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Oer Llsurpator. Eine Südseegcschichte von Joos van B n s s n m. Fch Halle an jenem Rlvrge» Brückenwache ans der „Pen sacola". Die unermeßliche Weite des Pazifik lag still nnd gläsern vor uns, als führen wir über einen riesenhaften Binnensee. Es schien jedem einzelnen eben ans der Kommando- brücke unvorstellbar, das; dieser Frieden jemals gestört werde» könne, nnd doch hatten die Seen nns noch vor drei Tage» vorne zwei BootSdavits zerschlagen und die schlvere stählerne Flaggenstange fvrtrasiert, als seien sie Kinderspielzeng. Ter Fimkoffizier, der dort hinten in einem Liegestuhl unter dem Souneuschutz lag tvie ein Millionär, Horle in dieser Woche kaum etwas anderes als die Hilferufe von drei Duhenv Schiffe», von denen ;ebt sicherlich die Hälfte da unten lag. — Das Harle Gleißen des Meeresspiegels unter der Tropen- sonne machte schläfrig. Der Rudergänger schräg hinter mir stand mit halbgeschlvsseueu Angen am Rad. Sah man einmal wieder ans das Ehrvnometer, dann waren knapp zehn Minuten seit dem letzten Ma! vergangen. Pier Stunden Wache, vier Stunden; die beiden Maschinen stuckerten die Worte mit... Dann schien es mir Plötzlich, als läge ein kleiner Fleck ans der flimmernden Weile. Mhr gefühlsmäßig als be wußt griff ich nach dem Krimflcck>er und hörte im gleichen Augenblick den AuSgncksmann rufen: „Segler drei Strich Steuerbord voraus!" Er schien bös mitMnommcn zu sein, dieser Segler. Er lag, wie man deutlich durch das Glas sah, hart auf der rechten Seite, und die Masten waren zerfetzt. Pom Heck aus wurde zu uns herübergewinkt. Ich sandte unseren Läufer mit der Nachricht zu Kapitän Bridgeman und hielt mit aller Fahri auf das Schiff zu. Gleich daraus erschien auch der „Alte" selber auf der Brücke. „Wie heißt er?" fragte er interessiert. — ^Santa Catalina" antwortete ich und war selbst erstaunt, wie sich das Gesicht des Kavitäns veränderte. — ..Donnerwetter daun es ja Senor Medina persönlich..." meinte er halblaut, und gleich darauf: „Ich übernehme selber die Wache. Sic gehen mit dem Zimmermann nnd ein ein paar tüchtigen Lcnten an Bord. Sagen Sie ihm, wir würden ihn schleppen, wenn er nicht mehr seetüchtig ist." Ich verstand nicht ganz, warum der Kapitän so plötzlich interessiert war, grüßte und ließ die Jolle ausschwcnkeu. Nach einer halben Stunde besandcn wir uns läugsscit des Schoners „Sania Catalina", der trotz seiner schweren Schäden über Er warten gut gebam nnd mstandgehalten wckt. Der Kapitän des Seglers hieß übrigens nicht Medina, sondern Hernandez, ein stämmiger kleiner Mann, der sich lebhaft für die Hilse be- dankte. Wir machten zusammen einen Rundgang durch das Schiss und stellten fest, daß die schwersten Schäden von unseren Handwerkern in ein paar Stunden behoben werden könnten, wenn alle Mann an Bord mit zupackten. Tie „Sania Cata liila" würde dann mit ihren Neservesegel» aus jeden Fall bis Tuluila fahren können. In den wenigen Arbeitsstunden war eine Pause für uns nicht möglich. Als nns allen schließlich der Schweiß von der Stirn rann, gab ich gerne die Erlaubnis, daß unseren Lcniea während der Arbeit verdünnter chilenischer Wein gereicht wurde. Ein Paar Mal erschien cs mir, als hätte auch Kapitän Hernandez in seiner Unterhaltung mit dem ersten Offizier der „Catalina" den Namen Medina fallen lassen, scheu und ehrfürchtig, als spräche er von einem großen Geheimnis. Aber es konnte schließlich auch eine Täuschung gewesen sein. Es war gegen 4 Uhr, als der Zimmermann nach einer letzten „Revue" meldete, die Schäden seien nun vorläufig bc- hobeu. Wir wollten nach kurzem Abschied von Hernandez gerade wieder in die Jolle klettern, als plötzlich neben dem Kapitän ein kleiner Indio stand, der ihm hastig ein Paar Worte znflüsterte. Hernandez nickte und sagte zu mir: „Herr Leutnant, cs wird <Ämvr Medina, meinem Schiffsbesitzer, eine Ehre sein, Sic begrüßen zu dürfen." Er führte mich zu einer mcssingbcschlagencn Tür des Deckshauses am Heck und öffnete sie: „Dort, bitte!" Es dauerte eine Weile, bis ich mich an das Halbdunkel der großen Kajüte gewöhnt hatte, die ganz im Stil eines Von Orinnen und Draußen. Berlin, vierte Juuiwoche 1932. Ja, wenn mau's so u achhe r liest — daun hat alles ein ganz anderes Gesicht. Ich bin überzeugt, wen» man Karl den Großen in seiner Gruft zu Aachen Wecken könnte nnd ihm er zählte, wie es kam, daß er damals als römischer Kaiser gekrönt wurde, es würde ihn vieles ganz neu und fremd anmuten. Oder wenn man den Schwedenkönig Gnstav Adolf wecken und fragen könnte, wie es zu seinem Siege über Wallenstein bei Lützen kam, bei dem er dann fiel, das würde auch nicht so ganz das Bild ergeben von dem, was nns seit dreihundert Jahren als feststehende Tatsache davon berichtet wird. Und wer weiß, vielleicht ist manche Gransamkeit von Dschingiskhan oder Torgnemada oder Alba in den Niederlanden gar nicht so grau sam und mancher schöne Zng von Rudolf von Habsburg, Kaiser Josef und vom alten Fritzen gar nicht so streng historisch ge wesen, wie wir das als Bnbeu gelesen und nicht mehr vergessen haben. Die geschickt und zur rechten Zeit lancierte Anekdote, gut erzählt, wirkt da Wunder. Darin hat sich nichts in der Welt geändert. Brüning, als im Taxameter Er zn Bismarcks Werkstatt fuhr, Hatte — hören wir — in jeder Hand ein kleines Päckchen nur; Also sprang er in die Bresche, Leicht bepackt und hvffnungsfrvh, In dem einen — seine Wäsch e, In dem andern — 's Radio. Und so trat er ans die Schwelle (Bismarck halt' es wen'gcr leicht), Denn er war ein Junggeselle — So was lohnt sich, wie sich zeigt. Und er saß an Bismarcks Pulte Uncrschöpft bis abend zehn. Bortrag, Hymnen und Insulte Ließ er über sich ergeh'u. Reden halten, Vorsitz führen — — „Zehne"! schlng's von irgendwo, Schwupp! schon bei verschloss'»«» Türen Saß er — h i n t e r in Radio. Hier begann er still zu basteln, Stöpselt, hämmert, ölt nnd schmiert, Und mit Stiften, Drähten, Onasteln Hat er nächtelang hantiert... Als er mit erhitzten Bäckchen Daun vom Kanzlertisch verschwand. Hielt er scheidend beide Päckcb"- Wie dein, Einzug, in der Hans. „Kampf und Arbeit, Not und Tücke." Dacht' er sich, „erlebt man so; rremmmm verreiMauies emgerichiel war. Po» dem »bweren Schreibtisch erhob sich plötzlich eine kräftige, mittelgroße Gestalt mit weißem Haar. Ich hatte i» de» Jahre», da ich auf einem Kreuzer au der Westküste Dienst getan hatte, manche» alte» Südamerikaiicr gesehen, niemals aber eine so machtvolle und ehrfurchtgebielendc Persönlichkeit. Bon den großen. Sunkle» Auge» ging eine unbeschreibliche Gewalt ans. Wie er nur jetzt zur Begrüßung entgegenkam, ging er strasf und elastisch wie ein Jüngling. Seine Stimme klang melodisch und krasi- voll, als er nun sagte: „Ich empsauge sehr selten einen Men schen. Aber für Ihre tatkräftige Hilfe mnß ich Ihnen her; lieh danken, mein Herr." — Er entnahm dem Wandschrank eine Flasche nnd goß den Rotwein in zwei Kristallgläser. „Sie sind ei» Offizier. Auch ich war es einmal... es ist lauge her. Trinken wir aus die Ritterlichkeit und die Heimat!" Ich blieb säst eine Stunde in seiner Kajüte. Er sprach nur zögernd; zuweilen ließ er einen angesaugcncn Satz u» beendet. Dann sah er starr an mir vorbei auf das Meer. Aufmerksam hörte er zu, wie ich aus seinen Wunsch allerlei von meinem letzten Kommando in Südamerika berichtete. Als er mich schließlich bis znm Fallreep begleitete, traten alle Leute vom Teckspersonal scheu und schweigsam zurück. Ich sehe ihn immer noch vor mir, wie er dort anfgerichlel in seiner knr^n Seidenjacke stand, den Sombrero in der Hand. Ter dicke Hernande; und die anderen Bordoffizicre, man sah sie I nicht, so lauge er dort staud. — — Von Medina war ui den nächsten Tagen nicht die Rede. Der Kapitän Bridgeman zeigte sich »ach meiner Rückkehr merk würdig verschlossen. Die Grüße des Südamerikaners hatte er mit kurzem Dank entgegengenommen. Aber er war ohnehin sehr schweigsam, nnd ich rechnete nicht mehr damit, noch etwas über den seltsamen Fremden zn erfahre». Ta bekam ich Plötz kkch am SvmUaa die Ei»Iadn»a. mit Bridaema» zu weise». Wir Halle» bereits gegesse» nnd ramhteu eine von des Kapitäns nnüberlrefflichcm Havaimas. als der „Alte" Plötz lich gesprächig wurde und mich fragte, ob ich wohl wüßte, das; ich eiu ganz seltenes Glück gehabt hätte Ich verneinte er- stanut. Ta begann er die Geschichte von Bantista Medina, der nach den Sternen griff nnd ganz tief stürzte. In der großen Republik au der Westküste war Medina schon als ganz junger Offizier eine große Hoffnung gewesen. Mit kaum dreißig Fall reu rückte der General Medina znm Kriegsminisler auf. Tie Arl, wie er hier ohne jede Hilfe die Reform des Heeres durchsührle, zeigte bald auch den fremden Diplomaten, daß er der kommende Mann seines Landes war, ein Führer von anßergewöhnlichem Formal. Nicht lange darauf wurde er nach einem Putsch diktatorischer Präsident. Bridgeman sah mich an: „Auch seine ärgste» Feinde' geben zu^ das; es wohl kaum jemals in Südamerika eine» Usurpator gegeben hat, der so scharf nnd klar zn plane» uni) handel» wußte. Er tat uuenolich viel in jene» sieben Jahren, die ihm bis zu der Revolution blieben, die dem Pcrnehmcn »ach unter englischem Einfluß ins Werk gesetzt wnrde. Die Entscheidung führte der Verrat eines seiner besten Frcnicde herbei. Man war ihm dicht auf den Fersen, aber er ent kam. In allen Bars der Südsec können Sic Geschichten davon hören, wie ihn ein Pater in einer kleinen Kapelle versteckte. Er gab diesem das Ehrenwort, niemals wieder hcimzukehrcn. „Mich ekelt das alles so an ..." soll er ihm gesagt haben. Seit dem fährt er ans dem Kauffahrcr „Santa Catalina". Hunderte von Geschick ten gibt es über ihn, aber außer Jhiicu haben Medina vielleicht »nr drei oder vi"r Menschen gesprockzen ..." Es war still geworden in der Kapitänskajute. Nur der große Fächer des Ventilators kreiste snmmcnd über uns. In Gedanken sahen wir beide Medina wieder am Fallreep stehen, den auch sei» furchtbarer Sturz nicht bezwnugc» hatte. Sln neues Wunderwerk der deutschen Flugzeugtechnlk Au> dem Flugbaje» iu Berti» Tempelhof lras das »e»e Junkers Riesenflugzeug l) BMli ein, das eine zweistöckige Passa giertabiuc ausweisi. Tie Maschine, die vom Tvp der bekanule» O MW ist, bal l Molaren von je «>W Pferdestärke» und kau» bei 7 Mau» Besatzung :!l Passagiere und eine bcdeMendc Menge Frack» und Post befördern. Von nächster Woche ab wird das neue Flugzeug aus der Strecke Berlin—London eingesetzt werden. Aber, ach, die s ch ö n st c u Stücke Kaine» doch — im Radio!" Einen Tarameter schnelle Pfiff er froh gelaunt heran — Tenn er blieb ein Junggeselle, Der noch manches hoffen kann. Solche kleinen Fndiskretionen — sie stammen übrigen? nicht vom ihm selbst — mischen dem sonst vielleicht etwas nüchterne» Leben die nötigen Körnche» Salz bei, die ja jetzt m Denlschland wieder — zwölf Pfemnge das Kilo — be steuert, aber eben doch an Suppe» und Biographien nicht ganz zu eulbehreu sind. Aber es gibt der Leute genug, die sich, weniger zurückhaltend als der Reichskanzler a. D., gar nicht genug tu» können im Salzen der eigenen Bekenntnisse. Mir ist zum Beispiel der Pariser Herr Poiret, der „Mode könig", wie er sich selbst nannte, nie sehr sympathisch gewesen. Anch nicht, als er von Paris ans ;edes Fahr zwei bis vier Mal die bessere Hälsie der Welt, die Frauenwelt, mit neuen Erfindungen seiner Eleganz beglückt Hal. Anch nicht, als er persönlich in Berlin erschien, um sich und seine Schöpfungen gebührend feier» zn lassen. Manche Mode verdankt, wie Anna Blum in ihrem Buch über die Mode des achtzehnte» Jahrhunderts amüsant beweist, nur de» körperliche» Fehlern einzelner hochstehender Persönlichkeiten ihren Ursprung. Tie kurzen Aermel der BalltoileUe erklären sich ans den schönen Armen Anna von Oesterreichs, der Mntter Ludwigs XI V., die hohen Hacken aus der Kleinheit der Pompadour. Die die Ohren bedeckende Haartracht aus den häßliche» Ohre» der Kleo de Mörode. Ludwigs XI. Tochter schuf ihrer großen Füße wegen die Schleppe, die Gattin Philipps IV. ihres Vvgelhalses halber den bis all das Kinn stoßenden Kragen, die Schauspielerin Ferroniöre wegen einer Stirnnarbe die um die Stirn laufenden Seidenbänder mit einem Edelstein- anhäuger in der Mitte. Eugenie von Frankreich ließ den Reifrock der Pompadour in Form der Kriuoline mm erstehe» »nd — wieder verschwinde», als der Dauphin geboren war. Und so. Aber Herr Poiret nahm in seinen Erfindungen keinerlei Rücksicht auf Fehler oder Schönheiten bekannter Frauen. Er erfand und kreierte wild darauf los und galt Wohl anderthalb Jahrzehnte für den „arbiter elegautiarmm" und für den geschmackvollsten Mann. Heute noch? Ach nein. Herr Poiret hat jetzt aus den Liebesaffären seines berühmte» Schneiderdaseins ei» B u ch gemacht und — unter Beigabe von Briefchen, die einmal nur für i h n bestimmt waren — eme ganze Anzahl Damen der Welt nnd Knnst in ziemlich durchsichtigen Schilderungen blvßgestellt. Robel und ge schmackvoll. Ja — die Dame» sehe» es zu spät ein: Man soll nie Briefe schreiben. Vielleicht sollen das Gelehrte von Weltruf auch nicht tun. Denn eben erscheint zum Beispiel im Autographen-Bersteigerungskatalog einer Berliner Firma ein — mit fimfuudsiebzig Mark angesetzter — von Professor Albert Einstein aeschriebeuer Brief, der nicht von der Rela- nvitätslehrc handelt, sondern... Fa, „sondern", das ist's! Ter Brief ist gerichtet an Herrn Harry Tomela (man bo- pnut sich: das Ivar der Hochstapler, der als falscher preußische«: Prinz ein Paar Gastwirte düpierte) und handelt — von dessen Buch über seine Heldentaten als Zechpreller. Und in diesem Brief — den man herzlich gern als apokryph betrachte» möchte — findet sich der Satz: „Gerhart H a n P t m a n » war ebenso wie ich t i e f e r g r i f f e n von diesem Buche. Ich glaube, daß er ebenso bereit wäre wie ich, sich f ü rSie einzn setzen. Haben Sie einen Gedanken, Ivo ich mich für Sie verwenden könnte?" Herr Harry Tomela hat, wie es scheint, diese edle Bereitwilligkeit des Gelehrten mit sofortiger finanzieller Verwertung des Autogramms belohnt. Was vielleicht d o ch uicht der Zweck dieses Briefchens war. Fedensfalls nahm ich »ach Lektüre dieses Schreibens Vev- aulassuiig, meinem Junge», der nächstens in die lange» Hose»" wächst, auf die Schulter zu schlagen und ihn zu ermahnen: Mein Sohu — schreib' keine Briefe, Auch uicht, wenn du verreist; Sie sind vielleicht voll Tiese, Sie sind vielleicht von Geist, Sie sind vielleicht ans Schätzchen, Das dir der Lenz gewann, Doch steht darin ein Sätzchen, Das später schaden kann. Du schreibst, was dir die Stnude An Wärme gab und Licht, Als flöß' es dir vom Munde, Wie eins zum andern spricht. Bloß — das; nach Mond und Woche" Dein Herz es nicht mehr faßt, Daß du mal s v gesprochen Und s v geschworen hast. Es Wied der Erdenwandrer In dieses Lebens Wirr'» I» siebe» Jahr'» ei» andrer An Knoche», Fleisch »»d Hirn. Es spült des Blutes Welle Das alte weg wie Spreu, Bis in die kleinste Zelle Ist alles wieder neu. Daun wirst du Briefe lesen Po» anno dazumal: Was? Tas bin ich gewesen? Die Sache wird fatal. Dein Einst liegt wo im Spinde, Gebündelt ruft's dir zu: „Die Tinte, ach, die Tinte Blieb treuer dir als dn!" Diogenes.