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daS verabredete Zeichen. Sofort wendete er sich an den Botschafter mit der ironischen Bitte, ihm z» sagen, welche Zeit es sei. Triumphierend griff der Gefragte in die Tasche und — zog eine Kartoffel statt der Uhr hervor. Alles lachte und selbst er stimmte in dies Lachen ein; indeß war er doch ärgerlich; um dies nun zu verbergen, wollte er eine Prise nehmen — seine Dose war fort. Dann vermißte er auch seinen Siegelring am Finger, endlich den goldenen Zahnstocher, de» er in einem Etui bei sich zu tragen pflegte. Unter allgemeinem Gelächter wurde Ker ver. meintliche Bediente aufgefordert, die Sachen zurück zugeben, aber die Heiterkeit deL Großfürsten schlug in höchste Verwunderung um, als der Dieb 2 Uhren, 2 Ringe usw. zum Vorschein brachte und der Groß fürst erkannte, daß er gleichzeitig selbst mit bestohlen war." — * Der Czar und der Komiker. Es war vor vielen Jahren - so erzählt der Englische Komiker Toole. Ich am» am Newski-Prospekt in Petersburg, wohin mich das Schicksal verschlagen hatte, spazieren, zündete mir gemütlich eine Cigarre an und setzte meinen Weg langsam schlendernd fort. Da trat ein Offizier auf mich zu. „Herr," herrschte er mich an, „wissen Sie nicht, daß es verboten ist, hier zu rauchen?" „Hab' keine Ahnung davon," entgegnete ich. „Aber, wenn's verboten ist, kann ich's ja lassen," und quetschte meinem Glimmstengel das Feuer aus. In demselben Augenblicke stürzten zwei Polizisten auf mich zu, packten mich und schleppten mich trotz meines Sträubens auf die Wache. Hier wurde ich in den Kotter gesperrt, wo Gott weist was für Gesindel bereits ein- logiert war. Stunde um Stunde verging, es wurde Stacht, cs wurde Tag, da endlich wurde ich vor dcu Polizeihaupt mann geführt. „Sie haben mit dem Czaren gesprochen," schnauzte der mich an. „Wissen Sie nicht, dast Niemand Se. Majestät anreden darf?" „Sie entschuldigen," entgegnete ich ruhig, „aber ich habe keinen Menschen augeredet. Dagegen hat mich ein Offizier aufmerksam gemacht, daß man auf dein Newski-Prospekt nicht rauchen dürfe." „Ein Offizier? Das war der Czar. Haben Sie das nicht gewußt?" „Keine Idee." Damit war mein Verhör zu Ende und ich kam in ein besseres Gelaß. Nach einigen Stunden öffnete sich die Thür meines Kerkers. „Sie find frei!" kündigte man mir an. „Se. Majestät wünscht, Sie heute in Audienz zu empfangen." Ich ging natürlich. Czar Alexander II. war äußerst liebenswürdig, entschuldigte sich lebhaft wegen des Vorfalls, den er verschuldet hatte, sprach viel über Kunst und Theater mit mir und entließ mich sehr gnädig. Bevor ich aber ging, faßte ich mir ein Herz nnd sagte: „Majestät, darf ich noch um eine Gnade bitten?" „Sprechen Sie," sagte der Monarch, leicht die Stirn runzelnd, „Dann möchte ich Sie unterthänigst bitten, mich, falls Sie mir wieder einmal begegnen, güstigst nicht ansprechen zu wollen". Ersehntes Glück. Original-Novelle von Marie Wirth. Nachdruck verboten- (Schluß.) Sie sprach nicht zu Ende. Aber ihre Hände streckten sich freundlich zu der Putzmacherin hinüber und es klang fast mütterlich herzlich, als sie sagte: „Wenn Ihr Herr Bruder nur die nötige Aus dauer hat, soll sich auch für ihn noch alles zum Besten wenden. Ich Werde schon die Bedenken, welche meine Tochter hegt, gegen Hochbcrgen vorzugehen, aus dem Felde schlagen. Aber wie gesagt, war ten muß Herr Gilbert können. Denn Sie wissen ja, das Gesetz bedarf zu allen Dingen Zeit, viel Zeit." „Nun und wie geht es Frau Kamilla heute?" fragte Gilbert, als Doktor Maisfeld am Morgen nach dem Tage, dessen im vorgehenden Kapitel ge dacht worden, zu dem Freunde in das behagliche Logierstübchen trat. „Brillant, ganz brillant! trotzdem sich unsere junge Patientin mit Sorgen zu quälen scheint, die sonst jeder Rekonvalescenz entgegenurbeiten. Wenig stens fragte sie gestern Beate wiederholt, ob es ihr wohl gelingen würde, sich hier am Ort eins Existenz zu schaffen. Als ihr die Diakonissin hieraus erwiderte, sie möge nur erst gesund werden, hernach werde sie ihr schon behilflich sein, eine sorgenfreie Stellung zu finden, drückte sie dankbar die Hand ihrer Pflegerin. Gleich darauf seufzte sie jedoch wieder und flüsterte unter hervorbrechevden Thränen: „O, daß ich A—bürg verlassen mußte: Aber mir blieb ja keine Wahl." Hier unterbrach der Oberarzt seine Mitteilungen und schaute nach der Thür, in der sich soeben einer der Diener des Krankenhauses zeigte. „O, verzeihen der Herr Oberarzt, aber es sind zwei Damen draußen, die Herrn Architekt Wirker zu sprechen wünschen." - „Mich?" fragte Gilbert verwundert. In diesem Augenblick öffnete sich die Thür und zum grenzenlosen Erstaunen der beiden Herren stürzte ein kleines vermummtes Etwas in das Gemach und flog direkt dem Architekten um den Hals. „Kleiner," tönte es dabei aus Mantel und Tüchern hervor, „nicht wahr, verblüffter hätte Dich kaum etwas in der Welt machen können, als mein Erscheinen hier? Aber ich habe die ungeheure Reise beileibe nicht aus eigenem Ermessen angetreten! Die ! Dame da —" Und nun löste sich das wunderliche ! Figürchen rasch von der breitschultrigen Gestalt des s Bruders und wandte sich nach der Thür, in die jetzt ° auch Frau von Strahlen getreten war. „Die Dame j da," wiederholte Annette dabei, „ist — ja staune - nur: niemand anderes, als die Mutter Frau Kamillas. , Sie kam nach A—bürg, nm sich der Aermsten anzu- j nehmen. Als sie dieselbe nicht mehr bei uns fand, - überredete sie mich, sie auf der Reise nach H—heim zu begleiten. Doch über dem allem vergesse ich ja! ganz, den Herrn Oberarzt zu begrüßen. Ö, ich erin- I nere mich Ihrer noch ganz genau, Herr Doktor!" I So plauderte daS Fräulein weiter, während sie sich nach dem jungen Arzte umgewendet hatte und ihm die Hand reichte. Gilbert war inzwischen zu Frau von Strahlen herangetreten, um dieselbe zu begrüßen. Jetzt trat auch Malsfeld hinzu und erklärte sich bereit, die Kranke auf den Besuch der Mutter vorzubereiten. „In zwischen machen es sich die Damen wohl bequem", sagte er noch, während er sich schon umwendete, um die Patientin aufzusuchen. Als Maisfeld das Zimmer Kamillas betrat, fand er diese aufrecht im Bette fitzend, während Schwester Beate vor ihr stand. Sie hatte soeben daS prachtvolle Haar der Rcconvaleszentin geordnet und steckte gerade die letzte Nadel in die dunklen Flechten. „Ich bitte um Verzeihung, wenn ich störe, gnä dige Frau", wendete sich der Arzt an die junge Frau, sich ihr nähernd. Und als er die erstaunten Blicke bemerkte, mit welchen die beiden Frauen sein uner wartetes Erscheinen begrüßt, beugte er sich zu Ka milla nieder und sagte freundlich: „Ich will Ihnen nur einen Besuch melden, gnädige Frau". „Eipen Besuch mir? — mein Gott, ich bin ja in H—heim vollständig fremd". „Der Besuch gehört auch nicht in die Stadt", erwiderte der Doktor. „Und wo denn sonst hin? —" „Ja, der Ort ist mir nicht bikannt — aber die Dame nennt sich eine Verwandte von Ihnen". „Eine nahe?" fragte Kamilla. „Eine sehr nahe!" „Meine — Schwester eiwa?" „Nicht doch, dazu ist die Dame zu alt". „Zu alt! O, mein Gott, so — so — so ist sie vielleicht gar meine —. Aber das kann ja nicht möglich sein!" „Es ist doch möglich, gnädige Frau. I tzt aber meine ich auch, Ihnen unumwunden Mitteilen zu können, daß — Ihre Frau Mutter, von Fräulein Annette Wirker begleitet, angslangt ist. Wenn Sie erlauben, hole ich nun die Damen. Aber nehmen Sie sich zusammen, gnädige Frau. Hemmen L>ie so viel als möglich Ihre innere Erregung". Kamilla antwortete nicht. Sie hatte die Hände über das Gesicht geschlagen und weinte leise. Schwester Beate und der Arzt wechselten einen raschen Blick. Darauf verließen sie beide das Ge mach. Eine Minute später aber hielt Frau von Strahlen die verlorene Tochter an ihrem Herzen. Lange vermochten die Frauen kein Wort über ihre Lippen zu bringen. Dann aber war es die ältere, welche die Stille brach. Sie überschüttete Kamilla mit Kosenamen nnd erzählte ihr hernach, so vor sichtig als möglich von dem Jntriguenspiel Elevr oreus Als sie nun jedoch davon sprach, daß sie Kamilla wieder in ihre alten Rechte cinsetzen wolle und die schwergeprüfte Frau von neuem im Vaterhause wohnen würde, schüttelte die ReconvalescentindenKopf. „Das gehr nicht, Mama! So geschändet wieder Name Hochbergen ist, gehöre ich nicht in Dein Haus". „Ich weiß alles, Kind, und sage Dir trotzdem: Du wirst Deinen alten Platz wieder einnehmen". „Aber Kurt ist ergriffen und sieht seiner Ver urteilung entgegen". Frau von Strahlen war erblaßt. Diese Nach richt traf sie doch wie ein Schlag m bas Gesicht. Dennoch faßte sie sich schnell. „Du trägst keine Schuld an den Schurkereien Deines Mannes," erwiderte sie, „und hast es auch bewiesen, daß Du mit denselben nichts gemein haben willst. Wie sollte ich da Anstand nehmen, Dir wieder unser Haus zu öffnen, damit Du an meinem Herzen und in meiner Pflege auch seelisch gesundest. —" H -l- * Es war am Nachmittage desselben Tages Während Gilbert den Dcktor in die Stadt zu seinen Patienten begleitete, um sich von Maisfeld die Er laubnis zu erbitten, Kamilla ebenfalls am nächsten Tage sprechen zu dürfen, saßen die Damen im Zim mer der jungen Frau, wo ihnen der Kaffee serviert worden. Frau von Strahlen hatte mit der Lasse in der Hand auf dem Rand des Bettes ihren Platz genommen und schilderte Kamilla mit beredten Wor ten, wie behaglich sich ihnen nun wieder das Leben gestalten würde. „Ich weiß nur nicht," erwiderte da die junge Frau, welche sich endlich in den Willen der Mutter gefügt hatte, „auf welche Weise ich mich gegen Eleo nore verhalten soll. Meine frühere Zuneigung für sie ist jetzt vollständig erloschen. „Laß Deine Stiefschwester aus dem Spiel, mein Kind! Mit ihr sind wir fertig." „Aber Mama, es ist doch nicht Deine Absicht, die Hand von Eleonore zu ziehen? Mein Gott, was sollte dann wohl aus dem unglücklichen Wesen werden?" „Sorge Dich nicht, Herz. Mittellos stoße ich die Heuchlerin auf keinen Fall aus dem Hause. Ich habe ihr ein Jahrgeld ausgesetzt und sie veranlaßt, dasselbe bei ihrer Tante, dem Fräulein von Horb, zu verzehren. Die Dame hat wiederholt den Wunsch geäußert, die Tochter ihres verstorbenen Bruders bei sich zu haben." Es war minutenlang still in dem Gemach. Die kleine Putzmacherin erteilte dabei ihren Gedanken ' l uneingeschränkt Audienz, ohne auf die geflüsterten I Worte zu achten, die zwischen Mutter und Tochter I gewechselt wurden. Sie dachte an die Bereitwilligkeit, mit welcher Kamilla ihr die Hand gereicht, als sie Versöhnung erbittend vor sie hingetreten. Dann aber kam ihr auch wieder der Bruder in den Sinn. Und sie fragte sich, was wohl Kamilla sagen werde, wenn sie erfuhr, daß er ihr nicht blos nachgeforscht, denn das wußte sie bereits, sondern auch momentan unter einem Dach mit ihr wohnte. Freilich nur noch für einige Tage, dann wollten die Geschwister wieder die Rück reise antreten, während Frau von Strahlen noch so lange in H—heim zu verweilen gedachte, bis sich die Tochter kräftig genug fühlen würde, mit ihr die weite Reise nach W—stein antreten zu können. Gedanken reihten sich an Gedanken in Annettens Hirn. In ihrer Folge aber erinnerte sie sich auch daran, daß Gilbert ihr ja den Brief wiedergegeben hatte, welcher nach Kamillas Flucht in A—bürg an- gelangt war. Er beauftragte sie dabei, denselben in die Hände Frau von Strahlens zu legen. Nun trug sie das Schriftstück schon stundenlang in der Tasche und hatte total vergessen, es an die Mutter der Adressatin abzulicfern. Der Zufall kam Annetten zu Hilfe. Frau von Strahlen erhob sich nämlich gerade jetzt, um aus ihrem Gemach eine Kleinigkeit zu holen. Natürlich eilte Annette nun der Dame noch und als sich beide in dem niedlichen Stübchen sahen, das Maisfeld ihnenangewiesen, zog die Putz macherin den Londoner Brief ans der Kleidertasche und ihn der Matrone reichend, sagte sie: „Hier ist das Schreiben, von dem ich Ihnen schon in A—barg erzählte, gnädige Fran. Sie als Mutter werden wohl berechtigt, ja vielleicht ver pflichtet sein, es zu öffnen." Frau von Strahlen faßte nur widerstrebend nach dem großen wenig vornehm auSsehrnden Couvert. Dann besah sie dasselbe von allen Seiten, las die Adresse und betrachtete das Siegel. Endlich ent schloß sie sich j-dvch, dasselbe zu brechen. Die Damen hatten sich beide gesetzt. Während die ältere las, hinge» die Blicke der jüngeren jedoch verstohlen an den Mienen der Frau von Strahlen, diese aber wechselten merkwürdig. Ohne alle Frage war der Brief, der so lange seiner Eröffnung ge harrt, außerordentlich bedeutungsvollen Inhalts. Plötzlich hob ein tiefer Atemzug die Brust der Matrone. Und das Schreiben in den Schooß sinken lassend, flüsterte sie: „Sie ahnen nicht, Fräulein, was Sie uns allen mit diesem Briefe aufbewahrt. Meldet in demselben doch eiue gewisse Bertha Hild, daß meine Tochter jetzt wirklich frei ist. Kurt von Hochbergev, so schreibt die Dame, ward vor einigen Wochen, wie wir bereits wissen, in Edinburg ver haftet und nach London transportiert, wo man ihn in das Untersuchungsgefängnis setzte. Aus Furcht vor der sicheren Strafe hat der Unselige dort Hand an sich gelegt und seinem Leben durch Erhängen ein Ende gemacht." „Heiliger Gott!" schrie Annette, als die Matrone geendet. Dann aber falteten sich ihre Hände wie zu einem stillen Gebet. Nur mit der größten Vorsicht hatte Frau von Strahlen auch Kamilla die sch verwieg-nde Mitteilung machen dürfen, daß sie sich jetzt vollberechtigte Witwe nennen könnte. Natürlich erfuhr die junge Frau dabei aber nicht, auf welche Weise Kurt von Hoch bergen aus dem Leben geschieden. „Gott war barmherzig gegen ihn und mich," erwiderte Kamilla auf die Worte ihrer Mutter. Dann lehnte sie das dunkle Haupt an die Schulser der Matrone und weinte. Eine Stunde später standen sich im Salon des Oberarztes Gilbert Wirker und Frau von Strahlen gegenüber. Die alte Dame hatte die Hände des Architekten gefaßt. Feuchten Auges in bas schöne Gesicht deL tieferregten jungen Mannes sehend, sagte sie: „Nicht wahr, Sie geben mir recht, wenn ich Sie unter den veränderten Umständen bitte, H—heim zu verlaffen, ohne meine Tochter gesprochen zu haben?" Und garnicht die Antwort Gilbertsa bwartevd, setzte sie hinzu: „Kamilla hat mir, noch bevor sie den Tod ihres Gatten erfahren, ihr Herz auSgeschüttet und ich darf Ihnen sagen, daß Sie mit dem Bewußtsein scheiden dürfen, Ihre Wünsche für die Zukunft erfüllt zu sehen. — Nach einem Jahre erwarte ich Sie denn auch in W—stein, lieber Herr Wirker. Natürlich erwarten wir mit Ihnen zugleich auch Fräulein An nette. Ist es doch nur selbstverständlich, daß die gute warmherzige Seele der Verlobung ihres „Kleinen" beiwohnt." „Oh, gnädige Frau, welches Uebermaß von Seligkeiten schütten Sie über mich aus!" „Still, still, lieber Gilbert. Trotzdem sich der Konflikt in dem Roman Ihres Lebens ohne unser Zuthun gelöst, dürfen wir noch nicht von Glück und Freude sprechen. Auch Kamilla gegenüber will ja der Witwenschleier respektiert werden, wenn er auf ihrem Haupte auch nur die Erlösung bedeutet." Redaktion, Druck »nd Verlag von Carl Matthes iuLichtenüetn (Markt 179).