Volltext Seite (XML)
W' Die Schlehciistrülichcr am Ilse« sind noch dürr und kahl. Sie siehe» licsschwarz gegen de» Himmel. Niuer ih»e», dirhl »lil de» Köpfen am träge slieheiidcu Wasser, liegen Piiicrchc« »»d Willcm bäuchlings ans de» küm merliche» Grasstumpcil. Pitterehc» schanl über de» ksiheiu, prcht die Lippe» a»fci»andcr »iid k»cist die Augen zu eine»« schmalc» Spalt z»sa»l»lc». „Ich muh »lir heute »och eine Bl»mc hole»," sagt er ernst lind bestimmt. „Oben im Garte» bei der Villa blühe» schon welche — auch Pfirsiche blühe» da — —" „Was willst d» damit?" Die Frage klingt etwas ängstlich. Willem war immer ängstlich. Und eine d»m»ie Frage ist cs. Was will ciu zwölsjährislcr Junge mit einer Bl»me? I» de» Mund nehme». ll»d nachher? Wegschmeihcn, jalvohl! Pittercheil zieht den linken herabgcrnlschtcn Striimpf über den grünen Grasfleck am Knie nnd stapft den Weg zur Villa Hinans, die dicht am Wasser liegt. Willem folgt ihm zaghaft. Dann stehen sie nor der Maner der Villa. „Ruck-zucl" nnd noch einmal „Ruck-zuck", dann hocken sie oben, lassen sich in den Garten hinnnterglcitcn. „Wo stehen sic?" fragt Willcm nnd zittert dabei. Pittcrchen schanl sich um. Die Blume» stehe» vor ihnc» am gegenüberliegenden Gitter. Zwanzig Schritte — ja lvohl. Und zwanzig zurück sind vierzig. „Los!" sagt Pitlerchcu. Er schnellt ans dem Gebüsch über den freien Rasenplatz ans die Stränchcr zu. Und springt an ihnen hoch, will im Springen Zweige abrcihcn. Es dauert lauge, ehe er ciu paar Zweige Hal. Plötzlich ist Willems Stimme da, laut und schreiend: „Pittcr — der Hund!" Als sich Pitterchen nmdreht, sieht er Willcm ans der Maner sitzen, an der anderen Seite hernniergleilen. Vom Hans her kommt Walter Mähl, des Besitzers Sohn, mit Zcnta, der Schäscrhündin. Auch Walter Mähl schreit. „Spitzbuben! Einbrecher! Fas;, Zenia!" Er löst den Hund von der Leine. Pittcrchen bleibt stnr stehen. Es hat keinen Zweck zn laufen. Ein ärgerlicher Zng gräbt sich über seine Nasenwurzel. Verrechnet! — Aus! Der Hnud luurrt vor ihm Drohend sehen seine Zähne aus. Aber Pitterchen verzieht das Gesicht nun nicht mehr. Er steckt einen Blülcnstengcl in den Mund. So erwartet er Walter Mähl, der nnn kommt — schmal und hochmütig. Er lächelt höhnisch nnd ist doch nur zwei Jahre älter als Pittercheil. Zcnta schnappt Pilterchcns Hoscnbvden nnd zerrt ihn nor Waller Mäht. „Na, Spitzbube," sagt Walter Mähl uud schweigt oauu einige Atemzüge lang. Er scheint sehr angestrengt nachzudenken. „Du hast Forsiticn gestohlen und auch Pfirsichblüten," fährt er dann fort, freundlich und nieder trächtig, „eigentlich mühtest du Prügel dafür habe». Aber ich will dich laufen lassen. Mach, das; du wegkommst. Aber die Blumen bleiben hier." Pitterchen schmeisu die Blumen ans die Erde nnd trottet langsam zur Maner hin. Es macht ihm Späh, die Schritte nnn tatsächlich zu zählen. 15, — 16, — 17 —" Aber da ist wieder Walter Mähls scharfe, kalte Stimme: „Fah, Zcnta!" Und als cr in plötzlichem Schreck nach der Mauer springen will, spürt er in seiner Wade die Zähne des Hundes. Nicht sehr fest, aber cs genügt, ihn ans dem Platz zu halte». „Bring ih» her!" ruft Walter Mähl. Ze»ta schnappt Pittcrchens Hosenboden nnd zerrt ihn vor Walter Mähl. „Ich wollte dir nur zeigen," sagt der, „wie gefährlich cs ist, in fremden Gärten stehlen zu wolle». Nun kannst dn gehen." Pitterchen geht wieder, dnnkelrot vor Zorn. Als cr den Sprung wagen will, hetzt Walter Mähl wieder den Hund auf hin, läht ihn zn sich zerren, und lüht ihn wieder gehen. Er wiederhol das grausame Spiel noch ciuigcmal. Pittcrchen geht nnn nicht mehr, er rennt. Aber immer ist der Hund schneller. Es ist ein lärmendes Jagen. In Pittcrchens Augen schimmert cs. Er keucht, aber schweigt. Nur einmal sagt er gepresst, kaum öffnet cr den Mund dabei: „Das ist feige." Aber Walter Mähl lach». Erst als eine warme, klingende Stimme Waller Mähl znm Essen rnft, kann cr ungehindert über die Mauer klettern. Seine Hose ist zerrissen, ans seinen Beinen sind blutige Male. Pitterchen bindet das Taschentuch darüber. Aber er kommt doch noch zu den Blumen. Er holt sie so leise aus dem Garten, dah sogar die scharfhörigc Hün din nicht anschlägt. Das versöhnt ihn mit ihr. Mit ihr ist er nnn quitt. Aber mit Walter Mähl ! Der Sommer kommt und vergeht, und der Herbst kommt und vergeht. Pitterchen trägt oft eine strotzende Blume aus dem Villengarten zwischen den Zähnen. Die Gefahr reizt ihn, nicht die Blumen. Er muß sic suchen. Stnr, schweigsam und zuweilen, wenn er an jenen merk würdigen Tag denkt, mit einem traurigen, brennenden Blick. Pittcrchen warte«. Und mit einem lauen Frühjahrsmorgen brich« der Tag der Vergeltung an. Sie spielen am Wasser, Willem und cr. Der Rhein ist nun nicht mehr saust und von ocm fröhlichen Blau wie damals. Gelb nnd schmutzig uud wild schiesst er dahin. Hochwasser. Auf ihm treiben weih, mit wulstigen Näudern, Eisschollen. Und vieles andere treibt ans ihm, wofür die Knaben sich sehr interessieren. Mit langen Stangen stehen sic da nnd zerren ans User, was ihnen brauchbar erscheint. Sic wollen ein Flos; zim mern. Frei sein aus dem Wasser wie zu Lande. Fahren oder gehen, wie sie wollen. Aber da tönt plötzlich Schreien am Ufer und ein Jaulen. Da rennt Walter Mähl ans sic zn, fuchtelt mit dcu Armcu, ruft dünn nnd scharf: „Helft! Helft! Die Hunde 1" Vor ihm her rennt Zcnta schnnpperud nnd lang- gezogcu heulend. Sic springt in das wirbelnde Wasser, schlägt mit den Pfoten die Eisschollen beiseite. Da schwimmt ein rnndcs Ellvas — und vor diesen« Ding, das anSsicht wie eine Waschbüttc, versucht Zcnta, auf ciuc Eisscholle zu klettern, nun plötzlich wieder laut nnd durchdringend jaulend. Plötzlich gleitet über Pittcrchens Gesicht ciu Lächeln. Er steigt ruhig in einen am Ufer liegenden Kahn, legt die Niemen ii« die Dollen. „Flenn nicht so," sagt cr zu Walter Mähl, „drück lieber dcu Kahn ab." Pitterchen «uns; stehen, wenn er rudert, so klein ist er. Das Lächeln sitzt noch in seinen Mundwinkeln. Die Schol len prallen gegen die Bootswaud, knirschen, poltern. Pit terchen schanl sich nm. Zwanzig Nndcrschlägc, so rechnet cr. Die verdammten Schollen! — ll>, — 11, — 12 —. Eine Scholle schiebt sich unter den Nachen, hebt ihn hoch. Pitterchen verliert das Gleichgewicht. — 17, — 18 — — „Zenia!" jammert Walter Mähl am User. Er kreischt wie eine Fran. So denkt Pitterchen. — 1!>, — 20. Er tvirst die Nuder in den Kahn, bcngt sich über den Rand nnd greift Zcnta am Halsband. Es fällt ihm sehr schwer. Zcnta wehrt sich, schnappt nach ihm mit den spitzen Zähnen, von denen er weis;, wie sic bohren können. „Zcnta," murmclt cr, „nnn sei brav, Zcnta." Als er das Tier in das Boo« gehoben hat, schwitzt und keucht cr. Er beugt sich wieder hinaus, sieht die Bütte, die nun fast vcrsuukcu ist. Hastig greift cr zu uud hebt sic hoch, lässt das Wasser ablauscu: vier junge, wim mernde, frierende Hündchen liegen darin. Ein Gummi- kisscn, das sich mit dem Wasser gehoben hat, bewahrte sie vor dem Ertrinken. Zcnta winselt, sie beleckt die kleinen Der Tod im Dunlelmeer Von Erna Büsing. Die Geschichte vom sündhaft habgierigen Kapitän Eide Meier geistert noch hentc durch die Hafenstädte. Es ist, als ob eine besondere Verpflichtung bestehe, die Er innerung an diesen raffsüchtigcn Kapitän wachzuhaltcn, der nicht in die Ncihe der Kamcradcn gehörte, mit denen er lebte. In Eide Meier lag nämlich nicht dieser unbezwing bare Drang, zur See fahren zn müssen. Eide Meier fuhr, um möglichst viel Geld zu verdienen. Schon als Leicht matrose war cr in düstere Schmuggclgcschäfte verstrickt. Als er »ach Jahren in die Hafenstadt znrückkam, war cr Kapitän einer kleinen ausländischen Reederei. Nun, Eide Meier fuhr allster Landes, damit war die Sache in der Hafenstadt erledigt. Nun war er zu einer Erbschaftsregelnng in seine Heimatstadt gekommen. Kein Mensch wusste etwas von dem Testament seines Onkels, doch erfuhr mau, das;, nuu der Kapitän aus der Bildfläche er schienen, seine Schwägerin bet telarm geworden war. Der Frau hatten zwei un bebaute Haus- plätzc gehört, die sic verkaufen wollte, da sie »ach dem plötz liche» Tod ihres Erilährcrs Geld gebrauchte für sich mld ihre Kinder.AberEide Meier schwur einen Eid, und ihm gehörten fortab die Grund stücke. Es gab nicht einen Ein wohner der Ha fenstadt, der de» genauen Hergang wusste; doch da dem Eide Meier Zeichnung: Grnmvald — M. niemand traute, waren die Klein städter sich ohne viele Worte einig Daß letzte Boot wollte daS Schiff verlassen, als der Kapitän noch einmal »ach unten ging. nnd kauften dem neuen Grundherrn die Hausplätze nicht ab. Seine Schwägerin hatte eine Verwünschung aus gesprochen und gesagt, er werde in der Wüste verkommen. Man raunte einander zu, die Schwägerin habe einen Traum gehabi. „Nuu ja, der Ozean ist doch eine Wasser- wüste, wer weist, wo der Kapitän noch einmal abbleibt'" Hüudcheli, hol« sie aiiS der Bütte: slosteiid, schiebend, mit spitzen Zähnen. Dann legt sic sich hin und schliesst die Ange». Die vier zitternden Hündchen drängen sich unter ihren Leib. Pittcrchen lächelt noch immer. Aber nun ist das Lächeln weich und verloren. Erst als ein lauter Schrei zu ihm hcrübcrdriugt, schreckt cr auf und greift verstört nach den Riemen. Seine Mutter! — — Er kommt heil au Laud uud trägt die Hunde in die warme Küche seiner Mutter. Zufällig ist sie die nächste. Er reibt die Hunde mit einem angewärmleu Tuch ab, gibt ihnen hcistc Milch. Als er sich anf- richtct, streckt der ihm die Haird entgegen. Es schimmert feucht in seinen Augen. Aber Pittcrchen sicht die Hand nicht. Da cr rötc« Walter Mähl. Er kramt in der Tasche. Er will ailstä» dig sei««, sicher, — holt ein Geld stück hervor, es glänz« silbern. Aber Pitterchen sich« es nicht. Da drücl« Waller Mähl ihm das Geld in die Hand. Heist und mit kräftigen« Druck. Aber es fäll« zur Erde, mitte» »iitcr die krabbclttdeu, kriechenden Hunde. Und Pitterchen geh« hinaus. Gerade, schweigsam, vcr- achteud. Hunde in einen« warmgepolstcrten Korb. Nach ihm kommt Walter Mähls Mutter. Sic hat die warme, klingende Stimme, die da mals zum Essen rief. Sie streichelt über Pittcrchens Haare. Doch das will cr nicht. Sie redet zu ihm; doch cr schweigt. Uud endlich erhebt cr sich, geht hinaus, als sei sie ihm lästig. Nach einiger Zeit schickt sic ihm einen der jungen Schäferhunde. Pitterchen nimmt ihn gern nnd ungern zugleich au. Er will ihu dressieren. „Ich werde ihn später auf Walter Mähl Hetzen," sagt cr zu Willcm. Aber das ist das einzige Vorhaben, das cr ankündigt und uie ausführ«. Dem« er ist nun auch mit Walter Mähl quitt. Uud uebeu ihm steh« Walter Mähl. Zcichmmgcii <2): Grnmvald — M. Hastig greift cr zu und hebt dir Bütte hoch. Der Gärtuer kommt uud holt die Aber der Kapitän verkam wirklich in der Wüste. Das ist eben das Seltsame an dieser Geschichte, wann» sie bis auf den heutigen Tag nicht vergessen wurde. Als er nämlich mit sciucm Schiff von Kap Bajador nach Kap Blanco segelte, stand am Himmel daS unheil verkündende Gespenst aller Asrikasahrcr. Die Seeleute starrte» auf die eigentümliche» schwarze» Streife» am Horizont, die deutlich vcrküudeleu, das; die Wüste i» Be wegung war. Und dann beherrschte die Sahara das Meer. Dicht rasten Sandstürme über den Ozcan. Die Luft war verfinstert. Sand lag ans der Kommandobrücke, Sand lag in den Kojen und Kleidcrsäcken der Schiffsmannschaft. Plötzlich herrschte völlige Windstille. Das Schiff stand in einem Sandregcn. Aber was das Furchtbare war: Obwohl kein Windstos; iu seine Segel kam und man keinen noch so geringen Luftzug au Deck verspüren konnte, trieb das Schiss wie ein Spielball in der gcfürchlctcn nord- südlichen Strömung. Grimmig erwartete die Mannschasi ein Unglück. Im seichten Wasser stich der Segler auf eine Klippe. Ihn srci- znbetommen, war unmöglich. Zudem hatte er ein ge höriges Leck, iu das Wasser drang. Man segle die Pum pe«« iu Bewegung, man versnchle abzudiclsteu, und der Sand rieselte. Alles war umsonst, das Schiss legte sich auf die Seite und sank. Die Rettungsboote wurden klargemach«. Alai« hatte Zci« genug gehabi, reichlich Proviau« in ihnen zu ver stauen. Daun sagle man einander „Aus Wiedersehen". Man mnsste schnell aus dem saugenden Strudel des unter gehenden Schiffes kommcn und sich daun aus deu Kom- past, die eigene Armtraf« nnd den lieben Goll verlassen und die Küste entlang rudern, «im irgendwo zn landen. Das letzte Boot «volltc das Schiss verlassen, als der Kapitän noch einmal nach unten ging, nm eine Kassette zu holen. Es handelte sich nicht um die Schiffspapierc, die waren bereits im Boot: es war sicher eine Kassette, die wertvolles Privateigentum cuthiclt. Schiefer uud schiefer legte sich das Schiff, cs neigte sich derart, das; cs das Boot bereits wegsog. Man rief, man wartete, der Sand fiel stärker, mai« starrte vergeblich in die Dunkelheit, doch kein Auge erspähte deu Kapitän. Nach schweren Tagen landete die Mannschasi an der Küste in der Nähe von Kap Blanco, stich auf die letzten Ansiedler der von den Portugiesen verlassenen Bai von Arguin und schlug sich trotz mancher Irrfahrten nach einer Hafenstadt dnrch. Dort erzählte man dann die Geschichte von dem Ka pitän Eide Meier, der den Tod im Dnnkelmer sand. Was aber in einer Hafenstadt gesprochen «vird, erfährt man gar leicht iu der anderen. So kam auch die Erzählung ohne Entstellung in die kleine nordische Stadt, wo sic freilich weit mehr Aufsehen machte als iu Afrika. Die Einwohner sahen einander an und sagten: ,^Ja, ja, cs ist bisher noch jeder bestraft worden, der sich an Witwen und Waisen verging; was nützen ihm nnn die Hausplätze!" Bis einer rief: „Er starb im Duttkelmecr, das ist doch noch ein Stück Sahara, das in den Ozean reicht!" Dan» waren alle ganz beklommenen Sinnes und wühle»: „Nnn ist Eide Meier also doch in der Wüste gestorben!"