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Io möchte ich mich erbieten, Sie zu meiner Schwester, der verwitweten Pastor Hild, zu führen, die gern bereit sein wird, Ihnen bis morgen Obdach zu geben — Platz ist die Fülle in ihrem Hause — sie ist Vorsteherin einer Pensionsanstalt und da ihre Pen sionärinnen allesamt noch Ferien halten, so stehen die sämtlichen Zimmer, welche von den jungen Mäd chen bewohnt werden, leer." Grethe Stenson war tief errötet. — O, sie fühlte eS gewiß wie eine Erleichterung, daß ihr ein Obdach in Aussicht gestellt wurde, und dennoch be- Doktor noch ein junger Mann, höchstens dreißig Jahre alt — und nun er so hochaufgerichtet vor ihr stand, sah sie es auch, es war auch ein schöner Mann, trotz des finsteren Ausdrucks um die dunklen Augen. „Sie sind momentan in äußerst fataler Lage, mein Fräulein," sagte er jetzt, während er sich leicht verneigte, „wenn Sie sich mir aber anvertrauen wollen, so bin ich bereit, Sie der Kalamität zu ent ziehen . . . Mein Name ist Herder," setzte er dann rasch hinzu, — es mochte ihm wohl eingefallen sein, daß es die Pflicht der Sitte vor allem gebot, sich der jungen Dame vorzustellen — „Doktor der Phi lologie Johannes Herder." „Ich heiße Margarethe Stenson," entgegnete das junge Mädchen leise, indem sie die großen Augen senkte. „Und Sie haben, wie ich gehört, den Zug, der Sie nach B. führen sollte, versäumt? Ich bin in gleicher Lage, mein Fräulein, und auch ich will nach B., bin von hier aus an das dortige Gymnasium berufen, und da ich nun wie Sie bis morgen früh hier bleiben muß und nach der Stadt zurückkehre, denen man mit Recht oder Unrecht Beziehungen zu dem Kammerp. äsidenten nachsagt, hatten ihn erst wieder in letzter Zett mit gerade unerhörter Gehäs sigkeit angegriffen und seine Abberufung wiederholt vorausgesagt. Hier in Deutschland wird man mit allgemeiner Befriedigung hören, daß Herr Herbette auch unter dem neuen Präsidenten weiter die Pflege erträglicher Beziehungen zwischen beiden Ländern in seiner bewährten Hand behalten wird. Der Welt sriede kann dabei nur gewinnen. 8 Der Reichstag mar in der zweiten Hälfte der vorigen Woche ganz außerordentlich schwach be sucht, und daher ist es denn auch gekommen, daß die erste Beratung der neuen Justizvorlage sich drei volle Sitzungen hingezogen hat. Die Debatte, die zum wesentlichen Teil im streng juristischen Tone geführt wurde, bot denn auch wenig Interesse. Di- Vorlage wurde um Ende der Verhandlung und der Woche einer Kommission zur Spezialprüfung über wiesen. Montag pausiert der Reichstag und läßt dem preußische» Abgeordnetenhaus? den Vortritt, welches dann die erste Beratung des neuen Staats haushaltes beginnen und bei dieser Gelegenheit die großen Fiaanznöte eingehend erörtern will. 8 Die Annahme des Jesuitenantrags der Zen trumspartei im Reichstag und die Umsturzvorlage, deren Kommission heute Montag die Arbeit beginnt, werden wieder viel in Verbindung mit einander ge bracht. Es heißt, die Centrumspartei wollte das Umsturzgesetz annehmen, in der Hauptsache wenig stens, wenn die Reichsregierung das Jesuitengefitz beseitigen wollte. Graf Caprivi war entschieden gegen die Aufhebung des Jesuitengesetzes, daß Fürst Hohenlohe sehr viel anders denkt, muß man bezweifeln. ** Salzburg, 19. Jan. Ja der ütz-n Nacht ist in Taxsnbach ein Personevzug auf einen Güter zug aufgesahcen. Mehrere Personen wurden verletzt. Nähere Angaben stehen noch aus. ** Belgien. In dem Antwerpener Gift mordprozeß spielte sich vorgestern ein erregterZwischsn- fall ab. Die Zeugin Bansetter nannte die Angeklagte eine Diebin, worauf L-tztere aufsprang und in snrchi- barer Erregung dreimal „Infamie" rief. Die Zeugin stürzte nun auf die Angeklagte mit geballten Fäusten zu, worauf diese in einen Weinkrampf verfiel. Beim Verlassen des Gerichtshauses ward Frau Joniaux von einer drohenden Volksmenge mit dem Rufe em pfangen: „Tod der Giftmischerin!" Die Gendarmerie mußte die Bedrohte vor Angriffen schützen. ** Frankreich. Nach der Umwälzung in der vorigen Woche, die mi! der Wahl des bisherigen Marineministers Felix F^are zum Präsidenten der Republik endete, ist nun eine gewisse Ruhe «»ge treten. Man wartet ab. was der neue Präsident und das neue Minister!,..», welches er berufen wird, thun werden. Ueber den Präsidenten Felix Faure sind übrigens allent halben ganz falsche Nachrichten ver breitet. Er ist niemals ein armerGer- bergeselle gewesen. Sein Vater hatte ein großes Möbelgeschäft, welches der junge Faure mit einem Ledergeschäft vertauschen wollte. Ec arbeitete daher kurze Zeit als Volontär in einer Gerberei, kam aber gleich wieder davon ab und wandte sich dem HandelSstande zu. Es wäre ihm doch wohl nicht so leicht geworden, in kaum 10 Jahren aus einem Gesellen ein reicher Rheder zu werden. Faure verfügte eben von vornherein über bedeutendes Ka pital. Richtig ist aber, daß er trotz seiner 54 Jahre als das eleganteste republikanische Mitglied der fran zösischen Kammer galt. Seine Wohlihätigkeit hat der neuePrermerminister durch großeArmenip-ndungen bewiesen. Was seine Aufnahme betrifft, so kann man nur sagen, daß die Provinzen ganz mit seiner Wahl einverstanden sind. Die Pariser denken frei lich anders. Als neuer Premierminister gilt sicher der noch leidlich gemäßigte radikale Abg. Bourgeois. Ein großes Licht ist er nicht, und große Autorität, auf die es heute doch vor Allem ankommt, besitzt er auch nicht. ** Paris, 19. Jan. Der Lustspieldichter Raouol Toche hat infolge von Spielverlusten Selbst mord verübt. Ec ging um Mitternacht zu einem zu- geforenen Teiche, zerbrach mit dem Stocke die Eis decke und schoß sich, bis an die Schultern im Eis wasser stehend, eine Kugel durch die Schläfe. Der Leichnam wurde auf dem Grunde des Eises aufge funden. Der Dichter verdiente jährlich 50000 Frks. und hatte vor fünf Jahren von seinem Vater 800 000 Franks geerbt. Spiel und Spekulation ver schlangen Alles. * * P a r i s, 19. Jan. Man erzählt, Faure sei auf der Fahrt vom Versailler Schlosse zum Bahn- Hofe an einerVolksmenge vorbeigekommen, bieheraus fordernd: „Hoch Brisson!" gerufen habe. Faure habe befohlen, langsamer zu fahren, sei im Wagen uusgestanden und habe gesagt: „Gewiß meine Freunde, Brisson lebe hoch, er ist ein guter Republikaner wie ich." Da lachte die Menge und rief nun: „Hoch Faure!" * * London, 18. Jan. Der Herzog von Or leans har an den orleanistischen Senator Buffet folgendes Schreiben gerichtet: „Frankreich befindet sich in einer Krisis, deren Gefahren aller Welt in die Augen springen. Der Kummer hierüber macht das Ex i noch schmerzlicher. Der vor sechs Monaten gewählte Präsident giebi seine Demission und begründet dieselbe in einem Schreiben, das ein Anklageakt gegen die jetzige Konstitution ist. Die Nationalversammlung tritt unter diesen Bedingungen zusammen, um einen Nachfolger zu wählen. Sie sind einer der geachteten Führer dieser Versammlung, Sir stehen in der ersten Reihe derjenigen, welch? die Ordnung, die Freiheit und die großen sozialen Interessen vertreten. W'nn ich mich an Sie wende, so spreche ich also zu allen meinen bekannten und unbekannten Freunden im Parlamente und im Lande, Die Republik kann in Frankreich niemals etwas anderes sein, als ein vorübergehendes Regime, Was in diesem Augenblick vorgeht, ist ein Beweis mehr dafür. Die Stunde ist nahe, wo das Land wird zu der Regierung?form zmückkehren wollen, die der Ruhm seiner Vergangen heit gew.'sen ist und dis Garantie seiner Zukunft sein wird. Die Vorsehung hat mir, eh; sie mich zum Repräsentanten der Monarchie machte, ein schweres Vermächtnis auferlegt. Aber an dem Tage, an welchem mein Land mich rufen wird, werde ich in Ihnen das Vertrauen und in meiner Hingebung an das Land die Kraft finden, meine Aufgabe ganz und bis ans Ziel zu erfüllen. Mein Leben und mein Blut gehören Frankreich, das meine Vorfahren groß und geachtet gemacht haben. DaS wird das Werk der Zukunft sein. Das Werk der Gegenwart ist, die unmittelbaren Gefahren zu vermeiden. Mögen unsre Freunde von neuem Zeugnis ablegen von ihrer Selbst verleugnung, ihrer Vaterlandsliebe, und vereint mit allen guten Bürgern unter den Kandidaten denjenigen wählen, der der beste Träger sein wird: im Innern der Ordnung und des sozialen Friedens, nach Außen der Achtung und Ehre des Landes. Wirken Sie heute für bas Heil des Vaterlandes, morgen werden wir für seine Größe wirken, gez. Phillipp. Den 17. Januar 1895." Der Herzog hat sich heute früh nach London zurückbegeben. * * Dem Vernehmen nach plant der englische Sportsmann und Nordpolfahrer Leutnant Pike eine neue Nordpolfahrt. Die Abfahrt soll im Frühling von Tromsoe erfolgen. Zu dem Zwecke ist der nam- - hafte norwegische arktische Seeman» und Jäger Soereu Kroemer kürzlich in England gewesen, um mit Leut nant Pike alle näheren Vorbereitungen zu besprechen. Schon auf mehreren früheren Reisen war Kroemer der Gefährte PikeS in den nordischen Meeren. In den Jahren 1888—89 überwinterte Pike allein auf der Nordseeinsel, an der Nordostküste Spitzbergens. Pike hat auch auf Alaska am Nukonflusse, in Abessinien, im Kaukasus und in den chilenischen Anden der Jagd obgelegen. Es ist Pikes Absicht, im nächsten Frühjahr von Norwegen in einem nor wegischen Walfischdampfer nach der Nordseeinsel zu fahren, dort sein HauS, welches sich auf der Insel befindet, an Bord zu nehmen und dann nach dem Franz Josephs-Land zu fahren. Dort wird er das Haus wieder aufschlagen und überwintern. Im Früh ling wird er sodann eine Schlittenfahrt nach dem Pole zu unternehmen. Der Reisende Jackson, wel cher sich auf dem „Windmard" nach den arktischen Gegenden ausgemacht Hal, will den Pol bekanntlich auf derselben Route zu erreichen suchen. Der „Wind waid" ist wahrscheinlich im letzten Herbst nach dem Franz Josephs-Land gekommen und überwintert wegen des Estes an der Küste von Nowoja-Semlia. ** Zur Wasserkatastrophe in der Diglakegrube (Staffordshire) wird gemeldet, daß die Hoffnung, die 92 Unglücklichen, welche in der Grube einge schlossen sind, zu retten, fast aufgegeben worden ist. ** Australien. Ueber den Aufstand auf Hawaii wird berichtet: In den Kämpfen am 7. Jan. wurden gegen 500 Rebellen gefangen genommen. Der Verlust oer Rebellen an Toten und Verwundeten ist erheblich. Die Residenz der Exkönigin ist unter po lizeiliche Bewachung gestellt. Am 7. Januar fand in ihrer Washingtoner Residenz eine Haussuchung statt. Es ist noch nicht bekannt, was betreffs der Exkönigin geschehen wird. Deutscher Reichstag. Sitzung vom 19. Januar. Die Beratung der Justiznovelle wird fortgesetzt. Abg. Frhr. v. Tü! tlingen (Rp.): Meine Freunde und ich stehen im allgemeinen auf dem Loden der Vorlage. Einer Entschädigung unschuldig Verurteilter stimmen wir zu, aber die Unschuld muß auch wirklich nachgemicsen sein. Unsere württem- bergische R gierung hat sich auch schon bisher nicht der Pflicht enizogen, unschuldig Verurteilten eine Entschädigung zu gewähren. Mit der Berufung und zwar an die Oberlandesgerichte sind wir einverstan den. Daß im gegenwärtigen Strafverfahren Miß stände bestehen, die Abhilfe erheischen, ist richtig. Am liebsten wäre mir eine vollständige Revision des GerichtsverfossungSgesetzes und des Strafrechts ge wesen. Jad.sf n müssen wir bei der gegenwärtigen Sachlage darauf verzichten und uns mit dieser Ab schlagszahlung bescheiden. Bedenklich erscheint mir u. a. die Verminderung der Prozeßgarantien. Man sollte de» Parteien die Beweiserhebung wie bisher belassen. Die Entschädigung unschuldig Verhafteter halte ich für undurchführbar, so wünschenswert sie auch wäre. In Bezug auf die Art der Eideserhebung stimme ich der Vorlage bei, nicht dagegen der Aus dehnung des Cortumacialverfahrens. Sehr einver standen bin ich mit der mit der Vorlage beabsich tigten Uebertragung der Geschästsverteilung und der Besetzung der Strafkammern durch die Landesjustiz verwaltungen. Nach meinen Erfahrungen, die ich mit den unverantwortlichen Präsidien gemacht habe, kann ich es nur begrüßen, daß dieses Recht in die Hände des verantwortlichen Ministers gelegt wird. Abg. Grillenberger (Soz.): Die Regierung hat in dieser Vorlage einige Konzessionen gemacht, stellt aber leider so viele Gegenforderungen, welche rührte es sie peinlich, daß sie dieses Obdach einem ganz fremden Manne zu verdanken haben sollte. —> Aber sie glaubte sich ihm anstandslos anvertrauen zu dürfen, seine ernste, beinahe düstere Art war ent schieden dazu angethan, ihr jede Sorge, er könne in irgend einer Weise sein Beschützeramt mißbrauchen, zu verscheuchen, — und so sah sie denn mit den tief- dunklen blauen Auge», in denen noch ein ganzer Himmel voll Unschuld lag, zu ihm auf und sagte einfach, in ihrer lieblichen bescheidenen Weise: „Ich nehme das freundliche Anerbieten an, Herr Doktor — mit großem, großem Dank — selbst auf die Ge fahr hin, Ihrer Frau Schwester nicht eben ein gern gesehener Gast zu sein." Er machte eins abwehrende Handbewegung. Es war, als wenn er sagen wollte: „Wozu die Re densarten ?" Dann meinte Herder kurz : „Nun, so wollen wir aufbrechen — der Weg bis zur Stadt ist ein weiter und da D. nur über drei Droschken zu ver fügen hat, die sämtlich schon den Heimweg angetre ten haben, so müssen wir eben versuchen, xor xsäss nach der Behausung meiner Schwester zu kommen." „O, ich bin eine gute Fußgängerin", erwiderte Grethe, „und es müßte schon eine bedeutende Strecke zurückzulegen gelten, wenn ich mich ihrer nicht ge wachsen fühlen sollte." „Wir haben über eine halbe Stunde zu gehen", sagte der Doktor kurz. „O, ich bin an längere Touren gewöhnt", meinte das junge Mädchen darauf. „Desto besser." Er ging an seinen Platz zurück, nahm das Köfferchen auf und in seine Rechte den Margarethe. Original-Roman von M. Widder n. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Als nun der Doktor sinnend vor sich niedersah, fetzte er hinzu: „Ich denke, Sie spielen auch einmal den barmherzigen Samariter und nehmen sich der armen Kleinen au." Die dunklen Augen in dem finsteren Gesicht des Doktor» hoben sich jetzt, sie sahen einen Moment forschend nach dem jungen Mädchen, das tief er rötend zu ihrer Pein Wort für Wort von dem ver standen, was der Beamte gesagt. — Dann nickte er langsam mit dem Kopfe und indem er sich ebenso langsam — es schien, als brächte er ein Opfer — von seinem Platz erhob, erwiderte er mit fester, tiefer Stimme: „Ich werde wohl Ihren Wunsch erfüllen müssen, Herr Vorsteher. Es hieße ja jeder Menschenpflicht gerade in das Gesicht schlagen, wenn man der Dame daS nötige Unterkommen versagte; und Sie haben recht, meine Schwester gewährt eS ihr auf alle Fälle." Er sagte das alles in einem Ton, in einer Art und Weise, die deutlich genug verriet, es war wirk lich auch nur das Gefühl, einer Pflicht zu genügen, die ihn dazu veranlaßte, die Bitte des Beamten zu erfüllen: Die rührend liebliche Erscheinung des jungen Mädchens beeinflußte ihn durchaus nicht, sie beein flußte ihn auch nicht, als seine mächtige Gestalt ihrem elfenhaften zarten Figürchen gegenüber stand, nur um drei Schritte entfernt, das sich bet seiner Annäherung rasch erhoben. Und doch war der