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über den erträumten Kuß so erbost, daß sie das Mädchen auf der Stelle entließ. Ob der EntlafsungS- grund stichhaltig ist, erscheint wohl etwas fraglich. 8 Berlin, 11. Juli. In der Gegend von ArnSwalde ging gestern ein schweres Gewitter nieder. Auf dem Rittergut schlug der Blitz in den Kuhstall, ohne zu zünden und tötete sechs Rinder. Ein anderer Blitzschlag entzündete die Mühle in Althütte. Beim Aufräumen der Trümmer fand man die verkohlte Leiche des Müllers, der in der Mühle geschlafen hatte. 8 Humburg, 11- Juli. Im Keller der Ver- einsbank fand eine furchtbare Gasexplosion statt, durch welche die Kastellanfrau tötlich verletzt und große Verwüstungen angerichtet wurden. Z Schmalkalden, 11. Juli. Bet der Feuersbrunst, die Brotterode, wie schon gemeldet, einäscherte, sind 320 Häuser und die sämtlichen öffent lichen Gebäude ein Raub der Flammen geworden. Zwei 80jährige Frauen sind verbrannt, vier Kinder werden bis jetzt noch vermißt. 2000 Menschen sind obdachlos, ebenso fehlt eS an Stallung für zahlreiches Vieh. Es hat sich ein Hilfskomitee gebildet, an dessen Spitze der Landrat steht. 8 Aus dem kaiserlichen Zivilkabineit ist dem Schützenverein zu Magdeburg-Neustadt, welcher bei der Feier seines Köoigsschicßens eine Adresse an den Kaiser sandte, folgendes Antwortschreiben zugegangen: „Se. Maj. der Kaiser und König haben Allerhöchst- sich über die Adresse, welche die Teilnehmer an der diesjährigen Feier des Stiftungsfestes des dortigen Schützenvereins Allerhöchstihm unterm 24. v. M. gewidmet haben, gefreut und auS derselben mit Ver gnügen ersehen, welchen Wiederhall die von Aller höchstihm (bei der Eröffnung des Nordostseekanals) gewählte Bezeichnung Allerhöchstseims Herrn Groß vaters als „Kaiser Wilhelm der Grose" in den pa- trivtischenHerzm der dortigen Bürgerschaft geweckt hat". 8 Unfallverhütungsvorschriften. Das NeichSver- sicherungsamt empfiehlt in einem Rundschreiben den Vorständen der land- und forstwirtschaftlichen Be rufsgenossenschaften bringend den Erlaß von Unfall- verhütnngsvorschrifteu für land- und forstwirtschaft liche Betriebe. Im Jahre 1894 — so heißt es da rin — sind von den land- und forstwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften für 32687 Unfälle Entschä digungen festgestellt worden; von diesen Unfällen hat ten 2237 den Tod, 821 eine dauernde völlige, 15922 eine dauernde nicht völlige und 13707 eine vorüber gehende Erwerbsunfähigkeit zur Folge. Diese hohen Zahlen umfassen eine solche Fülle von Not und Elend, daß keine Anstrengungen gescheut werden dürfen, um für die Folge deren Verminderung her beizuführen. Möchte» "die Berufsgenossenschaften in Anerkennung dessen, daß es besser ist, Unfälle zu ver hüten, als Unfälle zu entschädigen, und daß eine Unfallrente niemals einer Familie den getöteten Vater ersetzen, dem Verletzten nie ein volles Entgeld für verstümmelte Glieder bieten kann, ein so wich tiges Recht, welches das Gesetz ihnen verliehen hat, nicht ungenützt lassen. Die Rücksicht auf die zu be wahrenden Mitglieder macht jenes Recht zur Pflicht. Nur in der Verbindung der Unfallentschädigung mit der Unfallverhütung kann das Ziel erreicht werden, welches durch die Unfallvsrsicherungsgesetzgebung an gestrebt worden ist. * * Bozen, 11. Juli. Die Schwester des hie sigen Hosphotograptzen Knoll, 52 Jrhre alt, stürzte sich wegen unglücklicher Liebe vom zweiten Stock werke auf die Straße und blieb tot liegen. * * W j e n , 11- Juli. Der aus Odessa zugereisten Privaten Irma Freuler wurde im Bahnhöfe zu Salz burg ein Täschchen, enthaltend 4000 Franks in ru mänischen Noten, ein Paar goldene mit großen Bril lanten und Smaragden besetzte Ohrgehänge im Werte sein einziges Kind war nicht da zu diesem Liebes dienst; und nun lag er im Schnee, friedlich, als schlummere er nur, um bald zu erwachen. Ach, was würde Lena empfinden, wenn sie das Schreckliche erführe! Der Gedanke an sie und ihren Schmerz folterte ihn unbeschreiblich, ja, er hätte sein Herzblut vergossen, um ihr den Jammer zu ersparen! Von heute an stand sie allein in der Welt und er, ihr Freund und Beistand, durfte kein Anrecht an sie erheben. Aber, Klaus, willst Du Dich selbst täuschen? Ist es wirklich dies kühle selbstlose Em pfinden oder ein anderes, heißeres, daß sich unter dem Namen Freundschaft verbirgt? Als die Männer oben bei der Leiche angelangt, fertigten sie aus den umherlicgenden Zweigen und Aesten eine leichte Bahre, legten den Toten darauf und bedeckten ihm das Gesicht und trugen ihn nach seinem Häuschen, ohne auch nur einem Menschen zu begegnen. Als er dann auf seinem Lager ruhte, wandte Harms sich an den noch immer vor Entsetzen wie gelähmten Wirt. „Grausen", sagte er fast drohend, „sorgt dafür, daß die schreckliche Neuigkeit nicht schon bald ruchbar wird; Christian Svend's junge Frau muß erst vor bereitet sein, also — haltet Euren Mund, hört Ihr!" „Hm, wollt Ihr selbst sie vorbereiten? Ich be zweifele, daß sie damit zufrieden sein wird!" „Weshalb nicht?" erwiderte Klaus ungeduldig, „was meint Ihr eigentlich, Gransen? Eure Worte sind doppelsinnig." „Je nun! Die Lena wird es sich wohl zusam menreimen, daß — daß Ihr dem Morde nicht so ganz fern stehen könnt." von 10,000 Franks, eine goldene Damenuhr und eine goldene mit Brillanten besetzte Brache im Werte von 180 Rubel von unbekannten Thätern gestohlen. * * Auf dem Belgrader Bahnhofspostamt ist bei Uebergabe der Wertsendungen durch die un garische Fahrpost ein Geldbrief mit 20000 Frks. Gold, adressiert an die serbische Nationalbank, spur los verschwunden. Der ungarische Postbeamte be hauptet, den Geldbrief dem serbischen Postbeamten übergeben zu haben. Dieser schwört, den Geldbrief weder gesehen noch empfangen zu haben. * * Infolge eines Wolkenbruchs ist beiAgram der Bach Pakrac ausgetreten und hat den Oct Pa» kcae überflutet. Fünfzehn Häuser wurden von den Fluten niedergerissen und alle Brücken weggeschwemmt. Der Verkehr zum Bahnhofe ist unterbrochen. Der ungerichtete Schaden ist enorm. Das Wasser stand einen Meter hoch in den Straßen. Menschenleben sind nicht zu beklagen. * * Die nihilistischen Umtriebe in Rußland dauern fort, sie sind eben gegen das System gerichtet ohne Ansehung der Person, der jeweilige Czar ist der Gegenstand, auf den sie gerichtet sind. Auch der junge Kaiser Nikolaus II. hat daran bisher nichts zu ändern vermocht. So stark auch die Bewachung im Lande ist, der Nihilismus ist nicht unterdrückt und selbst, so geheim auch die einzelnen Entdeckungen gehalten werden, sie verbreiten sich rasch. * * Paris, II. Juli. Gestern abend wurde der Direktor der in Liquidation befindlichen katho lischen Buchdruckergenossenschaft, Viktor Palme, ver haftet und zwar auf Grund einer vorgenommenen Prüfung der Bücher dieser Genossenschaft. Der Verhaftete genoß großes Ansehen und war auch Ritter der Ehrenlegion. Die Affairs erregt bedeutendes Aufsehen. — Aus Oran (Algier) wird gemeldet, daß bei Aintedeles eine große Prtroleumquelle entdeckt worden ist; man behauptet, sie sei eine der bedeutendsten der Welt. In 5 Siuaden sollen 5000 Liter Petro leum gewonnen worden sein. * * Madrid, 11. Juli. Heute nachmittag drang ein schlecht gekleidetes Individuum in das Königliche Palais und schoß sich in den Galerien eine Pistolenkugel in die Brust. Der Mann ist schwer verwundet. Man glaubt, der Selbstmörder habe lediglich die Absicht gehabt, die Aufmerksamkeit auf das Elend seiner Familie zu lenken. * * New-Jork, 11. Juli. Gestern stürzte der Fußboden des Kasinos in Ailantic-City während einer von ungefähr 1000 Personen besuchten Ver sammlung ein. Dabei wurde eine Person getötet und etwa 100 schwer verletzt. * * Eine ergötzlicheSzene spielte sich imEdgewood- Avenue-Theater in Alaska (Nordamerika) ab. Dort wird die „Maskotte" in glänzender Besetzung gegeben, liegt doch die Titelrolle in den Händen der Reyarte. Bei der Probe schon war die Künstlerin bei jener Szene gar nicht zuftreden, in der dis Bauern burschen der Mascotte nachlaufen, um sie zu küssen. „Habt Ihr denn kein Blut in den Adern?" rief sie den verblüfften Choristen zu. „Rennt man so flau einem Mädel nach, wie ich bin, wenn man es küssen will? Na, wenn ich ein Mann wäre, ich würd's Euch zeigen, wie man es macht." Abends bei der Vor stellung war sie ebenso wenig zufrieden : „KunTem- parament in den Jungens, alle blasiert." Bei der nächsten Probe versuchte sie ein anderes Mittel: „Kinder", sagte sie, „wer mir heute in der Szene einen Kuß abbringt, kriegt 50 Cents! Für jeden Kuß 50 E, verstanden?" Und nun hätte man abends die Szene sehen sollen! Wie die Wilken waren die Kerle hinter der Reyarte drein; lachend, kreischend ent wischt sie. Da packt sie Einer, umsonst sucht sie sich loszumachen; er küßt sie, küßt sie in einer halben „Oder mit andere» Worten," ergänzte Harms schneidend, „Ihr meint, ich habe denselben selbst be gangen. Aber sagt mir, wo der Kläger, wo der Richter? Die finstere Nacht hat das Verbrechen be deckt, Ihr allein werdet es nimmer enthüllen. Und nun gcht und schweigt, so lange Ihr könnt." Gransen ging; vor dem Hause stand er eine Minute still, schüttelte gegen dasselbe die geballte Faust und murmelte giftig: „Daß ich ein Narr wäre, dis schöne Neuigkeit für mich zu behalten, bis sie die Spatzen vom Dache pfeifen! Und nur, damit Klaus Harms, der Mörder, sich in Sicherheit bringen kann, denn daß er es that, ist so klar wie Sonne! Nein, noch heute sollen es die Herren vom Gericht erfahren und das ganze Dorf gleichfalls." In fliegender Eile eilte er nach Hause und fand hier die alte Greta mit Zubereitung der Morgen- suppe beschäftigt/ „Nun, Ole," rief sie begierig, „kommst Du end lich? Ich brenne vor Neugierde, zu erfahren, was der Harms von Dir wollte, denn das Mädchen, die Mietje, sagt nichts; sie ist taub wie eine Nuß gegen alle meine Bitten." „Bah, sie weiß auch nichts von dem Geheimnis," erwiderte Gransen aufgeregt, „kein Mensch im ganzen Dorfe weiß noch darum, Du bist die erste, welche es erfährt." Greta lachte grinsend, daß ihr Mund sich von einem Ohr zum andern erweiterte. „Na, ich bin verschwiegen wie das Grab, sprich immerhin, mein Sohn." Mietje, die in der Küche Kartoffeln schälte, Minute für 5 Doll. 50 C., da erst reißt sie sich loS, faßt einen Wassereimer, der gerade bei der Hand war und schüttet dem „Frechen" den Inhalt milden Worten ins Gesicht: „Da, für Deine Keckheit." Im Theater ein Jubel, ein Halloh, eine Ekstase; — Die Szene aber bleibt fortab so. Die Engländer am Scheidewege. Aus London hat man immer sehr hoheitsvoll und von oben herunter auf das übrige Europa herabgeschaut, und aus seinen innigsten Gedanken kein Hehl gemacht, die dahin gingen, daß es sich eigentlich nur tn Alt-England zu leben verlohne. Die Briten haben sehr lange Zeit von ihren gesamten Staatseinrichtungen und gesellschaftlichen Verhält nissen eine so hohe Meinung gehabt, daß sie sich nicht einmal die Mühe gegeben haben, mit wirklichem Ernst die Zustände in anderen Ländern zu studieren. Daher kommt es, daß noch heute die Engländer sich außerordentlich schwer entschließen, eine fremde Sprache zu lernen, selbst die hervorragendsten britischen Po litiker und Staatsmänner haben meist nur ihre Muttersprache gesprochen, daher kommt es ferner, daß noch heute sich in den allerersten britischen Jour nalen ganz wunderbare Anschauungen über fremde Länder finden, auch über Deutschland. Der Brite be trachtet eben alles von seinem Standpunkt aus, und giebt sich keine Mühe, ausländische Angelegenheiten nun auch einmal vom ausländischen Standpunktaus zu beurteilen. Daher rührt denn der Egoismus in der englischen StaatSkunst her, die eine Krämerpolitik meist mit allem Rechte genannt wird, weil sie gar keine höheren Gesichtspunkte in Anrechnung bringt, sondern allein den krassen britischen Jnieresseu- Standpuukt. Die englische Nation betrachtet zum guten Teil noch heute sich als eine solche, der das übrige Europa ganz egal sein kann, während die übrigen Staaten ohne Großbritannien nichts Lhun können und nichts thun dürfen. Natürlich ist auch an einsichtigen Leu ten kein Mangel, aber von der falschen Auffassung sind auch solche Leute mehr oder minder befangen, die man wie den alten Gladstone, als wirkliche Staats männer anzusehcn gewohnt ist. Aber während der Hochmut gegenüber dem Ausland den Briten noch erfüllt, haben die Geschicks in seinem eigenen Lande eine Wendung genommen, welche jedem unbefangenen Beobachter die Erkenntnis bringt, daß der völlige Zu sammenbruch der alten, verrotteten Zustände in Großbritannien eine Frage kurzer Zeit ist. Usbes unser deutsches Parteiwesen, das ja so manche Ir rungen und Wirrungen hervorgerufen hat, ist an der Themse außerordentlich viel gespöttelt; aber heute steht es dort schlimmer, wie bei uns, und es ist keine Alles zusammenfassende Kraft vorhanden, Welchs die Lösung energisch hsrbeizuführen vermag. Der Brite rühmt sich großer politischer Rechte; aber dieser selbe Brite besitzt heute noch kein allge meines, gleiches und geheimes Wahlrecht, wie das deutsche Reichstagswahlrecht es istc^Das englische Parlamentswahlrecht weist im Gegenteil noch Bestim mungen auf, die bei uns allseitig als mittelalterliche bezeichnet werden würden. Wir haben bei uns ge wiß schwere politische Kämpfe, aber soweit sind die Dinge denn doch nicht gediehen, daß ein ganzer Reichs teil die Trennung vom Reiche fordert, und das ist doch in Irland faktisch der Fall. Der Boden in Eng land hat im Laufe der letzten Jahre mehr als ein politisches Mißgewächs hervorgebracht, Sozialpolitik und irische Frage haben in gleicher Weiss dazu bei getragen, die Parteioerbände zu erschüttern und zu zerreiben. Jetzt finden Neuwahlen zur Volksvertre tung rn London statt, aber es ist noch sehr die Frage, ob dieselben die erforderliche Stetigkeit ergeben werden, hörte das ganze Gespräch, auch dis nun folgende Erzählung ihres Vaters, die natürlich von eigen er fundenen Zusätzen strotzte. Traurig schüttelte sie den Kopf. „Nein, er ist kein Mörder," murmelte sie vor sich hin, „sonst hätte er mir nicht frei ins Auge blicken köunen. Wenn auch alle an ihm zweifeln, ich allein glaube, daß er unschuldig ist. Armer Klaus!" — Währenddem saß Klaus Harms noch immer bei der Lerche des alten Stoosen, starr vor sich hin- blickend, in Erwartung des Moments, wo Lena kommen und ihren entsetzlichen Verlust erfahren würde. Wohl wäre es ihm tausendmal lieber gewesen, wenn irgend ein anderer ihr die Nachricht mitgeteilt, aber sie besaß keinen Freund außer ihm, der es treu mit ihr meinte und sie schonend vorbereiten konnte. Im Zimmer war's furchtbar kalt, doch Klaus bemerkte es kaum, denn er lauschte angestrengt auf jedes auch das geringste Geräusch vor der Thür. Die Sonne stieg höher, ihre Strahlen begannen die Eisblumen am Fenster zu schmelzen und der ein same Mann fühlte entsetzlichen Durst, aber noch immer kam Niemand. Da endlich, horch! Waren das nicht eilige Fuß tritte, die draußen über den knisternden Schnee daher kamen? Klaus eilte hinaus, damit Lena doch nicht so ganz unvermittelt vor der Leiche des Vaters stehen sollte. Als sie nun vor ihm stand, da las er in ihrem bleichen, zerstörten Gesichte, daß sie, wenn nicht die ganze entsetzliche Wahrheit, so doch einen großen Teil davon wisse." (Fortsetzung folgt.)