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Sächsische Elbzeitung : 08.11.1932
- Erscheinungsdatum
- 1932-11-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1787841065-193211089
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1787841065-19321108
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1787841065-19321108
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Elbzeitung
-
Jahr
1932
-
Monat
1932-11
- Tag 1932-11-08
-
Monat
1932-11
-
Jahr
1932
- Titel
- Sächsische Elbzeitung : 08.11.1932
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Llnteryattung und Wisßen Oie Chemie der Bakterie. Bo» Professor Ur. Waller Anderssen. Die Bakterien sind die kleinsten Lebewesen, welche wir kennen. Erst bei üOOfacher Vergrößerung werden sic für das menschliche Ange sichtbar. Trotzdem sind sic für nnscr Lcbcn von nngchcnrcr Bedeutung. Einige sind zur Erhaltung des selben geradezu unentbehrlich, und andere wiederum können dieses in kürzester Zeit zerstören. Es war daher einer der größten Fortschritte, den die menschliche Wissenschaft je ge macht hat, als cs gelang, einen Weg zur Erforschung dieser ungemein wichtigen Lebewesen zu finden. Die Entdeckung dieses Weges verdanken wir dem deutschen Arzte Professor I)r. Robert Koch. Dieser fand nämlich, daß Bakterien, die inan in keimfrei gemachtes Wasser bringt nnd dann auf einer Glasplatte auf einem keimfreien Nährboden, znm Bcipicl ge ronnenem Ei, änsbreilet, reinrassige Kolonien bilden. Ans diesem Wege gelang ihin die Entdeckung des Tuberkelbazillus, und an diese Entdccknng schloß sich die Entwicklung der nwderneu Bakteriologie an. Diese Wissenschaft Hai nns eine ganz neue Welt enthüllt. Wir kennen Henle viele Tausende von Baktcricnrasscn, die man zu Klassen, Ordnungen, Familien nnd Arten znsammengcfaßt hat, und wir wissen jetzt von vielen dieser Baklcricnrasscn ziemlich genau, was sie treiben. Jede von ihnen hat nämlich ihre ganz bestimmte Tätigkeit. An einer Stelle des Erd bodens, wo Pflanzen wachsen, sind oft nicht weniger als 25 Millionen Bakterien in einem Raumzentimcter enthalten, die die verschiedensten Aufgaben erfüllen. Einige von ihnen nehmen Stickstoff aus der Luft und dem Bodeu auf und bilden daraus erst Ammonium, dann Nitrite und Nitrate, das die Pflanzen in organisches Nitrogen umwandeln, von dem Mcn- fchcn und Tiere leben. Andere machen Kohlensäure frei, die vou den Pflanzen aus der Luft ausgenommen und zu Zucker, Stärke und Zellulose verarbeitet wird, die alle drei für den Menschen von so lebenswichtiger Bedeutung sind. Selbst Bier und Wein könnte ohne die Mitwirkung der Kleinlebewesen nicht entstehen. Ohne sic könnten wir kein Brot backen nnd kein Leder gerben, keinen Essig, kein Sauerkraut und keinen Käse bereiten. So sehen wir, Ivie diese winzigen Organismen unseren ganzen Lebenshaushalt erst ermöglichen; und daß andererseits die verheerendsten Krankheiten bei Menschen, Tieren und Pflanzen auf ihr Schuldkouto kommen, ist heute pt bekannt, uni noch näherer Ausführung zu bedürfen. Ist aber das Verständnis der in der Bakterie vor sich geheimen chemischen Umwandlungen schon wegen ihrer Wichtig keit für die menschliche Gesundheit von weittragendster Be deutung, so kommt noch dazu, daß die Bakteriell Lebewesen ganz eigener Art sind. Menschen und Pflanzen und Tiere sind bekanntlich ans Millionen von Zellen zusammengesetzt. Bei ihnen werden alle Lebcnsvorgängc, die sich schon in der ein zelnen Zelle abspielcu und auch da schon Voit verwirrender Verwickeltheit sind, noch dadurch unendlich verwickelter, daß alle diese Zellen in den verschiedensten Weisen aufeinander einwirken. Die Bakterie aber ist ein einzelliges Lebewesen. An ihr ist es nnverglcichlich viel leichter, die einfachsten Lebens- Vorgänge zn erforschen, und deshalb eignet sic sich ganz be sonders zum Bcobachtungsgcgcnstaud der Biologie. Aus diesem Grunde hat sich die amerikanische Nationale Tuberkulvscaesellschaft, die über große Geldmittel verfügt, die Aufgabe gestellt, zunächst einmal die Chemie des Tuberkel bazillus zu erforschen. Die Ergebnisse, zn denen diese For schungen geführt haben, geben einen guten Neberblick über das, was auf diesem Gebiete bei richtig angewandter Arbeit erreicht werden kann. Der Tuberkelbazillus gehört zu der Familie der sogenannten säurefesten Bakterien, von der wir etwa 50 Rassen kennen. Es gibt allein drei gut bekannte Rassen des Tuberkelbazillus, den der Hühncrtubcrkulose, den der Rindertuberkulosc und den der Menschcntuberknlose. Auch mehrere Baktcricnrasscn, welche Aussatz verursachen, gehören hierher. Die Nationale Tuberkulosegesellschaft hat sich uuu die Frage vorgelcgt, woraus diese Bazillen bestehe», wie sie ihre schädiaendcn Wirknnaen verursache» »ud wie man etwa diese Wirkungen abwenden kann. Als eins der hervorstechendsten Merkmale des Lebens be trachtet man seit jeher die Fähigkeit, sich zu vervielfältigen. Diese merkwürdige Fähigkeit ist doppelt geheimnisvoll in an scheinend so cinfachcn Lebewesen, wie es die einzelligen Orga nismen sind. Als Mittel dazu dienen ihm gewisse Stosse, die zur Klasse der sogenannten Fermente nnd Enzyme gehören. Tas Wesen dieser Enzyme ist noch sehr dunkel. Avcr wir können Lösungen von ihnen Herstellen nnd ihre Wirkung in diesen beobachten. Jeder Mikroorganismus hat sei» besonderes Enzym, und wir können cs erforschen, wenn wir cs in ge nügender Menge ans einer bestimmten Nasse solcher Kleinlebe wesen gewonnen haben. Wenn man eine einzelne Bakterie in eine für sic geeignete Nährlösung bringt, so beginnt ihr Enzym sofort zii wirken. Es erzeugt zwischen sich nnd seiner Umgebung Ströme, die denen der Elektrizität ähnlich sind nnd so lange hin nnd her laufen, bis sich in der Bakterie eine chemische Umsetzung vollzieht, die Plötzlich zn ihrer Zerteilung in zwei Bakterien führt. Dieser Vorgang wiederholt sich bei jeder der beiden neu entstandenen Bakterien, so daß deren Zahl ziemlich rasch in geometrischer Progression anwächst. Eine zweite wichtige Gruppe von Stoffe» in den Bakterien sind die Pigmente. Auch von ihnen wissen wir nicht viel mehr, i als daß auch sic bei jeder Baktcrieurasse andere sind. Die Pigmente entnehmen die für ihre Tätigkeit erforderliche Kraft aus den Sonnenstrahlen. Mit Hilfe der Enzyme nnd Pigmente erzeugen die Bakterien verschiedene seltene Zuckcrarten, Stärke, Eiweiß, Fette und eine Menge Stoffe, die man Toxine und Ptomaine nennt. Auch diese Stoffe, die ebcufalls meist für die Bakterie, die sie herstcllt, charakteristisch sind, kann man rein gewinnen und dann nach ihrer Zusammensetzung nnd biologischen Wir kung erforschen. So findet man zum Beispiel, baß es zwei Baktcrienarlen gibt, die beim Menschen L»»gc»c»Izü»du»g Hervorrufen können. Ihre Verschiedenheit zeigt sich darin, daß sic ganz verschiedene Znckcrarlcn Herstellen. Interessant ist, daß wir diese beiden Znckcrarlen mir auf so gewaltsame Weise chemisch zerlegen können, daß wir sic in Schwefelsäure kochen. Dagegen hat llr. Oswald T. Avery vom Rockefeller-Institut in einem Bakterium ans Boden, in dem Blaubeeren wachsen, ein Enzym gefunden, das diese Zuckerartcn ohne Schwierig keiten in Glukose und Kohlensäure spaltet. Von den Toxinen nnd Ptomaine», die die Bakterien er» zeugen, sind die der Diphteriebazillen, des Scharlachs und anderer Infektionskrankheiten bekannt. Diese Gifte wirken genau so, weuu man sie einem Menschen gesondert einspritzt, als wenn sie von den Bakterien in ihm erzeugt werden. Auch Wachs kann vou Bakterien hcrgestcllt werden. So bringt zum Beispiel der Tuberkelbazillus ciu Wachs hervor, das dem von der Bicuc hergcstelltcn sehr ähnlich ist. Daneben erzeugt er noch mehrere seltene Fette. Wenn cs nun gclingt, durch methodische Forschung dahinter zu kommen, welche chemische Verschiedenheit in den einzelnen Bakterien es bewirkt, daß die einen für uns nützliche, die anderen verderbliche Stoffe Herstellen, so werden wir wahr scheinlich auch die Mittel finden, um die ersten zur Ver mehrung und letztere zur Verlangsamung ihrer Tätigkeit zu bringe», und damit werden wir wieder einen gewaltigen Schritt vorwärts in der Beherrschung der uns umgebenden Natur getan haben. Das Betriebskapital. Bei den Steuerbehörden gelten Musikdirektoren als Nnter- wehmcr, die in den Steuererklärungen ihren Bestand an Noten- .material usw. als „Betriebskapital" cmzusetzen haben. Da der Gewandhausdirigent Arthur Nikisch mit aller Gewalt nicht dazn zu bcwcgeu war, eine solche Erklärung auszusütten, wurde er eines Tages vor die Steuerbehörde geladen. „Wie hoch beläuft sich Ihr Betriebskapital?" fragte der Beamte. Nikisch schüttelte betrübt den Kopf: „Mein Betriebskapital sind ein halbes Dutzend Taklstöcke. Wert je 1,50 Mark." Bazillen gegen Lungenentzündung. Ein nencr Weg znr Unschädlichmachung der Pneumokokken. Von H. Frank-Obermüller. Jeder Mensch trägt bekanntlich in seinem Körper unge zählte Mengen von Bazillen mit sich herum, darunter auch eine nicht geringe Zahl solcher, die zn höchst gefährlichen Krank heiten Anlaß geben können. Diese Klciustlcbcwcscn sind aber in ihrer gewöhnlichen Form vielfach harmlos; erst beim Vvr- liegen besonderer Umstände kommt ihre bösartige Natur zum Vorschein, und sie werden, wie man sagt, viriilent. Auch der Erreger der Lungenentzündung, der sogenannte Pneumokokkus, zeigt eine doppelte Gestalt. Wie die amerika nischen Acrzte Avery und Dubos nach langen Versuchen fest zustellen vermochten, ist er nur gefährlich, so lange er eine Art Kapsel besitzt, die ihn einschließt und welche als Voraussetzung der gefährlichen Virulenz zu gelten hat. Ohne die Hülle ist er vollkommen unschädlich. Diese Entdeckung war gewiß inter essant, praktisch allerdings ohne großen Wert, denn den im menschlichen Körper hausenden unzähligen Pneumokokken ihre Kapselsubstanz zu entziehe», ist natürlich unmöglich. Nun hat sich aber in jüngster Zeit ergeben, daß ein wenig beachteter Bodcnbazillus, der in der Erde von verwesenden Stoffen lebt, eine ganz merkwürdige Eigenschaft besitzt. Er sondert ein Ferment ab, das die Kapsel der Pneumokokken auf löst und damit die Erreger der Luugetteutzüudung ihrer Ge fährlichkeit entkleidet, da sie nunmehr, wie gesagt, nicht mehr virulent werden können. Bereits wurden diese Bodcubazillcn auf kräftigen Nährböden gezüchtet und die Wirkungen ihres Ferments an größeren Kulturen von Pneumokokken geprüft. In allen Fällen zeigte sich, daß diese zwar weiter wuchsen, aber die Fähigkeit zur Kapselbildung verloren hatten. Man ging noch einen Schritt weiter und spritzte das heilbringende Ferment fast gleichzeitig mit virulenten Pneumo kokken verschiedenen Versuchstieren ein. Erfolgte dieser Ein griff 24 Stunden vor der Infektion mit den Erregern der Lungeuentzündnng, so kam diese überhaupt nicht znm Aus bruch. Aber auch wenn die Erreger bereits ihre verderbliche Tätigkeit im Inner« des betreffenden Organismus begonnen hatten, vermochte das erwähnte Ferment sic noch »«schädlich zu machen nnd das Lcbcn dcr erkrankten Tiere zn retten. Nach den mit so gnicm Erfolge dnrchgeführtcn Tierversuchen wird mau wohl iu nicht zu ferner Zeit daran gehen, das neue Heilverfahren auch am Mensche« z« erprobe«/Ma« darf als dann damit rechnen, daß die Behandlung der Lnugcncntzün- dun« in absehbarer Zeit eine arundlcgende Aendcrrmg erfährt. Ein kirchliches Weinlese-Danllied Die Sorge» des Winzers spiegeln sich auch in alten Gesangbüchern wider. In ihnen finden sich Bittlieder um Sonnenschein nnd Danklieder für gute Weinernten. So ist in einem Gebetbuch, das den Titel trägt: „Gesangbuch zum gottesdienstlichen Gebrauche dcr Reformierten Gemeinden. Landau, gedruckt bei Georges und Prinz 1811", eines dieser Danklicdcr der Winzer zu finden. Das Buch trägt übrigens das napoleonische Staatswappen, da ja die Pfalz damals unter französischer Herrschaft stand. Das Danklied lautet: „Dir, dir, du großer Geber, Erhalter und Beleber, sey Ehre. Dank und Preisl Die Traubenberge blühen, die vollen Beeren glühen, Allmächtiger, aus dein Geheiß. Du hießest warme Stralen die Trauben lieblich mahlen, und giebst der Erde Kraft. Du schaffest Reb und Schaße, das kleine wie das große. Du bist allein, der alles schafft. Du deckst mit breitem Laube die braungebrannte Traube, hältst Frost und Wetter ab. Du giebst den Beeren Säfte. Und Süßigkeit und Kräfte stößt du in ihren Saft herab. In allem dich nur sehen, durch alles dich erhöhen, soll meine Freude seyn. Wo bist du nicht zu linde«? Wo du nicht zu empfinden? Wer wollte deiner sich nicht sreun?" Menschen im Leuchiiurm. Skizze von G. W. Deininger. Sie war dort draußen auf dem Felsriff geboren, nnd der Lcuchtlnrm bildete ihre ganze Welt. Man sah von ihm aus im Osten d>e niedere Küste wie cincii Dunstrcif liegen, und sonst war nur Meer. So kannte Meta Tollens nichts anderes als den Leucht- tnrm und ihre Mutter. Sie erinnerte sich Wohl niidentlich daran, daß einst längere Zeit ein Maim hier dranßen gelebt hatte. Sie fragte einmal ihre Mutter, und diese sagte: „Das war Dein Vater. Dem mag es hier draußen zu einsam gewesen sein. Nun ja, da verschwand er eben eines Tages und ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Die Lcnte drüben an Land hallen viel Mitleid mit Dir nnd mir, weil ich nicht fort wollte und weil wir sonst nichts zu lebe« hatte«, nnd so ließe« sic uns eben hier." Die (söeschichte war dem Kind damals im Kops herum ge gangen. Sv fragte Meta Tollens: „Mutter, was ist das: Em- sam?" Die Mutter faud nicht gleich die richtigen Worte: ^,Ei«sam, ja weißt Du, das ist, wenn nicht genng Leute da .sind, mit denen inan sich etwas erzählen kann. Wenn man vielleicht einmal ein anderes Gesicht sehen möchte als immer das von seiner Frau. Einsam, ja einsam ist eben, wenn man niemand hat, mit dein man seinen Grog trinken kann. Wenig- ftens verstand Dein Vater so etwas unter Einsamsein." Meta Tollens begriff das nicht. Wenn das die Einsamkeit »var, die ihrem Vater unerträglich geschienen hatte! Sie kannte das nicht anders. Sic wollte es auch gar nicht anders haben, und wenn die beiden Männer, die alle vier Wochen mit dem Motorboot Proviant znm Leuchtturm brachten, wieder ab- fuhren, lvar sic immer froh darum. Von Langeweile Hable die Mutter einmal gesprochen. Amh die sollte den Vater vertrieben haben. Aber wie konnte man sich nur hier langweile«? Da gab es doch soviel zu tu«: Di« Lampen Putze« u«d die Spiegelscheiben, de« Turm in Ordnung zu halten nnd aus den Büchern zu lernen, die ihr Die Mutter mit den: Motorboot kommen ließ. Und im Früh- jahr und -Herbst wußte ina« vor Arbeit weder aus noch ein, wenn die Zugvögel ins Licht flogen, und zu Hunderte« sich die Köpfe einrannte«. Langeweile? Nein. Es mnßle schon etwas anderes gewesen sein, das den Vater fvrtgetricben hatte. — So war Biela Tollens dort draußen auf ihrem Lcncht- turm fünfundzwanzig Jahrc alt geworden, die Mntt-r cm die lccbua. und keine dachte, daß es einmal anders werden sollte ans'ihrcm Riff. Nur die Alte machte sich wohl dann und wcmn Gedanken, was sein würde, wenn sie starb und Meta allein blieb. Aber gleich hatte sie Angst vor den Folgerungen, die sie aus solchem Nachdenken hätte ziehen müssen: Die Meta braucht einen Mann. Sie fürchtete sich davor, daß der Frieden ihrer Einsamkeit hier dranßen einmal gestört werden könnte durch eine« Dritte«, u«d so wollte sie nicht an die Zukimft denken. Dann kam aber die Nacht, die alles änderte. Es stürmte draußen, und der Lenchtturm zitterte. Da war cs den Franen, als hörten sie das Krachen splitternden Holzes, nnd dann klang ein Ruf hinüber, den dcr Sturm fast erstickte. Da öffneten sie mühsam die schwere Tür, die ihnen von den anreitcnden Brechern fast ins Gesicht geschlagen wurde, und ein Paar- Schritte vor ihnen hielt sich ein Mail« mühsam an den glatte« Felsc« fest. Sie halfen ihm in den Turm hinein, die Treppe hinauf zu ihrem Zimmer und legten ihn in den abgenutzten Lehnstuhl, in dem sie nachts abwechselnd Wache hielten. Der Mann war erschöpft und durchnäßt, nnd während sie sich um ihn be mühten, ihm die blutende Kopfwunde verbanden, erzählte er: Von weither käme er, und weil er keine Arbeit gehabt hätte, so sei er eben auf den Einlall gekommen, in einem kleinen Segelboot um die Welt zu fahren und sich sein Brot zu ver dienen. Nun hatte ihin der Sturm, der ihn gegen den Felsen tvarf, das Letzte genommen. Meta Tollens Hörle ihm zu. Sie hatte sich auf einen Stuhl gesetzt, die Ellbogen auf die Knie und das Kinn in die Fäuste gestützt, und stierte ihn an wie ein seltenes Tier. Wie war er doch anders als die Männer vom Motorboot mit ihren großen Bärten und ihrem vlumsrrn Körper! Und warum fuhr es ihr nur so durch den Leib, als er jetzt den Blick hob und sie ein wcnig dankbar anlächelte? Warum sah chn die Mutter so ernst, ja fast böse an? Drei Wochen später gab sich Meta Tollens selbst unwill kürlich die Antwort auf ihre Fragen. Die Mutter sprach davon, daß morgen das Motorboot kämmen würde, und dann müßte der Fremde, Gerd Holger, fort. Da sagte das Mädchen: „Warum nur? Mutter, ich hab' mich ja so an ihn gewöhnt, und jetzt mein' ich, er könnte hier bleiben für immer. Was soll er beim sonst tun?" Ein hartes Wort lag dcr Alten auf der Zunge. Doch dann sagte sie ruhig: „Kind, wir waren doch zufrieden zu zweit. Was Lraucl-en wir noch eine« Dritten? Laß chn morgen fortgehcn, und Dn hast ihn bald vergessen." Der Mann kam dazwischen, und sie sprachen nicht mehr davon. In der Nacht aber hörte die Alte die Tür sehen. Sie hatte die Wache, und die Tochter sollte schlafen. Die Mutter stand auf und sah in das Treppenhaus hinunter. Da war diel Meta, und die aufgelösten Haare hingen ihr auf die Brust, die sich rasch hob und senkte. In den Mund der Alten grub«« sicl> tiefe, harte Winkel, als sic fragte: „Woher kommst Du?" Sig wußte die Antwort der Tochter im voraus. Beide sagten nichts mehr. Die Mutter schloß die Tür. Sie spürte, daß es nun zu spät war, um die Einsamkeit zu rette». Und dann schalt sie sich eine schlechte Mutter, weil sic sich dagegen hatte wehren wollen, daß die Meta Gesellschaft hatte, wenn dcr Tod zum Lenchtturm herüber kam. So blieb Gerd Holger. - Nun waren sic zu dritt im Turm, und sie wußten, daß bald ein vierter kommen würde. Sie wollten sich und ihr Leben darauf entrichten, und doch gelang es ihnen nicht. Denn der Mann stand zwischen den Frauen. Fünfundzwanzig Jahre lang hatte die Meta der Mutter gehört, nur dcr Mutter allein. Und nun forderte dcr Mann sie als Eigentum. In fünfund zwanzig Jahren waren die beiden Frauen zu einem Wesen geworden mit den gleichen Gedanke«, den gleichen Regungen. Nun brachte der Mann nene Anregungen in dieses Lebe« hin ein, zerriß das Alte. Aber er wußte den primitiven Naturen nichts Gleichwertiges zu geben für das, Ivas er zerstörte. Denn er sah die Klnft, die ihn, den Mann aus der Großstadt, von den Frauen trennte, jetzt erst mit offenen Angen, weil ihn zuerst der Reiz des Ungewöhnlichen geblendet hatte. So kam die Zeit, da sie einander nichts mehr zu sagen wußten. Er fühlte, wie er selbst als trennende Schranke zwischen den Frauen staub. Er fühlte, daß sie nicht mehr mit einander sprachen, weil sie sich iu seiner Gegenwart scheuten^ Gedanken zu tauschen, die ihm vielleicht dumm und plump er scheinen mochten. Er suchte Arbeit im Tur», und merkte dann,- daß er dadurch nur den seit Jahrzehnten uhrenmäßig ab- laufendcn Tag der beiden Frauen störte. Er faßte all diese Erkenntnisse iu wenige Worte zu- semmen. Die Mutter faud den Zettel eines Morgens an die Tür geheftet: „Lebt Wohl! Ich gehe, weil ich überflüssig ge worden bin." Das leichte Boot, das sonst im Turm unter der Treppe gelegen hatte, war fort. Die Frauen sagten nicht viel dazu. Die Meta weinte: „Er lvar doch ein guter Kerl." Die Alte streifte die etwas schwerfällig gewordene Gestalt der Tochter mit einem Blick: „Ja, es ist doch gut, daß Du später einmal nicht allein sei» wirst." Sie wußte, das Kind würde anders sein als dieser. Fremde.
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