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„Notiere alles, was im Leben Bemerkenswertes dir vorkommt!" giebt Aufschluß darüber, was das Buch enthält. Herr G., ein vorzüglicher Stenograph und Kenner sämtlicher deutschen stenographischen Systeme, hat den obigen Grundsatz seit über vierzig Jahren konsequent und unermüdlich durchgeführt, indem er Eintragungen in ganz winzigen, aber sehr deutlich und accurat geschriebenen stenographischen Schrift zeichen (Gabelsbergersches System) täglich je zwei Stunden machte. Das ausgewählte Material hat er dem „Leipziger Tageblatt," außerdem aber auch der „Illustrierten Zeitung", „Ueber Land und Meer", der „Gartenlaube", dem „Häuslichen Herd", dem „Altenburger Amtsblatt", sonstigen Lokalblättern und den verschiedensten Büchern entnommen. Auf diese Weise hat er sich in übersichtlicher Weise nützlichen brauchbaren Stoff au« allen möglichen Wissensge bieten: Technologie, Politik, Geschichte, politischer, physikalischer und mathematischer Geographie, Orts und Landesgeschichte, Kulturgeschichte, Naturkunde, Religion, Kunst und Wissenschaft, sowie Biographien über alle bedeutenden und bemerkenswerten Menschen uad hauptsächlich aber statistische Artikel angesam melt. Er ist im Stande, über alle wissenswerten und Tagessragen schnell und sicher Aufschluß geben zu können, da er das Buch als Vademekum stets bei sich führt. Schon mehrfach hat er mit H'lfe seines Tascheulexikous Fragen beantwortet, über welche das Konversationslexikon nicht Aufschluß zu geben vermochte. Herr Giebner aber hat den Stoff nicht nur mechanisch notiert, sondern auch geistig dmch- arbeitet und der Hauptsache nach im Gedächtnisse be halten. Um seine Gattin nicht mit seiner Liebha berei zu belästigen, steht Herr G. fast regelmäßig Sommer und Winter schon früh 4 Uhr auf und ver kürzt sich ans diese Weste seine von ihm sorgfältig ausgenützte Geschäftszeit nicht. Diese« selbstgeschrie bene Buch hat selbstverständlich «inen großen Wert für seinen Besitzer, und ist deswegen einzig in seiner Art, weil es sich durch gedrängte Kürze, Reichhal tigkeit des Stoffes, Schönheit und außergewöhnliche Sauberkeit, Uedersichtlichkett, handliches Format und Kleinheit auszeichnet. Bon seinen! Besitzer wird es als kleines Heiligtum behandelt. Das Büchlein ist der verkörperte Beweis des Wo res: „HuIIa äiss siiro liuoa", es zeigt, wie Beharrlichkeit zum schönen Ziele führt. Z Berlin, 25. Juni. Düs „Kl. Journ." schreibt: „Der Besuch des Kaisers in München, welcher soviel Aufsehen erregt hat und in der Presse so verschiedenartig kommentiert wurde, muß, wie wir aus bester Quelle erfahren, darauf zurückgefühct werden, daß der Prinzregsut von Baiern sein Er scheinen in Hamburg zu den Festlichkeiten deswegen in Frage gestellt hatte, weil die Kaiserin beim Festmahl in Hamburg durch einen Hamburger Senator zur Tafel geführt werden sollte. Prinz Lustpo-d glaubte hierin eine Zurücksetzung seiner Person erblicke» zu sollen. Dis Euqaetteftage konnte erst durch Ger- mittelung des Kaisers beseitigt werden, welcher die Angelegenheit so ordnete, daß die Kaiserin überhaupt nicht in Hamburg erschien." Das Blatt fügt hinzu, es halte an der Richtigkeit seiner Nachricht fest, trotz aller etwa kommenden Dementis. Z Berlin, 25. Juni. Die offiziöse „Nordd. Allg. Ztg." führt an leitender Stelle bezüglich des Verhältnisses der Vertretung Frankreichs bei der Kanaifeier u. a. aus: Es lag in der Thal nahe, die Frage aulzuwerfen, ob das Programm, das von dem Minister Hanoiaux mit den Worten: „Sollten wir einen Mißton in da« friedliche und internationale Fest bringen?" ausgegeben war, in Wahrheit ein gehalten wäre. Hätten der Chef, dis Offiziere und die Mannschaften des nach Kiel gesandten französischen Geschwaders genau in allen Punkten dieselbe Hal tung beobachtet, wie die Vertreter der anderen See mächte, so war jedes Aufsehen, jede Möglichkeit zu einer irrigen Auslegung und jede Gefahr, einen Mißton zu schaffen, sicher in der einfachsten Weise vermieden. Mit jedem Abweichen von der allge meinen Linie des Verhaltens traten die Vertreter Frankreichs dagegen auf eine Bahn hinaus, wo der Mißton gefunden werden konnte und der Zweifel Spielraum gewinnen mußte, ob der von Hanotaux Proklamierte Grundsatz der korrekten Höflichkeit inne gehalten würde. Es ist begreiflich, daß sich die Kritik der Presse insbesondere mit dem demonstrativen An schluß des französischen Geschwaders an die russische Flotte bei der Einfahrt in die Kieler Bucht beschäf tigt hat, and daß die Frage aufgeworfen ist, ob nicht dieser ooup clo maiu als ein den Gesetzen der Kour- toisie zuwiderlaufender Mißbrauch einer loyalen und ohne jeden hinterhältigen Gedanken ergangene Ein ladung darstelli. Aber auch beispielsweise das für die Mannschaften der französische« Schiffe erlassene Verbot, an Land zu gehen, mußte überraschen und auf deutscher Seite schwer verständlich erscheinen. Fürchtete man unliebsame Szenen, Konflikte, vielleicht gar blutige Schlägereien mit den deutschen Marine- mannschasten? Auf unserer Seite war man des Tak tes und der jeder Probe gewachsenen Disziplin un serer Matrosen vollkommen sicher. Oder fürchtete man vielleicht noch mehr, daß die mit aller An strengung festgehaltens Atütude der Kälte, der fin steren Zurückhaltung und der Todfeindschaft eine Erschütterung erfahre und zum Entsetzen für alle Chauvinisten tu Frankreich eine ganz gemütliche und freundliche Kneipgemeinschaft, ohne einen Gedanken an die vorschriftsmäßige patriotische Trauer, zwischen den deutschen und französischen Marinemaanschasten sich entwickln würde. 8 Das Sitzenbleiben der mächtigen Salondampfer „Kaiser Wilhelm II." und „Viktoria Augusta", so wie das Versagen der Steuerung der königlichen Jacht „Osborne" und des russtsch-n Panzers „Gros- jaschtichi" bei der Fahri durch den Kaiser Wilhelm- Kanal, das auf die geringe Waffermaffe des Kanals zurückgeführt wird, bestätigt, w!e es scheint, die be reits früher ausgesprochene Ansicht, daß der Kanal zu seicht ist und der Vertiefung b-darf. Jedenfalls werden alle Schiffe von großem Tonnengehalt urd starkem WasserverdräNgungSvermögen durch die bis her gemachten Erfahrungen mit jenen beiden Fahr zeugen, sowie diejenigen mit dem „Adler" und der ,,Hohenzolftrn" zur Benutzung des Kanals keines wegs ermutigt, und es dürften daher bis auf Weiteres gerade die am meisten Kauaigebühr zahlenden größten SchffH für dis Benutzung des Kanals ausfalle». Unter diesen Umständen, da mit der Zeit nicht so wohl eine Vertiefung des Kanals wie ein Serchter- werden desselben infolge von Abspülung und Nach sinken der Wände durch die wenn auch geringe Strö mung mW Bewegung des Wassers zu besorgen ist, werden schon jetzt beachtenswerte Stimmen laut, welche empfehlen, den Kanal nochmals um 1—Ifts Mtr. zu vertiefen, um sowohl den Handelsschiffen von größtem Tiefgangs wie auch den gleichen unserer Kriegsmarine volle Sicherheit für ein Passieren zu bieten. Namentlich im Kriegsfalls vermag ein un vermuteter Aufenthalt um Ibft Stunde der den Kanal passierenden Schiffe unter Umständen höchst em pfindlich zu werden und der Handelsve-.hr wird durch Stockungen abgsschreckt. Z Bei der Festtafel in Holtenau waren an dem Aufgange zum Achterdeck des Festschiffes, aus welchem die in Hufeisenform hergerichtete Tafel für dis Fürstlichkeiten gedeckt war, an jeder Sette Ma trosen in den Marineanzügen aus der Zeit des Großen Kurfürsten aufgestellt, welche durch ihre eigentümlichen Stellungen allgemeine Aufmerksamkeit erregten. Sie standen wie aus Wachs gegossen und machten nur ab und zu gleichmäßige Bewegungen, um die Stellung zu ändern. Weiter ist die groß artige Dekoration der sämtlichen 23 Tafeln zu er wähnen, die alles bisher Dagewesene übertroffen hat. Auf der 40 Meter langen Kaifertafel stand vor den Plätzen des KaiftrpaareS ein drei Meter langes Blumenarrangement von entzückender Pracht. Der Behälter, in dem sich dasselbe befand, bestand in einem nachgebildeten Schiffsrumpf in Gestalt eines Wikingerschiffis, dessen Msttelraum ausschließlich mit Kornblumen gefüllt war. Das Vorder- wie das Hinterteil des Schiffes zeigte eine Fülle der ausge suchtesten La Frarcs-Rosen in Riesen Exemplaren, aus denen nach beiden Enden Füllhörner heraus ragten, welche goldene, silberne und wirkliche Aehren, mtt denen auch die Seitenflächen des Schiffes deko riert waren, auf ein Parterre von Rosen ergossen. Die beiden Tafeln dem Kaiserpaare gegenüber, an denen die Prinz-n speisten, waren nur mit Marächal- N el Rosen dekoriert, die andere ebenfalls nur mit Rosen, jedoch in abwechselnder Farbe. Auf jeder Tafel standen zwei große Blumenschiffe und um die Früchte herum außerdem noch Rosen. Welch' eine Fülle von Rosen vo Halden gewesen, beweisen die Zahlen: Auf der 40 Meter langen Kaifertafel sind nicht weniger als 1570 Dutzend, also 18,840 Rosen zur Dekoration verwandt worven, auf den übrigen Tafeln 2280 Dutzend La Franc- Rosen, 500 Dutzend Ma- laLal-Nwl-Rosen, 4000 Dutzend rote Rosen, 1400 Dutzend rosa und Moire de Dijon. Z Kiel, 25. Juni. Der Kaiser verläßt Kiel am 28. d. M. und kehrt am I. Jul! hierher zurück, um seine Nordlandsreise anzutreten. — Eines der in See gegangenen italienischen Schiffe ist bei Omoe ans Grund geraten und sitzt noch fest. Tue Unfall- stelle lst dieselbe, wo seinerzeit die „Kaiserin Augusta" aus Grund gelaufen war. — Heute fand im hiesigen Kriegshafen ein Zusammenstoß zwischen dem Kreuzer „G fion" und dem Frachtdampfer „Karl" statt. Letzterer wurde oberhalb der Wasserlinie schwer be schädigt und nach Howaldtswerf zur Reparatur ge bracht. Z Kiel, 24. Juni. In dem unter dem Pro tektorate der Kaiserin für die Tage der Kanalfeier- lichkeiteninVorsbroo? zwischen Holtenau u. Friedrichs- ort errichteten Lazarett ist em wegen Sonnenstich eiugelieferter Matrose gestorben. Z Hamburg, 24. Juni. Der Schiffer Rich. Erpel, welcher, wie erinnerlich, wegen seiner Betei ligung an dem Ueberfall auf den Nachtwächter Zieg ler gefänglich eingezogen war, ist gestern auf dem hiesigen Berliner Bahnhof seinem Transporteur ent sprungen. Etpelwar von Plötzensee hierhergebracht, um einem gerichtlichen Termin beizuwohnen, und sollte an demselben Tage wieder nach Berlin trans portiert werden, weil morgen die Schwurgerichtsver- handlung gegen ihn beginnen Zollte. Trotzdem seine Hände gefesselt waren, gelang es ihm, in der Menge zu verschwinden. Der Trübet, Herwegen der Kieler Extrazüge auf dem Berliner Bahnhöfe in Hamburg herrschte, erleichterte seine Flucht. Z Eine Millwnensrbschaft ist einem armen Dienstmädchen in Rixborf zugefallen. Das Mäd chen, Hulda Baer, hat, wie amtlich bestätigt wird, von einem in Schweden verstorbenen weitläufigen Verwandten 8 Millionen Mark geerbt. Die glück liche Erbin lebte bisher in äußerster Dürftigkeit mit ihren beiden Kindern von der Armen-Unterstützung, welche die Gemeinde ihr gewährte. Sie ist sehr er freut, daß sie jetzt von ihrem Schatz geheiratet wer den wird. Ihr Gedankengung ist nicht allzuhoch Ersehntes Glück. Original-Novelle von Marie Wirth. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Mit der großen weißen Hand Frau von Strah len in einen Sessel drückend, rief der Mcdizinalrat mit einer Stimme, deren merkwürdiger Diskant wun derlich von der massiven Erscheinung des Mannes abstach: „Setzen, setzen, Gnädige —. Ich finde auch so meinen Platz. Uebrigens will ich Ihnen nur gleich sagen, daß ich heute nicht zu einer ärztlichen Visite komme. Da Sie mich nicht gerufen, kann ich ja auch überzeugt sein, daß es Ihnen nirgends fehlt. Oder doch? Aber, um Gotteswillen, Verehrtcste, glauben Sie nur nicht, daß Sie klagen müßten, weil ich einmal hier bin! Bei Leibe nicht! Denn ich sage Ihnen, körperlich sind Sie jetzt vollständig ge nesen. Wenn Sie sich aber trotzdem nicht behaglich fühlen, so liegt der Grund — tiefer, als in einer kranken Leber oder in der in das Blut getretenen Galle —. Das Gewissen quält Sie — weiter nichts." „Aber Herr Medizinalrat!" Frau von Strahlen hob empört die schmalen weißen Hände. Trotzdem sie die Grobheit des Arztes zur Genüge kannte und wußte, daßWolter sich selbst den allerhöchsten Herrschaf ten gegenüber niemals ein Blatt vor den Mund nahm. „Na, na, nur nicht die Empfindliche zeigen!" rief der alte Herr da, indem er sich so gewaltsam in einen Polsterstuhl warf, daß das elegante Möbel beängstigt in seinem Gefüge krachte. „Heute hilft Ihnen selbst die hochmütigste Miene nicht vor meiner Aufrichtigkeit. Weiß der liebe Himmel, ich habe lange genug geschwiegen — habe gethan, als gingen mich alle Allotrien dieses Haufes absolut nicht das geringste an. Unrecht genug von mir! denn Ihr ver storbener Mann, mein lieber Strahlen, war mein bester Freund. Und Kamilla hab' ich mit diesen Händen über die Taufe gehalten." „Herr Medizinalrat, ich bitte Sie, den Namen der Unseligen nicht vor mir zu nennen!" rief jetzt Frau von Strahlen, und der Stolz, die alte Härte lag wieder auf dem Gesicht der Matrone. „Gerade werde ich von ihr reden — gerade!" entgegnete der Arzt jedoch. Und sich mit beiden Händen in den Busch von schneeweißen Haaren greifend, der seinen großen roten Kopf zierte, setzte er hinzu: „Ich bin es dem toten Freunde dort draußen in der Gruft seines Geschlechtes schuldig, daß ich den Mund vor Ihnen aufthue, gnädige Frau. Oder glauben Sie, Strahlen hat es gewünscht, daß sein einziges Kind in Armut und Dürftigkeit lebt — daß es für sein täglich Brot arbeitet, wie der Niedrigsten einer? Während Sie — Sie die Frau, die diesem unglücklichen Geschöpf das Leben gegeben, den rechtmäßigen Besitz dcs!ckben in die Hände einer — na, verzeihen Sie das häßliche Wort — einer Heuchlerin legen? denn das ist Eleonore von Horb — die Tochter Ihres ersten Gatten. Alle Welt weiß das und nennt sie auch nicht anders als die — buckliche Pharisäerin." Wieder erhob Frau von Strahlen abwehrend die Hände: „Sie thun Eleonore Unrecht," sagte sie aufge regt. „Im übrigen sind Sie ebenfalls durchaus schlecht unterrichtet. Kamilla denkt nicht daran, für ihre Existenz zu arbeiten. Im Gegenteil, sie — sie —. Aber weshalb vor Ihnen ein Geheimnis aus der ganzen fürchterlichen Geschichte machen," unterbrach sie sich und erzählte dann mit fliegendem Atem, daß Curt von Hochbergen sich in London der schmählichsten Betrügereien schuldig gemacht. Wie ex dann mit den großartigen Errungenschaften der selben geflüchtet und — Kamilla ihn begleitet habe. Wiederholt zornig mit der Hand auf die Lehne schlagend, hatte der Medizinalrat den Worten seines Gegenübers gelauscht. „Habe von den Schwindeleien Hochbergens ge lesen," sagte er jetzt, „ich weiß aber auch, daß Ihr Schwiegersohn nur zum Verbrecher wurde, weil ihm die Mittel fehlten, sein Weib zu unterhalten. Warum nahmen Sie sich nicht des jungen Paares ay, Gnä digste, nachdem es mit dem lait aoaompli seiner Verbindung vor Sie hingetreten und alles Mögliche versucht hatte, um Sie mit dem gethanen Schritt zu versöhnen?" — „O!" Frau von Strahlen erhob sich. „Das thaten jene beiden ja eben nicht!" rief sie. — ES sind fünf Jahre vergangen, Doktor, seitdem Kamilla heimlich wie eine Diebin das Haus verließ, um sich gegen meinen Willen mit dem Schurken von Hoch» bergen zu vereinen. Und während dieser fünf Jahre hat sie auch nicht das geringste Lebenszeichen von sich gegeben." „So wähnen Sie, Gnädigste, die Sie auf die raffinierteste Weise hinter das Licht geführt wurden — von ihrer lieben Stieftochter natürlich. Und da bei wollen Sie es nicht einmal gelten lasse», daß