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stürzte doch. Wenn er vom Fall bewußtlos wurde wle ich, liegt er im Wasser und muß ertrinken. — Kamm, wir wollen" — Lenchen hing sich an ihn und hielt ihn fest. „Was denn," rief sie wie außer sich, „doch nicht etwa suchen? Es wäre Wahnsinn bet der stock finsteren Nacht! Nein, nein, ich laß Dich nicht fort, Du kannst Dich kaum selber auf den Füßen halten." Ec löste ihre Hände von seinem Halse und sagte schwer: „Willst Du den Ulrich umkommen lassen?" „Ich kann ihm nicht helfen." „Doch wenigstens den Versuch machen. Geh, schäme Dich, die Rache so weit zu treiben." Sie lies ihn los und stellte ihn wieder an den Baum. „Wir bringen uns in Gefahr, ohne ihm eine Spur zu nützen. Weißt Du überhaupt wo Du bist? Der Bach muß weiter drüben sein und die Däm merung muß erst zeigen, wo wir sind. Es wäre wider alle Vernunft, sich von der Stelle zu rühren. Wie willst Du da einen Menschen suchen? Es ist Wahnsinn." Der Lehrer blieb unschlüssig stehen. Daß es geratener war, die Dämmerung abzawarten, sagte er sich selbst. Doch bann konnte es auch schon zu spät sein, Hilfe zu bringen. Ein paar Schmte tastete er sich vorwärts, mußte aber völlig ratlos inne halten, als er in die Steine geriet, zwischen denen das Wasser brausend dahin floß und er nicht aus noch ein wußte. So kehrte er, von Lenchens Stimme geleitet, zu ihr Mück, die sich in das Moos gekauert, weil sie die zitternden, müden Füße nicht mehr trugen. Er stellte sich neben sie und suchte mit den Augen die Finsternis zu durchdringen. Vergebliche Mühe! Kaum dis nächsten Stämme ließen sich un terscheiden. Ihm schmerzte der Kopf und die Brust vom Fall, ein Schauer durchlief seine Glieder. Sa hockte er neben Lenchen nieder, die still vor sich hm» weinte. Eng aneinander geschmiegt, sich gegenseitig stützend und wärmend, verharrten sie schweigsam die Nacht, die sich grenzenlos dehnte. Der Sturm hatte etwas nachgelassen. Es pfiff und heulte nicht mehr über ihren Köpfen, doch strömte der Regen mit gleicher Heftigkeit nieder und dumpf brausend stürzten die Wasser zu Thal. — Da schlich sich langsam endlich die erste Dämmerung des Tages in den Wald. Fröstelnd, mit steifen Gliedern erhob sich der Lehrer und Lenchen. Wortlos blickten sie in den Heller werdenden Wald und dann einander in die Augen. — Der heranziehende Morgen ent rollte ihnen ein Bild der furchtbarsten Zerstörung. Der Wald war vollständig verändert. — Wo dieser sich zwischen dem Bach und Sem Weg gedehnt, da war jetzt ein Wirrsal von Stämmen, Wurzeln und Siemen, zwischen denen das Wasser hoch auf spritzte. Der Bach hatte sein Bett um das Doppelte erweitert. Kahl grinste die Höhe drüben in dis Däm merung hinein, entblößt ihrer Tannen und Moose, die den Fels gedeckt. — Am Bach entlang hinauf und hinunter dieselbe Verwüstung. — Wie durch ein Wunder waren die beiden Menschen mitten in der Verwüstung erhalten geblieben. Sie rafften sich auf. „Was ist aus Ulrich ge worden?" drängte es sich auf Becher L'ppen. - Sie spähten umher, so weit das Auge reichen konnte. Von Stein zu Stein springend, wagten sie es selbst, dem wilden Lauf des Wassers zu folgen. Doch von Ulrich war keine Spur zu entdecken. Sie gaben endlich das Suchen auf. Er mußte sich doch davon gemacht haben. Lenchen langte endlich halbtot vor Erschöpfung und zitternd vor Frost in den nassen Kleidern nach mühseliger Wanderung durch den zerstörten Wald bei den Eltern an. Stockend und abgerissen beantwortete sie die ängstlichen Fragen der Mutter und sprach von dem Lehrer; dann schlich sie in ihre Kammer und sank auf ihr Lager nieder zu einem traumlosen, todesähnlichen Schlummer. Der Lehrer hatte sie begleitet, bis er die Hütte unversehrt vor sich sah auf der Wisse, und kehrte dann um, zum Dorfe hinunter. Wie aufwärts der Bach alles zerstört und verwüstet in seiner Umgebung so halte er abwärts nut noch größerer Gewalt ge haust. Am ärgsten war die kleine Thalmulde be troffen von dem Unwetter. Der Bach hatte das gemauerte Ufer durchbrochen, die Wege aufgewühlt und das Rad zertrümmert. Ein wilder Haufen von Steinen lag in dem kleinen Kanal, der um die Mühle herumlief, und wo sonst die Hollunderbüsche das Wohnhaus vom Bach getrennt, schossen jetzt gelbe, quirlende Fluten dahin. Meister Ekbert und die Arbeiter waren die ganze Nacht auf den Beinen gewesen und halten gegen iv Morgen einen notdürftigen Damm Hergestell! von Sand Steinen und Strauchwerk, um Haus und Mühle zu schützen. Niemand achtete des Lehrers, den der Weg an der Mühle vorbclführte. Erst als der Meister sich und seinen Leuten eine kurze Nast gönnte, fragt er: „War das nicht Ulrich, der vorhin vorbei kam?" „Nein," war die Antwort, „es war der Lehrer." „So? Was hat denn der in der Nacht im Walde zu suchen gehabt?" meinte der Meister Ek> bert, der reiche Mühlenbesitzer erstaunt und ging in daS Haus. Die Haushälterin kam ihm entgegen. „Ist Ulrich da?" frug er diese. „Nein, Herr Ekbert!" war die Antwort und dieselbe war ihm in der Nacht wiederholt geworden. Redaktion, t Der Tag rückte vorwärts. Ulrich war immer noch nicht da. Als die Sonne untergmg, begab er sich in sein Kontor, wo er sich auf das Sofa setzte und den Kopf in die Hand stützte. Seine Angst um Ulrich ließ sich nicht mehr verleugnen, was er uu Laufe des Tages immer w.eder versucht. „Heda, was giebi's!" rief er laut und barsch, als im Maschinenraum, der heute leer und still lag, murrende Stimmen laut wurden. Es folgt? keine Antwort, und Herr Ekbert sprang heftig auf. Ihm schwoll die Stirnader vor Erregung und Aerger und er riß die Thüre auf. In der Mitte des dunklen Raumes standen einige seiner Leute zusammen, von denen einer eine Laterne in der Hand hielt, die einen schmalen Licht- streif übe' den Steinboden warf. — Mit schnellem Blick überflog Herr Ekbert die Stelle und erkannte zwischen den Leuten am Boden liegend einen Körper. Vor des Mühlenbesitzrrs Augen legte es sich wie ein Nebel, er mußte sich an dem Thürpfosten halten. Dann beugte er sich weit vor, die Auge» traten ihm aus den Höhlen und wie ein Trunkener schwankte er einige Schritte auf die Grupps zu. — Plötzlich entfuhr ein heiseres, leises Röcheln seinen blauen Lippen, er taumelte und stürzte dumpf neben dem zerschmetterten Leichnam seines Sohnes nieder. Als man den Mühlenbesitzer aufhob, war er be wußtlos, und ehe noch die Sonne wieder über der Thalmulde stand, war er tot. Ein Schlagfluß hatte ihn zu Boden geworfen und Vater und Sohn grub man in ein großes Grab auf demFriedhofe oes Dorfes. Die Mutter Lenchens war ats einzige Schwester des reichen Mühlenbesitzers Erbin; die Hinterlassen schaft des Meisters machte sie mit einem Schlage zur wohlhabenden Frau. Für oic Wühle fand sie bald Käufer und im Besitz des Nachlasses verließ sie mit Manu und Kind die Gegend. Nach einem Viertel jahr war auch der Lehrer fort. Seit er die arme Taglöhnerin, die Lenchen Ei sold, öffentlich seine Braut genannt, war es mit seinen: Ansehen vorbei. — Freilich ihm war es ge glückt. — Der Ulrich zerschmetterte sich den Kopf die die Nacht darauf, dessen Vater rührt« der Schlag und Lenchen E sold war über Nacht vom ärmsten zum reichsten Mädchen der Gegend geworden. Zwar tauchten Gerüchte im Dorfe auf, daß Ulrich Ekbert und der Lehrer sich während des Wolkenbruches zu s sammsn im Wald befnuden hätten u«d man nicht wissen könnte, was da vor sich gegangen sei. Doch blieben die Gerüchte sohaltlos und unwahrscheinlich, daß sie allmählich verschwanden. Aber für Jahre hinaus blieb die Schreckensuacht mit ihrem Ereignis die Unterhaltung der Bauernstuben, besonders als man hörte, daß dec Lehrer das reiche Lenchen gehei- Z ratet und glücklich mit ihr lebe. Der kleine Bach strebt wieder hüpfend und i springend zu Thal in seinem alten Bette. Nurein- z zslne Baumstumpfs zeugen noch, wie Verderben bringend j seine entfesselten Gewalten dem Walde werden können, i obgleich er gleich so harmlos im Sonnenschein zu ! Thal eüt. In der Thalmulde klappert wieder das Rad der Holzmühl« sein ratloses Lied und freundliche s Anlagen umgeben bas Wohnhaus des neuen Besitzers am Bach entlang, wo die Fluten den zerschmetterten Körper Ulrich Elverts am-eschlmdert. ! — Ende.— Margarethe. Original-Noman von M. Widdern. NachdruS verboten. Erste Abteilung. „Aus der Heimreis e." ES war an einem noch ungewöhnlich heißen Augustnachmlttag, als auf dem Perron des Bahn hofes von D. ein junges, zierlich gekleidetes Mädchen das sichtlich den besseren Ständen angehörte, in augen fälliger Angst und Ratlosigkeit aus und niederging. Von der rassischen Grenze gekommen, mußte es sich hier, um nach dmi Posenfchen zu gelangen, wo es in einer größeren Stadt daheim war, «in neues Billet lösen, hatte sich bei dieser Gelegenheit aber, wenn auch nur um eine Minute, verspätet; der Zug dem sie sich anvectcauen wollte, brauste soeben nach allzu kurz-m Aufenthalt cmf der Station in das Thal hinunter nnd dem armen Kinde, das zum ersten Male im Leben allein reiste, war für heute jede Möglichkeit genommen, seine Reise fortzusetzen — der nächste Zug wurde erst am kommenden Morgen erwartet. Der Bahnhof des Städtchens D. — das heute noch ein unbedeutender Ort ist — damals, vor nahezu 15 Jahren, aber der rechte echte Krähwinkel war, trotzdem er schon ein Gymnasium besaß, liegt den wenigen schmalen Straßen mit seinen zum größten Teil einstöckigen Gebäuden um eine gute Viertelmeile entfernt, außerdem war der Oct unserer neuen Be kannten, einer bildhübschen kleinen Dame mit glän zend schwarzem leichtgewellten Haar, lies blauen Angen und einem Teint, der der tzttlsten Blondine zum Stolz gereicht Hütte, auch gänzlich fremd. „Mein Gott, was thne ich!" Sie war stehen ge blieben und die zierlich beklerbeten Hände auf das angstvoll schlagende Herz gedrückt, blickt« sie wie hilfesuchend um sich. Aber die wenigen Personen, die sich augenblicklich noch auf dem Perron des kleinen Bahnhof befanden, zwei Beamte, die sich mit den LL Md Verlag von La»! Matthe» in Lt <üte« strtu von dem Zuge zurückgrlasseneu'sGePäckgegenständen beschäftigten, sahen so wenig vertrauenerweckend, so außerordentlich mürrisch aus, daß unsere Kleine — ! Fräulein Grethe Stenson— gar nicht den Mut hatte, ! sich an sie mit der Frage zu wenden, wo sie auf ; der Station wohl für die Nacht ein Unterkommen i finden könne. Und so durchzuckte es immer bänglicher ! das junge Herz, bis die Hellen Thränen in des Mäd- ! chens Augen traten und gleich darauf langsam große i Tropfen über die jugendfrischen Wange rollten. Minuten vergit-gen, sie hatte sich satt geweint i und beschloß nun, in das Stationsgebäude zu gehen — hier ein außerordentlich primitives Häuschen, dem die Restauration fehlte, welches dagegen aber die f Bureaus der Beamten enihielt. Vielleicht wenn sie i den Herrn Vorsteher recht dringend darum bat, Uetz er sie die Nacht im Empfangszimmer zubriugen; wo sollte ft« denn auch sonst bleiben, da sie aus dem Gespräch von Mitreisenden bereits wußte, D. besaß kein Hotel, in dem eine alleinreisende junge Dame unbeanstandet Logis nehmen konnte. — In dem kleinen Raum des Wartesalons mit seinen einfachen Holzbänken und massiven Tischen j befand sich momentan nur eine einzige Person — ein i Herr, der in einer Fensternische saß und sich Notizen j in sein Taschenbuch machte — er war entschieden j auch im Begriff, zu verreisen, oder kam von einer ! Reise, denn ein Lederkoffer stand vor ihm und an einem schmalen Riemen, den er um die Schulter ge legt, hing eine kleine Reisetasche. Grethe Stenson blickte aufmerksam zu dem hin über — sie hätte sich selbst nicht Rechenschaft darüber zu geben vermögen, was ihren Blick so lange an dem dunklen, beinahe finstern Gesicht fesselte, aber sie konnte das Auge nicht losreißen von diesen schars ausgeprägten Zügen mit ihrem entschlossenen Aus druck. Fühlte oer Fremde den Blick der unschuldigen blauen Mäöchesaugru? Wahrscheinlich! Sein Antlitz hob sich und für einen Moment — aber auch nur für einen Moment — begegneten sich die Blicks dieser beiden Menschen, die der Zufall hier in dem kleinen einfachen Raum zusammengeführt. Es war ein großes, tiesdunkles mächtiges Auge, in das Grethe Stenson geschaut, — und dies Auge paßt« vollkommen zu der ganzen Erscheinung des Mannes, es blickte finster, beinahe feindlich und sah auch nicht freundlicher, da es die liebliche Erscheinung des jungen Mädchens traf, dis sich jetzt errötend und scheu in das entferu- j teste Winkelchen des Zimmers zurückzog oder zurück ziehen wollt« — die Thür öffnete sich nämlich gerade m diesem Moment und der Stationsvorsteher trat ein. Grethe überwono wütig alle mädchenhafte Schüchtern heit und eilte ihm entgegen. Mit der Beredsamkeit, die nur die Angst zu verleihen vermag, schilderte sie ihm ihre Lage, bar ihn, ihr irgendwo ein Plätzchen anzuweisen, wo sie die Nacht zubringen könnte. Der Herr Stationsvorsteher gehörte noch zu jenem Beamten der Königlichen Eisenbahnen, die sich aus dem sogenannten Cioilvcrsorgungsberechtigten rekrutiert hatten — d. h. er hatte sein« zwölf Jahre in der Armee gedient, war lange Zeit Unteroffizier gewesen, als Feldwebel entlassen worden nnd dann zum MeNüahndienst übergetreten; er besaß somit nicht die Manieren, Welche in Salons kultiviert werden, ; zeigte sich auch sonst Nicht als Mann von gesellschaftlicher Bildung: unfreundlich zum mindesten war die Am-- l wort, dis er dem geängstigten jungen Mädchen gab i — freilich, er handelte genau nm nach seinen Ju- ! struktionen, als er Greihe Stenson mit ihrem Gesuch ! abwies, aber er hätte diese Antwort wenigstens in l eine weniger empfindliche Form kleide« können. Wieder die Augen voll Thräneu hatte sich das junge Mäd chen nun an einen Tisch zurückgezogen, hier saß sie jetzt, das Gesicht traurig zu Boden gesenkt und dachte über ihre peinliche Lage nach — sie bot dabei ein so unbeschreiblich rührendes Bild, daß es selbst bas Herz des alten Militärs zu erweichen begann. — Der gestrenge Herr Stationsvorsteher fühlte wirklich «in menschliches Rühren und nach kurzem Zögern nähert« er sich chr. „Es thut mir leid, Ihnen nicht auf anders Weise helfen zu können, Fräulein", sagte er, den Versuch machend, seiner Stimme einen freundlicheren Ton zu verleihen, „aber leider sind wir Beamten hier auf ter Station zufällig allejammt unverheiratet — doch halt", setzt« er dann schnell hinzu, „vielleicht kann ich Ihnen doch nützen." Damit eilte er rasch in die Fensternische, in welcher der dunkle Herr noch immer schreibend saß. „Gehorsamer Dimer, Herr Doktor, rief er diesem zu, und als der Angeredets den Gruß erwidert, setzte er, sich ihm gegenüber mcder- lassend, hinzu: „Ich hörte schon von einem Unter beamten, Sie haben sich verspätet! Fatal, Herr Dok tor, aber es ist absolut nichts dagegen zu thun! — Nun, Sie wissen ja auch, wo Sie bis morgen zu bleiben haben, Frau Schwester nimmt sie gern auf. Ganz anbei« geht es dem jungen Dämchen da drüben, hat sich den Zug vor der Nase vmbeffatzren lassen, ist Hemd an Ott und weiß nun nicht, wo sie die Nacht zubringen soll, da ich ihr nicht gestatten darf hier zu bleiben. — Herr Doktor," fuhr der Beamte förmlich warm werdend fort, „die Frau Pastorin ist eine so gute bruv« Seele, gewiß, wenn sie au Ihrer Stelle hier säße, sie besänne sich keinen Augenblick und böte der armen Kleinen für ein paar Stunden Logis — Raum genug hat sie ja in ihrem großen Hanse, da ihre Pensionärinnen noch allesamt bei den Eltern sitzen. (Fortsetzung folgt.) TMarttH