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Sächsische Elbzeitung : 11.01.1936
- Erscheinungsdatum
- 1936-01-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1787841065-193601112
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1787841065-19360111
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1787841065-19360111
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Elbzeitung
-
Jahr
1936
-
Monat
1936-01
- Tag 1936-01-11
-
Monat
1936-01
-
Jahr
1936
- Titel
- Sächsische Elbzeitung : 11.01.1936
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Skizze von Scho» mehr denn zwei Sliliidc» hält der blondschopfigc Bub un kurzen Wains neben nun kostbar aufgczännilen Pferd Wache, dessen Sattelzeug wehr an das eines Riilcrbürtigen erinnert als an das eines Kaufmännischen. Ist aber lrotzdeni das Nos; des Lübecker Handelsherrn Arno Napesnlvcr, der in de» frühen Mittagsstunden ohne jedwedes Gefolge in den Hof der Tücher iw heiligen Köln eingeritten. Ein wichtige Mission scheint er zn haben. Heinrich Tnchcr stiehlt den Blick von dein Roh hinauf iu das erste Stockwerk, da hinter dunkelglasigeu Fenstern des Herrn Vaters Stimme grollend jeden Widerspruch verbiete.. Der Bnb presst die Hände seit über dem Herzen zusammen. Schon war ocr Fremde mit seinem kühn entschlossenen Gesicht und den furchtlosen Bewegungen. War nimmer recht, das; der Herr Baier so Harb mit ihm tat. Scheu, wie ein gescholtener armer Sünder, dem das Prangermal an der Stirne steht, schleicht Heinrich Tnchcr an den riesigen gewölbcartigen Räumen vorüber, da das Tnch sich ausstapeü, um au südliche Handelsplätze wcitergcleitct zn wer den. Ans den Kontoren tvinint das eifrige Kritzeln der Federn, die Verträge anfsctzen, Zahlen zttsanm-ouzählen. Und unter alles braucht der Herr Vater nur stoU sein Sichel zn setzen, das in dem goldenen Ning an seinem Mittelfinger di- Welt zu be herrschen scheint. Einen kecken Inbcllanl möchte Heinrich Tnchcr ausstoßen, daß der Herr Vater gar so großmächtig und gewaltig, fast wie ein König. Aber iw rechten Augenblick besinnt er sich, das; er ja ein wenig lauschen wist. Reisst an des Bnben Herzen etwas, das er nicht recht fassen kann, das ihw rechtens scheint, obschon -s nach anszcn nicht rechtens ist. Lanschcn an der Wand ist eine granslichc Schande. Schamröte treibt cs Heinrich Tnchcr ins Gesicht. Aber wimmelt nicht die ganze Stadt schon seit Tagen von fremden Kaufleuten, die nm solche Zeit sonst anderes zn schassen haben? Wird also Wohl etwas Wichtiges geschehen... Dew Bnb schiesst Helle Fcnerfarbe ins gebräunte Gesicht. Ich will auch mit dabei sein. Werd ja auch ciuwal ein Kauf herr. Der Herr Vater darf mich jetzt nimmer ansschlics;cn. Iw vergangene» Mano bin ich fünfzehn Jahre alt geworden. Nun liegt der Trcppeuaufstieg hinter dein Bnben, vor sichtig stellt er die Schritte, das; nur ja nicht die weit ausholcn- dcn Schnabelschuhe mit etwas Klirrendem in Berührung kom men. Und er Hal Glück, der Heinrich Tücher, den beim letzten Geschlcchterfcst die Mägdlein schon freundlich verliebte Blicke zuwarscu. just weil ihm das Haar so golden nute' der Gugel hervorquoll. Die Tür zum Zimmer, da der Herr Vater mit dem Frem den so heftw diskutiert, steht halb offen. Heinrich Tnchcr kann gcrad- die beiden Männergestalten erkennen, die sich wie Feinde gegcnüberstehen. Ans den Tisch schlägt der alle Tücher jetzt, das; die Becher in jähem Entsetzen Umschlägen und der köstliche Falerner sich von der Tischplatte ans den hcstgeschenerten Fußboden vertropft. „ES ist mein letztes Wort, Napesulver. Was kümmert uns Kölner Wisbh, wak kümmert nns Dänemarks König? Ein Schemen sind Waldemar Attcrdags Seeräubereien für nns hier am Rhein." Der andere fährt mit der Hand am Gürtel entlang, in dem jetzt statt der Geldtasche kriegerisch angreifend der Dolch steckt. „Ich denke, wir schlossen nicht umsonst vor Johren den Bund der Hanse! — Die Hanse nmschlicsst uns aste!" Der Lübecker beton« scharf jede einzelne Silbe. „Wir alle sind stark durch sie. Wenn der Bund uns nicht schützte, wären wir ein hilfloses Spielzeug in der Hand beutegieriger Fürsten und Bischöfe." Durch die niedrigen Fenster, die sich alle nach oben hin verjüngen, fällt ein Lichtschein in das Helle Gesicht Arno NapesnlverS, lässt es wie 'n einer Gloriole erstrahlen, das; es dem lanschcndcn Buben fast das Herz zerreisst. Mic er spricht, j der Herr ans Lübeck, wie in seiner Stimme seine Seele zn ! werbe» versteht! Nnr das; der Geora Tnchcr nicht verstehen ! will. „Hab andere Inleresscn im Augenblick. Mus; meine das nächste Frühjahr Hinans ist keiner entbehrlich." Zäh hält der Mann an dem Gedanken fest, der ihn ansschliesst ans der B e ck e m Gemeinschaft der anderen, .ic ' Hcscn Tagen im heiligen Köln versammelt sind, nm zn beraten, wie sic der Anmaßung des wilden Däncnkönigs gegcnübertretcn können ... Des Lübeckers scharfe Anaen schauen plötzlich von seinem Geaennber auf, hinweg über Georg Tnch"rs kräftig" ManncS- aestaH, finde» de» Wea l,m zn dem lauschenden Buben, der zu Tode erschrocken aufspringen wist imd doch nimmer den Mut findet, auch nur ein Fingerlcin zn rühren. So beherrschend ist Arno Rapesulvers Blick, hinter dem nicht nnr die eigene starke Persönlichkeit steht, sondern ast die Kaufherren, die sich, nur auf die Gcsawlhci! bedacht, jetzt znsammengcfunden haben nnd deren Bole cr an den verbissenen Georg Tnch?'. geworden. „Wenn das eben Euer letztes Wv't war" — Arno Rapcsulver richtet mit der Hand irgendeine unsichtbare Maner ans — „so habt Ihr Euch selbst ans der Hanse ausgeschlossen, Tücher. Denn Ihr wisst, wir taten uns zusammen, um die Gemeinschaft zn schützen, nicht den Einzelnen, auf das; einmal aus der Gegenwart in die Znknnft ein Ganzes hinübcrwachse, das auch unsere Söhne und Enkel schützend nmschlicsst." Der Lübecker will an dem anderen vorbei die Türe ge winnen. — „Man erzählt sich, Tnchcr, Ihr habt ciucn Sohn, dem Ihr einmal Encr Geschäft vererben wollt. Schade, das; Ihr jetzt nur an Euch denkt, nicht an das Kind und die, die einst mit ihm Kaufherren sein werden." Da wird jäh die Türe anfgestos;en. Ast Angst und Hemm nis hat Heinrich Tnchcr iibcrwmiden. Er fühlt, der Lübecker kämpft für die große Idee... „Herr Vater!" — der Bnb hängt sich bettelnd an des Maunes Arm — „Habt doch sonst ganz anders gesprochen. Wisst noch im vorigen Herbst, da Euch die Hamburger Geleit stellten für einen Warcnzng, der Euch sonst Wohl verloren!" Noch immer schweigt Tücher. Nur tief drinncu in seinem Herzen wird langsam etwas beweglich, das sich noch nicht über die Lippen wagen will. Hal recht, der Lübecker. Die Gemein schaft nur schützt uils. Aus der Gcmciuschaft aber, die selbstlos stützt Mi'' hält, wächst die Zukunft. Der klaiumcriidc Ning um des Mannes Herz gibt plötzlich nach. Neber seines Kindes Haupt streckt Georg Tücher Arno Rapcsulver die Rechte entgegen, die andere liegt wie im Schwur auf des Buben Gvldschopf. „Ich bin dabei!" Wie eine Erlösung kommt es von des Mannes Lippen. Im gleichen Augenblick aber beginnen von asten Kirchen des heiligen Köln die Glocken zu läuten in der Kraft ihrer all- grwaltigen Gemeinsamkeit. Den Abend tragen sie hinüber iu den neuen Tag, da 77 Städte auf dem Rathaus zu Köln sich zum Schutz und Trutzlnmd gegen König Waldemar Attcrdag zusammcnschließcn, dem Bund, der im Frieden zn Stralsund anno 1370 den Sieg der Hanse triumphieren lässt über die will kürliche Faust des Einen. Spießgesellen Skizze von Christoph Walter Dreh. Mil steigender Unruhe sah Frau Siebert nach Ser Uhr. Es fehlten nnr wenige Minnien an halb zwei, und noch war Otto nicht ans der Schule zurück. Bald wurde Papa kommen, der pünktlichste aller Familienväter, und ein schlimmer Empfang stand dem Kleinen bevor, wenn er nachher mit der Erklärung hcrcinschncite, daß cr habe nachsitzen müssen. Denn der pünktlichste aller Papas war-auch einer der strengsten. Als Sicberl ans den Glockenschlag sein Heim betrat, musste cr schon irgend eine Ahnung haben. Seine erste Frage galt dem Jungen. „Noch nicht hier? Dann werden sie ihn wohl wieder mal zur Belohnung für Fleiß und gutes Betragen in der Schule behalten haben!" meinte er. Und als er die Suppe löffelte und Ottos Platz noch immer leer war, sagte er: „Wcnn's einen Trost gibt, ist es der, das; die Bengels aste nichts taugen. Schaper klagte mir vorhin erst wieder sein Leid über den Hugo. Eine seine Nummer ist das!" „Ja, cs soll eiu schreckliches Kind sein!" „DaS weisst du und duldest trotzdem, das; unser Schlingel nnd dieser Nänbcrhanptmann Zusammenhalten wie Pech und Schwefel? Das; sic unzertrennliche Spießgeselle» sind?" „Das; er niil dem Hugo so eng befreundet ist, war mir nicht bekannt", erwiderte sic kleinlaut. „Nicht? Also auch vor dir Hai cr schon Geheimnisse! Vor seiner Mittler! Da wird's ja hohe Zeit, daß ich ihn mir wieder einmal ordentlich vorknopfe." Nach dem Essen war Otto noch immer nicht nach Hause gekommen. „Dn — hör mal, du glaubst doch auch, das; cr noch in der Schnlc hockt, das; cr nachbrnmntt?" „Wo sollte cr denn sonst fein?" fragte die Mutter erschrocken zurück. „Der Schaper wist hcrausgebrachl Haven, das; sic sich zuweilen herunurciben", erklärte er. „Eine ganze Horde, die nnr ans Dummheiten anSgcht. Mau kennt das ja!" „Dn kennst cs?" „Ich bi» doch auch eiu Junge gewesen... Das heißt, nicht so einer, so einer war ich nicht!" Halte sein Geschäftsfreund Schaper nicht davon gesprochen, daß die Jungen sich mit Vorliebe auf dem Eise des Stadtsecs tummelten? Dort waren sie neulich ertappt worden. Nnn Halle cs zwar in den letzten Tagen stark gefroren, aber der See war auch bei andanernd strenger Kälte noch gefährlich. — -- Siebert nahm seinen Hut und lies eilig aus dem Hanfe zum See. Schon sah er den vereisten Spiegel in den Strahlen der Wnttersonnc, als ihm aufgeregte Menschen cnlgcgcnlamen. „Er hat ihn noch gerade zn fassen gekriegt", Hörle er einen Knaben sagen. „Und hat ihn nicht wieder losgclassen." „Lang anfs Eis hat er sich gelegt, sonst wäre cr auch cingcbrochcn", ergänzte ein anderer. „Ihr »»nützen Lümmel!" schalt einer der Erwachsenen. „Was habt ihr auch auf dem See zu suchen?" Sicberl fühlte sein Herz klopfen. „Was ist passiert?" fragte cr, nnd seine eigene Stimme llang ihm fremd. „Ein Junge ist cingebrochcu." „Ein Junge? Wer? Wie heisst er?" Ihm war zumute, als stände er selbst ans berstenden, zusammcnbrechcndöu Eis schollen und verlöre den Halt unter den Füßen. „Hngo Schaper!" „Hngo Schaper!" Er sprach den Namen gedankenlos nach. „Und was ist mit ihin? Lebt cr?" „Sie haben ihn im Wagen weggcbracht — ihn nnd den anderen." „Den anderen?" „Otto Siebert!" rief eines der Kinder eifrig. „Der ist ans dem Bauch bis zu Hugo Schaper hiugekrochcu und hat ihn so lange fcstgehaltcn, bis Männer gekommen sind und ihn hcrauSgczogen haben." Sicberl fraglc nichts nicht. Er lief in die Stadt zurück. Als cr die Treppe zur Wohnung des Freundes hinanfgestürmt war nnd klingelte, öffnete ihm Schaper selbst. „Da sind Sie >a anch!" sagte er. „Ihre Frau ist vor einem Weilchen gekommen. Wir hatten gleich Nachricht in Ihre Wohnung geschickt. Aber nnr keine Beunruhigung!" Er führte Siebert in das Schlafzimmer. „Dort liegt der Ihre!" Seine Frau stand am Bett und winkte ihm, näher zu kommen. Er sah nur einen blonden Haarschopf. Vorsichtig schob cr das Federbett etwas zurück und blickte in die großen blauen Augen seines Sohnes. „Was hast dn nur angegeben?" fragte ihn der Vater mit mildem Vorwnrf. „Warum ging! ihr auf dcu See? Wußtet ihr nicht, daß cs verboten ist?" „Ja, aber wir wollten cs doch mal probieren ..." hanchte Otto seclcnvoll. „Probieren! Welch ein Leichtsinn!" seufzte Siebert, strich dabei aber liebkosend mit der Hand über die Stirn seines Jnngc». Bier EUcrnherzen waren von Dank gegen die Vorsehung erfüllt. Eine andächtige Stille herrschte im Ranm. Da richtete sich Otto, wie von einer Sprungfeder geschnellt, im Bette ans nnd schrie: „Du Hugo! Hast du auch den Groschen noch, wofür wir uns Knallerbsen kaufen wollten?" In den Kissen und Decken des anderen Bettes wühlte und wogte es, ein Kopf mit wirrem, braunem Haar tauchte daraus j hervor, und eine Helle Stimme schmetterte zurück: „Ach ja, j Otto, der Groschen... Seht doch bloß mal rasch in meiner ' Hosentasche nach, ob ich meinen Groschen nicht vcrlsreu habe!" Die Hanse 6 n n 6 IN a r i e Zwiegespräch ! Skizze von Wolfgang Fcdtzran. „Es war wohl ein bißchen viel, Liebste, nicht wahr?" ! fragt der Mann mit cineiu leisen Seufzer, dcu er nicht ganz zu unterdrücke» vermag, denn er ist kein Freund lärmender Geselligkeit, nnd die stillen Stunden sind ihm seit jeher die liebsten. „Ach ja", lächelt Anita. „Es war gewiß schön — cs war doch nnscre Hochzeit, nicht wahr, nnd das ist immer schön. Auch wenn es austrengl uud ermüdet uud mau manchmal durchaus weglanfcn nwchlc, mu irgendwo ein bißchen zu wciucu, vor . . . vor Glück, ja. Aber cs ist gut, das; alles vor bei ist. Das; wir unu allein sind, Dn nnd ich. Allein ... nnd doch nicht allein.- Sic öffnet die Tür zu dem Balkon, und gemeinsam treten sic hinaus. Anita ist nindc, aber sic mag noch nicht znr Rnhe gehen. Sic ist müde, gewiß, nnd dennoch sehr wach. Die Nacht steht groß und ernst nnd schweigend über der Erde, die sich vor den trunkenen Augen der beiden jungen Menschen dehnt. Das Licht des Mondes rieselt silberhell über die Land schaft. Die Hügel, ringsum waldbedeckt, haben des Tages Grün in tiefes Schwarz gewandelt, sie rahmen den Horizont wie hohe, beinahe drohende Wände. Aber das Murmeln nnd Rauschen des Baches, der ganz iu der Nähe, den Augen ver borgen, nur hörbar, vorüberrinut und ein Schwätzchen hält mit den Tansenden anf dem Stoppelfeld, den gemähten Wiesen, s den zirpende» Grillen, die weiche Lnft, die zärtlich an Anitas > Wangen rührt, — sie lösen die Drohung nnd machen ans der ! nächtlichen Landschaft ein Bild ewigen Friedens. „Wie kanist Dn eigentlich daraus, Liebster, mich ;n hei- ! ratcu?" will Anita wissen. Es ist eine törichte, beinahe j alberne Frage, natürlich, sie weiß es wohl. Aber sie wirkt nicht töricht in diesem Augenblick, der Manu empfindet sie s nicht so. Er sagt sehr nachdrücklich nnd überzeugt: „Weil ich ! Dich liebe", und anch diese Antwort ist gewiß nichts Bcson- j deres. Keine Offenbarung, ia. Aber es ist die Antwort, die Anita erwartet Hai, nnd sie s hätte sich sehr gewundert, sie hätte cs bestiinntt übcl vcrnierkt, ! ivenn der Mann irgend etwas anderes gesagt hätte. „Weil ich i Dich liebe" — ein paar einfache, schlichte, fast banale Worie. ! Aber cs lieg! altes darin, was das zitternde Herz einer Fran, i die eben »och, vor wenigen Stunden, ein Mädchen war, zu hören wünscht. „Trotzdem — eigentlich war da »och etwas anderes", grübelt der Manu. Da liegt, tief beschlossen, im Grunde seiner Seele, eiu Bild, ein Traum, dcu cr einmal geträumt haben muß, in einer fernen Zeit. Er will erzählen, zögert dann doch wieder. Bleibt still nnd streichelt nur sanft nnd ein bißchen abwesend zugleich Anitas schmale Hand, die wie ein kleines, verschüchtertes Bögelchen in der seinen ruht. Aber cr muß immer wieder an das Erlebnis denken, das ihn mit Anita znsanimengeführl hat. Irgendwo in einer kleinen Gesellschaft wurde cr ihr vorgeslellt. Und als sich ihre Blicke zmn erste» Male trafen, löste sich jener Traum, jener längst vergessene Traum, aus dem Tuukcl und trat klar nnd hell ins Bewusstsein. Er sah sich in einem Boot ans einem kleinen See nmhcrrndcrn, ans einem See, der ganz überstrahlt war von dem letzten Licht der scheidenden Sonne, dessen Wasser nnn im Widerschein des Abendrots wie Blut schimmerte. Er war nicht allein in dem Boot, ein Mädchen saß am Heck, am Steuer, ein schmalhüftiges, schlankes, blondes, sehr blondes Mädchen mit dnnklcn, rehbraunen Augen. Das Mädchen war Anita. Jetzt, da er ihr im wirklichen Leben begegnete, erkannte er sic sofort. Und das machte ihn verwirrt nnd völlig fassungslos, so daß er gewiß sehr un geschickt sich verbeugte und ein paar dumme, törichte Worte stammelte. Er, der doch ein gewandter und erfahrener Mann war, den so leicht nichts in Verlegenheit zu setzen vermochte. „Ob ich ihr das erzähle, heute?" überlegte der Manu noch immer. „Das mit dem Tranm, und das; sie mir im Traum begegnet ist, ans so wunderbare Weise, längst ehe das Leben uns zusainmeuführte? Es ist so phantastisch und uu- glaubwürdig — ein Mensch, wie ich, mit einein nüchternen Beruf, hat Mühe, sich in solche» Dingen zurechtzufindcn." Tic Stinimc Anitas schlägt an sein Ohr. „Weisst Du eigentlich, Liebster", fragt sie — aber sic sieht ihn dabei nicht an, ihr Ange haftet unverwandt an dem beinahe vollen Mond, der geheimnisvoll durch dic Wolken schimmert — „Weisst Du eigentlich", wiederholt sie, „daß Dein Vater und meine Mutter sich bereits gekannt haben? Vor vielen, vielen Jahren? Als ich noch ein ganz, ganz kleines Mädel war?" „Nein", wundert sich der Mann, denn wirklich, davon hat er nie etwas gehört. „Meine Mnttcr", fährt Anita fort, „war sehr ver schwiegen in allen Dingen, die ihr eigenes Dasein anbelangten. Erst ein Paar Wochen vor ihrem Lode, dessen Kommen sie wohl ahnte, hat sie mir davon gesprochen. Sie batte ja nie ¬ manden anders, dein sie sich anvertranen konnte. Und'so er fuhr ich, das; damals, als ich noch ganz klein war. ein In genieur aus unserem Gute lebte, ein blntjnnger Ingenieur, der den Bau der damals entstehenden Stauanlage leitete. Er hat sich iu den paar Monaten, die er bei uns wohnte, Hals über Kopf in meine Mnttcr verliebt — gerade die besten nnd nettesten jungen Männer geraten mit ihrer ersten großen Liebe an verheiratete Frauen, habe ich mir sagen lassen — nnd sie, soweit ihm seine Arbeit freie Zeit ließ, mit Verehrung f und kleinen Diensten umgeben. Meine Mutter lies; cs sich i gefallen, sie war ja von ihrcin Mann nie verwohnt worden. Und cs blieb alles in sehr engen, sorgsam beachteten Grenzen. ! Bis ans einen Abend: da fuhren die beiden auf dem kleiuen i Jee am Ostrand des Parkes spazieren, es war eiu warmer f Iuuiabcnd, mit goldenem Sonnenuntergang, eine jener Stuu- ! aen, dic Herzen nnd Lippen lösen. Da hat Dein Vater meiner Mutter eine richtige Liebeserklärung gemacht, und hinterher < kam cr mit ein paar wilden, törichten, knabenhaften Vor ¬ schlägen nnd Forderungen." „Und?" fragt der Mann begierig, da Anita schweigt. „Ich weiß nicht, was meine Mnttcr geantwortet oder j getan Hai", sagte Anita mit halbem Lächeln. „Jedenfalls ist ! Dein Vater am nächsten Tag Hals über Kopf in das einzige i und sehr bescheidene Gasthaus des Dorfes übcrgcsicdeli uud i hat sich ans unserm Gut nicht mehr blicken lassen. Ich selbst, i ich habe keine Erinnerung au ihn, ich war damals gewiß noch ! viel zu klein, drei Jahre oder vier vielleicht. Aber nieinc , Mittler — sie Hal dies Erlebnis nie vergessen. Denn mit ihrem Mann — meinem Vater... glücklich war sic mit dem wohl nicht." „Seltsam", inurmelt der Mann. „Ans einen, kleinen See, sagst Dn? Am Abend?" „Ja — waS ist daran so seltsam?" erwidert Anita. „Du wirst ihn noch keimen lernen — ein wundervoller See, mit großen, zartrosa Seerosen und einer Fülle knallig-gelber Mnmmclu." Und dann, nach langer Pause: „Es war wirklich Dciu Vater, sie hat mir seinen Namen genannt und sein Bild hinterlassen. Ich fand das gleiche Bild später einmal in Deinem Album." Der Mauu schweigt und schweigt. „Woran denkst Du?" fragt Anita. „An einen Traum", sagt der Mann. Uud Plötzlich: „Wir ' wolle« ruhen, nicht wahr? Ich... oh, es ist so seltsam zu denken, das; wir beide, Dil und ich, nnn Erben werden jenes Glücks, dessen Deine Mutter und mein Vater nicht teilhaftig werden dnrstcn ..."
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