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Sächsische Elbzeitung : 28.06.1932
- Erscheinungsdatum
- 1932-06-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1787841065-193206281
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1787841065-19320628
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1787841065-19320628
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Elbzeitung
-
Jahr
1932
-
Monat
1932-06
- Tag 1932-06-28
-
Monat
1932-06
-
Jahr
1932
- Titel
- Sächsische Elbzeitung : 28.06.1932
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GüMMMeS. Schwerste Devreiston Die Konjunkkurlage in Sachsen In einem Smiderabdruck der Zeitschrift des sächsischen Statistischen Lcmdesamtcs beschäftigt sich Negierungsrat Dr. Walter vmn Statistische» Landesamt init der Konjunktur lage in Sachsen im Frühjahr 1932. Die sächsische Wirtschaft, so heißt cs darin, verharrt im Zustand schwerster Depression. Preise, Produktion und Ab- iaß sind weiter abwärts gerichtet. Insbesondere Hal die indnslrielleGütererzeugung einen Tiesstand erreicht, wie er in diesem Jahrhundert noch nicht zu ver zeichnen war. Die Arbeitslosigkeit nimmt konjunkturell weiter zu. Die am Jahresbeginn einsetzende Entspannung der Lage am Geldmarkt hat sich fortgesetzt, während der Kapitalmarkt unergiebig bleibt. Die Frühjahrscntlastung des sächsischen Arbeitsmarktes ist Heuer wesentlich schwächer als 1931. Seit dem winterlichen Höhepunkt bis Mitte Mai ging die Zahl der Arbeitsuchenden nur um 14 700 zurück. Die Verminde rung der Arbeitslosigkeit ist fast ausschließlich durch die in dieser Jahreszeit üblichen Einstellungen von Arbeitskräften in den Außenberufen herbeigeführt worden. Ob die sächsischen Gemeinden die von Monat zu Monat anwachsenden finanziellen Lasten der Wohlfahrtspflege auch fernerhin werden tragen können, ist zu bezweifeln. Ueber- steigen doch schon seit dem Herbst 1931 die Untcrstützungslei- stungen an die Wohlfahrtserwerbslosen beträchtlich die Ein nahmen aus den Reichssteucrübermcisungen. In keinem an deren deutschen Gebietsteil erreicht die Arbeitslosigkeit einen solchen Umfang wie in Sachsen. Einschließlich der Angehöri gen sind gegenwärtig rund 1 300 000 Personen von der Ar beitslosigkeit betroffen, eine Zahl, die der Bevölkerung der beiden größten Städte des Landes gleichkommt. Der Lohn- und Gehaltsabbau hat das Arbeitseinkommen beträchtlich vermindert. Durch die gleichzeitige Verbilligung Her Lebenshaltungskosten ist die Auswirkung zwar gemildert, aber bei weitem nicht ausgeglichen morden. Verhältnismäßig spät wirkte sich der Konjunkturabschwung auf die Steuerein nahmen aus. Der Rückgang der Steuererträge dürfte gegen über 1928/29 im letzten Rechnungsjahr zwischen 25 und 30 v. H. betragen. Während bei den Neichsüberwcisungsstcuern bereits seit 1929 ein Absinken, und zwar um etwa 40 o. H. von 1928 bis zum letzten Rechnungsjahr zu beobachten ist, weisen die Landes- und Gemeindesteuern bis 1930 ziemlich gleichblcibende Beträge auf und sind dann im nächsten Rech nungsjahr schätzungsweise um noch nicht 20 v. H. Zurückge gangen. Der Beschäftigungsgrad der sächsischen Industrie ist weiter gesunken. In den einzelnen Gebietsteilen Sachsen zei gen sich große Unterschiede. Die Gegenden, wo noch ein ver hältnismäßig großer Polksteil in der Landwirtschaft Erwerb findet oder wo der Kohlenbergbau ansäßig ist, weisen die niedrigsten Arbeitslosenziffcrn auf Den höchsten Grad er reicht die Erwerbslosigkeit in den Bezirken Chemnitz, Mitt weida, Olbernhau, Flöha, Freital und Plauen. In Ost- und Südwestsachsen liegen die Perhältnisse noch verhältnismäßig am günstigsten, während im Erzgebirge und Mittclsachsen die Arbcitslosenzahl erheblich den Landesdurchschnitt über steigt. Hat im ganzen Land die Arbeitslosigkeit seit Herbst 1931 nur um 30 v. H. zugcnommen so beträgt die Zunahme , in den Bezirken Lugau. Glauchau, Burgstädt und Thalheim ! 50 bis 150 v. H. Besonders bei den beiden zuletzt genannten Bezirken lassen sich die verheerenden Wirkungen der Abschnü rungspolitik der Volkswirtschaften auf den sächsischen Ar beitsmarkt deutlich erkennen. Um mehr als 40 v. H. ist binnen Jahresfrist die Arbeitslosigkeit ferner in den Bezirken Anna berg, Chemnitz, Döbeln und Wurzen gestiegen Sehr stark ist der Beschäftigungsrückgang auch in den Textilgebieten Plauen, Flöha und Mittweida mährend in manchen Teilen Ostsachsens die Arbeitslosigkeit nur um 3 bis 16 v. H. über dem Vorjahrsstand liegt. Kreishauvtmannlchall Dresden-Bautzen Anläßlich der Vereinigung der Regierungsbezirke Baut zen und Dresden zu einem einheitliche» Regierungsbezirk Dresden-Bautzen fand im historischen Sitzungssaal der bis herigen Kreishauptmannschaft Bautzen auf der Ortenburg ein feierlicher Regierungsakt statt, zu dem auch Innenmini ster Richter erschienen mar. Es maren u. a. anwesend der bisherige Bautzener Kreishauptmann Dr. Waentig, die vier Amtshauptleute der Sächsischen Oberlausitz, die Mitglieder des bisherige» Kreisausschusses, der Landesälteste, Vertreter der Industrie- und Handelskammer Zittau und der Gemerbe- kammer Zittau usw. Innenminister Richter vermies auf die Bedeutung der Vereinigung der beiden Regierungsbezirke, gab einen geschichtlichen Rückblick auf die Verwaltung der Lausitz in gen letzten Jahrhunderten und betonte, daß sich das Säch sische Gesamtministerium nur schweren Herzens entschlossen habe, den Regierungsbezirk Pautzcn aufzuheben und der Krcishauptmaimschaft Dresden cmzugliedcrn. Der Beschluß der Regierung sei aber diktiert durch den Zwang zur Ver minderung der Staatsausgaben. Ma» werde sich i» Zukunft de» bisherigen Verwaltungsapparat nicht mehr leisten kön nen und in dieser Beziehung auch noch zu weiteren Spar maßnahmen greifen müssen. Selbstverständlich habe die Re gierung die erheblichen Bedenken verwaltungstechnischer, wirtschaftlicher und kultureller Art. die gegen die Aushebung der Kreishauptmannschaft Bautzen sprachen, anerkannt und gewürdigt; aber sie habe doch geglaubt, sich im Interesse der Staatsgesamtheit über diese Bedenken hinwegsetzen zu müs sen. Es sei der feste Wille der Negierung, daß außer den sich daraus unvermeidlich ergebenden Nachteilen sich weitere Nachteile für die Bautzener und die Lausitzer Bevölkerung nicht ergeben sollen. Insbesondere solle die Lausitz weiter das einheitliche K u l t ii r ge b i e t blei- b e n, das sich bis zum heutigen Tage erhalten habe. Minister Richter gedachte bei dieser Gelegenheit der wendischen Be völkerung und betonte, daß auch im Rahmen der neuen Ver waltung das Bestreben des wendischen volkstciles, seine Sprache, sein Volkstum, seine Sitten und Gebräuche zu er halten, weiterhin Verständnis, Achtung und Pflege erfahren solle. Im Anschluß brachte der bisherige Bautzener Kreis- Hauptmann Dr. Wacn tig zu», Ausdruck, daß mit der Aufhebung der Kreishauptmnnnschaft Bautzen eine tausend jährige Geschichte ihre» Abschluß gefunden habe. Er dankte besonders de», J»»e»mi»ister dafür, daß er bestrebt gewesen ! sei, die aus der Auslösung der Kreishauptuwm,schäft sich für die Beamten und Angestellten unausbleiblich eintretenden Härten soweit als möglich zu lindern. Kreishauptmann B u ck-Dresden übernahm den Regie rungsbezirk mit der Zusicherung, sich immer für die Belange der Lausitzer und insbesondere auch der wendischen Bevöl- Das tägliche Nundfunkprogramm. Nundsunkprogrannn siir Mittwoch, 23. Juni Leipzi g-D resden 6,00 Funkgymnastik; 6,15 Friihkonzert; 8,15 Dienst der Haus bau: Einiges über Kochgeschirre; 16,10 Schulfunk: Bei den afri kanischen Niesen, Erlebnisse im Lande der Watusis; 12,00 Mit- tagskonzcrt; 11,66 Erwerbslosenfunk: Wir bauen uns ein Rund- sunkgerat; 15,06 Funkbericht aus Wehlen a. Elbe; 16,66 Für die Jugend: „Der Spielmann und die Tänzerin im Wasserfall"; Konzert, dazwischen liest Hertha Vogel-Voll zwei Geschichten für die Kleineren; 18,16 Sein und Sollen in ven letzten pädagogi schen Neuerscheinungen; 18,36 Sprachenfunk: Italienhch; 18.55 Was erwarten Sic vom Olympia'? Walther Schneider spricht mit dem Leipziger Mcisterschwimmer Herbert Heinrich; 16,65 Hypothekenbanken und Bausparkassen; 19,30 Unterhaltungskon zert; 20,15 Blick in die Zeit; 21,00 „Der Wettlauf mit dem Schalten". Schauspiel in drei Aufzügen von Wilhelm von Scholz. 22,15 Nachrichtendienst; anschließend Unterhaltungsmusik. Glcichbleibendc TagcSsolgc: 10,00 Wirtschastsnachrichtcn, 10,05 Wetterdienst und Per- kehrssunk; 10,10 Was die Zeitung bringt; 11,00 Werbenach- richten außerhalb des Programms der Mitteldeutschen Rund- sunk A.-G.; 12,00 Wetterdienst- und Wasserstandsmeldunaeni. 15,40 und 17,30 Wirtschastsnachrichtcn und Wettervoraussage. Kö n i g s w u st e r h a u l e n. S.45: Wetterbericht. — 6.00: Funk-Gymnastik. — 6.15: Wie- icrholnng des Wetterberichtes. — Anschließend bis 8.00: Früh- konzert. — 9.00—9.25: Berliner Programm. — 9.30: Sterbende Volkskunst. — 10.00: Neueste Nachrichten. — 10.10: Schulfunk. Bei den afrikanischen Riefen. Erlebnisse im Lande der Wntussis. — 11.05: Aus München: Messe in D-Dur von P. Leo Söhner: Nundsunk-Kammerchor. — 12.00: Wetterbericht. — Anschließend: Schallplattenkonzert — Anschließend: Wiederholung des Wcllcr- bcrichlcs. — 13.35: Neueste Nachrichten. — 14.00: Konzert. — 15.00: Schwedische Bauernhösc. Wasserfälle und Wälder. — 15.3Y: Weller- und Börsenbcrichle. — 15.45: Frauenswnde. Landfrau und Weliwirlschajtskrisc. — 16.00: Pädagogischer Funk. Die Er forschung des deulschen Aolkslums durch den Allas der deulschen Volkskunde. Erste Ergebnisse. — 16.30: llcbcrtragung des Nach- mitlagskonzcrlcs Hamburg. — 17.30: Strcifzüge durch oas Bürger liche Gesetzbuch. — 18.00: Das Orchester und seine Instrumente. — 18.30: Kann Film Kunst sein? — 18.55: Wetterbericht. — 19.00: Weltpolitische Stunde. — 19.20: Stunde des Beamten. Die Be amtenschaft und das akademische lleberfüllungsproblcm. — 19.40: Vierteislunde Fuuklcchnik. — Anschließend: Wiederholung des Wet terberichtes. — 20.00: Aus der Messehalle, Köln-Deutz: Anläßlich der „Woche des Rundsunks": Musikalisches Durcheinander. Kra ßes Orchester des Westdeutschen Rundfunks. — Danach Abcnd- milerhallimg. Berliner Konzcrtvcrcin. kermig gemäß den Wünschen der Staatsrcgicrnng einzu- setzen. Zuletzt nahm »och der Bautzener Oberbürgermeister Niedner das Wort. Er bezeichnete de» heutige» Tag als einen „dies ater" für die Stabt BaMren und die gesamte Lausitz. Weil der Bräutigam nicht tanzen konnte . . . Karlsbad. Weil ihr Bräutigam nicht tanzen konnte, lies; sich das Dienstmädchen Anna Willsch ck in Kilib bei Tcp- litz mit einem Kölscher namens Nippt ein. Der Bräutigam drang nun nächllicherweisc in die Kammer des Mädchens ein und schlug mit einem Beile den Liebhaber und das Mädchen nieder. Rippt ist lebensgefährlich verletzt, anch das Mädchen ringt mit dem Tode. Der Taler wollte sich anshüngcn, doch riß der Strick. Er wurde verhaftet. M«—> u '«»-'M«»«!! Ovp,rigtu 1931 vr Kor: Köchel » Co. Berlin-Zehlendorf. t?5. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) Die kleine Fran Professor befand sich im Zimmer, Chri stina hatte es vergessen und stand nun verlegen und erschreckt, sich vergebens mühend, die Tränen zu verbergen. Die alte Dame lächelte sanft. „Weinen Sic sich ruhig aus. Kindchen, das erleichtert im- mcr." Sie drückte das junge Mädchen liebevoll aber bestimmt auf das Sofa nieder und legte ihr beide Hände aus die Schul tern. „Auswcinen, Kindchen, so recht von Herzen auswcinen, das tut stets gut. Das laue salzige Naß spült manch graues Spinnennetzchcn aus Herz und Kopf. Ein ordentliches gründ- liches Ausweincn ist für einen Menschen, was Großreinemachen für eine Wohnung ist." Christina berührte die weiche Stimme in diesem Augenblick besonders wohltuend, und während sie mit dem Taschcntüchlcin über die Augen fuhr, preßte sie wie entschuldigend hervor: „On kel Lüdinghofen war immer so lieb und gut zu mir, und wer weiß, wann ich ihn nun wicdersehc." Die alte Dame nahm ihre Hände sacht von den schmalen Mädchenschultern. „Sie tonnen doch die Lüdinghofens einmal besuchen, es ist doch schließlich keine Weltreise bis zu ihnen, und Frau Dr. Lü dinghofen wird Sie doch sicher gern willkommen heißen." Die alte Dame klopfte ein bißchen auf den Busch. Sie wußte ja längst, es mußte einen tieferen Grund haben, daß Chri stina niemals von selbst den Namen der Frau in den Mund nahm, unter deren Obhut sie vom Kind zum Mädchen herange reift. Anteilnahme für Christina war es, die sie herzlich lieb gewonnen, aber auch ein bißchen weibliche Neugier, von der wohl die beste Evastochter nicht ganz frei ist. Bei den Worten der alten Dame war Christina unwillkür lich zusammcngezuckt und schwerfällig gab sie zurück: „Frau Dr. Lüdünghofcn hat wenig Sympathie für mich, sie wurde zornig aus mich, weil Onkel so gut zu mir war." „Dennoch blieben Sie mehr als fünf Jahre im Hause?" fragte die alte Frau Professor. Christinas Mundwinkel bogen sich in schmerzlicher Erinne rung nach unten. „Am Anfang war Tante Dorothee nett zu mir, erst in den letzten Jahren ward sie so anders." In der alten Dame dämmerte ein Verstehen auf. Sic blickte aus das liebreizende blonde Geschöpf, das da vor ihr saß, umflossen vom Zauber der Reinheit und Jugend, ries sich das Bild Karl Lüdinghofens vor das Auge und daneben das seiner häßlichen Frau, die allerdings einst sehr gut ausgesehen hatte, heute aber vielleicht in die Breite gegangen sein mochte, wie die meisten dieser Figuren im Sommer ihres Lebens. Christina sagte tränenerstickt und innig: „Ich habe Onkel Lüdinghofen so lieb gewonnen, lieber als den eigenen Vater, alles was schön war in meinem Leben, ver danke ich ihm und —" Eie erhob sich etwas überschnell. „Aber ich will nicht undankbar sein, denn ich habe es ja hier bei Ihnen so gut, Frau Professor." Die Dame nahm Christinas Rechte und preßte sie ein wenig zwischen ihren feinen Händen, deren Haut wie elfenbeinerne zer knitterte Seide war. „Liebes Kind, wir Und so frob. Sie bei uns zu haben, ordentlich licht ist cs bei uns alten Leuten gewor den, seit Sie hier sind." Der Professor begleitete indessen Dr. Lüdinghofen in sein Hotel. Die Lust barg schon einen Hauch von jener wundersamen Treibhauskauhcit, die sonnigen Frühlingstagen eigen ist, und die Gedanken bewegten sich wie oorwärtsschicbendc Spinnnensüßc. „Eine ganz, ganz dummc Geschichte", brummte er und voll von warmem ehrlichen Mitgefühl fügte er hinzu: „Sie tun mi» sehr leid, bester Kollege, denn da Sie ein anständiger Charakter sind, werden Eie an dem Packen, den Ihnen Ihre Frau ausge- halst ha! uud den Eie geheim tragen müssen, schwer zu schleppen haben." Der Jüngere neigte den Kops. „Ja, schwer ist die Last, aber ich muß damit sertig werden, die Hauptsache ist, Christina darf niemals etwas von meiner Liebe ahnen, im übrigen weiß ich sic jetzt wenigstens gut aufgehoben l unter Ihrem Schutz." Er preßte die Hand des alten Herrn fast ! wchetucnd. „Und nun vergessen Sie, lieber Herr Professor, was - ich Ihnen eben anvcrlrautc, es sind Dinge, die man am besten ! vergißt." Ja, wenn man solche Dinge nur jo aus Wunsch gleich hätte > vergessen können! Der alte Herr guälte sich auf dem ganzen Heimwege damit ab, und je mehr er sich damit beschäftigte, desto mehr litt er unter seinem Wissen. Es ging nicht anders, er mußte mit seiner Frau darüber sprechen, allein wurde er damit nicht fertig. Frau Sonnes junges Lachen, bas Leuchten ihrer gold braunen Augen unter dem slimmerigen Silbcrhaar würde seine durcheinandertreibenden Gedanken schon wieder in den Hasen lotsen. Christina suchte unter dem Vorwand, sie habe starkes Kopf- weh, heule bald nach dem Nachtessen ihr Zimmer auf. Es wcn ihr gar so schwer, so bedrückt zumute, trotz des Ausweinens. Wie ein Alp lastete es auf ihr, seit Karl Lüdinghofen ihr abschiednehmend die Hand gereicht. Ihr war es, als hätte er ihi noch irgend etwas sagen müssen, oder sie ihm, als sei etwae Wertvolles, Wichtiges unausgesprochen zwischen ihnen geblieben. Es schmerzte sie, als habe sie dadurch etwas Liebes unwieder, dringlich verloren. Ganz seltsam war ihr Empfinden und sie fand j nicht mehr in sich zurecht. Aber auch das Alleinsein bedrückte sie, und sie dachte, eg wäre wohl besser, wenn sie ins Wohnzimmer zu dem alten Paa: zurückkehren und noch ein Weilchen mit ihnen verplaudern würde. Sie wußte, ihre Gegenwart war stets gern gesehen, ein Hauch von echter Elterngüte ging von den beiden alten Leuten aus, da von wollte sie sich wärmen und aufrichten lassen. So ging sie und klopfte, ehe sie eintrat, an die Wohnzimmer- tür. Sie hörte den Professor lebhaft, wenn auch etwas gedämpft, sprechen und merkte, daß man ihr Klopfen überhörte. Mit kleinem Lächeln auf dem Gesicht öffnete sie die Tür, doch blieb sie plötzlich, ohne den Fuß weiterzusetzen, stehen, denn der alte Herr sagte eben laut und deutlich: „Lüdinghofen tut mir leid, denn ich vernahm aus dem Klang seiner Stimme, er liebt Christina mit einer tiefen heiligen Liebe. Und daß die häßliche Eifersucht seiner Frau ihm das erst zum Bewußtsein bringen mußte, ist das Erschütterndste an der ganzen Geschichte. Zum Glück ist wenigstens Christina völlig ahnungslos." Die kleine Frau Professor erwiderte gepreßt: „Christina liebt Dr. Lüdinghofen ebenfalls, ohne es selbst zu wissen, darüber bin ich mir jetzt klar. Möge sie der Himmel davor bewahren, jemals ihre Liebe zu erkennen." Ohne Bewegung hatte Christina gestanden, und die Wechsel rede des alten Paares war durch die leicht geöffnete Tür an ibr ^>yr gcorungcn und halle stch wie scharst Dolchstöße in ihr Herz gesenkt. Nun zog sic die Tür unhörbar wieder zu. unmöglich konnte sic setzt cintrclcn. Wie gejagt eilte sic in ihr Zimmcrchcn zurück. Allein scin, nur jctzl allein sein! Minchen Klockow lam ihr entgegen. Sie aber sah die be häbige Haushälterin nicht einmal, so weit entfernt war ihr Sinn von allem, was mil ihrer täglichen Umgebung zusammenhing, und „Muller Erde" schaulc ihr verblüff! nach und murmelte: „Sie schwebt über dem Boden mit den Füßen. Wenn das nicht unnatürlich ist." In ihrem Zimmer schob Christina den Riegel vor und stand dann ein Weilchen regungslos verharrend, schweratmend, gleich einer Verfolgten, die sich in einen Schlupfwinkel gerettet hat. Dann aber brach ein mühsam unterdrücktes Stöhnen au» ihrer Brust, und sic sank wie von gewalttätiger Hand niederge drückt, in die Knie. Ihre Augen brannten, und ihr Herz schien aus tausend schmerzhaften Teilchen zusammcngefügt. „Lieber Golt, lieber Gott", zuckle cs ihr wie der Anfang zu heißem Gebel über die Lippen. Eie schwankte und tlammcrte sich mit den Händen an einen Etuhl. Müde und schwer neigte sich ihr Haupt. Zu wuchtig, zu säh und überwältigend war der Schlag aus sie niedergesaust und beraubte sie fast der Besinnung. In ihrem armen Kopfe kreiste schmerzhaft und betäubend der eine Gedanke: Karl Lüdinghofen liebte sie und — sie ihn. Ja, sie ihn auw. In einer einzigen Sekunde war sie wissend geworden. Ent setzlich, grauenhaft wissend. Sic licbte den einstigen Pflegevater, liebte einen verheirate ten Mann. War das nicht Ehebruch, die abscheulichste aller Sünden? Ihre achtzehnjährige Jugend sah keinen Lichtblick in dem Chaos, das sie so plötzlich umgab. Schämen mußte sie sich, noch einem Menschen ins Antlitz zu blicken. O, wenn sic sich hätte verbergen können in Dunkelheit und Stille, in tiefste Einsamkeit. Jetzt nichts mehr denken brauchen und auslöschen wie ein Licht, ging es ihr durch den Kopf. Tastend, sich an dem Stuhl haltend, erhob sie sich und ging durch das dunkle Zimmer ans Fenster. Fiebrisch suchte ihr Auge das Stückchen Himmel ab, das sie von hier aus zu sehen vermochte, aber kein einziger Stern leuchtete droben. Und das wäre ihr in ihrer völlig niederge brochenen Stimmung doch wie ein kleiner Hoffnungsschimmer ge wesen. Ihre Gedanken wurden ein wenig klarer, aber ihr Herz pochte nun fast noch schmerzhafter als vordem. Sie licbte Karl Lüdinghofen. War das denn auszuden- len, war diese Gewißheit denn zu ertragen? Konnte man denn ohne eigene Schuld so entsetzlich schuldig werden? „Möge sie der Himmel davor bewahren, jemals ihre Liebe zu erkennen, hatte die alte Frau Professor mitleidig von ihr ge jagt und ahnte wohl nicht, daß gerade ihre eigenen Lippen ihr die traurige ernste Erkenntnis gegeben halten. Was nun, was nun? Angstvoll jagten Christinas Gedan ken umher, suchten einen Halt in dem wirren Durcheinander der erregten Angstgedanken und landeten dann plötzlich mit einem kleinen Lächeln, das sie krampfig um ihre Lippen spürte, fern von hier, in einer weltfremden Einsamkeit. Sie warf sticht den Kopf zurück, sie sah jetzt doch wenigstens ein Ziel, sah einen Weg, der in die Einsamkeit führte, denn nun sic wissend geworden, mußte sie alles daran setzen, zu verhindern, daß sich ihr Pfad jemals wieder mit dem Pfad des Mannes kreuzte, dem ihr Herz gehörte und doch in alle Ewigkeit nickt aebören durste. — (Fortsetzung folgt)
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