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man wird sie finden, nicht in verbrecherischen und ungesunden Hetzereien, in Unterdrückung und Gewalt, in hohlen und eidlen Redensarten, sondern in der Eintracht aller Wohlgesinnten, im Studium, in der Freiheit." Die Aufnahme der Wahl FaureS in der Presse ist naturgemäß geteilt. — Dupuy reichte gestern abend wie natürlich sein Entlassungsgesuch ein. Faure beginnt schon heute sich mit der Kabinettsbildung zu beschäftigen. Nach einem bewegten Abend auf den Boulevards ist heute Paris vollkommen ruhig. Alles hat sein Altagsansehen wieder erlangt. In Havre erregte Faures Wahl Begeisterung. 8 Folgende heitere Geschichte vom Bahnbau wird dem „Liegn. Tagebl." aus Schönau a. K mitgeteilt: Zur Zeit, als die Tracierung der Neubaustrecke Goldberg-Merzdorf erfolgte und die einzelnen Unter nehmer sich anschickten, die übernommenen Arbeiten fertig zu stellen, ließ eines Tages ein solcher einem Besitzer in R. die Mitteilung machen, daß das anzulegende Planum mitten durch dessen Scheune gehe, um dem Mann gehörig Zeit für die Vorberei tungen zum Niedereißen zu lassen. Der Besitzer er scheint nach dem Empfang dieser Bekanntmachung sofort und meint: „Nee, nee, aus der Geschichte wird nischt, ich wär' doch nich olle Obende us'm Bett uff- stehen und's Scheunenthor uff- und zumachen, wenn die Boahne durch will." Man versuchte nun, rhm begreiflich zu machen, daß die Scheune beseitigt wer den müsse. Hiermit kam man aber schön an. Dies würde nie geschehen, erklärte der Mann, und hals starrig widersetzte er sich allen weiteren Vorschlägen, indem er stets vehauptete, erst komme er und seine Scheune und dann erst die neue Bahn, die seinet wegen ins Katzbachbett gehen möchte. Die zustän dige Behörde dachte anders und hatte bereits Schritte zur Enteignung gethan, als es den sachgemäß?« Vor stellungen des Landrats nach langen Parlamentjeren endlich gelang, den Widerstrebenden im letzten Augen blick zur Einficht zu bringen. § Stettin, 18. Jan. In Lubow ist der mutmaßliche Mörder eines vor 50 Jahren ermor deten Solinger Messer Händlers, verhaftet worden. Die Anzeige gegen den Verhafteten wurde von seiner Frau, die von ihm getrennt lebte, erstattet; nach deren Behauptung hat ihr Mann ihr gestanden, den Messerhändler durch mehrere Schläge mit einem Schusterhammer im Walde getötet zu haben. 8 Geestemünde, 17. Jan. Den Wechnachts- stürm-n scheinen außer den sechs Fischerdampfern noch zwei weitere Schiffe zum Opfer gefallen zu fein. Die beiden der W. Schuhmannschen Rhederei ge hörigen Schiffe „Hermann", Kapitän Dierks aus Barßel, und „Ehe", Kapitän de Vries aus War singsfehn, sind am 20. Dezember von MorrisohnS- hafen in England mit Steinkohlen für hiesige Firmen abgegangen und seitdem verschollen. Die Rhederei nimmt an, daß dieselben mit Mann und Maus untergegangen sind. 8 Köln a. Rh., 17. Jan. Bei fortdauerndem starken Steigen ist die Mosel bereits mittags aus den Ufern getreten, Weits Strecken überschwemmend. Außerdem ist starker Eisgang eingetreten, so daß verschiedene Flecken in großer Gefahr schwe ben. Das Wasser der Saar richtet gleichfalls große Ueberschwemmungen an. Tas Rheineis hat sich bei St. Goar gestellt. Von der Nahr wird bei starkem Eisgang rapide steigender Wasserstand gemeldet. 8 Weißenfels, 17. Ja». Hier starb im Alter von 98 Jahren der Polizeisekretär und Poli- zeianwalt a. D. Heinrich Enderes, der älteste Mann der Stadt. Geboren am 17. Oktober 1796, halte er als 16jähriger Jüngling Napoleon I. noch mit eigenen Augen gesehen, in Leipzig, vor dessen Zug nach Rußland. Länger als ein halbes Jahrhundert hat der Verstorbene treu in Diensten der Sladt gestanden. 8 Aus Elsaß-Lothringen, 16. Jan- Der Thphus ist in zwei Garnisonstädten unter den Trupps» ausgebrochsn. Ja Metz ist es das 8. rhei nische Fußarttllerie-Regiment, welches von der Krank heit betroffen wurde. Etwa 30 Soldaten liegen daran im Garmsonlazarett krank. Zweisind bereits gestorben. Das Regiment, welches in der Steiumctzkaserne liegt, wurde in den Baracken auf dem Fort Steinmetz untergebracht. Der Ausbruch des Typhus soll auf das in der Kaserne gebrauchte Wasser zurückzuführen sein. Heute wird aus Schlettstadt gemeldet, daß unter dem rheinischen 8. Jägerbataillon der Typhus ausgebrochen ist. Das dortige Garntsonlazarett hat acht erkrankte Soldaten ausgenommen. Auffallend ist es, daß es gerade zwei rheinische Regimenter sind, welche von der gefährlichen Krankheit befallen wurden, während Straßburg, Colmar und Mülhausen typhus frei sind. 8 Mannheim, 18. Jan. Der südliche Schwarzwald wurde von heftigen Erdbeben heimge sucht. An vielen Orten wurden die Häuser bedenk lich erschüttert. 8 Salzungen, 16. Jan. Die schon lange bekannt gewesene Absicht, aufs Neue in Bad Lieben stein nach Sohle zu bohren, hat nunmehr greifbare Gestalt angenommen. Wie der „Stammgast" mit teilt, wurde Ende der vorigen Woche die Bohrmaschine an Ort und Stelle gebracht. Bekanntlich wurden bereits vor mehreren Jahren, als das Bad noch in anderen Händen war, unter großen Geldopfern Boh rungen vorgenommen. Da, nahe am Ziel, brach auffallender Weise der Bohrer, und es war unerklärlich, daß man damals die Sache sofort ruhen ließ. * * Bern, 17. Jan. Eine der heute in Airolo niedergestürzten Schneelawinen begrub drei Männer. Etliche Häuser sind gefährdet. Die Geleise der Gott- hardbahn zwischen Airolo und Faido sind noch immer nicht passierbar. — In Obermalt im Berner Ober land vernagelten die Bewohner die Fenster der von den Lawinen am meisten bedrohten Häuser mttBrettern. * * Wien, 18 Jan. Das seit drei Tagen an haltende Tauwetter richtet in Steiermark und Krain großen Schaden an. Sämtliche Flüsse sind aus den Ufern getreten und haben viels Brücken zerstört. Bei Ratschach hat sich ein großer See gebildet; man be fürchtet Ueberschwemmung des ganzen Beckens des Laibacher Moores bei Schwarzenbach. Im Mieß- thale wurden 4 Bergarbeiter durch Lawinensturz ge tötet und ein Bauernhaus, dessen Besitzer sich samt Familie retten konnte, zerstört. Bei Prävali wurde der Bauer Liebnlg durch eine Lawine getötet. * * B u v a p e st, 18. Jan. Die Frau eines reichen Großgrundbesitzers, der hier ein großes Haus führte, hat sich erschaffen, nachdem ihr einziger sieb zehnjähriger Sohn gestorben war. In einem zurück gelassenen Briefe erklärte sie, das Leben nicht mehr ertragen zu können. * * Mailand, 17. Jan. Hsute nachmittag 1ft/s Uhr wurde der Generalstaatsanwalt des hiesigen Appellhofes, Celli, in seinem Kabinett durch ein Jn- div duum ermordet, das ihn unter falschem Namen zu sprechen verlangte. Der Mörder faßte Celli an der Kehle und durchschnitt ihm die Schlagader. D-r Mörder, welcher alsbald vechaftet wurde, nennt sich Altilius Bellocchio, er stellt sich irrsinnig und ant wortet nicht auf die an ihn gerichteten Fragen. Man glaubt, daß es sich um einen Anarchisten handelt. Celli starb nach einigen Augenblicken. * * Ueber die Gründe Casimir-Perier's zum Rücktritt wird berichtet, die Gattin Periers habe einen Drohbrief erhalten, in welchem dem Präsiden ten ein gewaltsames Ende vorausgesagt wird. Der Brief sei unterzeichnet gewesen „die Rächer Vaillants und Caserios." Madame Perier sei nach Lesen die ses Briefes in eine tiefe Ohnmacht gefallen. Dieser Zwischenfall habe sehr dazu beigetragen, Casimir Perier in seinem Entschlusse, abzudanken, zu bestärken. * * „Nieder mit den Dieben! Ins Zuchthaus mit ihnen!" — diese freundlichen Begrüßungsworte flogen durch den Sitzungssaal des Kongresses in Versailles, als am Donnerstag abend d?r Vorsitzende dieser Versammlung die Wahl Felix Faure's zum Präsidenten der französischen Republik verkündete! Mck welcher Genugthuang mag wohl Casimir-Psrier in seiner schönen Privatwohnung, die er bereits wieder bezogen hat, den Bericht über die Sitzung des Kongresses gelesen, mit welchem Behagen mag er es empfunden haben, daß nicht mehr er selbst, sondern sein unglücklicher Nachfolger es ist, den eine Gesellschaft von würde- und verantwortungslosen Mensch-n ganz nach Belieben nur aus dem Grunde mit Schmutz bewerfen darf, weil er das höchste Amt im Staate bekleidet! * * Ucher die Persönlichkeit des neuen Präsi denten der französischen Republik wissen nur wenige eingeweihis Politiker etwas Genaueres. Felix Faure, der schon seit einigen Jahren Mitglied der französischen Deputiertenkammer war, hatte sich in der gemäßigt republckauischen Partei durch sein bie deres, freundliches Wesen so viele Freunds erworben, daß man ihn gelegentlich zum Vizepräsidenten der Kammer gewählt und in einem der so schnell wech selnden Ministerien zum Unterstaatssekretär der Ko lonien gemacht hatte. Vor seinem Eintritt in das letzte Kabinett Dupuy, das, wie erinnerlich, am 27. Mai 1894 gebildet worden war, hatte er dem Ma rine-Untersuchungsausschuß angehört, der damit be auftragt war, die mannigfachen Schäden, die sich in der französischen Kriegsflotte herausgestellt, nachdem sie durch eine mutige journalistische Kampagne vor aller Welt ans Licht gezogen worden waren, ohne Ansehen der Person zu rügen und, so weit es in der Macht einer parlamentarischen Kommission liegt, zu bessern. In dieser Kommission kamen Herrn Faure die Kenntnisse trefflich zu statten, die er sich als einer der bedeutendsten Schiffsrheder von Havre in Marineangelegenheiten erworben. Und so geschah es, daß zum Aerger aller in der Flotte groß gewor- denen Vize- und Kontre - Admiräle abermals ein „Zivilmarineminister" mit der Leitung der maritimen Angelegenheiten in Frankreich betraut wurde. Als solcher hat er denn sein Amt recht und schlecht ver waltet, nachdem man ihm zuvor das Departement der Kolonien, welches bis dahin mit dem Marine amt verschmolzen gewesen war, zu Gunsten seines Freundes Dslcasse abgeknöpft und zu einem eigenen Ministerium ausgestattet hatte. Es war Herrn Felix Faure nicht an der Wiege gesungen worden, daß er dereinst der erste Mann der französischen Republik zu werden bestimmt sei. Anfangs der vierziger Jahre geboren, ist er heute ein kräftiger Fünfziger, der, groß, blond, etwas dandyhaft in der Kleidung — er trägt stets eine weiße Gardenia im Knopfloch, ver gißt nie weiße Gamaschen anzuziehen und ein Monocle ins Auge zu klemmen —, in nichts an die bescheidene Herkunft erinnert, aus der er hervorgegangen. Denn noch vor 30 Jahren war Felix Faure ein armer Schreiber in einer Gerberei, der sich aus eigner Kraft und durch nie ermüdenden Fleiß im Laufe der Jahre zu einem der ersten Armateure der großen Seestadt Havre und zum Präsidenten der Handelskammer dieses großen Seehandelsplatzes emporgeschwungen. * * Paris, 18. Jan. Der „Gaulois" nennt es charakteristisch, daß die Grafen und Barone der Rechten dem ehemaligen Gerbergehilfen die erste Würde des Landes verliehen haben, während jene, die sich als Vertreter der Arbeiterklassen ausgeben, den durch seine Intelligenz und wackeren Lebenswandel in die Höhe gelangten Arbeiter verhöhnten. * * Paris, 18 Jan. Der neue Präsident der Republik, Felix Faure, feiert in den letzten Tagen diese« Monats seinen 54 Geburtstag. * * Auckland, 18. Jan. Die Fidschi-Inseln wurden von einem furchtbaren Orkan heimgesucht, durch welchen großer Schaden zu Land und zur See angerichtet wurde. Die Schiffe haben schwer gelitten; man glaubt, daß viele Menschen umgekommen sind. Die Barke „Ophir" ist mit 700 Tonnen Copra auf einem Riff bei Levuka gescheitert. Ein unbekannter Schuner ist bei der Insel Taviuni gescheitert; man befürchtet, daß alle Personen, die sich an Bord be fanden, ertrunken sind. * * Eine neuer Riese wurde in Arabien von einem dort reisenden deutschen Professor entdeckt. Er ist ein Bewohner der Oase Siwah-Amons und unter seinen Landsleuten als „die schlanke Palme der Wüste" bekannt. Was ihn zu einer ganz besonders sehens werten Erscheinung macht, ist die Thatsache, daß er gegenwärtig erst rm sechzehnten Lebensjahre steht und fein rapides Wachstum noch immer andauert. Vor aussichtlich wirb er einer der längsten Menschen wer den, die sich je zur Schau stellten, den schon jetzt M'ßt er volle 7 Fuß, ist kräftig und breitschultrig und hat Hände die mindestens dreizehn Zoll lang sind. Deutscher Reichstag. Sitzung vom 18. Januar. Die Novelle zum Gerichlsoerfassungsgesetz und der Strafprozeßordnung wird weiter beraten. Abg. Lenzmann (freis Volksp.): Die Ur sache der Unzufriedenheit, die in weiten Kreisen mit unserer Justizpfl-ge herrscht, liegt da^in, daß das Rechtsbewußtsein unseres Volkes die Rechtsprechung nicht mehr versteht. Es liegt das zum Teil in der Art, wie unsere Strafkammern besetzt sind. Es sind Uiteile gefällt worden, auch vom Reichsgericht, die sich nicht mit der öffentlichen Meinung decken. ES herrscht gewissermaßen eine Criminalis, eine Herz losigkeit gegen dsn Angeklagten. Die Justiz spielt der Verwaltungsbehörde gegenüber die zweite Rolle. Es ist ja bekannt, wie ein ORckandesgerichtspräsi- dent sich einbildete, er wäre ü'egierungs-Referenbar geworden (Heiterkeit), sodaß mau ihn wegen G> ößen- wahn emsperren wollte. (Heiterkeit) Nach unten hin findenSie bei sehr vielen Gerichtsass.ssoren Ueber- hebung, nach obenhin Strebertum; selbst die Rich ter sind oft nicht mehr im Stande, ihre Autorität nach oben zu wahren. Auch der Militarismus spielt da mit herein. Ein Richter, der nicht Reserveoffizier ist, hat nicht die nötige Qualifikation. Ein Over landesgerichtspräsident wollte nur Reserveoffiziere als Richter haben. Kein Wunder, daß die Richter den Bedürfnissen des Volkes zu wenig an den Puls fassen. Den Uebelständen in der Justizpflege soll nun zum Teil durch Aenderungcn im Verfahren ab- geholfen werden. Ich hätte gewünscht, daß auch die merkwürdige Stellung des Verteidigers eine Aende- rung erführe. Wenn auch durch die freie Advokatur manche Elemente in den Anwaitstand gelangt sind, die sich nicht würdig vertreten, so darf man doch nicht von einigen auf die Gesamtheit schließen. Welche Stellung nimmt der Ankläger ein und welche der Verteidiger ? Letzterem wird nicht einmal die An klage im Vorverfahren zugestellt. Die neue Vorlage hat eine große politische Bedeutung, denn abgesehen von der Entschädigung unschuldig Verurteilter, wie sehr richtet sich nicht die Vorlage gegen die Schwur gerichte, dieses vortreffliche Institut? Politisch be deutsam ist aber auch namentlich die gewollte Be fugnis zur Besetzung und zur Gejetzverteilung durch die Landesjustizverwaltung. Zu meiner Freude hat gestern der Herr Staatssekretär erklärt, daß er die sen Teil der Vorlage als untergeordneten Punkt be trachte. Wir müssen unser Volk vor der Gefahr be wahren, daß eine spätere Justizverwaltung die Ge richte »ach politischen Rücksichten zusammensetzen könnte, für uns würde die Vorlage eventuell an diesem Punkte scheitern. Redner begrüßt die Wieder einführung der Berufung und die Entschädigung un schuldig Verurteilter, aber auch die Entschädigung unschuldig Verhafteter müßte hinzugesetzt werden, zumal in einer Zeit wie der jetzigen, wo so viel ver haftet wird. Die jungen schneidigen Richter schreiten sehr leicht dazu; es wäre gar nicht so übel, wenn jeder künftige Richter in seiner Ausbildungszeit auch eine Zeit lang Probe sitzen müßte, um zu sehen, wie das thut. (Heiterkeit.) Ueber das Maß der Ent schädigung unschuldig Veiurieiltsr darf nicht, wie in der Vorlage, die Justizverwaltung entscheiden. Prof. Binding hat in der „Nat.-Ztg." sehr Recht, wenn er sagt, der Richter hat die Entschädigung festzu setzen und zwar derjenige, der mit dem Falle befaßt war, den die betreffende Justizverwaltung freige sprochen hat. Ferner wollen wir auf keinen Fall eine Verschlechterung des Wiederaufnahmeverfahrens in den Kauf nehmen, im Gegenteil, das Wiederauf nahmeverfahren muß auch dann zulässig sein, wenn