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Rekurs ein, da ein Fahrrad als zur berufsmäßigen Ausrüstung eines Schornsteinfegers gehörig doch nicht angesehen werden könne. Das Reichsversicherungs amt wies jedoch diese Einsprache der Berufsgenossen schaft ab. — Es ist alles schon dagewesen, auch der Fall Parsisch. War da in einem Städtchen Sachsens seit Jahren ein Lehrer an der mittleren Mädchenschule angestellt, der beim Tode des Rektors dessen Nach folger geworden war. König Albert besuchte dies Städtchen zur Einweihung des Kriegerdenkmals. Die Spitzen der Behörden sind zum Empfang auf dem Bahnhof; Anrede des Bürgermeisters, freund licher Dank des Monarchen. Da fällt des hohen Gastes Auge auf einen Herrn, der als einziger mit dem Eisernen Kreuze und dem sächsischen Rauten kranz dekoriert ist; er winkt ihn heran — es ist der neue Rektor — und erhält auf ferne Frage, wo er die Ehrenzeichen sich verdient, die schlagfertige Ant wort: „Unter Eurer Majestät glorreicher Führung bei St. Privat." Am Abend war großes Festessen zur Feier des Tages, und alles lauscht bewundernd der zündenden Rede des zweiten Festredners, des Herrn Rektors. Nur ein aus Ostpreußen ganz zufällig zu gereister Verwandter des Apothekers faßt krampfhaft den Arm seines Nachbars . . . „Werkst denn das?" — „Nun, unser neuer Herr Rektor," wird ihm ent gegnet. — „Donnerwetter, habe ich denn gar keine Augen mehr?" denkt der Ostpreuße bei sich; aber er stand sofort nach Aufhebung des Mahles hinter dem Rektor, ihn plötzlich mit einem ganz fremden Namen anredend. Dieser wird leichenblaß — er hatte kein Eisernes Kreuz sich verdient und keinen Rautenkranz, war überhaupt nie Soldat gewesen. Er war auch kein Lehrer, sondern ein junger, intelli genter, aber leichtsinniger Kaufmann gewesen, der in seiner ostpreußsichen Heimat sich eine Hauslehrer stelle erschwindelt hatte, aber schließlich mit Schimpf und Schande fortgejagt worden war. Natürlich hat nun auch hier fern Stündlein geschlagen. — Leipzig, 1. Mai. Fürst Bismarck ist dem deutschen Patriotenbunde als Ehrenmitglied bsi- getreten. — Der „Welt"fciertag hatte zirka 5000 Menschen nach der Festhalle in Stötteritz geführt, die sich dort einen Vortrag über die Bedeutung des 1. Mai halten ließen. Abends fanden in 29 Loka len Versammlungen statt, die mit der Annahme gleich lautender Resolutionen endeten. — Leipzig, 2. Mai. Ja der vergangenen Nacht wurde rn dem benachbarten Sommerfeld ein aus einem Zuge der Leipzig-Dresdner Eisenbahn ab gesprungener Passagier tot aufgesunden und durch die Ortspolizeibehörde aufgehoben. Der Tote scheint ein gewisser Hökter, Ulrichsgasse hier wohnhaft, ge wesen zu sein. — Schellenberg, 2. Mai. Gestern abend in der 10. Stunde wurde hinter Hohenfichte ein großer Feuerschein sichtbar und man vermutete ein Schadenfeuer in der Mondscheinmühle unweit Oede ran. Die zu Hülfe geeilten Spritzen kehrten aber wieder zurück, da das Feuer viel weiter und auch schon ziemlich nieder war. Wie man erfährt, ist eine zum Rittergut Oberschöna bei Freiberg gehörige Scheune niedergebrannt. Erst vorgestern ff! in diesem Orte eine Scheune des Erbgerichts durch Schaden feuer eingeäschert worden. — Mylau, 1. Mai. Jetzt ist wieder ein Stück aus früherer Zeit hier verschwunden. Die Reichenbach-Mylauer Fahrpost, welche den Weg von Reichenbach nach Mylau und wieder zurück nun über 28 Jahre zurückgelegt hat, hat gestern abend ihren Dienst eingestellt, da mit heute früh die neue Elfen- bahnstrecke Reichenbach-Mylau eröffnet worden ist. Die letzte Fahrt hatte man mit einem gewissen feier zugleich auf dem kurzgemähten Rasen der Waldwiese. Das gab nun ein Vergnügen und eine Lastigkeit! Nur Bergmann tanzte nicht. Er entschuldigte sich bei den Gästen, indem er behauptete, daß er mit den deutschen Tänzen nicht vertraut sei. Desto eifriger aber sorgte er für die fortlaufende Bewirtung der Geladenen — und auch derjenigen, welche sich un geladen eingefunden hatten. Ihm war natürlich nicht entgangen, wie sich die Waldarbeiter und sonstigen Dorfbewohner unweit der eigentlichen Feststelle auf eigene Faust amüsierten. Jetzt winkte er John, der eben im Begriff war, eine Batterie Weinflaschen zu entkorken, aus deren aro matischem Inhalt der Amerikaner auf seine Manier eine Bowle brauen wollte. „Wie viel Bier haben wir noch?" fragte er leise seinen zu ihm getretenen Diener. „O, viel mehr als gebraucht werden wird! Die Herrschaften ziehen eben den Wein vor. Ja, wenn die Musikanten nicht wären, müßten wir die Hälfte unseres guten Königsbergers dem Förster auf Lager lassen." „Und wie steht's mit den anderen Getränken?" „Auch noch im Ueberfluß vorhanden." „Nun gut, John! So gebt nachher denen dort drüben von unserem Ueberfluß." Er wies mit der Hand in den Wald hinein, von wo das Jauchzen der Dörfler herüberklang. Dann aber setzte er zischelnd hinzu: „aber spart nicht — hört Ihr? — spart nicht." „Ich verstehe, Herr Bergmann! Sie wollen das Völkchen betrunken machen," erwiderte John eben so leise. „Schaden kann's auch nicht. Uebri- gens gehört nicht viel dazu „dem Gesindel einen lichen Reiz umgeben. Vierspännig, mit einem in Gala gekleideten Postillon als Stangenreiter, zwei Postillonen auf dem Bocke, gleichfalls in Gala, alle drei mit umflorten Hüten und Vergißmeinnichtstrauß an der Brust, so war abends vor 7 Uhr zum letzten Male die Post mit einer nachfolgenden Equipage vom obe>-en Bahnhof Reichenbach nach Mylau ge fahren. Nach kurzem Aufenthalte vor hiesigem Post gebäude begab sich der eigenartige Zug nach dem Marktplatze, woselbst vor dem Gasthofe „Zum Löwen" Halt gemacht wurde und 3 Postillone teils abwech selnd, teils gemeinschaftlich ihre Abschiedsweisen bliesen. Vor ihrer Abfahrt hier hatte man die Postil lone mit Lorbeerkränzen, mit Bouquets geschmückt, und mit den Klängen des alten Volksliedes: „Muß i denn zum Städtle hinaus" verließ abends */s9 Uhr die Post zum letzten Male die Stadt Mylau und fuhr nach dem oberen Bahnhofe Reichenbach zu, woselbst sie von einer sehr zahlreichen Menschenmenge empfangen wurde. Vor dem oberen Bahnhofe bliesen die 3 Postillone das Lied „So leb denn wohl" und dann fuhr die Post zum letzten Male unter „Behüt Dich Gott" und anderen Weisen der Stadt Reichen bach und dem dortigen Postgebäude zu. — Freiberg, 1. Mai. Unweit der Halte stelle Frankenstein wurde heute Morgen ein Mann aus Bräunsdorf aufgefunden, der angab, daß er überfallen worden fei und daß man ihm gegen 4000 M., für die er in Freiberg Vieh einkaufen wollte, abgenommm habe. Auf Wunsch des Ueberfallenen wurde ein Kohlenhändler von der nahen Haltestelle herbeigerufen, der ihn in seinem Geschirr nach Bräuns- dorf fuhr. — Auf telegraphisch eingezvgene Erkun digung erhielt der „Freib. Anz." hierzu aus Frankenstein noch nachstehende ergänzende Drahtnachricht: „Heute morgen wurde in der 6. Stunde von Arbeiterfrauen Herr Müller, Wirtschaftsbesitzer aus Bräunsdorf, besinnungslos und seines Gelbes im Betrage von 4000 M. beraubt aufgefunden. Derselbe wurde noch lebend nach Bräunsdorf gebracht. Nach seiner Aeuße- rung soll der Räuber ein untersetzter Mann in braunem Ueberzieher gewesen sein". — Bad - Elster. Vorsicht beim Füttern des Viehs! Nachdem vor einigen Monaten der Oekonom Christian Friedlich hier eine Kuh hat töten lassen müssen, weck sie eine Stopfnadel in den Eingeweiden hatte, und nachdem vor wenigen Wochen bei dem Gutsbesitzer Christoph Hilf in dem nahen böhmischen Octe Thonbcunn eine Kuh aus gleicher Veranlassung geschlachtet werden mußte, ist am Donnerstag dem Gutsbesitzer Mohr in dem ffs Stunde von hier ent fernten Orte Mühlhausen auf freiem Felde, in der Flur Sohl, eine Kuh verendet. Herr Bezirksarzt Schaller aus Oelswtz stellte Tags daraus fest, daß daS Tier durch Eindringen einer Haarnadel in das Herz seinen Tod gefunden. Z Lycki. Ostpr., 2. Mai. Das Dorf Jesch nowitz, Kreis Ortelsburg, ist größtenteils niederge brannt. Ueber 1000 Familien sind obdachlos und völlig verarmt, da nur wenig Mobiliar gerettet wurde, und weil die Leute sämtlich bei der Feld arbeit waren, als der Brand ausbrach. 8 Pillkallen, 2. Mai. Bei einem großen Feuer in dem Stallgebäude einer großen Gerberei sind vier Personen, ein Schreiber, ein Kutscher, ein Gerbergesell« und ein Lehrling, in den Flammen umgskommen; drei davon wurden als gräßlich ent stellte Leichen aufgefunden, der vierte lebte noch, als man ihn hervorzog, gab aber bald darauf seinen Geist auf. 8 Hannover, 2. Mai. Zu Osteel in Ost friesland wurde am vergangenen Sonntag infolge eines Blitzschlages ein Haus eingeäschert, wobei zwei bejahrte Leute den Tod in den Flammen fanden. gehörigen Haarbeutel anzuzechen. An echt Königs berger Bier ist es nicht gewöhnt. Und wenn ich den Lümmeln in gehörigen Zwischenräumen ein paar Cognacs oder Rums verabreiche, ist die Sache bald gemacht." Nicht lange darauf dröhnte ein ungeheures „Hurrah" aus dem Walde zu den Bergmann'schen Gästen herüber. Dann hörten die Herrschaften auch noch ganz deutlich den begeisterten Ruf: „Der Ame rikaner soll leben hoch — hoch und zum dritten Mal hoch!!!" „Wer zum Teufel denkt da Ihrer in dieser enthu siastischen Weise?" fragte der Apotheker Herrn Berg mann, welcher eben an ihm Vorbeigehen wollte. Da bei setzte er das gerade erhobene Glas mit kühlender Weinlimonade wieder auf den Rasen zurück, auf welchen er sich abseits der Tanzenden neben Freund Doktor gelagert hatte. „Es sind die Waldarbeiter," lächelte, stehen bleibend, der Gastgeber. „Jedenfalls wollen sie mir auf diese Weise für das Fäßchen danken, welches ich ihnen eben aufstechen ließ." „Ein Fäßchen Königsberger auch denen?" mischte sich nun aber auch der Doktor in das Gespräch. „Aber Sie unverbesserlicher Verschwender, wissen Sie denn gar nicht, was Sie mit Ihrer Gebelust dieser Gesellschaft gegenüber anrichten?! Na, morgen hat die ganze Bagage nach dem Genuß des ihnen unge wöhnten Gesöffs den denkbar ausgebildeten Kater und wird sich krank fühlen bis zum Sterben. Würden Sie den Leuten dagegen eine gleiche Quantität Kar- toffclfusel gestiftet haben, so hätte ihnen dieselbe ab solut nichts geschadet, und weder Männlein noch Ein 16jähriges Mädchen erlitt so schwere Brand wunden, daß sie sich vor Schmerz in einen der Brandstätte nahen Bach stürzte. An ihrem Auf kommen wird gezweifelt. * * Neusatz (Ungarn), 2. Mai. Ein an der Beocsin-Cserevitzer Straße gelegenes großes Gasthaus wurde nachts von unbekannten Thätern in Brand gesteckt. Bei den Versuchen, die Habseligkeiten zu retten, verbrannte die Besitzerin, sowie 2 zur Rettung herbeigeeilte Nachbarn. * * Lemberg, 2. Mai. Feuersbrünste in Galizien zerstörten in Firlejow, Wojnicz und Pod- sadki einige hundert Wohnhäuser. Tausend Per sonen sind obdachlos. In Podsadki ist die Besitzung des Statthalters Grafen Bad ein eingeäschert worden. * * Petersburg, 1. Mai. Gestern brannte die halbe Stadt Dubno, Gouvernement Wolhynien, nieder. Die Feuersbrunst verbreitete sich infolge Mangels an Löschmitteln, zumal auch keine Feuer wehr vorhanden war. Die Lage der teilweise ob dachlosen Bevölkerung ist traurig. * * Rom, 2. Mai. In einem Dorfe in der Provinz Chieti stürzte der Sohn des dortigen Bürger meisters, ein epileptischer Trunkenbold, im Hemde auf die Straße, stach mit einem Messer einen sich ihm entqegenstellenden Schlächter nieder und ermordete einen 70jährigen Greis, der ihm begegnete, durch einen Stich in das Herz. Der Wahnsinnige wurde in das Irrenhaus überführt. * * Paris, 2. Mai. Der bekannte Wiener Schneider Zeitung wurde gestern wiederum in einer nach Madrid aufgegebenen Kiste auf dem Orleans- Bahnhof entdeckt und der Polizei übergeben. Deutscher Weich Stag. Sitzung vom 2. Mai. Auf der Tagesordnung steht die dritte Lesung der Zolltarifaovelle. Zu der in der zweiten Lesung beschlossenen neuen Fassung des Z 6 des Zolltarif- gefttzes, wonach durch kaiserliche Verordnung zoll pflichtige Waren aus Staaten, welche uns auf dem Meistbegünstigungsfuße behandeln, mit 100 Prozent Zollzuschlag belegt und auch zollfreie Waren einem Zolle unterworfen werden können, beantragt Abg. Hammacher (nat. - lib.) hinzuzufügen, daß der Retorsionszoll auf die zollfreien Waren die Höhe von 20 Proz. des Wertes nicht überschreiten darf. Der Antrag wird nach kurzer Befürwortung des Antragstellers widerspruchslos angenommen. Bei der Position „Nutzholz für die Grenzbe zirke" erbittet Abq. Müller-Sagan (freis. Vp.) eine nähere Erläuterung für die Fassung: sofern es „direkt aus dem Walde" kommt. Geh. Rat v. Körner erwidert: Dieser Be griff sei allerdings nicht ganz klar, aber es fei bisher von der Zollverwaltung niemals daran Anstoß ge nommen worden, wenn der Besitzer jenseitiger Wal dungen, weil das Holz direkt an der Grenze schon weit abgeholzt sei, das Holz von etwas weiterher bis an die deuffche Grenze fahre und hier umlade. Die Position wird genehmigt. Bei Position Alkohol- und ätherhaltige Parfü merien, einschl. Kopf-, Mund- und Zahnwässer be antragt Abg. Werner (Antis.), den Zoll auf 300 Mk. (früher 200 Mk.) zu erhöhen. Abg. Möller (nat. - lib.) widerspricht diesem Verlangen, welches auch von vielen der nächstbetei- ligien Industriellen nicht geteilt werde. Abg. Dr. Schaedler (Centn.) stimmt dem Antrag Werner zu. Abg. Richter (freis. Vp.): Die beteiligten Industrien selber versprechen sich von dieser Zoller- Höhung nur geringen Nutzen, dagegen den zehnfachen Fräulein würden morgen das geringste Unbehagen empfunden haben. Denn an den Korn ist die Sorte Menschen von der Wiege an gewöhnt." „Von der Wiege an?! Na, na, na, so schlimm ist's doch nicht, alter Aeskulap!" meinte der Apotheker. „Nicht so schlimm?" fuhr der Doktor auf. „Ich sage Dir, es ist noch schlimmer — wenigstens hier und in der ganzen Provinz Posen! Mit meinen eigenen Geschmacksorganen hab' ich mich davon über zeugt, daß die Weiber den Kleinen als Schlafmittel Branntwein zu trinken geben — Kindern von sechs Monaten ein ganzes Dreierglas voll. Und das ist so viel, wie dieses Weinglas hält. Werden sie älter, so giebt man ihnen noch mehr und —" „Was habt Ihr Kampfhähne denn schon wieder zu streiten?" unterbrach hier jedoch dis Stimme Rinows' die aufgeregten Worte des Arztes. „Ich sage Ihnen, Bergmann", setzte er dann hinzu, „nicht zehn Minuten können diese Menschen, die schon beide graue Köpfe haben, bei einander sein, ohne sich nicht auch gleich in den Haaren zu liegen. Nur in einem Punkt scheinen sie niemals uneinig zu werden — wenigstens erfuhr ich noch nicht davon, daß der Apo- ther Einspruch erhob, wenn ihm der Doktor die Rezepte zu seinen teuren Medikamenten in daS Haus schickte". Der Amerikaner lachte, während der Arzt etwas von „dummen Witzen" brummte, dabei aber ganz vergnüglich mit den Augen zwinkerte. Freund Apo theker verzog jedoch sein gelbes Gesicht, als hätte er in diesem Moment die bitterste Pille verschluckt, welche er je verfertigt. Trotzdem fühlte auch er sich durch aus nicht geärgert, sondern so behaglich und heiter wie nur je. (Fortsetzung folgt.)