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Sächsische Elbzeitung : 06.01.1932
- Erscheinungsdatum
- 1932-01-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1787841065-193201061
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1787841065-19320106
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1787841065-19320106
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Elbzeitung
-
Jahr
1932
-
Monat
1932-01
- Tag 1932-01-06
-
Monat
1932-01
-
Jahr
1932
- Titel
- Sächsische Elbzeitung : 06.01.1932
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Gtt^fSfeHeS. Keine besondere Kürzung der Pensionen in Sachsen Dresden. 6. Januar. Don der Nachrichtenstelle der Staatskanzlci wird mitge- teilt : „Unter der Uebcrschrist „Die Pensionen gekürztI Sach- je» setzt Ruhegehalt, Warte. Witwen- und Waisengeld her ab" stellt der „Freiheilskampf an der Spitze seiner Montag- nunnner die Behauptung auf, die Sächsische Regierung habe, nachdem die Pension der sächsische» Beamten bereits in der sächsischen Sparvcrordnung vom 21. September 1981 von 80 auf 75 v. H. herabgesetzt worden sei, nunmehr die Versor gungsgebührnisse der sächsischen Beamten „außerhalb der Bestimmungen durch das Reich" durchweg herabgesetzt. Demgegenüber ist darauf Hinzuwesten, dass die von der Eächsstrhcn Regierung letzthin erlassene Bekanntmachung über Pensianskürzung lediglich diejenigen Vorschriften über , Kürzung von Versorgungsbezügen der sächsischen Beamten enthält, die bereits durch die dritte Verordnung des Reichs präsidenten vom 6. Oktober 1981 angeordnct worden sind und die nach dieser Verordnung vom l. Januar 1932 an in Kraft gesetzt werden mutzten. Eine allgemeine Kürzung der sächsischen Pensionen über die Vorschriften des Reiches hin aus ist nicht angcordnet worden. Die Behauptung des „Freiheitskampf" ist also unrichtig und seine Angriffe gegen ! die Negierung ungerechtfertigt " Der lmhsWe PreisrommWr Dresden, 6. Januar. Der vom Neichskommissar für Preisüberwachung zu ! seinem Beauftragten für Sachsen ernannte Ministerialrat Dr. Schelchcr ist im Jahre 1883 geboren und war nach Been digung des Studiums der Rechte auf verschiedenen Posten , im sächsischen Justiz- und Verwaltungsdienst tätig. Von 1920 bis 1927 war er Amtshauptmann in Auerbach i. V. und trat dann als Ministerialrat ins Sächsische Jnnenministe- rium über. Während des Krieges leitete Dr. Schelchcr im i Landeslebensmittclamt die Landcsfleischstellc. Preisschilder und Preisverzeichnisse Das Sächsische Wirtschaftsministerium hat in den Städ- ! len den Stadträten, im übrigen den Amtshauptmannschastcn « die Befugnisse im Sinne von Kapitel 1 der Verordnung über s Preisschilder und Preisverzeichnisse vom 17. Dezember über tragen. Sie haben im Emzclfalle die erforderlichen Anord nungen zu treffen. 200 Arbeiter entlassen Neukirchen. Die hiesige Strumpffabrik Knoth sah sich > infolge Auftragsmangels gezwungen, den Betrieb zu schlie- ! szen und die Belegschaft von etwa 200 Mann zu entlassen, j Das Werk arbeitete schon seit einiger Zeit verkürzt. St. Egidien. Infolge der ungünstigen Wirtschaftslage § hat sich die Strickwarenfabrik Albert Nabe veranlasst gesehen, Kurzarbeit oinzuführen. Es wird nur noch an drei Wochen- > tagen gearbeitet. Brand in der Landesvcrsicherungsanstalt Dresden. Im Aktenarchiv der Landcsoersicherungs- s »nstalt wurde ein Brand bemerkt, der bereits eine Holz- ! »erschalung ergriffen halte. Das Feuer wurde bis zum Ein- ! treffen der Feuerwehr von Angestellten der Landesversiche rungsanstalt mit dem kleinen Löschgerät bekämpst. Der ent standene Schaden ist unbedeutend. Einige Akten sind beschä digt worden. Schwebebahn Blückenberg—Geising? Dresden. Aus Teplitz-Schönau wird gemeldet: „Das schon lange vorbereitete Projekt einer Seilschwebebahn von der Vergstadt Graupen über den Wallfahrtsort Mariaschein zum Mückcnberg wird jetzt in Angriff genommen. Die Bah» wird den Höhenunterschied von 520 Meter in zwölf Fahrt- mmulen überwinden. Für später ist eine Verbindung mit der Station Geising geplant. Der Bau der Bahn soll in einem Jahr fertiggestellt sein. Die Finanzierung erfolgt durch die interessierten Gemeinden." Schiller und der SNarel-Prozch Was Schiller mit dem Sklarck-Prozetz zu tun hat? O. eine ganze Menge. Wenn Leo Sklarck i» jeder Verhand lung mit grosser Entrüstung behauptet, bei der Uebernahmc des KVG.-Lagers seien sic in elender Weise betrogen wor den. dann hat er dach aber zweifellos nach Schillers Wart im Wallenstein gehandelt: „Nehmen sie das Unsere in Scheffeln, müssen wir's wiederbekommcn in Löffeln". Und die Sklareks wussten schon, wie sic es wiedcrbekamcu: sie sammelten einen Kreis einflutzrcicher Stadträte um sich: „Die Truppen aus fremden Landen — Sich hier vor Pilsen zusammenfanden. — Die sollen wir gleich an uns locken — Mit gutem Schluck und guten Brocken — Damit sie sich gleich zufrieden finden, — Und fester sich mit uns verbin den." Der Steuerzahler seufzte zwar „Wie sie juchzen, das Gott erbarm, alles das gehl von des Bauern Felle," aber Sklareks blieben bei dem Grundsatz „Flott will ich leben und mützig gehe»" Wenn ei» Magistratsmitglicd einen Wunsch äutzerte, hietz cs mit der Kapuzinerpredigt: „Nu, nu, ver langt ihr sonst nichts mehr?" und flugs nahmen die Herren mit Dank an „werde mich nicht lange sperren und zieren". Kein Wunder, das; man munkelte: „Das geht nicht zu mit rechte» Diugen", wenn man hörte, das; Max Sklarek van allen Vorgängen im Magistrat aufs genaueste vo» Mittels leute» hörte: „Ei» graues Männlein pflegt bei nächtlicher Frist — Durch verschlossene Türen zu ihm einzugehen — Und immer was Grosses ist drauf geschehe» — Wenn sc das graue Nöcklcin kam uud erschien", heisst es im Wallen stein. Wöchentlich 100 Mark mutzte Leo Sklarek nach seinen eigenen Angaben aus Geheis; sciners Bruders Max an gute Bekannte im Skat au fröhlick-er Tafelrunde verlieren. „Der dritte Mann soll verloren sein", uud es ist verständlich, das; der Kreis um die freigebige» Brüder sich vergrößerte uud mehr und mehr hinzukameu: „Heisa juchhcia dudeldum dei! Das geht ja hoch her, bin auch dabeiI Ist das eine Armee von Christen?" — Doch schliesslich kam doch einmal der Zu sammenbruch, denu ..Aus das Unrecht da folgt das Uebel — Wie die Träne auf die herbe Zwiebel", und der Staats anwalt packle zu: „Anklage ist mein Amt und meine Sen dung!". „Wieder ein Gebot ist: du soll nicht stehlen. — Ja. das befolgt Ihr nach dem Wort, — Denn ihr tragt alles offen fort — Vor Euren Klauen und Geiersgrifsen — Vor Euren Praktiken und bösen Kniffen — Ist das Geld nicht geborgen in der Truh", und der (Iustiz-)Wachlmeister setzt weise mahnend hinzu: „Böses Gewerbe bringt bösen Lohn!" Im Prozess zeigt der Vorsitzende wenig Verständnis für das Prassen. Er setzt an die Stelle des „Soldaten" de» „Kaufmann" und meint: „Der Saus und Braus — Macht der denn den Kaufmann aus? Das Tempo macht ihn, der Sinn und Zweck. —Der Begriff, die Bedeutung, der feine Blick." Es kommt zu den heftigsten Auseinandersetzungen, als die Angeklagten die Schuld immer aus andere wälzen, so datz der Vorsitzende eingrcifen mutz: „Ihr Herren, wallt ihr mit Schlägen enden?" Jetzt wollen es die Stadtbank direktoren nicht mehr wahr haben, datz sie Geschenke von Max Sklarck angenommen hätten, und bestreiten die Acnßc- rung: „Sei mir willkommen, Max. stets warst du mir der Bringer irgendeiner schönen Freude!". Auch andere Ange klagte haben ihr Gedächtnis verloren, etwa der Bürgermei ster Kohl: „Von welcher Zeit ist denn die Rede Max! Ich habe gar kein Gedächtnis mehr." Der Vorsitzende ist neu gierig, wo denn die Besprechungen Max Sklareks mit den Stadtbankdirektorcn stattfande», und Leo plaudert aus: „Auf jenem Jagdschlotz war cs zwischen hier und Nepomuk", wo bei Nepomuk in der Nähe des Müggelsees liegen dürfte. Auch die Schwarze Kladde, in der die Namen der be vorzugten Kunden der Sklareks stehen — Leo sagt: „Die halbe Armee steht in meinem Buch" — sie kam ans Tageslicht: „Was die dunkle Nacht gesponnen, soll frei und fröhlich an das Licht der Sonnen", Leo Sklarek bestreitet entschieden, allein der Schuldige zu lein, er meint, es war „aller Wille. vag ver;a;oven werde". Er wird immer erregter und pol tert los, aber „wie er sich räuspert und wie er spuckt". Hoffmann bleibt dabei, er habe keinen Argwohn gehabt: „Worüber Argwohn? Nicht den mindesten". Der Chor der Steuerzahler aber verlangt vom Vorsitzenden: „Gerechtigkeit, Landvogt! Du bist der Richter im Lande an des Kaisers Statt und Gottes. Tue Deine Pflicht! So Du Gerechtigkeit vom Himmel hoffest, so erzeig sic uns" <Tcll). Idealerziehung bei einem Negerstamm Von Dr. H. Kong. Die Ioruben, ein Negerstamm, der an der Niggcr- mündung wohnt, sind sehr kinderlieb. Ihre Erziehungs- grnudsätze sind überraschend und beanspruchen unser größ tes Interesse. Denn sie verstehen, wie mir mit einem ge wissen Neid zugcben müssen, vielleicht mehr von Erziehung' als wir. Schon bei der Namensgebung zeigen die Io- ruben eine große Fürsorge für ihre Kinder; denn nach ihrem Glauben hängt vom Namen Glück und Unglück des Menschen ab. Sie suchen also nach einer Acbnlichkeit des Kindes mit einem seiner Vorfahren, damit sich dessen Schick sal im Leben des Kindes wiederhole. Kann der Junge schon etwas laufen, dann nimmt ihn der Vater mit zur Arbeit. Dort schaut das Kind erst beim Ackerbau zu. Dann erhält es ein kleines Werkzeug, mit dem cs die gleiche Tätigkeit verrichtet wie die Erwachsenen Es wird aber genau darauf gesehen, das; es sich nicht über arbeitet. Auf dem Heimwege trägt es ein Erwachsener' wie irgendeine Last auf dem Kopf. Naht das Knabenalter heran, dann erhält der Sohn ein Stück Land, zur selbstän dige» Bearbeitung und muß den Ertrag an seine Familie abgeben Die Erziehung ist darauf angelegt, datz keine Zeit zum Faulenzen bleibt, und der junge Mann Pflichten zu« erfüllen hat. denen er nach seinem Entwicklungsgrade auch gewachsen ist. Der Jüngling baut sich ein eigenes Haus, um bei der im frühen Alter geschlossenen Ehe die volle Selbständigkeit zu erhalten. Die Töchter werden von der Mutter erzogen und sorg fältig zu Hausfrauen hcrangcbildet. Die gaiiZ kleinen Mäd chen müssen ivic die Frauen Wasser holen, natürlich nur soviel sie können. Sie lerne» das Kochen, indem sie zuerst'« ihrer Mutter eine Zeitlang genau zuschen. Die größte Sorgfalt wird aber auf die Erlernung der Kinderpflege gewandt. So wie ihre Mütter auf dem Rücken die Babies tragen, so tragen sie Puppen, und diese Mädchen geben dann selbst gute Mütter ab. da sie schon von Kindesbeine» an mit allen Mutterpflichle» vertraut sind. Es ist nun allerdings bei uns unmöglich, eine Erzie hung dnrchzuführen, die die Kinder einfach dem Beruf der Eltern folgen läßt, ohne daß sie von de» anderen Lcbens- gebieten Kenntnis und Verständnis erlangten. Dagegen können wir von dem Ziel der Erziehung bei den Ioruben noch lernen. Dieses Ziel führt mit den einfachsten Mit teln zu dem Ideal einer Erziehung: zur sozialen Einord nung und zur individuellen Selbständigkeit. Geschieht die soziale Einordnung wie bei den Ioruben so, daß die Jugend einen Gegensatz zwischen der eigenen West und der der Erwachsenen gar nicht zu spüren bekommt, daß ihr eigener Pflichtenkreis sie den Erwachsenen gleichstellt, dann werden die Konflikte vermieden oder abgcschwächt. die unsere Ju gend so häufig im Uebergangsalter zu erleiden hat. Die Erziehung zur individuellen Selbständigkeit ver langt aber die Ausbildung zweier Eigenschaften, der Fähig keit, Erfahrungen zu machen, und der Fähigkeit, sich selbst zu erziehen, die die Methode der Ioruben in hohem Maße gewährleistet. Leider werden bei unseren Erziehungsme thoden diese für die Charakterbildung so überaus wichtigen Eigenschaften nicht genügend berücksichtigt, während auf de» Erwerb und Besitz von Kenntnissen, die für die moralische Lebensreife und intellektuelle Selbständigkeit in Wirklich keit sehr wenig Bedeutung haben, in der Erziehung und in der Beurteilung des Menschenwertes noch immer viel zuviel Gewicht gelegt wird — siehe die vielbeklagten Män gel des Vcrechtigungswesens! Mein letztes Gespräch mit Rasputin. Ter Wnudcrmöuch erzählt seine Lebcnsgcschichte. — Sonder bare Unterhaltung bei einer Audienz. — Rasputins Tod, Rußlands Freude. Von Prinzessin Lucian M u r a t. Von Rasputin hörte ich zun: ersten Mal 1913 in einem Petersburger Lichtspielhaus. Ter Fremde, der damals seinen Namen aussprach, halte Wohl uoch leine Vorstellung von der beginnenden Macht dieses Mannes. Teun ich horte einen Russen flüstern: „Vorsicht! Niemand spricht den Namen aus. Wenn Sic sich nicht in acht nehmen, finden Sic sich eines schönen Tages in Sibirien wieder." Im Jahre 1910 war Rasputin die mächtigste Persönlich keit Rußlands. Uebecall aber hörte man seinen Namen als den des nationalen Sündenbockes. Er wurde für alle Fehler des sich aushöhlcndcn alten Regimes verantwortlich gemacht. Meine Neugier trieb mich, diese» Mann zn sehen, von dem nun alle redeten. Die einen fluchten ihm; andere fragten sich, was er Wohl morgen an neuem Unheil anrichten würde. Ich wollte ans jeden Fall die Bekanntschaft dieses schlauen Bauern machen, der entdeckt hatte, daß im zwanzig sten Jahrhundert das Prophetcnamt am sichersten zur Macht führte. Es war nicht leicht, an Rasputin heranznkommeu. Seine Umgebung, die immer fürchtete, irgend eine neue Person könnte Einfluß auf ihn gewinnen, umgab ihn mit einer Chinesischen Mauer, deren Tore sich nur ganz wenigen öffneten. Irgend jemand sagte mir im Spaß, ich sollte doch Rasputin zu ermorden versuchen. Ich lehnte das ehrende Angebot dankend ab: „Wir behalten unsere Charlotte Cordays zum eigenen Gebrauch im Lande." Nach vielen Mühen gelang es einem Bildhauer aus meine» Bekanntenkreisen, eine Audienz für mich zu erreichen. Rasputin wollte mir sogar sitzen. Es war kalt an diesem Tage, lieber den Kanälen lag eine Eisdecke, und die Stadt richte in lautloser Stumpfheit. Ich klingelte an der Tür im ersten Stock eines recht einfachen Hanfes. Ans der Treppe standen alle möglichen Mensche», die nach Geheimpolizisten aussahen. Ich mußte über ihren ost sonderbaren Aufzug lächeln. Dann trat ich mit zwei Bekannten ein, die ich gewisser maßen zum Schutz mitgenommen hatte. Ein Mädchen von vierzehn Jahren, die Tochter des Wundermönches, hatte uns geöffnet. Sie trug ein rotes Taschentuch über dem Kops. Aus ihren Angen sprach Intelligenz, doch sonst sah sie ans wie ein Bauernmädchen, das sich in die Stadt verlaufen hatte. Sie führte uns in einen recht einfach einaericbteten Naum. Da standen ein grünes Velvelsofa, ein Schreibtisch nnd ein > paar Stühle. i Während wir warteten, erklang dauernd die Flurglocke. > Generäle in Uniform, Damen der Aristokratie, die es scheinbar - sehr eilig hatten, sahen einen Augenblick zur Tür herein, s Schließlich kam er selbst, bat, sein Spätkommen zu cnt- « schuldigen, und küßte meine Bekannten nach russischer Art aus s den Mund. Ich fürchtete mich schon vor der gleichen Be handlung, doch er beschränkte sich darauf, mir die Hand zu geben. „Wir wollen einen Kreis bilden", sagte er dann, „so daß > jeder den anderen berührt nnd unsere Seelen in einander übergehen." Wir stellten also unsere Stühle eng zusammen, und ich sah ihm in die tiefblauen Augen. Sie halten etwas Faszinierendes. Ich wollte ihn nun zeichnen, doch dabei fiel s es mir schwer, den beherrschenden Ansdruck, den er besaß, > richtig wiederzugeben. Obwohl ich mich dagegen wehrte, s fühlte ich Plötzlich Sympathie für ihn, und ich hätte damals > geschworen, daß er ein guter Meusch war. Sein braunes ! Haar fiel ihm unordentlich über die breiten Schultern, seine ! etwas starke Nase war edel geformt, die Stirn hoch, der Mnnd ansprechend mit e'ws schweren, sinnlichen Lippen, das Kinn ausgeprägt und vorgeschoben unter seinem schlecht gekämmten « Bart. Man sah ihm seine 50 Jahre nicht an, nnd er war gut gebaut. Ziveifellos saß ein durchaus intelligeuter Mensch vor mir, ein unbedingter Meister seiner Leidenschaften. Nachdem ich einige Zeit gezeichnet hatte, bat ich: „Sagen Sic uns doch, wie es kommt, daß Sic über die Großen dieser - Erde Macht ausübcn!" „Nur durch die Liebe, mein Täubchen", antwortete er. s Dann griff er nach Papier und schrieb: „Die Liebe ist unser i Trost, unser Kummer, uuser Schmerz." Er stand sichtlich im ! Kampf mit der Rechtschreibung und schrieb die Worte etwas i mühsam, wie ein Bauer, der seinen Acker pflügt. Sein Gesicht war in diesem Augenblick das eines Apostels. Ich erinnerte mich daran, daß ihn der Mönch Heliodor in einer Predigt den „größten Heiligen im Rußland der Gegenwart" ge nannt hatte. „Schön", sagte ich, „doch nun erzählen Sic uns, wie ! Sie dazu kamen, ein solcher Meusch zu werden. Uebrigens > erzählt mau sich, Sie seien ein liederlicher Trunkenbold, der die Frauen nicht ungeschoren lassen könne." Er stritt das nicht ab und erzählte seine Lebensgeschichte, ! wobei er sich selbst oft durch Wehklagen und Gebete untcr- ! brach: „Ich war damals ein Fuhrmann und kam ab und zu j einmal bis nach Tobolsk. Eines Tages fuhr ich Milaly ! Zolvwvsky, einen Studenten der Gottesgelahrtheit. Als wir ! uns trennen wollten, packte er mich an der Schulter: ,Gregory ' Effemowitsch, sieh empor zu Gott! Alle Leute reden hier von j Deinen Ausschweifungen, Mütter weinen, und Männer klagen. Dn wirst noch einmal die Knute bekommen, wein« Du Dich nicht besserst und Deine Zuflucht zu Gott nimmst.' Da schien eS mir, als ginge Plötzlich in meinem Innere» ein Licht ans. Ich sagte meiner Fran und meinen Schwestern liebevoll Lebewohl und ging in den Wald, um zu grübelu, bevor ich meine Pilgerfahrt nach Jerusalem antrat. Unter wegs betete ich in allen Klöstern. Zwei Jahre lang vertiefte ich mich in die Geschichte der Kirche und in die Heilig- Schrift, und dann begann ich zu Predigen. Ich wurde dem Bischof Theophauus und Vater Iwan von Kronstadt empfohlen, nnd ich vertauschte Sibirien mit den großen Städten." Hier überreichte er mir ein Schriftstück. Ich fand darin hier nnd dort gute, wenn auch nicht ganz klare Gedanken, mit deren Hilfe ich langsam begriff, wie es Rasputin möglich ge wesen war, solchen Einfluß auf den Zaren und die Zarin zu gewinne». Ich sah Rasputin an. Aus seinem Gesicht laS ich einiges von den beiden Naturen, die in ihm wohnten, von dem Fanatiker nnd von dem Trunkenbold, von dem Träumer und von dem Satyr. Er war ein Mensch, der seine beiden Naturell deu Umständen entsprechend anzuwendcu wußte. Schließlich wurde er müde, mir noch länger zu sitzen. So machte er mir deu Vorschlag, er wollte mich zu einer Gesellschaft mitnehmen, die am gleichen Abend ihm zu Ehren stattfiudeu sollte. Das Gerücht ging, daß Rasputin bei solche» Gelegenheiten in einem Lehnstuhl zu liegen und sich — mit der Selbstverständlichkeit des Herrschers — eine Gefährtin für die Orgien dieser Nacht anszusuchen Pflege. Ich lehnte seine Einladung ab. Da sagte er: „Das ist nicht recht von Ihnen. Denn in mir wohnt etwas von» Höchsten, und die Rettung kann nur durch mich kommen.. Deshalb müssen Sie sich mit mir körperlich nnd geistig ver einigen. Kommen Sie diesen Abend, wenn die Sterne blinken und der Weihrauch auf dem Dreifuß schwelt. Dann wollen, wir gegenseitig unsere Hände halten." Während er sprach, schienen seine Angen die Höhlen verlassen zu wollen, und er bewegte seinen Körper hin und her wie ein Derwisch. Unsere Unterhaltung wurde durch ein ungeduldiges Schellen unterbrochen. Eine stämmige Frau trat ein uud flüsterte Rasputin etwas ins Ohr. Er sagte mir dann, mau erwarte ihn in Tsarskoe Selo. Ich hörte später, die Frau sei eine Hofdame der Zarin gewesen. Ein Paar Wochen verstrichen. Am 30. Dezember 1916, abends fünf Uhr herrschte in der Stadt allgemeine Freude. Eiu Meusch wünschte dem anderen Glück, Droschkenkutscher lehnten das angebotcne Trinkgeld ab und warfen ihre Mützen vor Frende in die Luft. Fremde umarmten sich auf der l Straße wie zu Ostern. Petrograd hatte eben die Nachricht von Rasputins tragischem Tode erhalten.
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