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8 Spandau, 2. Jan. Wie schon kurz ge. meldet, hat hier das alte Jahr mit einem Familien drama abgeschlossen. Der Arbeiter Höppner schickte am Sylvesterabend seine Frau unter einem Vorwand zu seiner Schwägerin, während ihrer Abwesenheit mischte er ein Getränk mit Gift und veranlaßte seine beiden Kinder, ein Mädchen von fünf und einen Knaben von acht Jahren, davon zu trinken; er selbst genoß auch die Mischung. Al« die Frau nach zwei Stunden zurückkam, war der Mann und das Mäd chen bereits tot; der Knabe dagegen, der noch schwache Lebenszeichen von sich gab, wird wahrscheinlich ge rettet werden. Arbeitslosigkeit war der Grund der Verzweiflungsthat. * * Insterburg, 3. Jan. Ei» Großfeuer hat die Ktstenfabrik von MathesiuS vollständig zer stört. Der Schaden beläuft sich auf 90,000 Mark. Bei den Löscharbeiten wurden fünf Feuerwehrmänner durch einen Einsturz einer Gtebelwand verschüttet; drei retteten sich aus den Trümmern. Die beiden anderen wurden erst nach zweistündiger Arbeit, der «ine tot, der andere schwer verwundet, herausgezogen. * * Petersburg, 3. Jan. Der „Regierungs bote" veröffentlicht nachstehendes Reskript an den Grafen Schuwaloff: „Mein in Gott ruhender Vater hat Sie in gerechter Würdigung Ihrer glänzenden und hervorragenden militärischen Thaten, sowie der Sie auszeichnenden Fähigkeiten 1885 zum Botschafter bei dem deutschen Kaiser ernannt. Ihre mehr als neunjährige Thäiigkeit in der Diplomatie hat nach jeder Richtung hin das hohe in Sie gesetzie Ver trauen und die Hoffnungen, welche man von Ihnen hegte, gerechtfertigt. Während dieser ganzen Zeit haben Sie als treuer und eifriger Ausführer der Pläne Ihres Kaisers die Bande der Freundschaft gepflegt, welche Rußland seit langer Zeit mit seinem mächtigen Nachbar vereinigt und haben dadurch bei getragen zu den Erfolgen des erhabenen wohlthätigcn Werkes, der Aufrechterhaltung des allgemeinen Frie dens, welcher dem Herzen meines unvergeßlichen Vaters ebenso teuer war, wie er dem meinen ist. Indem ich Sie jetzt zum Wohle des Reichs auf den gleichen wichtigen Posten des Generalgouverneurs von Warschau und des Gouverneurs der Truppen des Milttärbez rks von Warschau stelle, will ich Ihnen meine aufrichtige Anerkennung für Ihre dem Throne uns dem Vaterlands geleisteten glänzenden Dienste und die sichere Hoffnung auf die Ersprieß lichkeit ihrer Bemühungen ausdrückeo, welche Sie in Zukunft dem Wohle und der Entwickelung des Ihrer Verwaltung anv.-rtrauten Landesteiles wid men werde». * * Der humanste und gerechteste unter den rus sischen Generälen ist unzweifelhaft Generaladjutant M. I. Dragomirow. Er hat, wie man in russischen Blättern ließt, wieder einmal einen schneidigen Tages befehl — gerichtet an den Kiewschen Militärbezirk — erlassen. Der Tagesbefehl lautet: „Im Juni d. I. wurden auf Verlangen des Gouverneurs von Podolien von der Kosaken-Division des Kiewschen Militärbezirks zwei Kosaken-Sotnien abkommandiert, um den administrativen Zivilbehörden beizustehen. Nach Beendigung der Anordnungen fand es die Zivilobrigkeit für notwendig, eine Exemtion an den Rädelsführern zu vollziehen. Der Essaul, welcher die Kosaken kommandierte, schämte sich nicht, zu der erwähnten Ex-culion ein Kommando seiner Kosaken abzuordnen. Wenn dieser Kommandeur nur ein wenig mit den „Vorschriften über die Berufung von Truppen zur Unterstützung der Zivilobrigkeit" be kannt und ein wenig mehr auf seine eigene Würde und auf die Würde des ganzen Truppenteils und jedes einzelnen Kosaken bedacht gewesen wäre, hätte er sicherlich nicht die Kosaken in ein Prügelkommando „Schlange", flüsterte Anna grollend, „es pas siert heute ein Unglück, ich habe eine dumpfe Ahnung davon!" Draußen vor dem Hause wartete schon Johns auf die schöne Fremde; in unaussprechender Leiden schaft schlang er beide Arme um ihren schlanken Leib und preßte sie an sich. Er verstand ihre Heimats sprache nicht und sie nicht die seine, aber die Glut, welche aus beider Augen flammte, redete deutlicher als alle Worte. Eine dunkle Gestalt folgte ihnen in einiger Entfernung, unter dem über die Schulter geschlagenen Mantel knackte der Hahn einer Schuß waffe. Es war der Kapitän Willem Willufsen. Und dann verschwand das Liebespaar in dem Schuppen, man hörte nur leises Murmeln und das Klirren der Schmuckstücke Sittahs, dann blieb alles still — und das Blut des Kapitäns begann zu sieden. Halb wahnsinnig vor Wut griff er zum Feuer zeug, zündete Licht an und setzte einen Kienspan in Brand; dann stürzte er auf die Thür des Schuppens los, stieß sie mit den Füßen ein, und stand vor dem entsetzt auseinander prallenden Liebespaare. „Hah, Johns, also das ist brüderliche Treue und Ehrlichkeit", rief er wütend und hob die Waffe, „noch eine Sekunde — und Du stehst vor einem höheren Richter, der Dich in der ressten Höllenpfuhl stoßen soll!" „Wie darfst Du wagen, mich zu beschimpfen", knirschte der Fischer, „das Weib gehört mir, denn sie liebt mich und nicht Dich." „Hah, so ist sie eine treulose Schlange und ich werde mich an ihr rächen, noch ehe Du selbst sie Dir errungen hast." verwandelt. ES müßte ihm bekannt gewesen sein, daß wir wohl dazu da sind, um die Widerspenstigen zur Ordnung zu bringen, nicht aber die zur Ordnung gebrachten zu prügeln. Ich schreibe daher dem Chef der 2. Kosaken-Division vor, den betreffenden Essaul für seine Execution für 7 Tage auf die Hauptwache zu bringen. Darüber, daß die Unkenntnis und Nicht erfüllung der Vorschriften für den GarmsonSdienst auch in Friedenszeiten zu schädlichen und unange nehmen Folgen führen kann, darüber ist schon häufig gesprochen worden. Ich empfehlenochmals und dringend das Studium dieser Vorschriften". * * Petersburg, 3. Jan. Zum Sturze des Eisenbahnwinisters Kriwoschein wird neuerdings ge meldet, daß der letztere auS seinen eigenen Waldungen für 1fl» Millionen Rubel zum Teil sehr schlechte Eisenbahnschwellen geliefert hatte, deren Abnahme die Ingenieure aus Furcht vor Entlassung nicht zu ver weigern wagten. Sobald der Czar von diesem Vor- gange hörte, ließ er Kriwoschein sagen, er habe so fort zu demissionieren, falls er nicht entlassen wer den wolle. * * Wien, 3. Jan. Der den Tiergarten im Prater besuchende Maurergeselle Anton Zumpfe wurde beim Vorbeigehen am Löwenkäfig von einem Löwen am rechten Arme gepackt. Er wurde durch die Geistesgegenwart des Thürwärters jedoch ge- rettet, sodaß er mit weniger gefährlichen Verletzungen davon kam. * * Wien, 3. Jan. AuS Sofia meldet die „Wiener Fr. Presse": Der Untersuchungsrichter des Militärgerichts erließ einen Befehl zur Verhaftung Stambulow's, unter dem Verdacht der Beteiligung an der Ermordung des Ministers Beltschew. Einige fremde Vertreter mahnten von einem solchen Schritte ab. Stambulow befindet sich noch auf freiem Fuß. * * Wien, 3. Jan. Aus zahlreichen Gegenden der Monarchie werden Schneestürme und Verkehrs störungen gemeldet. Am schlimmsten wütet das Unw tter im östlichen Ungarn; die Stadt Uiskolcz ist seit zwei Tagen für jeden Verkehr vollständig abgeschlossen, viele Dörfer sind verschneit. Auch hier herrscht seit gestern ein Schneesturm. * * Zu den reichsten, aber auch sparsamsten Mo narchen Europas gehört Kaiser Franz Josef von Oesterreich - Ungarn. In der ungarftchen Zeitung „Ujidök" veröffentlicht darüber der bekannte ungarische Koloman Mikßath folgende Einzelheiten: In Bezug auf alle persönlichen Ausgaben ist der Kaiser sehr streng, führt über dieselben ein Verzeichnis und wenn sie in dem einen Jahre größer waren, als sie hätten sein sollen, dann wird im kommenden Jahre noch mehr gespart, um den Ausfall wieder einzubrinqen. Alle Rechnungen kommen in einen Kirschholzkaften, der in dem Arbeitskabinett des Monarchen steht. In diesen Kasten kommen auch alle jenen Akten, die der Kaiser nicht erledigen will. Kaiser Franz Josef erteilt selten und ungern abschlägige Bescheide. Will er manche Unterbreitungen der Minister nicht unter schreiben, so verschwindet der betreffende Akt in dem Kiischholzkasten, und da die Minister wissen, was das zu bedeuten hat, so wird auch kein neuer Akt unterbreitet. Kaiser Franz Josef ist auch hinsichilich seines Anzuges sehr sparsam. Als er vor 3 Jahren eine Reise machte, erkundigte er sich im Eisenbahn zuge, wann die nächste Station, wo er eine Abord nung empfangen wollte, zu erwarten ist. „Machen Sie Mich rechtzeitig aufmerksam," sagte er, „damit Ich Meinen besseren Attila anlegen kann." In einem Bencht beschrieb einmal ein Botschafter umständlich, wie er seinen Kollegen bewirtet und mit ihm aus einem österreichischen Schiffe eine Spazierfahrt ge macht habe. Zu dieser Stelle macht der Kaiser fol gende Randbemerkung: „Wer bezahlt die Kohlen?" „Die Waffe fort, Mensch, oder es geschieht et was Schlimmes!" „Das Wort war kaum seinen Lippen entflohen, da blitzte es auf — ein Krach, ein Schrei — und am Boden wälzte sich stöhnend eine menschliche Gestalt! Kapitän Willufsen starrte, mehr tot als leben dig, auf den regungslosen Körper; hatte er geschossen ? War er ein Mörder? Da glitt eL leise, katzenartig an ihn heran, da umschlangen zwei weiche, weiße Arme seinen Hals und heiße sinnlich zuckende Lippen preßten sich auf die seinen. „Sei ruhig, ich will ja nur Dir ge hören", schmeichelte Sittah's weiche Stimme, „er hat mich nur gezwungen, ihm zu folge», aber Dich liebe ich ja einzig und allein!" Aber sonderbar! Ihm graute Plötzlich vor die ser schlanken biegsamen Gestalt, ihr Atem berührte ihn unangenehm und er stieß ihre Hände von sich. „Laß mich, Weib", rief er unwillig, „ich habe Dich erkannt und verachte Dich von nun an. Geh fort — ich bin sein Mörder." Er sah nicht das Auffunkeln der nachtschwarzen Augen, den triumphierenden Zug um die schwellenden Lippen, er sank neben der Leiche des Bruders zu Boden und eine dumpfe Apathie bemächtigte sich seiner. „Was soll nun werden? Wie werde ich fernerhin leben können. Er merkte es nicht, daß die schillernde Gestalt der Inderin, die sich von neuem den Pelz umge hangen, auS dem dunklen Schuppen glitt und ihn alleine ließ mit dem toten Bruder. Fort und fort starrte er auf daS bleiche, leblose Antlitz desselben, während Beiläufig kommt eS nicht selten vor, daß der Kaiser die Schulden begabter Offiziere bezahlt, was manch mal nicht geringe Beträge erfordert. * * Budapest, 2. Ja». Heute fand hier eine , sehr interessante Trauung statt. Der reichste Plan- I tagenbefitzer von Batavia, der Holländer Karisuyu, > heiratete eine Chansonettsängertn Sophie Lengyel, die er in Paris kennen gelernt hatte und der er nach London, Berlin und Wien gefolgt war. * * Messina, 3. Jan. Heute früh wurde hier ein starker, sich später wiederholender Erdstoß be obachtet. Die Bevölkerung geriet in große Unruhe. * * Reggio de Calabria, 3. Jan. Heute früh fand hier ein ziemlich heftiger Erdstoß statt. Die Bevölkerung flüchtete auf die Straßen. — In Milazzo wurde heute früh 2 Uhr ebenfalls eia ziemlich heftiger Erdstoß verspürt. Es herrscht starker Schneefall. * * Hjoerring, 3. Jan. Der mit Stückgut befrachtete Kieler Dampfer „Anton" ist bei Rub- jerg, zwischen Loekken und Loenstrup, gescheitert und in Brand geraten. Die in Kopenhagen erscheinende „Nationaltidende" meldet, von dem gescheiterten Dampfer „Anton" sind 4Mann während der Rettungs versuche ertrunken; 10 Mann wurden durch Rettungs boote aus Loekken gerettet. * * Belgien. In einer großen Volksversamm lung zu Lüttich, an der 10 003 Arbeiter teilnahmen, führten die sozialistischen Abgeordnete» eine auf reizende Sprache. Der Abg. Smeetr forderte die Arbeiter auf, die Flinten zu ergreifen, falls die Re gierung das allgemeine Stimmrecht für die Gemeinde wahlen verweigert. Die Regierung beschloß die ge richtliche Verfolgung der sozialistischen Abgeordneten. * * In Montde Marsan richtete der Scharf richter Deibler am 2. Jan. früh zwei Mörder hin, welche am 8. April v. I. in der Stadt Orchez einen Gefangenen ermordeten. * * Zwischen dem deutschen Reiche und den Vereinigten Staaten von Nordamerika sind bekanntlich Zollschwierigkeiten entstanden wegen der ganz willkürlichen und widergesetzlichen Behandlung deutschen Zuckers, welche das Abgeordnetenhaus in Washington deutschem (und auch anderem fremd ländischen Zucker) angedeihen lassen will. Daß jene Zollbehandlung in der That eine ganz willkürliche ist, ergiebt sich schon daraus, daß Präsident Cleve land und Minister Grasham die deutschen Reklama tionen als berechtigt anerkennen. Die Reichsregierung ist, wie schon im Reichstage mitgeteilt wurde, ent schlossen, diesen Rechtsbruch keinesfalls ruhig hinzu- nehmen und die übrigen europäischenStaatsregierungen, welche ihre Zuckerausfuhr nach Amerika rbrnso be droht sehen, wie Deutschland, sind derselben Ansicht. Zunächst wird die österreichisch-ungarische Regierung einen sehr scharfen Protest nach Washington richten, und hiernach dürfte die hervorragend unteressterte französische an die Reihe kommen. Ein Zollkrieg mit der nordamerikanischen Union ist keine angenehme Sache, aber geht es nicht anders, dann hilft es nichts. Vermischtes. * Der Großmutter Lotterie-Gewinn. Verlöbnis und Trauung waren in früheren Zeiten Ereignisse, die bei Vornehm und Gering feierlich begangen und inSgemein mit einem Schmause, zu dem die ganze Verwandtschaft und Freundschaft geladen war, abge schlossen wurden. Die Kosten trugen die Eltern der Braut, dafür lag es den Gästen ob, die Braut durch Geschenke zu erfreuen, die sich allgemein durch derben Humor, bei dem der Klapperstorch eine Hauptrolle spielte, auszeichneten. Daß auch sinnige Gaben nicht fehlten, beweist ein vor uns liegendes Lotterieloos, welches einer Braut an ihrem Verlöbnistage, dem wilde, grausige Gedanken durch sein Hirn schossen. Aber er zermarterte es vergebens, es war ihm nicht mög lich, klar zu überlegen, die Vorgänge jener entsetzlichen Augenblicke aneinander zu reihen, denn immer von neuem ertönte tief drin im Innern die Donnerstimme des Gewissens: „Mörder! Mörder!" O, weshalb hatte er sein Schiff im Hafen verlassen, weshalb war er nicht auf demselben geblieben! Dann wäre alles anders gekommen und sein Herz heute frei von dem schauerlichen Alp, der ihn nun zu Boden drückte! „Johns," murmelten seine bleichen, bebenden Lippen, „mein Bruder! habe ich Dich niedergestreckt oder " Schaudernd brach er ab, es war Alles so neu und entsetzensvoll! Aber, wo war die Waffe? Sie mußte wo am Boden liegen und wenn das Tageslicht hereinbrach, wollte Willem sie suchen; vielleicht — er seufzte schwer auf und verhüllte von Neuem das Antlitz. — Grau und eiskalt brach der Morgen herein, Willem schaute ihm mit glanzlosen, trüben Augen entgegen. Da legte sich plötzlich eine lindernde Hand auf seinen Arm und eine wohlbekannte traurige Stimme töote an sein Ohr: „Mein armer Willem. Wie ist das Alles gekommen? Sag' es mir, verbirg mir nichts, ich Wills Dir tragen helfen." Er schaute auf und in Annas treues Auge. „O, Mädchen," rief er schmerzlich, „gehe von mir, ich bin dieser Milde nicht wert — man wird Dir sagen — daß ich meinen Bruder — getötet habe." „Und Du, Willem, was sagst Du? Bist Dil schuldig oder nicht?" (Fortsetzung folgt.)