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(L-bhafteS Bravorechts und dergleichen Händeklatschen auf der mittleren Tribüne.) Abg. Richter: Wenn ich vielleicht auch nicht das formelle Recht hatte, so sicherlich das sittliche Recht. (Beifall links.) Abg. Hermes erklärt, er sei nicht als Ober tertianer von der Schule abgegangen, ebensowenig habe er seinen Doktor in Amerika gemacht, vielmehr rits in Leipzig. Nach kurzen Schlußworten der Abgg. von Arnim für den Antrag Hasse und von Manteuffel für den Antrag Hammerstein wird der Antrag Hasso abge lehnt, sodann wird über den Antrag Hammerstein namentlich abgestimmt und derselbe mir 167 gegen 51 Stimmen abgelehnt. Bei dem Namensaufruf fehlten bie Abgg. Ahlwardt, Liebermann v. Sonnen berg und Böckel. Morgen: Militäretat. Eixe Mahnung. Alles will in unsern Tagen hoch hinauf. Auch der Bürger ist in seinem Stand nicht mehr zufrieden; er will Titel haben und seine Söhne womöglich zu Herren machen. Bürgerliche Kleidung, nicht vom kostbarsten Stoff und nicht nach dem allerneuesten Schnitt, giebt ihrem Träger kein Ansehen. Bürger liche Kost, wie sie in den größern Städten für Jung gesellen häufig angeboten wird, wird nur von einer ganz bestimmten Klasse junger Männer begehrt. Am Tische des Bürgerhauses lassen sich höchstens Schul gehilfen und einzelne Handlungsdiener und Schreiber nieder. So ist es; aber es ist nicht recht, daß es so ist. Wer den eigentlichen Bürgerstand gering achtet, denkt nicht an die Zukunft des Vaterlandes, dis nicht zum geringsten Teck auf den Schultern dieses Standes ruht. Mir wenigstens ist der Anblick einer gut bürgerlichen Familie immer eine Erquickung und ein Trost in Tagen, in welchen sich dem Aug; soviel Unerquickliches und Trostloses bietet. Obwohl ich viel« solcher Familien kenne, will ich doch nur von einer derselben ein paar Worte sagen. Sie wohnt in einer wohlhabenden Gegend und gilt selbst in dieser Gegend für recht reich. Daß si: eS ist, zeigt sich schon äußerlich im Hause. Alles ist im besten Stande, fast wie für Jahrhunderte gebaut. Wie außen, so ist's innen. In jedem Raum erhält der Besucher den Eindruck der herrschenden Solidität. Manches Ssück Möbel stammt noch von Großvaters Zeiten; aber auch daL Neue ist nicht verpönt. Nur darf es keine Spielerei, sondern muß etwas wirklich Brauchbares sein Selbst die vorhandenen wenigen Bilder sind keines von dem Zeug, welches das Em- rahmeu nicht lohnt, sondern sie stellen einen n'cht unbedeutenden Wert dar. In der besten Stube hängt der Haussegen: „Zwei L-bensstützm brechen nie, Gebet und Arbeit heißen sie". Beide Stützen tragen das Haus wirklich. Die Familie ist zwar durchaus nicht kopfhängerisch, sie denkt religiös freier; aber sie bleibt auch der Kirche und ihren Gottesdiensten nicht fremd. Nur vergißt sie über dem Beten das Arbeiten nicht. Die Frau ist in Wahrheit eine Hausfrau, deren Welt das Haus ist, die, wenn sie sich erholen will, nicht weiter als in den nahen Garten geht. Der Mann begleitet Gesinde und Tagelöhner hinaus auf das Feld. Wenn er auch nicht so anstrengend arbeitet, als einer seiner Untergebenen, er nützt doch; denn er fördert das Werk durch manches freundlich ermundernde Wort. Die Arbeiter halten im Hause aus, weil sie anstän dig behandelt und leiblich gut versorgt werden. Dem jungen Volk ist der tägliche Einblick in einen solchen Haushalt ein Segen. Denn es steht in demselben Eintracht und Arbeitsamkeit verkörpert. Mann und ein Weib war, auf das reichste unterstützte. Wo sollte das hin, wenn man dazu die immer und immer wieder erneuerte Einrichtung des Hauses rechnete, ihre aus Paris bezogenen Toiletten, die Unzahl der Domestiken und in den Geschäftsräumen des Hauses die vielen Kommis und sogenannten Bediensteten, wo die Hälfte der Personen ausreichend gewesen wäre. „So reich sind wir nicht," sagte sie sich, „so außerordentlich ist das Geschäftsglück meines Mannes nicht, um derartiges zu gestatten, und streifte ein solcher Luxus nicht auch an Wahnsinn? Weshalb es in seinen Gewohnheiten Familien gleichthun, die, wenn sie auch hin und wieder eine Einladung in unser Haus annehmen, doch durch eine weite Kluft von dem bürgerlichen Kaufmann geschieden waren." Einmal hatte Grethe in ihrer Angst auch an die Pastorin geschrieben und sie flehentlich gebeten, nach der Residenz zu kommen und mit Augustin zu reden. Trotz ihrer Abneigung gegen sie hatte Frau Gott friede doch sofort ihren Bitten Folge geleistet — und war selbstverständlich auch frappiert, geblendet und erschrocken von dem gewesen, waS sie im Hause ihres Pflegesohnes zu sehen bekam. Aber mit feiner unübertrefflichen Suade hatte Augustin ihr aus einandergesetzt, wie seine Geschäfte so glänzende Re sultate erzielen, daß er sich alles das gestatten könne und dabet noch imstande wäre, erhebliche Summen zurückzulegen. Frau Gottfriede hatte ihm geglaubt und versuchte, Margarethen ebenfalls zu überzeugen, dann aber war sie auch nach kaum zweitägigem Auf enthalt wieder abgereist. Des Doktors und seiner Kleinen war während diese« Besuches nicht erwähnt Frau folgen dem Worte de« Bräutigams in Goethes Hermann und Dorothea: „Wir wollen halten und dauern, fest uns halten und fest der schönen Güter Besitztum". Beide sind auch einig in einer Frage, die sonst viele Haushaltungen spaltet, in der Er ziehung ihrer Kinder. Diese empfangen zwar eine bessere Bildung, als die Volksschule sie gewähren kann; aber sie werden keineswegs verbildet. Die Söhne haben auch nach ihrem Dienste als Einjährig- Freiwillige noch Freude am väterlichen Beruf, die Töchter sind häufiger in der Küche als am Klavier sichtbar, sie sind zu Hausfrauen gebildeter Landwirte wie geschaffen. Die Familie kennt auch die Erholung nach der Arbeit. Zwar der Wagen zum Ausfahren wird selten benützt, Jagdflinten finden sich im Hause nicht, einen Ausflug am Werktag macht kein Familienglied mit. Aber Mutter und Töchter verplaudern ab und zu ein halbes Stündchen in einem Nachbarhaufe, Vater und Söhne erholen sich nach des Tages Mühen gern am Stammtisch bei einem verständigen Gespräche. Uber sie denken schon am Abend daran, daß morgens der Tag anfängt und daß die Gebieter im Hause die Augen zuerst öffnen müssen. Sie wissen, daß, wer abends nicht aufstrht, es auch wo egens nicht kann. So ist's gut bürgerlich. Solche Familien sind gerade im Stande der Ackerbürger nötig. Guts besitzer, die von ihren Renten leben können, verkaufen heute gern Hab und Gat, um sich mit Gesinde und Tagelöhnern nicht mehr Plagen zu müssen. Ihnen muß durch Beispiele aus dem Leben gezeigt werden, daß auch heute ein Landwirt noch zu gedeihen und auf seiner Scholle glücklich zu sein vermag. Vermischtes. * Eine Rettung aus L-bensgefahr durch einen Kanarienvogel gehört gewiß nicht zu den alltäglichen Vorkommnissen. Ueber einen solchen seltenen Fall wird aus Pillau folgendes berichtet: Herr S. hatte einen Kanarienvogel, der sehr zahm ist, aus einen Pfiff seines Herrn den Käfig verläßt, sich auf seinen Schreibtisch setzt und neugierig dem emsigen Schreiben zusisht, den Zucker aus dem Munde mit seinem Schnäbelchen pickt und dann liebkosend und dankend sein Köpfchen an den Wangen des gütigen Spen ders reibt, kurz, der beste Freund seines Herrn ist. Nun hatte Herr S. die Gewohnheit, abends, wenn er sich zu Bette legte, noch zu rauchen. Eines Abends aber schlief er dabei unoersehens ein. Nicht lange konnte er indeß geschlafen haben, als ihn ein Picken an seinen Lchpen weckte. Aus keinem Schlummer auffahrend, fand er die Stube voll Rauch und be merkte daun auch ein auf der cke sich ausbreiten des Glimmen. Die brennende Cigarre war seiner Hand entfallen, auf der Decke -iegen geblieben und hatte das Oberbett entzündet. Sein kleiner Freund, der ängstlich im Zimmer hin- und herflatterte, hatte ihn aus schwerer Gefahr gerettet. * Ein G r o ß st a d l b i l d. Vor etwa Jahres- flist zog eine Familie nach Frankfurt a. M., deren adeliger Name im Osten Deutschlands einen guten Klang hat. Das Haup: der Familie, ein Mann im kräftigsten Alter, war einst in seiner Heimat ein reicher Mann gewesen. Zu großes V-rtrauen zu einem seiner Angestellten soll ihn fast um sein ganzes Hab und Gut gebracht haben. Die Not zwang ihn, sich einen Beruf zu wählen. Er wurde zuletzt Rei sender einer bekannten Champagncrfabrik. Sein Ge halt gestattete ihm, in behaglichen Verhältnissen zu leben. Verschiedene Umstände führten zur Auflösung des Verhältnisses und zur Uebersiedeluvg nach Frank furt, wo der Mann leichter ein Unterkommen zu fin den hoffte. Das gelang ihm aber nicht. Mit der Zeit schwanden die wenigen noch vorhandenen Mit- worden; Greths wagte keine Frage und die Pastorin sprach absichtlich nicht von Bruder und Nichte. „Und jetzt, um diese fünfte Nachmittagsstunde — Margarethe hatte sich erhoben, um nach dem Speisesalon zu gehen, den Gatten dort zu erwarten. Langsam, müde ging sie durch die stattliche Zimmer flucht ihrer Wohnung, aber die Pracht um sie herum erfreute sie heute eben fo wenig wie sonst, sie war ihr viel zu viel. In all diesen hohen stolzen Räu men hatte sie auch noch nicht einen Augenblick wirk liche Gemütsruhe gefunden. Das letzte Gemach, daS sie auf diesem Wege durchschreiten mußte, um nach dem Speisezimmer zu gelangen, war ihres Gatten Privatkabinett. In Gedanken verloren ging sie lang sam über den kostbaren Brüsseler Teppich, der hier den ganzen Fußboden bedeckte, da hemmte sie plötz lich ihren Schritt: In der Nähe des verschlossenen Zylinderbureaus sah sie ein weißes Blatt. Richt aus Neugierde, nur weil ihr das Papier störend war an so ungehörigem Platze, bückte sie sich und ohne recht zu wissen, was sie that, faltete sie das Billet auseinander und ließ ihre Blicke über die festen, sicheren Schriftzüge darauf gleiten, sie las: l Mein werter Geschäftsfreund! Da ich annehme, Sie haben unser Ueberein kommen vom 15. vergangenen Monats nur ver gessen, ersuche ich Sie höflichst, mir den Betrag von „20 000 Mark" so schnell als thunlichst zu kommen zu lassen. Sie wissen ja, in welcher Klemme ich augenblicklich stecke und werden jeden falls nicht zögern, meinen Wunsch zu erfüllen. Zum Schluß erlaube ich mir noch der Hoff nung Ausdruck zu geben, daß das Collier mit tel und bald nagte die Familie im wahren Sinne des Wortes am Hungertuch, um so mehr, als Man» und Frau zu stolz waren, von ihrer entsetzlichen Lage Jemandem Mitteilung zu machen. Der Win ter kam heran und die Familie hatte weder Heiz material noch Nahrungsmiltelvorräte im Keller. Um einigermaßen den Hunger zu stillen, holten sich die Kinder täglich Kartoffeln bei dem Hausherrn, der selber kein reicher Mann ist, indes gab, so viel er konnte. Da erkrankte vor Kurzem der Vater an der Lungenentzündung, die ihn nach wenigen Tagen da hinraffte. Während dieser Krankentage wurde indes die Nachbarschaft auf die entsetzliche Lage der be dauernswerten Familie aufmerksam. Von allen Seiten sucht man nun die Not wenigstens einiger maßen und für den Augenblick zu lindern. * Eine Auslese von Stilblüten giebt dem Berl. Tagebl. ein Freund, der sie in Oberschlesien während seiner Vorbereitungszeit für den höheren Justizdienst den Eingaben von sogenannten kleinen Beamten an die vorgesetzten Behörden entnommen hat. Es herrschten damals in einzelnen kleinen Städten jenes Bezirks, die inzwischen freilich eine andere Gestaltung ange nommen haben, recht urwüchsige Verhältnisse, und danach waren auch manche der kleinen Beamten. Ein polnischer Ortsschulze, welcher alle Fälle un natürlichen Todes anzuzeigen hatte, schreibt: „An königliches huchwullgeborenes Staatsanwaltschaft zu B. Zeit horsamst an, das Szceszny Ignatz, is sich geworden toderschlagsn von blizzz bei arbeit auf felde. Welches blizz is sich gewest, weis nich, weil sich grosser gewitter und hat sich vil geblizzzt dieses tak. Ich lasse ein Leumundszeugnis folgen: Skrzypczyk Jakub ist sich gutt-L ordentlich mchternes Mensch, was sich blof besäuft sonnamt und sonntak, wie hir is mode. Is sich auch ehrliches mensch, hat sich blos gesessen wegen Holz (Forstdiebstahl), leztis mal drei monat Macht sich aber hier alles so, weil is gemeinde serr arm. Das beschsinikt, wi is Wahrheit. Chrzaszcz Wojcick, schütze". — Folgende wortgetreue Beschwerde erhob ein städtischer Nachtwächter wider den Bürger meister: „An LandratL keniklichiZ huchgnedikgebornis zu N. . War sich Kaisergebutztak. Besauft sich allis, was is gutte pattriot. Mus sich nachwechtir allis Herrschaft besuffenis firn zu Haus. Gutt, is sich amt weiniges. Hab ich gefict Pan (Herrn) Amtsrichtir, pan Postmeistir, pau Aptektr, sugar pan farrir huchwirdigis. Blos burgemeistir neuis, menich schwachis, was sich verträkt gar nix, Wil sich gehn alein. Kann nich. Last sich mch firn. Schreit wie oxe und haut mit arme und deine. Fallt wir sich beide uff straße schmuzigis, ich altis mann schwach uff fisli wegen kaiser. Lacht sich allis aus nachwechtir dummiS Ergir mich serr. Bit ich hor- ssmst Landratt gnedigis, befell burgemeistir neuis, soll sich firn zu baue, wann iö befuffen. Untertei- nixier Kaczmarczyk Jakub, nachwechtir stettischis". * Sonderbares Versteck. Jüngst starb in Orsay ein Fräulein Maria Tantes und hinterließ der Stadt Paris 1500000 Francs für wohlthätige Stiftungen. Aber wo war das Geld? Der Notar hatte den Seinepräsekten von der testamentarischen Bestimmung der Entschlafenen in Kenntnis gesetzt, aber auch er wußte nicht, wo die Kapitalien sich befänden. Er wußte nur, daß sie vorhanden waren. Aber bet wem waren stehinterlegt? Man durchsuchte die Woh nung der Verstorbenen. In den Möbeln — nichts. Eine noch einmal vorgenommene, Peinlich genaue Durchsuchung lieferte dasselbe negative Ergebnis. Sicherlich ist ein Diebstahl begangen worden. Der Polizeipräfekt leitete eine Untersuchung ein. während in der Wohnung die Nachforschungen andauerten. Nur der Kehrichtkasten war noch nicht durchsucht worden. Und, siehe da! unter dem Kehricht fand > dem Brrllantenkreuz Ihrer Frau Gemahlin eine f wirkliche Geburtstagsfreude gewesen ist, jedenfalls § war es ein Geschenk, das eine Fürstin dankbar aus der Hand ihres Gemahls genommen hätte. Mit hvchachtungZvoller Ergebenheit begrüße ich Sie: Heinrich Sterneck, Hofjuwelier Sr. Maj. des Königs. Frau Margarethe hatte lange schon die letzte Stelle der Epistel mit den Augen überflogen und noch immer starrte sie auf das Blatt in der Hand, dann atmete sie plötzlich tief auf: „Mir ein Brillant kreuz zum Geburtstag!" Sie schüttelte den Kopf. „Alles, was ich von Brillanten mein eigen nenne — freilich, es ist mehr, als manche Fürstin in ihrem Schmuckkästchen beherbergt — besitze ich aus den sechs ersten Jahren meiner Ehe, in den vier letzten beschenkte mich Augustin aus meinen ausdrücklichen Wunsch nur mit weniger Kostbarem!" Sie sah wie der auf das Blatt in ihrer Hand nieder: „Und doch steht es hier schwarz aus weiß: „Zum Schluß erlaube ich mir noch der Hoffnung Ausdruck zu geben, daß das Collier mit dem Brillantkreuz Ihrer Frau Gemahlin eine wirkliche Geburtstagssreude ge wesen ist, jedenfalls war es ein Geschenk, das eine Fürstin dankbar aus der Hand Ihres Gemahls ge nommen hätte". Sie kam nicht dazu, den unlieb same" Gedankengang zu beenden, eine der durch Por tieren verhüllten Thüren hatte sich geöffnet und auf der Schwelle stand eine elegante Männergestalt, die Ge stalt Augustin Herders. (Fortsetzung folgt.)