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Sächsische Elbzeitung : 02.11.1934
- Erscheinungsdatum
- 1934-11-02
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1787841065-193411028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1787841065-19341102
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1787841065-19341102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Elbzeitung
-
Jahr
1934
-
Monat
1934-11
- Tag 1934-11-02
-
Monat
1934-11
-
Jahr
1934
- Titel
- Sächsische Elbzeitung : 02.11.1934
- Autor
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Oas Gesckenk Kiedrilüs des Großen Skizze von Hilde garü Müller Es war uni das Jahr 1774. In den Banerngärten ^^„„,cn die Herbstblumen leuchtend und voll Glut. Aber „Uer ihnen lagen schon braune Blätter. Sie gaben diesem Mde lachende» Lebens einen Zug tiefer Schwermut. In des Schulmeisters bescheidenem Blumengärtchen Mu die Blätter alle vou dem großen Kastanienbaum herab, seinen Platz aus der Wiese außerhalb des mit Moos und slechicu überwachsenen Zaunes hatte und die Zweige über ias slammcnde Blumcnwnuder in Schulmeisters Garten Saiten ließ. Als der junge Lehrer aus der Tür des wcin- Mrauklcu kleinen Schulhauscs trat, knirschte das Laub unter leinen Füßen. Es klang wie zerbrochene, gläserne Stimmen, sah mit traurigen Augen ins Weite. Tags zuvor hatte ihm seine bucklige kleine Putzfrau, die nah im Pfarrhause zum Reinemachen kam, mit ihrer hohen Ürcischslimmc erzählt, der Herr Pfarrer habe ihn, den Schul- Mjster, einen Hungerleider genannt, dem er seine einzige Achter niemals für das Leben anvcrlrauen werde. Der junge Hann vergrub das Gesicht in den Händen, seine Knie zitterten, e nialt und zerschlagen fühlte er sich. Plötzlich raschelte es hinter dem dicken Stamm der Ka- imie. Ein silbernes Lachen sprang aus, uud danu staud Liesel ,or dem Erschreckten. Svnncngebräunt, im roten Nock, der iiS zu den Knöcheln reichte, davor ein Helles Halbschürzchcn, im enges Weißes Mieder, eine braune Flcchtenkronc, die für kn zierlichen Kopf fast zu schwer schien. Neber ihrem rechten Arm hing eine mit Blumen bunt bestickte Stofstasche. „Liesel, Du hier? Ich denke, Du sollst Dir die Flan- scn mit dem — dem Hungerleider vou Schulmeister aus dem Kopse schlage»?" — „Ich habe mir scho» gedacht, daß sie pratscht habe». Aber ich ka»n ja gar »icht ohne Dich sein." Lie war ernst geworden und hob den Kopf verlangend zu ihm auf. Er ließ seine Hände weich über ihre Wangen und das braune Haargclock gleiten. „Vorhin sagte der Vater", be- iM» sie, „Du seiest auch nicht gottesfürchtig genug. Die Oster- bcrger Konfirmanden wüßten alle Bibclgcschichtcn auswendig, aber Deine keine einzige. Tic könnten sie nur erzählen." Sic kramte in der Tasche und holte ein Buch hervor mit 'der Aufschrift „Werthers Leiden". „Du, das Buch war schön, Mndcrschön." Und dann leise: „Sag mal, Joachim, hast Du mich auch so lieb wie der da drin seine Lotte? Und — und wurdest Du auch für mich sterben können?" — „Kleine Schwärmerin", neckte er. Und nach einer Weile: „Sicher würde ich für Dich sterben können. Aber nicht wie der Werther, nicht mir selbst das Leben nehmen, sondern mit meinem Leben Dich Mstum, offen, Feind gegen Feind." — „Ach, jetzt fängst Du wieder vom Krieg an, uud gleich sind wir wieder beim alten Tritzeu." Da lachten sich beide verstehend zu, dcuu der Preu- Mköuig, der iu dem juugcu Schulmeister einen fanatischen Verehrer besaß, hatte schon manches liebe Mal einen große Teil ihres Beisammenseins für sich in Anspruch genommen bis Liesel schmollte. „In meinem Hause ist cs heute recht unordentlich, Liesel. Willst Dn nicht ein wenig Ordnung machen?" Da kletterte Licscl auch schon, ihrer Pflicht als zukünftige Hausfrau voll bewußt, hurtig über den Gartenzaun. Mittlerweile sank die Dämmerung immer tiefer. Drin- neu war es so dunkel, daß Joachim die Blcchlampc vor der Fensterbank anstecken »rußte. Der Naum beherbergte so wenig Gegenstände, daß er nur mit Mühe in Unordnung zu bringen gewesen wäre. Es stand dcuu auch alles so ziemlich an seinem Platze. Aber Liesels hausfraulicher Sinn bekam doch etwas spitz. „Du hast ja heute nicht gekocht", sagte sie, als sie die beiden oberen Ofentüren öffnete. — „Ich konnte nichts essen", gab er zu. Da ging Licscl au die Arbeit, bald prasselte ein lustiges Feuer. Sie rührte im dampfenden Noggenbrei, und eine viertel Stunde später staud das Abendbrot vor dem Magister: Heißer Brei, rin halber Laib Brot, Butter und Milch. Liesel setzte sich auf die Lehne seines Sessels und Paßte auf, daß er so aß, wie cs sich für ciuen ordentlichen Christenmenschcn gehörte, auch wenn er Liebeskummer hat. Als Liesel gegangen, wunderte sich Joachim darüber, daß es jetzt in seinem Zimmer schöner, Heller und sogar ordentlicher war, obwohl er letzteres nur als Vorwand gebraucht hatte, um etwas länger mit dem geliebten Mädchen zusammen sein zn können. Am nächsten Morgen stürzte Liesel außer Atem in das Cchulzimmcr und rief: „Joachim, ich wollte saacn: Herr — Herr Lehrer, der König'kvmmt." Joachim siel die Kreide ans der Hand. Die Kinder stürzten, ohne zu fragen, aus den Bäukcn uud drängten sich um sie. „Wo, Ivo ist er? Wir wollen ihn sehen." Sie schob die Kinder zurück. „In einer halben Stunde wird er hier vorbeikommen." Und danu erzählte sic: „Bei dem großen Hof von Bulte, wißt Ihr, drüben übcrm Berg, hat er den Wagen halten lassen, und weil der Hof so blitzblank gewesen ist, hingeschickt zum Bullebauer, ihn holen lassen. Da hat der Bauer dem Dicucr zur Antwort gegeben, wenn der König etwas vou ihm wolle, könne er ja zn ihm kommen. Und hat sich umgcdrcht und ist auf seinen Rübenacker gegangen. Als ocr Diener die Antwort bestellte, hat der König lachend gesagt: .Solche Leute muß ich mehr haben, die lassen auch keinen Feind einen Fuß breit iu ihr Land, da könnten wir noch einmal einen Sicbciijährigcu Krieg führen'." Eine halbe Stunde später rollte die Equipage des Königs heran. Die Jungen, ausgestellt wie zur Parade, sangen schnei- big marschierend: „Auf, auf, Ihr Reichsgciwsscn, der König § kommt herbei." Die Mädchen trippelten zierlich hinterdrein. Wohlwollend lächelnd hörte der König den eifrigen Jungen zu. Und dann wollte Joachim eine Ansprache halten, i Er hatte sic sich so schön zurechtgclcgt, vorhin im Garten. ! Aber letzt wollte ihm nichts mehr von den wohlgejctztcn, er- j gcbcucn Worten cinfallcn. Eine peinliche Stille entstand. Joachim sah znr Erde und drehte verlegen seine Mütze. Dann blickte er den König lange schweigend an. Da stieg eine große ! Freude iu ihm auf, die Freude darüber, daß er ja nun endlich den König sah. Und auf ciumal fing er an zn reden, kein ! Wort vou dem, was er sich vorhin ausgcdacht hatte, sondern ! ei erzählte dem Man» da oben im Wage» einfach, daß er ! sich so freute und mit ihm die Kinder, wie er icdcn Tag von ihm erzählt habe, wie er ihn verehre und cs sein hcimlich großer Wunsch sei, einmal mit ihm und für ihn kämpfen zu dürfen. Der König stieg ans, sichtlich erregt. Da Ware» ihm Di»gc gesagt worden, die er ost genng hörte, aber hier ! kam alles ans innerstem Herzen, so schlicht und Iren, f ohne Angst und ohne Ergebenheit, wie ein Freund mit dem ander» spricht, de» er >ahrela»g nicht gesehen, dem er aber das beste und stärkste Gedenken bewahrt hat. Friedrich klopfte dem Schulmeister auf die Schulter uud meinte, zu den Kin dern gewandt: „Da habt Ihr aber einen seinen Lehrer." — „Jawohl", schrien die Kinder. — „Er erzählt uns auch immer so schöne Geschichten vom König", rief ein Naseweis. — „So, kann er schön Geschichte» erzähle»?" — „U»d wie! Auch die biblischen, aber das mag der Herr Pfarrer nicht haben." Joachim wurde es siedend heiß. „Warum mag der Herr Pfar rer das denn nicht haben?" fuhr seine Majestät amüsiert fort. — „Weil wir sie immer auswendig wissen sollen, mit den schweren Wörtern und nicht so ganz einfach nnd nicht so, daß man gern zuhört, wie unser Lehrer uns das vormacht." — „Bravo, Er gefällt mir immer mehr", lachte der König. „Lehr Er seine Bibelgcschichtcn ja so weiter, und laß Er sich nicht durch dcu Geistlichen beirren." Da der Mann Friedrich den Zweiten nun einmal inter essierte, wollte er auch seine Behausung sehen und komman dierte einem sich ewig verbeugenden, weiß bezopften Herrn, als er das armselige Stübchen zu Gesicht bekam: „Schreibe Er. Renovieren lassen, bessere Möbel rein und 24 Taler extra jährlich, wird aus meiner Kasse bezahlt. Tüchtige Untertanen sollen auch ordentlich leben können." Eine Stunde später riß Joachim die Pforte des Pfarr gartens auf und rief: „Liesel, Liesel!" Obe» aus dem Kam- merfcnster lugte erstaunt ein braunes Lockenköpfchen. „Was ist denn?" — „Komm, komm so schnell herunter wie Dn kannst." Da kletterte Liesel aus dein Fenster, hängte sich au einen Ast des Apfelbaumes, der beinahe in ihr Zimmer hincinragte, und fragte: „Was gibt's denn?" — „Licsel, wir können heiraten, der König schenkt mir jährlich 24 Taler Zu schuß aus dem Staatssäckel, uud ..." Ta ließ Liesel vor ' Schreck den Ast los, uud Joachim fing sie in seinen Armen aus. ! Die 24 Taler sind den Nachfolgern Joachims bis zum ! Jahre 1901 nachweislich gezahlt, wie eine westfälische Chronik j berichtet. Wer selbst Not leidet, ist immer bereit, Not zu linden»! Klemer Mann lünter'm Vorkang. Auch ein „Theater-Gewaltiger"... Von H. R. B o e n i ck e. Eine Bühnenvorstellung kann manchmal sehr interesiant sein — noch fesselnder ist aber oft die Unterhaltung mit jenem Man», der weder den Direktor noch sonstwie die erste Geige spielt, auch kein Komponist und kein Belcuchtungsinspektor ist und trotzdem eine gewaltige Rolle auf — Verzeihung: h i n t e r den Brettern spielt, nämlich dem Vorhangzieher. Kleiner Malin hinter'm Vorhang — Was hast Dn zu erzählen?... „Ja", sagt er und zündet sich eine Zigarette an (was. unter uns gesagt, gegen die feuerpolizeilichen Vorschriften ver stößt), „so wie Sie mich hier sehen, arbeite ich schon fünfzehn Jahre an dieser Bühne. Eine lange Zeit, aber auch eine schöne Zeit. Natürlich — Aergcr hat's genng gegeben, aber wo gibt s den schließlich nick»? Wenn ich nachzählcn wollte, wieviel Er folge >md Neinfällc ich schon mitgcmacht habe, müßte ich bis morgen früh rechnen." „Welche Künstler zeigen sich am dankbarsten?" „Die Kompomstcn", antwortet er, „die sind immer daran interessiert, daß ich den Vorhang so oft nnd schnell wie möglich hvchzichc. Sie leben ja vom Verkauf ihrer Musik, und je mehr Vorhänge so eine Premiere hat, um so leichter lassen sich die Direktoren der anderen Bühnen, die zur Uraufführung kommen, brcitschlagen." „Gefällt Ihnen Ihre Tätigkeit immer noch?" „Ob sic mir noch gcfällt?" fragt der Mann mit den hoch bekrempelten Aermcln, „Was für eine Frage: Meine Arbeit ist doch die wichtigste am ganzen Theater! Ohne mich sind die anderen aufgeschmissen, lieber Herr!" „So. Finden Sie?" „Na, und ob!" Der Vorhangzieher gerät ordentlich in Aufregung und zerdrückt seine Zigarette. „Wissen Sic denn, was cs heißt, den Vorhang richtig ziehen? Man kann ihn schnell, aber auch langsam ziehen. Man kann so ziehen, daß die Leute stürmisch jubeln, aber anch so, daß der Direktor hinter die Bretter gestürm! kommt uud mit Rausschmiß auf der Stelle droht, weil der Endeffekt des Stückes zu scheitern droht. Jawohl, lieber Herr, vierzehn Mal wäre ich beinahe schon ransgeflogcn, beim sünsnndzwanzigstcn will ich Jubiläum feiern." „Nun ja, die Leute vom Theater sind manchmal etwas hitzig. Sic meinen es nicht so." „Stimmt", sagt der kleine Mann mit den anfgekrempeltcn Aermcln, „aber ich muß doch immer wieder verwundert den Kopf schütteln, wenn ich nach einer Premiere am nächsten Tag in den Zeitungen lese, daß Autor, Darsteller, Direktor und Komponist wegen des bombigen Erfolges fünfzehn Mal vor den Vorhang mußten. .Und wer küßt mir?' Wenn meine Wenigkeit »icht so knorke den Vorhang gezogen hätte, wäre das doch alles gar nicht da. Oder doch?" ... Diplomatie des Alltags. Tallcyrand, der französische Politiker und Geschäftemacher der napoleonischen Zeit, war der Meinung, daß man das Ge fühl für Rang und Würde auch bei der kleinsten alltägliche» Handlung nicht verloren dürfe. Ein Diplomat, der als junger Attache in Tallhrands Hanse verkehrte, erzählt, wie sich dieser Grundsatz an der Tafel answirktc. Es hatte Suppe gegeben, und nun bot der Hanshcrr seinen Gästen Rindfleisch an. Zum ersten wandte er sich mit dem besten Stück voll Ehrerbietung: „Herr Herzog, darf ich die hohe Ebre haben, Ihnen Rind fleisch anzubielen?" — Dann kam der zweite an die Reihe: „Herr Graf, ich habe das Vergnügen, Ihnen Rindfleisch anzu bieten..." — Den dritten sprach Taleyrand freundschaftlich an: „Nehmen Sie ein Stück Rindfleisch, lieber Baron?" Wo rauf dann der Nest der nnten an der Tafel sitzenden Herren abgefertigt wurde, indem der Hausherr mit der Messerspitze deutete: „Rindfleisch?!" Der Bart uud Gewissen. , Ein englischer Diplomat wurde bei Gericht einem Zeugen gcgcnübergcstcllt, der einen ungewöhnlich langen Bart hatte. Dem Diplomaten war diese Haarmenge zuwider. Er war überzeugt, daß sein eigenes glatt rasiertes Gesicht außer ordentlich gut wirke. „Wenn Euer Gewissen dieselben Aus- maße Hal wie Euer Bart, so muß cs sehr groß sein", redete er den Zeugen höhnend an. — „Mylord", kam die Antwort, „wenn wir das Gewissen schon nach dem Barl beurteilen, dc,nn habt Ihr also gar kcins." ^jakob tzolle mutz abtreten. Skizze von Dorothea S ch u h m a ch c r. „Iakob Holle, Herrenschncidcrei", stand ans dem alt modischen Firmenschild, über dem altmodischen Laden des alt modischen Herr» Holle. , Nachdem er über fünfzig Jahre einer vornehmen nnd konservative» Landknndschaft Ncitkleider und Fräcke ange messen hatte, faßte Iakob den Plan, sich vom Geschäft zurück- I zuziehcu uud sciuc Gicht in emcm hübsche» Landhause zu Pflege». Seine Schwester bestärkte ihn eifrig in dieser Idee. , „Alles gnt nnd wohlgemeint, Agathe. Aber wer ist würdig zu meinem Nachfolger? Dn kennst meine verwöhnten Kunden, ! die seit Jahrzehnten nichts am Schnitt ihrer Anzüge ändern lassen mögen und keinen anderen Zuschneider dnlden als mich." > „Vergiß nicht Herrn Pepi Meier! Er ist äußerst geschickt ! und auch gcschäftsiüchtig", erinnerte Agathe. Pepi Mcicr, ihre ' ichle, freilich hoffnungslose Liebe, war dreißig, fesch uud sport- ! iich. Sie war jetzt fünfundfünfzig und hatte viel bleiches Fett ! uni Kinn und Hals. Jakob Holle kaufte sich also Pepi Meier oder vielmehr: f Pcpi Mcicr kaufte die altanaesehene Firma Holle mitsamt der i Ware und der glänzenden, aber konservativen Kundschaft. Holle gab ein vornehmes Abschiedscsscn, Mcicr ein schickes i Antrittscssen und sagte wie tröstend: „Ich Hosse, Herr .Holle, ! Sie oft bei mir zn sehen!" Das geschah auch. — Pepi Meier fürchtete, daß mit des Alten Scheiden das Ge- ! schäft etwas stocken werde. Beider Gedanken begegneten sich.. Auch Holle fand das Leben in der Villa bald langweilig, ja unerträglich. Schon am dritten Tage besuchte er Pepi Meier in „seinem" Laden. Moderne Neuerungen wurden gerade an- gebrachl: lichte Probierkabinen, moderne Ruhebänke. — Ani nächsten Tage kam Holle wieder. Boll peinlicher Neugier. Ani dritten Tage blieb er noch länger dort und beteiligte sich an der Mgelcgentlichcn Empfehlung eines sehr teueren Kammgarn stoffes. Der Laden war gerade voller Kunden. Eine Danie "vm Landadel fragte dringlich nach Herrn Holle. „Ihr Diener, Gnädigste, ich bin sogar zufällig hier. Kann ich irgendwie behilflich sein?" „Behilflich? Nnn, ich brauche wieder ein Neitkostüm, aber es müßte natürlich wieder von Ihnen selbst angemessen werden. Ich bin cü-?as stärker aewordcn." — ..Selbstverständ lich, Gnädigste, ich stelle Ihnen meinen 'Nachfolger, Herr» Meier, vor — vorzüglicher Schneider, unvergleichliche Paß form, nettester Geschmack, doch ganz Tradition, bitte!" „Tanke, Herr Holle! Ich bitte von Ihnen bedient zu werden." „Bitte sehr, bitte gleich, einen Augenblick!" Er laugte einen Ballen Tnch vom Regal: „Eine einzig artige Qualität, Gnädigste, und Gnädigste, wenn Sie auch nur deu geriugstcu Unterschied zwischen meiner Arbeit und des meines Nachfolgers erkennen können, dann soll Sie das Kostüm nichts kosten, Gnädigste — also ". „Schon gut, Herr Holle. Wann kann cs geliefert Werve»? Ich nehme Sie beim Wort, Herr Holle!" Pepi Meier war beglückt von Holles selbstloser geschäft licher Geschicklichkeit. Gnt, daß der so oft hcrkam! Anch am nächste» Tag erschien der Alte und fing sofort an, MeierS Maßmodell zn kritisieren und zu verbessern. Mcicr dankte seinem „großen Vorbild", das mm täglich hier war; denn: war cs nicht „sein" Laden, dessen Ruf er, Holle, be gründet hatte? Holle bediente Knnden, oder er schnitt oben zn nnd ver gaß bald ganz, daß Meiern jetzt der Laden gehörte. Meier be gann, leisen Unwille» über Holle zu fühle». Wer war de»» eigentlich Herr im Hause? Kaine» Anstände von den Knnden, so galten sie i h m, sonst aber fragte alles nur nach dem Alten. Keiner schien Meier als Besitzer zn betrachten. Holle cutgiug MeierS steigende Ungeduld nicht: „Was wollen Sie, ich mache Ihr Geschäft!" — „Ich weiß, ich weiß, Herr Holle. Aber ich will allein weiter schaffen, nicht wie Ihr Gehilfe." — „Ich verstehe völlig. Gut also! Ich werde nur noch im Znschncide- raum mithelfen und für die Kunden nnten nicht mehr zu sprechen sein." Pepi Meier nahm das dankend an. Tatsächlich hielt sich der Alte jetzt de» Kunden auch fern. Fragte jemand nach ihm, so trat Meier herzu uud betonte mit energisch-un widerstehlicher Liebenswürdigkeit: „Zu diene», Herrn Holles Nachfolger — ich selbst!!" Die Mode änderte sich nun leider wieder einmal schneller als die Kunden. Damcufigurcn, bisher cingeschnürt, waren fast Plötzlich zur natürlichen Linie zurückgekehrt. Holle hatte es fünfzig Jahre mit der Taille gehalten und Meisterstücke in ihr vollbracht. Nnn aber lehnte der Alte sich gegen diese „Neue Mode" auf und schnitt weiter nach der alten Weise zu, so lauge bis auch die konservativen Landdamen dagegen rebellierten. Meter hatte gute Miene gemacht; ihm war es gleich, ob diese Frauen sich altmodisch oder modern trugen, wenn sie nur bec ihm arbeiten ließen — nun aber war es genng! Die Mode war dnrchgedrungen, nnd Meier brauchte — alle Wetter noch mal! — einen m o erncn Zuschneider! Was hatte der Alte noch mit modernem Schnitt gemein? Jetzt eben stand er da nnd wollte eine Kundin wieder zur „Beibehaltung des alten solide» Schnittes" überreden. Aber der „Neue" war schon da! Meier trat mit ihm zu Holle: „Gestatten Sic, mein neuer Zuschneider!" Holle stcmd wie vcrstemcri nnd stotterte endlich: „Was? Was — modern? Ich, ich, Herr, habe seit einem halben Jahr hundert hier zugcschnitteu, Herr, und nun wollen Sie, junger Mann, mir Ihre saloppe, neue Mode beibringen? Nicht, so lange ich noch lebe, Herr!" ' Meier trat bestürzt dazwischen. „Bitte, bitte, gestatten Sic, verehrter Herr Holle! Sic brauchen mehr Ruhe! Die Kinder fassous bleiben ja die gleichen, nnd wenn Sie wollen..." Da warf der Alte, nach Lnft ringend, die Schere klirrend zu Boden nnd rannte davon. Zuhanse fiel er in den Sessel und brach in Tränen aus. Meier tat der Auftritt leid, und er verstand den Stand punkt des Alten, aber er war ihn doch nun auch los! Der neue Zuschneider blieb. Das Geschäft blühte. Man trug Meiers ueuc Linie im Frühling spazieren. Niemand mehr vermißte den Alten. Der aber war in seinem Innersten getroffen. Rastlos wanderte cr um das Geschäftshaus seines fünfzig Jahre alten Geschäftserfolgcs... er verlor de» Appetit. Der Arzt empfahl ihn: Ruhe. Doch au einem Mittag guckte der Alte wieder durchs Fenster in den Laden. Pepi Meier trat heraus: „Nun, lieber Herr Holle?" „Ach, ach, Herr Meier! Ich werde ja auch zu keinem Kunden sprechen, will ja anch nicht in den Zuschneideraum; nur so ein bißchen im Laden sitzen, ja?" Pepi Meier machte ihm Platz und schob ihm den bequem sten Stuhl hin, gitig aber nack hinten. Der Alte ließ sich nieder, faltete die Hände auf oem Ladentisch und legte den Kopf daraus. So blieb er lange. Es war Mittagsruhe, der Laden ge schlossen. Pepi Meier trat um drei Uhr herzu und glaubte, daß der Alte eingeschlafen sei: „Wie geht es, Herr Holle?" Aber es kam keine Antwort mehr. Jakob Holle war ein für allemal abgetreten.
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