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Beilage zur Sächsischen Elbzeitung i is ? Rußland, Polen, Oeuischland. Ter russisch-polnische Nichtaugrissopakt und bK venlsch- russische Freundschastsvertrag. — Erfolg der Sowjets, Nicder- »agc Fraiilreichs, Uugcwißhcitcii ober auch für Teutschlaud. Bon Dagobert P a h l c n. Die Zeit arbeitet im Osten gegen Deutschland. Por dem Schicksal einer Neberwältignng Ostpreussens mit dem Ziele seiner Lvsreißmig von Deutschland durch Polen bewahren uns in den Jahren unserer schwersten Erniedrigung die Ent schlossenheit der Bevölkerung Ostpreußens zur Selbsthilfe und die Gewißheit, daß Nußland einer erneuten Kräfte- verlagermtg an seinen Westgrenzen zum Vorteil Polens um keinen Preis tatenlos Zusehen würde. Das waren lange Zeit Umstände, die einen osteuro päischen Krieg mehrfach auf Haaresbreite nahebrachtcn. Sehr wahrscheinlich unterblieb er troh des erfolgreichen UeberfallS der Litauer auf das Memelgebiel, weil der weiße Adler uoch die Narben von den Pissen des russischen Bären spürte und vor dem lewen denn doch znrückschreckte. Es ist beschämend, daß die Erhaltung Ostpreußens so einseitig von den Ost preußen selbst abhängig gewesen ist und daß unsere Politik erst sehr spät zn dem Schritt gelangte, durch einen zwischen- ftaatlichcn Pertrag eine gewisse Bindung Nußlands an die bisher aus seine» eigenen politischen Erkenntnissen beobachtete Haltung zu erzielen. Das geschah durch den deutsch-russischen Freundschafts- Vertrag vom 24. April 1926. Er gehört zu jenen diploma tischen Hauptwerken, die weltpolitisch von großer Tragweite zn sein scheinen, in Wirklichkeit aber peinliche Schwächen verschleiern. Es wirkte schon als Verwässerung, daß man den Abschluß des Locarnopaktes vvranacbcn ließ und die Locarnomächte von dem deutsch-russischen Ab- kvmmcn vor seiner Veröffentlichung unterrichtete. Die Geste einer selbständige» a»ßc»politischc» Hanolung Deutsch lands wurde durch dieses Verfahren unglaubhaft, und damit sank der außenpolitische Wert jenes Abkommens für Deutsch land zn einem Nichts zusammen. Der tatsächliche Gewinn lag allein bei Rußland. Was Tschitscherin damals für sein Land rettete, waren allerdings nur Bruchteile politischer Hoff nungen, die auf die Wiederherstellung einer gemeinsamen deutsch rnssisck>cn Grenze unter Beseitigung des Korridors und «uch eigentlich polnischer Gebietsteile gerickM gewesen sind. Erst nach drei Jahren stellte sich heraus, daß die Sowjets sich durch ihr Frcnudschaftsabkvmmen mit Deutschland eine .sehr wertvolle Hilse in schwerster Bedrängnis gesichert hatten. Als der Völkerbund unter dem Druck Frankreichs und Eng lands bei de» ersten Anzeichen des sogenannten russische» Warendumpings einen Finanz- und Wirtschaftsboykott gegen Nußland organisieren Wollte, scheiterte er an der Zurück haltung Deutschlands, das gerade in diesem Punkte durch den Vertrag von 1924 gebunden war. Der andere von Tschi tscherin voransgeschcne anhenpolitischeZwischensall,Sanktionen des Völkerbundes gegen Rußland, für den ebenfalls Sicherungen zugunsten Rußlands im Berliner Vertrage ent halten sind, i;t uoch nicht cingctretcn. Deutschlands sehr bescheidener, wenn auch nicht zn unter schätzender Gewinn des Vertrages von 1929, die Fcrnhaltnng Rußlands von den französische» Bemühungen um ein Ost locarno, ist uns bis veute erhallen geblieben. Seit 1920, dem Jahre des Abschlusses mit Deutschland, versuchte Rußland mit Pole» zu einem Nichtangriffspakt zn komme» »»d erfuhr null eine unablässige Bercunung durch Polen und Frankreich für den entscheidenden Schritt zn einem Ostlocarno, die An erkennung der polnischen Westgrcnzen. Mit einiger Genug- tunng dürfen wir hervorheben, daß Tschitscherin solchen Ver- fuchcu ohne Schwanken widerstand nnd Litwinoff nach einigem Wackeln im letzten Sommer seine Beine wieder fand. Polen sah sich zum bedingungslosen Abschluß genötigt, nachdem das alte französische Spiel des Kaufs politischer Vorteile durch Geld von Rußland, das sich eine Politik auf sehr lauge Sicht erlauben kann, völlig fchlgcschlagcn war. Der russisch-Polnische Nichtangriffspakt wird daurch zu einer Niederlage der fran zösischen Politik. Ihr grvßangclcgtcr Vorstoß für die Siche- vnng von Versailles an den deutschen Ostgrcnze» ist sehl- geschlagen; ebenso scheiterte ihr Plan einer Vormachtstellung Polens im Osten dnrch Abschluß von gleichzeitigen Nicht- angriffsverlrägen aller Nachbarn Rußlands mit diesem unter Polens Führung restlos. Rußland läßt Polen nnr den für die Warschauer Negierung innen- und außenpolitisch noch sehr ' beacytUcycn Erfolg einer Entlapnng von der nnmttlclvarcn rnssischcn Bedrohung. Darin liegt der Nachteil des Vertrages für Deutschland. Im Falle eines polnischen Angriffs ans Ostpreußen erscheint die Haltung Rußlands nunmehr im Zwielicht trotz des Freundschaflsabkommcns und im Gegensatz zu seiner klare» früheren Stellungnahme in deutsch-polnischen Streitfragen. Die Lage im Osten hat sich inzwischen verändert. Keiner der Nnndstaatcn, einschließlich Polen, läßt cs Rußland auf wirt schaftlichem und vcrkehrslechuischem Gebiete allzu deutlich spüren, daß cs keine Tuchfühlung mehr mit Dentschtand hat. Die zwischenstaatliche Wirtschastsabwicklnng bildete hier auch in anderer Beziehung erträgliche Systeme für den Waren austausch heraus, die Rußland in einer Politik des Friedens an seinen Westgrcnzen noch bestärken. Die Westgrcnzen Ruß lands gegen Polen bieten an keinem Punkte nnausglcichbare Rcibnugsmöglichkeitcn, eine Erscheinung, die sich die so leicht und leichtfertig aktive Politik Polens Wohl znnntze mack-cn könnte. Deshalb darf die dentschc Politik sich nicht dabei be ruhigen, daß der russisch-Polnische Nichtangriffsvcrtrag für Deutschland nichts positiv Ungünstiges enthält. EincStär - kung Polens ist mit dem Vertragswcrk ans jeden Falk verbunden, und das heißt auch eine Schwächung Deutschlands. Hier genügt nicht mehr die Abwehr von Zumulnngcn; hier kann nur eigene, positive, aktive Politik helfen. Die Möglich keiten sind dafür gegeben, nnd die Stunde dafür ist gekommen. Erdbebenkatastrophe auf Euba. Wie wir bereits i» imscrcr gestrigen Ausgabe kurz melde ten, ist der dritte Tcil der Stadt Santiago de Cuba dnrch ein Erdbeben teilweise zerstört worden. Etwa 500 bis 1000 Menschen sollen umgekonnnen sein. Insgesamt wurden 5 schwere Erdstöße wahrgenommen. Etwa 500 Häuser sind zer stört worden. 2000 Personen sind verletzt. Aus Santiago de Cuba wird gemeldet, daß große Teile der Stadt in völliges Dunkel gehüllt sind. Unter der Bevöl kerung herrscht Panik. Aus den Trümmern der cingestttrz- tcn Häuser, die die Straßen bedecken, tönt Schreien und Klagen. Im unteren Stockwerk eines großen Gebäudes sand man die Leichen von 14 Personen, die beim Einsturz des Hauses erschlagen wurden. Das Feuer, das die Sladl nach dem Erdbeben hcim- suchle, brach an verschiedenen Stellen der Sladl zugleich aus. Da Wassermangel herrschte, griff cs unge hindert mit großer Schnelligkeit um sich. Line große An zahl Gefangener, die in ihren Zellen eingeschlossen waren und die man nicht befreien konnte, fand den Tod oder wurde erheblich verletzt. Nach ergänzende» Meld»»gen aus Havanna sind außer mehreren Kirchen, Regierungsgebäudcn und dem Elektri zitätswerk in Santiago de Cuba auch ein Krankenhaus sowie ein Hotel zerstört morden. Die Nachbarstädte Holguin und Guantanamo haben gleichfalls erheblich gelitten, ebenso der Libertadpark. Hilssslugzeuge sind unterwegs. Die Polizei hat außer ordentliche Maßnahmen gelrofscn um Plünderungen zu ver hindern. 100 Tote in Santiago de Cuba? Ncupvrl. Nach dc» letzten aus Santiago de Cuba hier vorlicgcncd» Nachrichten geht hervor, daß man mit 109 Toten rechnet, da viele Personen noch vermißt werden. Bisher sind »nr 12 Tote geborgen worden. Unter diesen bc- sindcn sich 9 Frauen und 4 Säuglinge. Die Telephon- und Tclcgraphcnlcilungcn sind säst vollständig zerstört. Dies ist auch die Ursache für die vielen sich widersprechenden Meldun gen. IO Tote, 200 Verwundete in Gnantanamo. Washington. Ter Kommandant der Scestreitkräste der Vereinigte» Staate» i» der Guanlanamo-B»cht meldet, daß das Erdbeben ans Cuba iu Guantanamo 10 Tote und 200 Verwundete gefordert hat. Gnantanamo ist der Flotten stützpunkt der Vereinigten Staaten auf Cuba. Die WuaMmken des BnnrEWjers Die Flucht des Berliner Bmikvorslchcrs Brüggemann ' von der Lommerz- und Privatbank, die im vorigen Iahr die Presse beschäftigte, fand ihren gerichtlichen Abschluß durch die Beryrleilung des Angeklagten Brüggemann wegen Unterschlagung und Untreue zu einem Iayc Gefängnis. Brüggemann hat dnrch seine Unterschlagungen nicht die Bank geschädigt, bei der er angestellk war, sondern er hat sich an den Gelder» vergriffe», die ihm von Privalkmiden übergeben morden maren. Für diese Kunden, die durch Brüggemann geschädigt sind, dürfte der Prozeß »och ein weit unangenehmeres Nachspiel haben, den» im Gerichts saal saß ein Beauftragter der Steuervermaltung, der sehr aufmerksam die Verhandlungen verfolgte. Die grüßen Sum men, die Br. von den Kunden der Bank in seine Wohnung gebracht wurden, sollten nämlich deswegen von ihm nicht über das normale Bankkonto gebracht, sondern gewisser maßen privatim angelegt werden, weil die Einleger den Steuerfiskus damit übers Ohr Hanen wollten. Ein Haupt leidtragender bei Br. ist ein bekannter Gnmmiwarenfabri- kant, der eine Million NM. übergeben hat, die der Bankvor steher als Privatmann in der Schweiz in Wertpapieren an legen sollte. Nach einiger Zeit brachte derselbe Fabrikant Br. 300 000 Mark mit dem Auftrag, sie in englische» Pfun de» anzulegen. Als Br.. der unglücklich spekuliert hatte, die Schulden über den Kopf mnchsen, flüchtete er kurzer Hand nach Triest und von dort im Flugzeug nach Kairo. Er versuchte dann bei einem Onkel, der in Lüderitz-Bucht Farmer ist, finanzielle Hilfe zu erlangen. Dieser Versuch mar aber vergeblich. Brüggemann mußte zurückkehren und sich dem Gericht stellen. Die Finanzverwalkung will, wie der Vorsitzende im Ge- rlchlssaal miltcilte, gegen die Privakknndcn des Bankvor- slehers ein Slenerhinlerzichungsvcrfahren cinleiten Vermischtes. Torgau, die größte Garnison der Welt! Merkwürdig, oaß dieses Geheimnis offenbar den französischen Schnüfflern« verborgen geblieben ist, sonst hätte es doch bestimmt im de» jüngsten französischen Kammerdebattcn eine Nolle ge-^ spielt. Schließlich ist cs auch für ein „stark abgerüstetes Land" wie Frankreich beängstigend, wenn man plötzliche erfährt, daß eine verhältnismäßig kleine Stadt wie Torgaus folgenden Truppe» als Garnison dient: Das gesamte pre»-i bische Gardekorps: 41 Infanterieregiment«:', 40 Schmadro-s ne» Kavallerie, 8 Abteilungen Artillerie, eine Maschinen-> gemehrabteilung, Gardcjägcr, Gardeschützen, Train, Pio niere. das Husarcnregiment 12, das früher in Torgau garni-i sonierte, usw. Auch das gesamte 4. Armeekorps ist in Tor-; t gaii Zusammengezogen. Selbst in Deutschland wird man! ' über diese Enthüllungen überrascht sein. Aber in Parisi ! kann man trotzdem beruhigt schlafen: cs handclt sich ledig lich um — Zinnsoldaten. Der Schuhmachermeister Bruno 1 Richter in Torgau ist nämlich eifriger Zinnsoldatensammlcr. Er darf sich rühmen, die stärkste Zinnsoldatcnarmee der Erde zu besitzen. Insgesamt verfügt er über 16 000 Zinn soldaten, die sich auf die oben aufgcführten Truppeneinheitcn verteilen. Auch sein Bruder, der Kassenlekretär Otto Rich ter, fröhnt der gleichen Sammelleidenschaft; er l>at es aller dings nur auf 8000 Soldaten gebracht, die das ehemalige! 4. Armeekorps bilden, das vor dem Kriege Hindenburg bc-' fehligte. Sv beherbergt Torgau insgesamt 24 000 Zinnsol-. baten, zu welchen noch einige kleinere Sammlungen treten;, denn in Torgau ist der Sammelsport für Zinnsoldaten in! Schwung. Mik selbstgebaukem Motorschiff nach der Türkei. Zwölf junge Leute aus Ulm haben sich zusammengefnnden, um mit einem von ihnen selbstgefcrtigtcn Schiff ihren Plan, nach der Türkei auszuwandcrn. aiiszuführen. Das flache Fahrzeug, das mit Ausnahme des Unterbaus selbst gezim mert wurdc/hat eine Länge von 15 Metern nnd eine Breite von 2,75 Metern. Gegen die Unbilden der Witterung sind die Donaufahrer durch eine massive Holzüberdachung, die wohnlich eingerichtet wird, geschützt. Für die nötiae Fahr geschwindigkeit sorgt ei» eingebauter Antomotor. Das Volkslied. Skizze aus Svwjetrußland von Alfred Hei». Nadina sang. Alle fielen ein: Niemals lausche ich dem Glockenklange, Der erschallt bei meinem Grabesgange. Aber heute hör' ich sie noch lange, Abeiidglockcn aus den: Klostergartcn. Niemals fasse» meine welken Hände Rose» meines Grabes durch die Erdenwände, Doch »och blühe» sic für mich vH»' Ende Not und weiß dort in den» Klostergartcn. DaS Lied mmvoglc warm ihre Herzen. Zum ersten Mal, seit das alte Dorf, das Kloster, zerstört und die neue Fabrik- ^cdlung errichtet ward, in der die flach bedachte,», kaserneii- weiß getünchte» Häuser gerade ausgerichtct eiues wie das andere »umeriert uiid registriert dastcmde», als wollten sie Sets zu einer Parade vor Stalin ausgerichtet sein; zu»: erste» Mal, seit auch in diesem Dorf die neue Arbeitswoche eingeführt, die Bewohner, die gestern »och Bauern Ware», i» das Heer der Fabrikarbeiter eingereiht wurde», weil es i» de» Fünf- jahrespla» so Paßte, hier Industrie und keinen Ackerball zu treibe»; zum erste» Mal seit Monate», in denen ihnen das Bis dahin frei und froh trotz aller Armut sich fühlende Herz sertrümmert wurde und ihre Hände an die Maschinen wuchsen, deren Hebelgriffe sie bedienten; ach, zum ersten Mal. seit diese furchtbare Zeit begann, hatte Nadiua wieder leise zu «fingen aiigefaiigcii. Das Lied quoll dümi und zart aus des Mädchens Kehle und wuchs sofort zu einem alle mitreißenden Strom. Es war wie ein erlösendes Bad der Seele. Sie sangen den Wald vögeln glei. die dem Käfig entronnen waren. Wo das Kloster mit seinen stillen grünen Türme» einst Stand, da ragte» »u» die Dampfkessel und Schlote der Fabrik. Doch die Singenden hörten aus dem Lied heraus die fromme Glocke und sahen die Rosen an der Klvstermauer blühen. Immer wieder sangen sie cs. Immer inbrünstiger. Die nahe» Waldberge des Urals fingen den Sang auf mid Warfe» ihn mit einem leise klagenden Echo zurück,'wenn er endete; dies Echo verlockte, immer »och einmal zu beginnen: Niemals lausche ich dem Glockenklanae.. „Ihr wißt doch, daß es leiuc Glocken mehr gwt!" suyr s mit scharfer Stimme dazwischen. Pctujew, der Aufseher, der so gern Kommissar werde» möchte »»d Stalius Programme besser auswendig wußte als die zehn Gebote, stand vor ihnen. „Sv'n bißchen singen — wem schadet das? Es ist wirk lich bloß so'» bißchen dahergesungc» — so zum Abend", sagte Pjotr Massilewitsch, der Vater Nadinas. ,.AH, Dn verteidigst Wohl Deine Tochter! Die hat an- gefangcn, nicht wahr? Alter, ich sage Dir: Wir verstehen keine» Spaß. Wenn Nadina — ich habe ihre Stimme wobl er kannt, jetzt weiß ich's ganz genan — »och einmal »ach den Glocke» und Rose» im Klvstergarte» solche Sehnsucht hat, dann muß sie sowas in Moskau vergessen lerne» — in der Fraucnschule." , . „Lieber sterb' ich", flüsterte Nadina ihrer Nachbarin ins Ohr, die ihr erschrocken de» M»iid zuhielt, der »och „diese Satausschule!" zischte. „Sagtest Du was, Nadiua?" fragte Pelujew bissig und lauernd. „Wir werde» nicht mehr singen, und damit ist es Wohl gut", mischte sich jetzt Tschitschikow, der junge Vorarbeiter, dazwischen, der das Wohlwollen Pctujcws besaß, weil er sofort iu die Partei emgptreteii war und offensichtlich mit Freude das Neue in sich aufnahm. „Es soll »och einmal gut sei». Es ist aus mit solch weinerlichem Zeug. Volkslieder sind verboten. Stimmt das Kampflied an!" Tschitschikow begann: „Vorwärts, Brüder, laßt die Zeit nicht warten! Mutig kommen wir ihr schon zuvor —" Wie Maschinen sangen sie mit. Und spürten in den Händen die ewig gleichen Hebelgriffe, die sie in der Fabrik machen mußten. Die Sirene erscholl. „Los, in de» Radiosaal! Heute abend ist ein Vortrag über das -Erwachen des russischen Dorfes'. Das hört Euch an!" — Nm ander» Tag war die Lautsprecheranlage im Nadio- saal gestohlen und der alte Pjotr Massilewitsch aus den: Dorfs verschwunden. Nadiua wurde in ei» scharfes Verhör ge nommen, aber sie wußte wirklich nicht, wann ihr Vater das .Haus verlassen und wohin er sich gewendet hatte. Doch am Abend wurde es allen klar, wo Pjotr Wassi- lewitsch weilte. Als sie in dem aemeiiisamen Sveiseiaal beim , Gpen laße» und die Abendsonne die Höhe» des Urals ver- ! goldete, da begann Plötzlich aus der Tiefe der Bergwälder ! mächtig und herzerschütternd das Lied aufzusteigen: Niemals lausche ich dem Glockeiiklauge... Alle legte» de» Löffel hi», ließe» de» Brei kalt werde» und lauschte». Pct»icw befahl das Kampflied. Aber die Töne wirbelte» durcheinander, und Plötzlich sangen alle das alte Volkslied mit, das immer noch aus dem Bcrgwald drang. Siebe» Tage erscholl jede» Abend um die gleiche Stunde Pjotr Wassilcwitschs Stimme und saudte den» Heimatdorf das verbotene Lied. Er wurde verfolgt, man fand ihn nicht; bald näher, bald ferner erklang der Sang. Endlich haschte» sie ih», nachdem eine ganze Abteilung Soldaten aus der Goilveriicinentsstadt hcrbeigeholt war und de» singende« Alte» regelrecht umzi»gelt hatte. Er sang i» dc» Lautsprecher hinein, hoch oben im Wipfel einer Buche sitzend, die mit ihrer Krone die sie rings umgebende» Tanne» überragte. Pjotr Massilewitsch wnrde nach Moskau gebracht mit» Wege» Widerstandes gegen die Staatsgewalt auf ein Jahv nach Sibirien geschickt. „Darf mau dort die alte» Lieder singen?" fragte er den Richter. „Dort hört's keiner, de» wir für unscr» Aufbaupla» brauchen. Dort können die Wölfe mit Dir heulen." „Darf ich dann immer iu Sibirien bleiben?" fragte Pjotr.. „Nein. I» einem Jahr wirst Du im übrige» gern i» daS! »eue Dorf u»d i» die Fabrik zurückkehre», weil» Du erst! Sibirien kemum gelernt hast." i „Kaun ich Nadina mitnehmen?" — „Nein." . t ; „Es ist doch meine Tochter." „Sie ist Rußlands Tochter, sonst nichts, verstanden? Wir haben sie in die Frauenschule gebracht. Da wird sie dass Singen verlernen und nützlichere Dinge sich aneignen." „Ach, was brcmchcii wir nützliche Dinge! Ware» wir, nicht glücklich mit einer Handvoll Mais, ein Paar Rüben unH einem kleinen Lied? Ich verstehe die Welt nicht mehr." In Sibirien war Pjotr Massilewitsch der Fröhlichste vorr alle». Immer scmg er sei» Lied vo» den Glocke» u»d dc» Rosen im Klostergartem Ehe das Jahr der Verbannung herum war, starb er. „Gott holt mich ihnen zum Trotz", flüsterte er selig in der Todesstunde. „Bleib standhaft, Nadina! Singe, Nadina, sinae linac "