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leit an mir übten". — Sie küßte herzlich das run zelige Gesicht der Alten. „Nicht so, mein Herzchen!" wehrte diese. „Sie sind gewiß nicht so schlecht wie der Mann sagte — Sie haben ein so schönes, gutes Antlitz— eins, das man immer ansehe» möchte! Doch ich schwatze und müßte längst Feuer gemacht haben! Ist es warm hier, so kleide ,ch Sie aus, Sie müssen schlafen bis zum Hellen Mittag". »Ja, ja", flüsterte Mela. „Ich möchte schlafen — immer — immer! — Das Leben ist so hart. — O, wie ich gelitten! —" ,,Kind, Sie haben schon Fieber! Hier sind Decken!" Sorglich hüllte sie das Mädchen in seidene Decken ein, die auf dem schneeigen Himmelbett lag.n. „Nun rasch eine Tasse heißen Thee! Nur den Kopf oben behalten, nur stark sein, liebes F äalein! Der liebe Gott hilft immer weiter". Bald lag Mela's müdeS Haupt auf den Kissen, während die Alte besorgt am Lager wachte, von Zeit zu Zeit die Umschläge am Faße erneuerte, die bren nende Stirn der Kranken mit Wasser netzte. Mela hatte beim Nuskkeiven ihre,; Namen g.i anut und gebeten, sie zu behalten, bis sie sich Wohler fühle. Als am andern Morgen der Finster mit seiner kleinen Tochter von einem Besuche m der Nachbar schaft zurückkehrte, fand er den Pflegling in Fieber- Phantasien. Er machte sich bald wieder nach dem Städtchen auf, um einen Arzt za holen und eins Depesche nach der Residenz zu senden. Auch nahm er seinen Rückweg über Ärmithal und suchte Lmssn's habhaft zu werden, die eine Freundin seiner verstor benen Frau gewesen. Ohne zu verraten, daß Mela in seinem Hause, erkundigte er sich, wer die Dame gewesen, die so schnell abge-eist sei. „O, unser gutes Fräulein!' ries Luise weinend, „Die Nerken spricht freilich nur Schlechtes von ihr, und ist doch nur schuld, daß sie forigegangen. Freilich — aber sagen Sie es Niemanden, — unser Baron hat das Fräulein gern gehabt, sie wollte aber nichts von ihm wissen." Der Förster versprach Schweigen und ging. Er war ein gerader ehrlicher Mann, er gelobte sich, daß das fremde Fräulein in fernem Hause cineZufluchts- stätts behalten solle, so lange es selbst zu bleiben Lust hätte. Der Sommergast der Försterin kam mit dem Medtzinalrat aus der Residenz. Beide Doktoren (der aus dem Städtchen war schon öfier dagewesen) schüttelten bedenklich den Kops. Das Fieber hatte Mela noch nicht verlassen. „Dieses Leiden liegt sehr tief," sprach endlich der Rat zu dem fremden Herrn, welcher besorgt auf Mela schaute. — „Der Wille gesund zu werden, fehlt noch ganz. Auch wenn nach Wochen das Bewußt sein wieder kommt, muß die größte Ruhe um sie herr schen. Kein Wort, kein Laut darf an Vergangenes erinnern. Lassen wir sie hier, bis dcr Frühling kommt — der Wald, die friedliche Umgebung des Häuschens, die Meffchenfenie werden günstig wirken. Der Typhus selbst ist nicht so schlimm, aber die Ueberrerzung der Nerven bringt Gefahr!" So reiste der Rot allein ab, nachdem er mit seinem Kollegen im Städtchen die Behandlung? weise der Kranken besprochen. Dem fremden Herrn mußie Frau Daniel eine Kammer neben ihrer groß-n Stube zurecht machen, und er verließ nur selten das Zimmer, in dem man die bewußttose Mela gebettet hatte, um für Stunden Ruhe zu suchen. Endlich nach Wochen kam die Krisis. „Das arme Ding wird die Nacht nicht überleben," sprach der Arzt, der Mela sorgfältig beobachtet hatte, zu dem Fremden. „Die Hingabe an einen gkhttmen Schmerz ist zu groß. — Nur jetzt keine Aufregung' Selbst eine freudige könnte tötlrch wirken. Ich möchte Sie bitten, abzureisen, alles Wettere Gott zu überlassen". „Ich bleibe diese Nacht hier!" antwortete der Herr, „in einer Stunde muß der Medicmalrat kommen. — Können Sie denn keine Hoffnung mehr geben? „Gew'ß, gewiß — Gott thut manchmal Wunder! Ich will wünschen, daß auch hier eins geschehe!" Tie Stunden der Nacht schlichen langsam hin — Mela lag ruhig, ihre Hand log in der des Fremden. Sie schien glücklich zu träumen, renn ein leises Lächeln huschte zuweilen über die eingefallenen Züge. Plötz lich bewegten sich die Lippen. Leise — leise kam es von denselben: „O sah' lch auf der Haide dort im Sturme Dich, Mit meinem Mantel vor dem Sturm beschützt ich Dich." Der Arzt trat an's Bett, er löste die Hände des erregten Mannes aus denen Mela's und bat: „Kommen Sie, die Kranke darf jetzt Sie nicht sehen." „Ist sie gerettet ?" fragte er dagegen. „Ich hoffe es — bemerken Sie das freundliche Lächeln? Noch träumt sie, aber gleich wird sie mit Bewußtsein erwachen, Sie dürfen nicht hier sein." Der Fremde entfernte sich leise. Nur der Arzt und Frau Daniel waren bei der Kranken, als sie die Augen aufschlug und um sich blickte. „Wo bin ich?" „In guten Händen, liebes Fräulein!" sprach der Arzt. „Sie haben uns böse Stunden gemacht, denn Sie waren sehr krank. Nun ist alles vorüber, aber Sie dürfen nicht sprechen und muffen still liegen. M la dachte nach. — „Es hat mich foolel ge ängstigt in meiner Krankheit — ich ward immer ver folgt. Ist dies wahr gewesen?" „Ruh-n Sie jetzt, später erfahren Sie mehr. Sie sind m einer Forsters, bei b-aven Leuten, die Frau hier hat Sie gut gepflegt." „Ach!" Mela drückte die Hand der Alten, die sich liebevoll über sie beugte — „nun weiß ich alles! Sie sind lieb zu mir gewesen — ich bin hier" — sie sah sich im Zimmer um, „hier, wo's heimatlich ist." Malt lehnte Mela sich zurück, bald schloß der Schlaf ihre Augen. Mit dankerfülltem Heizen kniete da der ernste Gast der Fö stettleuie an dem Lager der Schlafen den. Mela war gerettet! — 4- -ft * Der März kam mit milden sonnigen Tagen. Mela konnte nun außer B-tt sein, und Frau Daniel mit ih-er Enkeltochter blieben ihre einzige Gesellschaft. D-r Medizinairat sendete aus Berlin einen bequemen Fahrstuhl, die sttlle Kranke ward von dem Förster in den Wald gefahren, ihre Genesung machte wenig Fortschritte, sie blieb schwach und teilnahmslos, aber der Arzt hoffte vieles vom Frühling und von der Wold-stuft. Der erste Strauß Veilchen, den die kleine Anna ihr brachte, rührte Mela zu ThrSaen. „Der Frühttng kommt," flüsterte sie. Sie dachte jenes VctlchenstaußeS, welchen sic einst zu Weihnachten erhalt-n. Ach, Jahre waren vergangen seitdem! Ab-r sie war noch jung, sie hatte von Golt die Ge sundheit wiedererhaltcn, um weiter zu wirken, solange es r och Tag war. — That sic dies? War dieses Hingcben in d.n Schmerz nicht Sünde? Der F.ühlmg kommt! Ueb-rall schafft er neues Leben, überall regt es sich und will dem L chte ent gegen! Nur ich bin unthätig! Auf, Mela! Fort mit den Grübeleien und dem Menschenhoß! — Hier unter den schlachten Leuten hast du eine Heimat ge funden — nun zeige ihnen auch, daß du ihre Güte wert bist! St- litt es nicht mehr, wenn Frau Daniel ihr kleine Handreichungen leisten wollte. Sie brachte selbst ihr Zimmer in Ordnung und half, wo sie konnte. Bald wurden mit dem Förster und Anne, die so lustig plauderte, weite Spaziergänge gemacht, die stete Bewegung in der köstlichen Lust zaubene wieder Rosin auf Mela's Wangen. Der Nat war beim nächsten Besuch entzückt von Mela's Aussehen. „Mich brauchen Sie nicht mehr," sp ach er zu Frau Daniel beim Abschied. „Sie wirken ja Wunder hier! Das Mädchen ist ganz verwandelt! Sagen Sie aber kein Sieibens- wöttchen von dem Anderen — Sie verstehen mich! Zwar kennt seine Augeduld keine Gicnzen mehr, ober wir wollen dem armen Kinde noch ein Weilchen Ruhe gönnen, wollen schm, welchen Lebensplan es faßt." Mela machte wirklich Pläne. Sims Tages fragte sie Frau Daniel nach einer passenden Beschäftigung. „Ich möchte bei Ihnen bleiben und doch nicht unthätig sein," sprach sie. „Aber Sie sind ja fleißig genug, Fräulein! Sie sitzen stundenlang bet Ihren Büchern, Sic machen so schöne, feine Arbeiten. Anus hat Ihnen schon manches abgelernt." „Wirklich? Das freut mich, — so will ich Anne unternchten. Hat es keine Handarbeitslehrerin im Dorfe?" „Ach, leider nicht. Hier im Polnischen sind die Gemeinden zu mm. Früher gab die Frau des Schul meisters, die eine Demsche war, sitz viel Mühe mit den Kindern, aber sie flm b vergangenen Herbst und da vergaßen die Kinder alles." „O, das ist schön," rief Mela. „Dies ist gleich ein Arbeiisfeld für mich! Noch heute gehe ich ins Dorf zum Lehrer, er muß mir für die Nachmittage eine Klosse überlassen." „Um Gottes Willen, Fräulein! Das nicht! Es sind ja die Kinder von polnischen Bauern, die da in die Schuls gehen! Eine verkommens Gesellschaft." „8-ebe Frau Daniel, dagegen dürfen Sie nicht reden. Za meinem Vergnügen will lch die Bauern mädchen nicht unterrichten, ich will nur durch harte Arbeit die rebellischen Gedanken niederzwingen! — Alm, Anne, von heute an gehe ich mit Dir ins Dorf." Mela übernahm zur Freude des Lehrers schon am nächstfolgenden Tage den Handarbestsunterrichi im nahen Walddorfe. Ihr Beruf war schwer, aber ihr Wttls blieb fest. Der Mat erschien, er brachte durch warmen, wolkenbruchartigcn Regen eine Fülle von Grün und Blumen. Mela benutzte die freien Morgenstunden zu Streifereien, der Förster begleitete sie ost. Er war ein einfacher ernster Mann, und da er wenig sp ach, störten sich die Beiden gegenseiiig nicht. Aber er bewunderte das Fräulein uns ließ's festen allein gehen. Auch brachte er van seinen Gängen ihr seltene Blumen mit, weil er gischen hatte, wie sorglich sie dieselben preßte. Mela hatte die Absicht, sich durch künstlerische Arbeiten aus diesen zarten Kindern des Waides einen Nebenverdienst zu schaffm, denn da sie nicht eher geruht hatte, bis der Förster für das von ihr bewohnte Z'mmer eine Bezahlung annahm — von Kostgeld wollte Frau Drittel ohnehin nichts wissen — konnte sie für die Länge der Zeit mit ihren Zinsen nicht autkommen. Allerdings Hütte sie ihr wohlgefülltes Geldtäschchen bei sich gehabt, als sie aus Grunihal floh — es kam ihr sogar vor, als könne so viel Geld nicht darin gewesen sein, doch erinnerte sie sich nicht mehr genau jener trostlosen Stunden. Davon war aber der Arzt im Städichen bezahlt worden, und sie empfand ein Heimlich s Grauen, wenn sie an die Summe dachte, die der berühmte Nat aus Berlin zu fordern berechtigt war. Für die einsame Försterin besaß sie vorläufig genug. Sie hatte keine Bedürfnisse und ihre Garderobe war noch in gutem Zustande aus Grunthal gekommen. Je einfacher ihr Äozug, desto harmonischer stimmte er zu ihrer Umgebung — sie mochte den armen Kindern, die so viel entbehrten, nicht Schmuck und Kleider pracht zeigen. Es ward ihr immer leichter, die Stunden zu erteilen. Die Kinder hingen an ihren Lippen, wenn sie ihnen von fernen Gegenden und Menschen erzählte und schauten verwundert zu ihr auf. Nachdem sie den Aermsten einige Kleidungsstücke genäht hatte, nahm n auch die Eltern des Fräulein Pattei und litten es nicht, daß die Kinder schmutzig zur Schule kamen. Mela fühlte ganz und voll den Segen der Arbeit, dis Briefe, welche sie nach Berlin an Wernetts schickte, waren frohgemut. — So ve> ging der Juni, nur noch kurze Tage lrennten sie von dem Wiedersehen mit d n Lieben dort. Werner's hatten schon während Mela's Krankheit 1m V ikehr mit dem Medicinalrat gestanden, er war in Berlin auch thr Hausarzt ge worden und ha.te Frau Werner und die Knaben in ein pommsrschcs Bad beordert. In Pofen wollte man Mela erwartiii und si- mitnehmen. Schwer, s-hr schwer dünkte Mela diese Rückkehr in die Well — die Trennung von ihrem Walde. Aber sie wird ve-tri-ben — sie wußte es, wenn auch der Förster und seine Mutter es nicht recht haben wollten. Gebot nicht die Höflichkeit, dem endlich wieder- kehrendsn Sommergäste Platz zu machen, ehe man ihr den Stuhl vor die Thür setzte? Sie hatte nie nach dem Namen dieses von ihr beneideten „Ulrich" gefragt — kümmerte sie doch dieser Mann wenig, der in dem Herzen F au Daniels zu ihrem L.üdwesen noch höher stand als sie. Freilich, er war reich, hatte er doch Wohlthaten genug auf das Haupt der Alten gehäuft — und immer noch brachte er die heißeste Z-rt des Jahres gern bei seiner früheren Kinderfrau im Walde zu. Er zog immer nach der einsamen Försterei, die gar nicht zu seinen Besitzungen gehörte, nur Reisen hatten ihn fern gehalten. Jetzt war er in Berlin und wartete auf ihren Weggang. Sie Hattern Äußerungen Frau Daniels entnommen, er träfe nie vor Mitte Juli ein, so konnte sie Sen A ifang der Ferien ruhig erwarten. Aber das Scheide» von dem liebgewounenen Aufenthalte machte sie unsagbar traurig. — Wie würde sic das rrauttche Zimmer vermissen, dessen Einrichtung so sehr ö-m eigenen Geschmack entsprach. Auch dachte sie mit Zagen an das Z isammen- leben mit Werner's. Ihr sonniges Eheglück mit an- zusihen erschien ihr als harte Zumutung. Früher hatte sie gewünscht u d oet-.äurm, einst ebenso zu leben — nun waren Wünsche und Träume dahin! S'e war einsam, wollie eivsim bleibe». Doch täg lich fihen zu müssen, wie eine große starke Liebe das Leb-n verschönt und erheitert — wird e« nicht über ihre Kräfte gehen? Als sie mit schweren Gedanken am späten Nach mittag aus dem Walde zurückkchrte, eilte ihr Frau Daniel aufgeregt entgegen. „Er ist gekommen, Fräulein, er ist da! Aber Sie dürfen nicht fort von uns, Herr Ulrich wohnt schon beim Schulmeister drüben und will auch dort btnben. — Es ist doch so schön, daß ich Sie be- haste und ihn auch wiederjehe!" Mela stand starr und blaß — es war ihr klar, sie mußte abreiseu — diese Unterkunft im Schulhause durfte sie nicht dulden. „So bald schon?" sprach sie tonlos. „Ich will morgen geh n, mein Gepäck ist bald fertig. Es sind Herrn Ulrich'-» Sachen, die oben im Zimmer stehen, er will bei Ihnen, will im Warde leben, nicht bei dem fremden Schulmeister. Nicht wahr, ich darf wiederkommen, wenn er fort ist", flüsterte sie. „Sie haben mich so treu gepflegt — sie haben mich lieb". Schluchzend fiel sie der alten Frau um den Hals. „Mela, Kindchen! seien Sie vernünftig!" bat dieselbe bestürzt. „Ich hrbe wohl alles ungeschickt gesagt, aber ich war jo voller Freude! Kommen Sie auf die Bank ans Fenster, dort wollen wir die Sache ruhig überlegen!" Mela ließ sich von Frau Daniel fortziehen, ihre Augen standen voll Thränen. Die Bank im Schat ten der Linden, die berauschende Düfte auS aber- tausenden Kelchen hauchten, befand sich dicht am ge öffneten Fenster. Doch Me'a blickte nicht ins Zim mer hinein, sah nicht, daß ein Herr hinter der schnee- weißen Gardine lehnie. (Schluß folgt.) Aedattio«, Druck und Verlag von Cari Matthes tu L t ch te u ste t n (Markt 179).