was die Braut versäumte. Am Arme des Kommerzienrats stieg die Geheimrätin tue Treppe empor, und die beiden Damen begrüßten sich ver- bindlich. Nachdem alle das Z mmer betreten, schlang die Kommerzienrätin ihre Arme um die mue Tochter, blickte ihr prüfend in das jugeudfrische Gesicht mit den dunklen- Äugen und sagte: „Sei von ganzem Herzen willkommen, Goit segne Deinen Eintritt in dieses Haus, welches Dir nun bald zur Heimat werden soll! Mögest Du das wahre Glück hier finden!" Auch der Vater zog die Tochter warm an das Herz. Die Frau Gehelmrütin führte Vas reich- pestickle Taschentuch, welchem ein feiner Duft ent strömte an die Augen und sagte: „Ach, möge mein Kind hier recht glücklich werden, ich werde M-ch ver einsamt fühlen, und für Melitta wird es nicht immer leicht sein, aus dem großstätischen Leben heraus 'm diese fast ländliche Stille zu kommen." „Nun, so gar stille ist's nicht immer, heute zum Sonntag thut uns die friedliche Ruhe wohl," ent gegnete der Kommerzienrst, „ich sehne mich nicht da nach, das ewige Drängen und Treiben in der Residenz gegen unser friedliches Dasein sinzutauschen." „Aber die wahre, geistige Anfrischung findet man doch nur in der Großstadt," antwortete etwas spitzig die Geheimrätin. „Meiner Ansicht nach," bemerkte dis Kommer zienrätin, „ist es die Hauptsache für die Frau, sich glücklich zu fühlen im eigenen Heim, das Hsus zu einer Stätte des Glückes und des Friedens zu ge stalten, ssi der Wohnort groß oder klein. Nicht wahr," fuhr sie fott, sich zu dem jungen Paare wen dend, „Ihr seid zufrieden mit dem, was wir Euch bieten?" „Jetzt dächte ich, bötest Du uns einen etwas z materielleren Genuß, liebe Frau," meinte lachend s der Hausherr, und bald saß man vergnügt um den reichen Frühstückstisch. Es entwickelte sich eins fröh liche Unterhaltung. Die gewählten Worts der Ge heimrätin über das geistige Leben der Großstadt wußte der Hausherr in seiner munteren Weise an scheinend harmlos in andere Bahnen zu lenken. Die Frau vom Hause sorgte mit freundlicher Aufmerk samkeit für ihre Gäste. Daß in der Tiefe ihres Herzens ein leichter Druck sich nicht bamwu ließ, machte sie sich selbst zum Vorwurf; sie hatte sich nun einmal eine ganz andere Vorstellung entworfen von dem erster? Besuch der Schwiegertochter. Mit ! Mutterliebe kam sie ihr entgegen, aber nicht eine zärtliche Tochter sank vertrauensvoll in dis geöffaeten Arme, sondern eine wohlerzogene junge Dame trat ihr mit tadelloser Berbeugung entgegen. „Nicht wahr, liebe Mutter, mein Bräutchen ist reizend," unterbrach der Soh?! ihr Nachdenken, „ich bin jo glücklich, wir werden fröhlich und gemütlich Zusammenleben, wenn ich meine junge Frau erst unter das Dach des eigenen Hauses g-führt, ich möchte es mit keinem noch jo eleganten Heim vertauschen, und," fuhr er flüsternd fort, „auch Melitta wird es leicht werden, sich hier cinzugewöhneu, sie ist so herzens gut, jetzt macht ihr die Mama nur die Trennung etwas schwer." Wie zur Bestätigung dieser Worte nickte bis Braut jetzt freundlich über den Tisch herüber, und das Mutierherz empfahl dem Herrn die Zukunft ihrer Kinder und nahm sich fest vor, sich nicht wehr mit Sorgen zu quälen. Die Zeit sei anders geworden. Die Mittagsglocke ertönte, die Kommeszisnrät'u führte Melitta, den anderen voran, in das Speise zimmer, um der künftigen Herrin des Hauses die jungen Leute vorzustellen. Sie brachten dem Braut ¬ paar ihren Glückwunsch, und die Gesellschaft nahm um den gedeckten Trsch Platz. Das blendendweißs Damastgedsck mit kunstvoll gewebten Mustern, das seins Porz llan mit den zierlich gem itten Blumen, das schEs Silbergerät, alles sprach für len. guten, gediegeuev Geschmack, welcher hier im Hause herrschte. Die Hausfrau sorgte mit gleicher Freundlichkeit für alle ihre Gäste bis aus den jüngsten Lehrling herab am unterste?? E de des Tisches, welcher noch etwas schüchtern sich an bis feinen Speisen wagte. Bon ihrem Tische sollte ein jeder gesättigt und vergnügt aufsteheu, und ihre Güte gewann ihr schnell die Herzen der eßlasügeu Jugend. Das Mittagessen war vorüber, die jungen Leute zogen sich zurück, nur die Familie blieb noch plaudernd beisammen. „Nu?? kennst Du bereits Deine künftigen Tisch gäste, liebes Kind," wendete sich die Kommerziell >> kätin an Melitta. „Die meine??, Mama, soll ich die Herren künf tig am Tisch haben?" „Ja, Hal Dir Paul noch nicht voi? den Haus- frauenpflichtrn gesprochen, welche hier Deiner Harrer?? Die Fra?: des jüngeren Chefs hat stets die Bekösti gung der jungen Leute, so war es von jeher im Hause die S-tte." Melitta errötete und schien um eine Antwort verlegen, aber ihre Mutter kam ihr schnell zur Hilfs. „Meine Tochter ist noch jung »ad unerfahren, sie muß sich in die neuen Verhältnisse er ft, einleben, gewiß werden Sie ihr zu Liebe und zur Beruhigung für mein sorgendes Mutterherz diese Verpflichtung ihr eine Zeit lang noch abuehmeu." Schon wollt« sie Kommerziemätin, von ihrer Gutmütigkeit beeinflußt, versprechen, dis große Wirt schaft zu behalten, als ihr Mann die Antwort für sie übernahm und mit ruhiger Bestimmtheit antwor tete: „Nein, an den alter! Gesetzen unseres Hauses wird nicht gerüttelt, was nützt es dem jung!« Frau chen, irr den Jahre?? dsr ftisHsn Kraft bequem zu lebe??, und dann sich m der großen Wirtschaft cin- zurichteu? Ich denke, es soll Dir eine Freuds sein, mein Kind, von nun an der Mutter vis Arbeit von den Schultern zu nehmen Eine lange Reihe von Jahren hat sie mit Lust und Liebe geschafft und dis treuste Freude daran gehabt, wenn cs allen ihren Pfleglingen behaglich war." „Sie haben jedenfalls stets sehr gute Dienst boten gehabt," wendete sich die Geheimrätm an die Frau von? Hause. „Im Anfang bi» ich öfter nicht gut ««gekommen, aber meine jetziger? Märchen habe» beide vor einigen Jahren schon eine Belohnung für lange Dienstzeit in meinem Hause erhalten und freuen sich mit mir ans ruhigere Tage; um keinen Preis wöchts ich eines der braven Mädchen von mir gehen lassen." Nach diesen Worten brach man die Unterredung ab, nur die Gehenmätirr gab ihren Gefühlen.durch einen Seufzer noch Ausdruck. So erwünscht ihr einerseits die Verlobung ihrer Tochter mit dem tüch tigen, braven, in glänzenden Verhältnissen lebenden Manne war, so liebte sie doch, sich al» Opfer hin- zustellm und anzudenten, daß nur Melittas tiefe Neigung sie endlich vermocht habe, in ihre Verhei ratung nach der Kleinstadt zu willigen. Als Mutter und Tochter des Abends allein in der gemüiltchen Gaststube weilten, sagte die Kutter: „Ich hoffe bestimmt, liebes Kind, Sich von dieser großen Wirtschaft frei zu erhalten, laß mich nur handeln!" „Wäre es aber nicht b-sscr, Maras, wsun ich als Braut noch häusliche Thätigkeite» lernte, um mich daun den Gewohnheiten dieses Hauses anzu- schließen, wie auch mein Bräutigam innig wünscht?" „Gewiß, mein Kind, aber bedenke, daß Du hier her kommst als Frau, nicht als Wirtschaften»! Mußt Du Nicht »huedirs vieles entbehre» in den engen Verhältnissen der kleinen Stadt, sollst Du auch noch zur Magd werden und verlegen Deine rauhen, roten Hände verbergen müssen, wen» sich Dir Gelegenheit lmtct, mit Deinem musikalischen Talent am Flüge! zu glänzen? Ich fühle die Pflicht, als Mutter über bas meines Kmdes zu wachen". Melitta entgegnete nichts, aber spät erst fand sie an diesen Abend, dem ersten in der zukünftigen Heimat, die Ruhe. Ei» wirres Durcheinander von Gedanken beschwer?e ihr Gemüt und t-Übte ihre frohe Zuversicht, und allttu ihre Murrer war schuld. Die Schlüssel klirrten, die Thüren irr der unbe wohnte» zweiten Etage öffneten sich, um der künftigen Herrscher?» in diesem Hause eine» UsbeMick zu gs- st-rttc». Vergnügt flog das junge Paar von Zimmer zu Zimmer', zu sehr mit sich beschäftigt, um der Um gebung viel Aufmerksamkeit zu schenken. Langsamer folgten die Mütter. „Die Räume sind leider sehr klein und niedrig, es bedrück-: das Atmen, wir sind in der Großstadt an hohe, luftige Räume gewöhnt", meint - die Geheim? ätm. „Die Fenster waren lange geschlossen", er-igegnsts bis Frau vorn Haass, „man hat nur nötig, sie kurze Zeit zu öffnen, so strömt frische Last genug herein von den hohen Bäumen im Garten, daß man meint, den Frühling selbst in der Stube zu haben". Sie wendete sich nach dem Brautpaar: „Gott geb' Euch soviel Glück und Segen in diesen Räumen, als der Vater und ich hier erlebt in der? langen Jahren, und schenke Euch Kraft in de« schweren Stunden, ohne welche es einmal nicht abgeht; ruft nie durch > eigene Schuld das Unglück herbei, und was Gott schickt, traget in Demut!" Sie reichte seiden die I Hände und blickte mit mütterlicher Zärtlichkeit der neue!! Tochter inSAuge. War Melitta auch e?r? ver wöhntes Kind, dis Liebe für den Bräutigam strahlte aus ihrem Blick, und die Liebe ist eine Macht, welches so vieles ebnet. Die Gäste waren längst wieder abgereist, der Sohn des Hauses nur für kurze Zeit, dann kehrte . er zurück für immer. Der Vater führte ihn feierlich S als Mitinhaber in das Geschäft ein; er erhielt nun gleiche Rechte und gleiche Pflichten, und fordert von de?« Herren im Geschäft Treue und Gehorsam als Prinzipal. Ob die Mutter sich täuscht, wenn es ihr schien, als wenn des Sohnes Ange recht ernst blickte, als ob eine Falts der Sorge sich auf seiner glatten Stiru bildete? Er gab sich wohl mit zu großem Eiser seinem Berufs hin und arbeitete zu viel, um sich in allen Zweigen des verbreiteten Geschäfts emzuleben? Di« Wohnung des junger? Paares mußte in Stand gesetzt werden; Vie Mutter ging mit dem Sohne hin auf, um mit chm ar? Stelle das Nötige zu besprechen, aber kaum hat sie dis zweite Thür erschlossen, um seins?- Geschmack zu Rate zu ziehen über dis Wahl der Tapsten, als er, seine Schritte hemmend, ver lege-? beginnt, als habe er eine Schuld zu gestehen: „Meine Braut sowohl als ihrs Mutter vermögen nicht recht, sich mit unserer Wohnung zu befreunden, i Du darfst eS Ihnen nicht übel nehmen, die Ansichten ! ändern sich, ich kann ihnen nicht ganz unrecht geben, ! trotz aller Anhänglichkeit an unser altes, gmes Haus". „Nein, die hast Du nicht, ebensowenig als Rück- - sicht für Deine Eltern, sonst würdest Du uns nicht j zumute«, nun, da wir alt sind und die Stufen be- l rechnen, welche wir früher Mit Leichtigkeit stiegen, i aus dem ersten Stock tn den zweiten zu ziehen? ! Könntest Du es wirklich über das Herz bringen, f Deinen Vater täglich mehrere Male den beschwer lichen Weg gehen zu sehen, nur um Deine junge s Fra?? in elegantere Räume führe?? zu können?" „Ich bitte Dich, Mutter, verkenne mich nicht so vollständig, nichts liegt mir ferner, als Euch kränken zu wollen, nur sincn Vorschlag möchte ich thun". „Und der wäre? Ich bin neugierig, zu hören". „In der einen Vüla in dem neuen Stadtteil z steht eins erste Etage zu vermieten. Sie ist in mo- i dunstem Stil erbaut, mit Balkon und Garten, ich j dächte, unsere Verhältnisse erlaubten es". „Darüber will ich nicht urteilen, was aber soll s aus dieser Wohnung werden?" „Würde sie sich mcht an andere leicht vermieten s lassen?" „Gswiß, der erste Beamte in unserer Stadt bat t uns dringend, sie ihm als Funülienwohnung zu z überlassen. Wir schlugen es entschieden ab, wir j wollen überhaupt nicht vermieten, und bann hofften k wir auch, Dich nun bald bei uns zu haben. Sollen die Herren täglich mehrere Mals nach der Villa j komme», um ihre Mahlzeit einzunehmen?" „Liebe Mutter, bitte, beurteile meine Braut nicht s falsch, sic meiut es ja nicht bös, aber sie ist nicht - au eins groß« Haushaltung gewöhnt und hofft von s Deiner Güte, daß Du für einige Zeit noch alles ; beim alten lassest, sic wird Dir von Herzen dankbar i srw, «nd alles daranfctzen, sich möglichst rasch in - die neuen Verhättmsse einzulebeu". „J:s der Stille aber hoffen, daß die Verhältnisse j sich bald insoweit ändern, daß sie als unumschränkte i Herrscherin in dem Hanse einziehm kann". Die s Mutter sprach in tiefer Erregung, ihre Lippen bebten j und ihre Wangen glühten. „Ich wollte Dich wirklich nicht kränken, verzeihe j mir, liebe Mutter, aber ich versprach, die Angelegen- i heit noch einmal mit Dir zu überlegen; wen?? Du r nicht geneigt bist, werde ich es meiner Braut mikteilen. „Nein!" Es klang sehr kurz, sehr abweisend, i dieses Rein; der Sohn wußte recht gut, daß damit j die Verhandlungen abgeschlossen waren. Er kannte j der Mutter Herzensgute, welche nie ermüdete, den ; Ihrigen Opfer zu bringen mit völliger Hintsn- j ausetzuag der eigenen Wünsche und Neigungen, aber s auch ihre Entschiedenheit bei dem, was sie für Recht - erkannte. Sie wendete sich dem ÄMgang zu, an der j D;ür aber kehrt« sie noch einmal um und sagte: „Ich s Wünsche nicht, daß der Vater von dieser Unterredung s er was erfährt, ich bin nicht daran gewöhnt, vor ihm s Geheimniffe zs habe», aber diese bittere Kränkung ft möchte rch ihm ersparen." Die Thür schoß sich hinter > ihr und der junge Mann stand allein in den Räumen, s welche er in Zukunft bewohnen sollte. Der Kampf, i den er in fernem Im er» kämpfte, stand in seinem i Gesicht zu lesen. Es that ihm bitter Weh, die ver- i ehrte Matter gekränkt zu haben, und doch fürchtete ! er die zärtlichen Vorwürfe der Braut ebenso wie die j spitze» Bemerkungen und die tiefe» Seufzer der Schwie- ; ge- mama. Im Grunde gab er der Mutter ganz recht; ! dis Wohnung wcn sehr hübsch und freundlich, es be- ; durste piucr Ansicht nach uicht großer Säle um - glücklich zu jE. D e Komms?,pemätin brauchte Zeit, um wieder i zur R- he zu kommen. Des Sohnes Bu - agen schmerzte j sie tief, aber als sie am Mittagstisch ihren gewohnten j Platz einnuhm, da waren dre Spuren vergossencr i Thränen verwischt, ihr Auge blickte wieder klar, und ? ihrs Aufmerksamkeit wendeie sich der Tafelrunde zu, damit eS an nichts fthle. (Fortsetzung folgt.) RebatLio«, Ars« Mb Verlag vo« Le«! Matthes t» Ltchtevket« (Markt IW.