Volltext Seite (XML)
8 Altenburg, 20. Juni. Gestern Morgen rückte, wie jetzt alltäglich, das hiesige erste Bataillon vom 96. Regiment nach der Leima zum Exerzieren aus. Den ganzen Vormittag herrschte nun eine so schwüle Temperatur, welche dem Einjährig-Freiwillig- Gefretten vr. gur. Pabst verhängnisvoll werden sollte. Auf dem Rückmärsche konnte er im Dorfe Nobitz nicht mehr fort. Es wurde ihm deshalb das Gewehr ab genommen und ihm zur Unterstützung ein Lazarett gehilfe beigegeben, mit welchem er dann den Weg bis zur Vorstadt Neue Welt zurücklegte, dann aber sich plötzlich verfärbte und zusammenbrach. Von da wurde er ins Lazarett transportiert, wo er abends 8 Uhr, ohne wieder zur Besinnung gekommen zu sein, verschied. Hitzschlag soll die Todesursache sein. Er war der einzige Sohn hochgeachteter Eltern und be rechtigte zu den schönsten Hoffnungen. 8 Berlin, 21. Juni. Ein schreckliches Fami liendrama hat sich in der Schwedterstraße im Norden Berlins abgespielt. Der Lackierer Willy Kühne hatte seine junge Frau schwer mißhandelt, sodaß sie in der Angst aus der Höhe des vierten Stockwerkes auf die Straße htnabsprang, wo sie mit zerschmetterten Gliedern liegen blieb. Einige Personen sollen gesehen haben, daß Kühne seine Frau, welche sich an das Fenster brett anklammerte, auf die Straße hinabgistoßen habe. Die junge Frau liegt im Krankenhaus hoffnungslos darnieder. Kühne wurde in Haft genommen. 8 Berlin, 21. Juni. Das Bremer Salon schiff „Kaiser Wilhelm II/', welches den Bundesrat und einen großen Teil der Fürstlichkeiten an Bord batte, lief während der Fahrt durch den Kanal bei Neuwittenbek unweit der Levensauer Hochbrücke fest. Wie verlautet, hatte der Kavita», da die Dämme noch nicht ganz fest sind, in Anbetracht des gestrigen Regens langsam fahren müssen, was bei der Größe des Schiffes dessen Steuerfähigkeit sehr beeinträchtigte. Das Schiff hatte sich quer in den Kanal gelegt, so daß kein anderes Schiff an ihm voroeikvnnte. Durch seine Noffignale aufmerksam gemacht, eilte ein Rends burger Schleppdampfer herbei und brachte das Schiff nach I^/sftündiger Verspätung wieder auf. Das lange Ausbleiben des Schiffes, welches das dritte in der Reihe war, hatte auf allen Schiffen im Kieler H neu die größte Unruhe hervorgerufen. Auch der Kaiser war offenbar in großer Unruhe. Alles atm Ne auf, als endlich um ^5 Uhr das Schiff sich zeigte, von dem Schlepper gezogen. Schaden hatte es durchaus nicht erlitten. Das Schiff fuhr, sowie es den Kanal verließ, an dem „Kaiseradler" und der „Hohenzollern" vorüber, in deren Nähe es sestmackie. Die übrigen Schiffe mit den kaiserlichen Gästen folgten sehr schnell hintereinander, doch hatte auch die englische Jacht „Osborne" eins Zeit lang dem Steuer nicht gehorcht, konnte aber doch ohne fremde Hilfe aus dem Kanal auslaufen. Kleine Unfälle haben sich auch auf der andern Seite des Kanals bei Brunsbüttel ereignet. Die Durchfchleusung der Schiffe mit den kaiserlichen Gästen verzögerte sich, wäl die Welle des linksseitigen Schleusenthoccs brach. Ferner funktionierte die über den Kanal führende Eisenbahn-Drehbrücke bei Bruns büttel in den Morgenstunden nicht, insvlgeLcssen war die Durchführung der Züge unmöglich und es folgte eine mehrstündige Berspästgung. Das große Feuer werk, welches gestern Abend auf den umliegenden Höhen und den elektrisch erleuchteten Schiffen statt- finden sollte, wurde durch ein furchtbares Gewitter, welches gegen 9 Uhr ausbrach, erheblich gsfiö t. Auf den englischen, österreichischen und italienischen Schiffen wurden trotz dcs bis nach Mitternacht strö menden Regens fortgesetzt Leuchtkugeln und Raketen von seltener Pracht abgeschofsen, doch kam das Feuer- werk nur zur halben Wirkung. — Der Schlußstein bei der Holtenauer Mündung wiegt 40 C-ntner. Er wird bei der heute flattfindenden Einweihung sofort übermaueri werden, um den Grundstein zu bilden für das Denkmal Kaiser Wilhelms I., des Gründers des Nord-Ostsee-Kanals, welches voraus sichtlich aus dem Ueberschuß der Kanalbausumms errichtet werden wird. — Die Kunde von der Ankunft des Kaisers in Holtenau ist durch 1600 Brieftauben nach allen Gauen Deutschlands verbreitet worden. — Es werden Klagen laut über die unzulänglichen Vor kehrungen, welche am Mittwoch Abend in Hamburg für die Bewältigung des außerordentlich großen Ver kehrs nach Kiel getroffen waren. Es spielen sich in folgedessen auf den Hamburger Stasionen außerordent lich unerquickliche Szenen ab. Eisenbahnmimster Thielen soll am Klosterthorbahnhof den Vorgängen kopfschüttelnd zugesehen haben. Die Taschendiebe übten eine sehr rege und erfolgreiche Thätigkeit aus. Dem Korrespondenten des „Standard" gelang es, einen Taschendieb festzunehmen, der ihm gerade das Portemonnaie aus der Tasche gezogen hatte und dessen Taschen mit Portemonnaies und Wertsachen gefüllt waren. 8 Einem in Hamburg zur Kanalfeier weilen den Fremden wurden am Mittwoch drei Portemon naies gestohlen; eins enthielt 500 Mark in Gold und Papier, die anderen beiden zusammen etwa 50,000 Mark, nämlich 14,500 Mark in Papier und eine Anweisung auf 1500 Pfund Sterling, Nr. 498 auf B. F. Praag an Ms. Emma L. Wilmerding, Well- fare u. Co., sowie einen Check über 400 Mark von Heinrich Donner, ferner einen Brief der Adresse Herrn Paul Rosenbaum, Berlin. — Außer diesem Diebstahle ist bereits eine ganze Anzahl anderer Taschendiebstähle zur Anzeige gebracht, bei denen es sich um kleinere Beträge handelt. 8 Kiel, 21. Juni. Der gestern abend statt gefundene Ball in der Marine - Akademie war von ca. 2000 Personen besucht. Neben dem Akademie- ! gebäude ist im Garten ein großes Zelt als Ballsaal errichtet. Während der Ankunft des Kaisers und dem großartigen Feuerwerk entlud sich ein schweres Gewitter. Da« Kaiserpaar hielt einen einstündigen § Cercle, während welchem die Kommandanten der aus ländischen Schiffe vorgestellt wurden. Unter anderen war auch der französische Admiral Menard mit meh> reren französischen Offizieren anwesend. Außer dem König von Württemberg, den Pcinzregenten von Bayern und Braunschweig und anderen Fürstlich keiten war auch König Albert in der Uniform seines 2. Garde - Ulanenregiments erschienen, ferner die Minister von der Planitz und von Watzdorf mit Ge mahlin und Kammerherr von Leipzig r. Die Rück kehr eifolgte unter andauerndem Regen. — Heute vormittag war prachtvolles Wüter. Der Kaiser trug die Uniform der Garde du Co,ps, König Albert Generalfeldmarschalls - Uniform mit dem Schwarzen Adlerorden, Die Kaiserin trug rosa Kleid, dunkel- rotes Cape mit Goldstickerei und kleinen Hut mit dunklen Rosen. Bei der Ankunft und Abfahrt führte der Kaiser die Kaiserin am Arm. Die ganze Feier dauerte etwa eine halbe Stunde. 8 Holtenau, 21. Juni. Die Schlußstein legung ist programmmäßig verlaufen. Vom Hofe traf zuerst kne Prinzessin Heinrich, geführt vom Prinzen Albrecht ein, später der Kronprinz und die Prvzen Eitel Friedrich und Adalbert, erstere Beiden in Uniformen des I Garderegiments zu Fuß, letzterer in Marineuniform Der Kronprinz und Prinz Eitel Friedrich traten bei der Leib-Kompanie des I. Gar- deregimentsszu Fuß, P unz Adalbert bei der von der Matrosknartillenegestellten Ehrenkompanie ein. Punkt 11 Uhr erschienen der Kaiser und die Kaiserin mit dem Pcinz n August Wilhelm Der Kaiser begrüßte die Truppen, worauf er den Kanal weihte. Se. Majestät sprach: „Zum Gedächtnis Kaiser Wilhelm des Großen taufe ich den Kanal: „KaiserWilhelm- Kanal" und begleitete daraus die drei Hammerschlägs mit km Worten: „Im Namen des dreieinigen Gottes, zur Ehre Kaster Wilhelms, znm Heile Deutschlands, zum Wohle der Völker!" Nach den Hammerschlägen fiel die Musik mit der Volks hymne ein und die Beschütze feuerten Salut. Die Matrosenartilleris gab die ersten Schüsse, worauf sämtliche im Haien liegenden Schiffe ein fielen. Nach dem alle dazu Berufenen die Hammerschlag« geihan hatten, brachte Reichskanzler Fürst Hohenlohe das Hoch ans den Kaiser aus, in das die Menge begeistert einstimmte. Nach der Feier begrüßte der Kaiser die im Kaiserzelt anwesenden Damen und führte dann s die Kaiserin zur Landungsbrücke, die Soldaten mit s Ade! begrüßend, was von den Soldaten laut er- s wiedekt wurde. Hierauf kehrten der Kaiser und die i Kaiserin mit Gefolge an Bord der „Hohenzollern" zurück. Das Wetter war während des ganzen Ver laufs der Feier prachtvoll. Z Die Franzosen in Kiel. Offiziere wie Mann schaften der drei französischen Schiffe, sind gar nicht so unebene Leute und machen keineswegs den Eindruck, als ob sie vom Chauvinistenfieber befallen wären. Wahrscheinlich würden sie gerade so gern vergnügt sein und sich an den v ranstaiteien Festlichkeiten ebenso beteiligen, wie die Seeleute der übrigen bei den Fest lichkeiten vertretenen Nationen, wenn ihnen nicht die strengen Vorschriften der französischen Regierung, die vor den Chauvinisten ja doch eine Heidenangst hat, nicht die Hände bänden. Daß den Mannschaften jedes Betreten des deutschen Bodens untersagt war, und deshalb auch die Einladung zu einem recht hüb,ch arrangierten Mannschaftsfest abgelehnt wurde, ist bekannt. Aber auch die Offiziere haben sich von allen kleinen und intimen Festw'tätsn, wie bei solchen Gelegenheiten dieselben veranstaltet werden, fernge halten, und nur an den offiziellen Akten, Festball und Festbankett, haben sie teilqenommm. Außerdem hat ein einziges, ebenfalls offizielles Diner an Bord des deutschen Panzerschiffes „Baiern", dem die Franzosen sich nicht wohl entziehen konnten, stattgefunden, und der französische Admiral revanchierte sich sodann an Bord seines Flaggschiffes „Horche." Die vorher festgestellten Trinksprüche galten dem deutschen Kaiser, dem Präsidenten der französischen Republik und der internationalen Marine-Kameradschaft. Daran werden hoffentlich die Deutschsnfresser an der Seine nichts auszusetzen haben. 8 Von einem gelegentlichen Mitarbeiter erhält die „Franks. Ztg." aus Kopenhagen folgende Zu schrift: „Es läßt sich nicht leugnen, daß nächst Deutsch land Dänemark das Land ist, das an den Feierlich keiten, die den früheren dänischen Kriegshafen Kiel zum Schlußpunkt habe», gewissermaßen am meisten beteiligt ist, und es ist eigentlich recht merkwürdig, ' daß keine einzige Stimme von irgend welcher Bedeu tung sich gegen die Teilnahme Dänemarks an diesen Feierlichkeiten erhoben hat. Unter diesen Verhält nissen dürfte es nicht ohne Interesse sein, zu erfahren, daß die dänische Regierung, nachdem sie die Einla dung zu den Eröffnungsfeierlichkeiten erhalten hatte, . ernstlich darauf bedacht war, dankend abzulehnen. Im Staatsrat, wo die Angelegenheit eingehend er örtert wurde, beschloß man, die Einladung erst dann zu beantworten, wenn man von der Stellungnahme Frankreichs offiziell erfahren hätte; wenn Frankreich abgelehnt hätte, wäre Dänemark diesem Beispiele ge folgt. Als nun aber die französische Regierung, nicht ohne ernste Bedenken, wahrscheinlich dem Rat schlage Rußlands folgend, die Einladung acceptierte, erfolgte auch die Annahme von Seiten Dänemarks". 8 Ein als Missionar auftretender Mann namens Schenk ist wegen SittlichkettSverbrechen in Nixdorf bei Berlin verhaftet worden. Sch. hatte sich im dortigen „Vereinshaus" unter dem Titel eines Mis sionars und Diakonus eine Wohnung gemietet. Al» er nicht mehr imstande war, die Miete zu bezahlen, so daß ihm die Dorssche Bibel-Ausgabe abgepfändet wurde, schöpfte die Polizei Verdacht und erkundigte sich nach dem Vorleben des angeblichen Missionars. Hierbei stellte sich nun heraus, daß er bereits eine längere Zuchthausstrafe verbüßt hak. Sch. wurde nun von der Polizei aus Rixdorf ausgewiesen, ver ließ den Ort jedoch nicht, sondern logierte sich in eine Kellerwohnung der Ziethenstraße ein. Hier hat er nun die Verbrechen verübt, die zu seiner Verhaf tung geführt haben. * * Ein junger Mann in Wien hatte eine un erwartete reiche Erbschaft gemacht; er lud seine Freunde zur Feier ein und es ging hoch und lustig her. „Ein Glas dem toten Onkel!" rief ein Gast. Da klopfte es an die Thür — einmal, zweimal, dreimal. „Herein!" Herein tritt eine hohe weiße Gestalt und schreitet im Geisterschritt, das Gesicht und die eine Hand gegen den Gastgeber erhoben, dicht an den Tisch heran. „Mein Onkel!" ruft der junge Mann totenbleich und sinkt ohnmächtig nieder. Seit Wochen liegt er im Nelvenfieber und niemand konnte ihm bis jetzt sagen, daß der Onkel von einem Freunde, einem Schauspieler gespielt worden war, der sich nach einem Bilde des Alten maskiert hatte. * * Graz, 21. Juni. Infolge eines schrecklichen Wolkenbruches mit Hagelschlag sind in Ober-Stey r- mark alle Kulturen vernichtet. Die Bahnstrecken wurden stellenweise aufgerissen. Dammbrüche und Damm- Rutschurgen unterbrachen beu Eisenbahn-Verkehr zwischen Mürzzuschlag und Graz. Mehrere Brücken wurden weggerifsen. Der Hagel liegt stellenweise fußhoch. * * Pest, 21. Juni, 'lieber d-e Stadt ging nachts ein furchtbares Unwetter nieder. Der Blitz schlug in die Villa des deutschen Generalkonsuls, Prinzen Radibor. Das Gebäude stand binnen weni ger Minuten in Flammen. Die Bewohner konnten sich noch rechtzeitig retten. * * Sofia, 21. Juni. Die Confl kte an der türkisch-bulgarischen Grenze nehmen kein Ende. Po- maken (muhamedanische Bulgaren) wollten Vieh nach Bulgarien ewschmuggeln; von bulgarischen Militär posten angehalten, zogen sie sich zurück auf türkisches Gebiet, kehrien indeß, mit Gewehren bewaffnet, zu rück und gaben Feuer, welches die Soldaten erwider ten. Einige Soldaten wurden getroffen. Das Man- lichtergewehr der bulgarischen Truppen soll unter den Angreifern furchtbar aufgeräumt haben. * * Paris, 21. Juni. Der „Matin" meldet aus Kiel, daß der Admiral Menard sich auf dem gestrigen Ball in der Manneakademie mit großer Geuugthuung über die liebenswürdige Aufnahme der französische» Offiziere seitens der offiziellen Persön lichkeiten und der Bevölkerung ausgesprochen hat. — Cassagnac rechnet in seinem Blatte Rußland alle Wohlthaten vor, die es von Frankreich empfangen habe, und fährt fort: Wir sind den Raffen sehr böse, daß sie uns nach Kiel geschleppt haben. Was für Nutzen haben wir davon, daß wir alles für Rußland thun, während Rußland weder unser Geld, noch unseren Stolz und unsere Ehre schont. Das Russen- Trutzbündnis hätte nur den Zweck, uns vor einem Kriege mit Deutschland zu bewahren, sobald wir uns mit Deutschland versöhnen, brauchen wir diesen Schutz nicht, und da wir in Kiel den Becher der Schande geleert haben, so können wir uns ebenso mit Deutschland verbinden und brauchten für Ruß lands gute Dienste keinen übermäßigen Maklerlohn zu bezahlen. * * Paris, 20. Juni. Der offiziöse „Temps" bespricht in einem „Ein Friedensfest" betitelten Ar tikel die Rede des Kaisers Wilhelm. Der Kaiser habe nicht nur in sehr trefflichen Worten vom Frie den gesprochen, sondern er habe demselben einen wahren Dithyrambus gewidmet. „Die Worte des Kaisers hatten den richtigen Ton. Man fühlte, daß der Kaiser ergnffen war und den empfundenen Ein druck treu wiedergab. Die zivilisierte Welt wird mit Freude die Rede aufnehmen, welche der Kieler Feier einen geziemenden Charakter verleiht." Die „Werts" stellt fest, daß die Rede des Kaisers einen derartig stark betonten friedlichen Charakter hatte, daß sie überall mit Recht einen lebhaften Eindruck Hervor rufen müsse. Die Verwaltung des Nord-Ostsee-Kauals wird durch ein besonderes „Kanalamt" geschehen, das dem Reichsamt des Innern unterstellt ist, wie bisher die Kaiser!. Kanalbaukommission es war. An seiner Spitze steht ein Präsident, der in seiner Amts- thätigkeit am besten wohl den preußischen Eisenbahn- Präsidenten zu vergleichen ist. Ihn unterstützen in der Zentralleitung zwei Direktoren, sowie ein Bureau von sechs Sekretären, den nötigen Assistenten, Schrei bern, Zeichnern usw. Die Bauverwaltung liegt in den Händen von zwei Bauinspektoren und einem