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Allgemeiner Anzeiger : 07.04.1917
- Erscheinungsdatum
- 1917-04-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Urheberrechtsschutz 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191704079
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- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19170407
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19170407
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1917
-
Monat
1917-04
- Tag 1917-04-07
-
Monat
1917-04
-
Jahr
1917
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 07.04.1917
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KuKlanä Republik? Wenn man einem englischen Korrespondenten, der eine Unterredung mit dem Justizminister im neuen russischen Kabinett Kerenski hatte, Glauben schenken darf, so ist Rußland jetzt auf dem entschiedenen Wege zur Republik. Kerenski, So zialdemokrat und Arbeiterführer, erklärte nämlich bestimmt, daß die große Mehrheit deS russischen Volkes sich zugunsten der Republik aussprechen werde. Kerenski ist fest davon überzeugt, daß die demokratische Regiemng kommen werde und daß die Chancen für eine Wiederherstellung der monarchischen Regierung äußerst gering sind. Auch nach einer Meldung der .Russkija Wjedo- mosti' soll Kerenski seines Zieles, das Zartum endgültig abzuschaffen und eine russische Republik zu gründen, völlig sicher sein. Er besuchte näm lich den Rat der Arbeiterdeputierten Moskaus, wobei er auf die Fragen der Mitglieder antwortete: „Nikolai Nikolajewitsch wird keinesfalls Ober befehlshaber. Der Zar, von allen verlassen, hat die provisorische Regierung um Schutz ge beten. Als oberster Justizbeamter halte ich sein und seiner Familie Schicksal in meinen Händen. Aber unsere wunderbare Revolution war fast unblutig, und ich will nicht ihr Marat sein. Mit einem Sonderzuge lasse ich den Exzaren nach einem bestimmten Hafen führen und nach England schicken." Nach weiteren Berichten soll die Zarenfamilie sogar durch Kerenski bereits nach der Hafenstadt Romanow gebracht worden sein, von wo sie, durch englische und russische Kriegsschiffe eskortiert, nach Newcastle überge- sührt werden soll. Damit wäre also das Schicksal des Hauses Romanow und des russischen Volkes endgültig entschieden. Kerenski glaubt, daß die über- iührung in die neue Staatsform ein ganz ein faches Ding sein werde. Die Bauern in den dörflichen russischen Gemeinschaften hätten schon immer eine Verwaltung nach kommunistischen Grundsätzen gehabt, so daß eine republikanische Verfassung für sie keine Neuigkeit sei. Auch über die brennende Frage, wie sich die unterjochten Fremdstämme zu der Neuordnung der Dinge in Rußland stellen werden, ist Kerenski vollkommen beruhigt. Er sagte zu dem oben erwähnten englischen Korrespondenten: Was Rußland vor zwölf Jahren Finnland gab, nahm es diesem Lande dann wieder fort, und dadurch wurden die Be ziehungen der Finnen gegen Rußland verbittert. Ich war der einzige Verteidiger der Autonomie Finnlands in der Duma, Litauen und die Ein wohner der anderen nicht slawischen Gegenden waren im allgemeinen gleichgültig und dann und wann feindselig gegen Rußland wegen der Handlungen der alten Regierung. Aber jetzt liegen die Aussichten anders. Meine persön liche Ansicht ist, daß die neue Regierung in vielem der Verwaltung der britischen Kolonien ähnlich sein wird. Hier gerät Kerenski auf ein sehr gefährliches Gebiet. Das englische Muster, das Rußland ausgeprägt werden soll, ist im Volke durchaus nicht so beliebt, wie es hier Kerenski (oder der englische Berichterstatter?) darzustellen sucht. Man hat die Engländer in Rußland bis über den Hals satt. Ein deutscher Kriegsbericht erstatter, der mit russischen Gefangenen, die am 26. März bei Baranowitschi in deutsche Hand gefallen waren, über die Aufnahme der Revolution im Heere sprach, erhielt von einem von ihnen die bezeichnende Antwort: „Wir haben euch Deutsche nie leiden können," sagte er, „weil ihr tüchtiger wäret. Nun aber haben wir uns den Engländern ausgeliefert." Und dieses Mißtrauen gegen England macht sich unter den russischen Arbeitern, auf die sich die provisorische Regierung ja vor allem stützen muß, ganz besonders scharf geltend, wie die folgende über Stockholm zu uns gelangte Meldung be weist : „Der Arbeiterrat hat sich gespalten. Wegen der Unterstützung der vorläufigen Negierung und ihrer Kriegspropaganda macht sich bei der Mehrheit der Arbeiter und Soldaten eine steigende Mißstimmung gegen die früheren Vertreter geltend, die dem Wunsche nach Ministerportefeuilles die Ideale der Arbeiter schaft opferten. Man vermutete auch, daß eng lisches Geld im Spiele ist. Die Arbeiterschaft wählte einen neuen Ausschuß, das „Zentral komitee der Arbeiterpartei", das sich als den eigentlichen Vertreter der Arbeiterschaft erklärte. Das Zentralkomitee war sofort Herr der Lage. Ihm schlossen sich die Telegraphen-, Eisenbahn- und Postbeamten 'an. Das Komitee beherrscht damit die Mehrheit der Verbindungswege, darunter alle Eisenbahnen nach der Front. Sämtliche in Petersburg stehenden Regimenter schlossen sich dem Komitee an." Die neue Partei verlangte sofortigen Schluß des „ver brecherischen" Krieges. Das ist aber gerade daS Gegenteil von dem, was England und sein Geld aus Rußland herausholen wollen. Deutscher Reichstag. (Orig.-Bericht.) Berlin, 29. März. Zu Beginn der heutigen Sitzung wurden zunächst das Notetatsgesetz in erster und zweiter Lesung angenommen und dann die Be ratung der Steuervorlagen fortgesetzt. Die Ge setze über den Zuschlag zur Kriegs steuer und ihre Sicherung wurden ange nommen. — Bei den Verkehrs st euern wurde über die in zweiter Lesung angenommene Bestimmung, daß Fahrkarten bis zum Preise von 85 Pfg. steuerfrei bleiben, sowie die Frei lassung der Straßenbahnen namentlich abge stimmt. Sie wurde mit 159 gegen 142 Stimmen bei 17 Enthaltungen gestrichen; es bleibt also bei der Besteuerung auch der billigen Fahr karten. Im übrigen wurde die Vorlage unver ändert ang enommen. Auch die Kohlen steuer wurde unverändert nach den Be schlüssen zweiter Lesung angenommen. Es folgte der Etat für den Kanzler und das Auswärtige Amt. Abg. Dr. S p ahn (Zentr.): Das preußische Herrenhaus hat sich wiederholt mit unseren An gelegenheiten beschäftigt. Das Herreikhaus mag vor seiner eigenen Tür kehren und uns in Ruhe lassen. Der Reichs kanzler hat eine Wahlreform für Preußen ange kündigt. Gesetzestechnisch haben wir damit nichts zu tun, aber diese Frage interessiert uns als Deutsche. Auch wir wollen unser Volk gesund und frisch aus dem Kriege herausbringen. Wie auch Amerikas Entschließung fällt, wir führen die Seesperre durch bis zum siegreichen Ende des Krieges. Der Krieg hat sich zugespitzt zu einem Duell zwischen Deutschland und England. Wir enthalten uns jeder Einmischung in fremde, innerpolitische Dinge. Das gilt auch für Ruß land. Neben der Freiheit zur See dürfen wir den Weg nach Osten und Südosten niemals außer acht lassen. Das Bündnis mit Osterreich- Ungarn bleibt für uns Lebensnotwendigkeit. Abg. Noske (Soz.): Die Staatsmänner der feindlichen Länder wollen noch nichts vom Frieden wissen. Deshalb muß die ausgelegte Anleihe größten Erfolg haben. Die Umstände, unter denen man China gegen Deutschland ge hetzt hat, sind ein toller Scherz der Welt geschichte. In Rußland wird befürchtet, Deutsch land könne bei der Wiederherstellung des russischen Zarismus mithelfen. Der Reichs kanzler muß erklären, daß Deutschland nicht daran denkt. Falls in Rußland die Stimmung für einen raschen Frieden wächst, dann erwarten wir, daß die Regierung nichts unterläßt, um ihn zu ermöglichen. Notwendig ist eine Neu einteilung der Wahlkreise. Eine großzügige Tat des Reichskanzlers zur Reform des Wahl rechts würde den besten Eindruck machen. Abg. Dr. Müller-Meiningen (Fortschr. Vp.): Das russische Volk will offenbar den Frieden, aber die englischen Drahtzieher in Peters burg nicht. Die deutsche Regierung sollte daher erklären, daß sie nicht daran denkt, den Zaris mus zu unterstützen. Die amerikanische Re gierung weiß, daß die Seesperre eine unabänder liche Tatsache ist. Abg. Dr. Stresemann (natl.) erklärt, eine Kriegserklärung Amerikas sei nur möglich durch Irreführung der öffentlichen Meinung. Wir müssen uns jeder Einmischung in die inner- politischen Dinge in Rußland enthalten. Graf Westarp (kons.): Das preußische Wahlrecht gehört nicht zur Debatte in den Reichstag. -darauf nahm daS Wort Reichskanzler von Bethmann Hollweg. Die weltgeschichtlichen Vorgänge in Rußland stehen jetzt an der Spitze der Ereignisse. So weit wir zu erkennen vermögen, ist Kaiser Nikolaus das Opfer einer tragischen Selbstschuld geworden. Als 1905 nach dem japanischen Kriege in Rußland die Revolution ausbrach und das Land sich in schwerer Not befand, hat Kaiser Wilhelm dem Zaren auf Grund seiner persönlichen freundschaftlichen Beziehungen dringend geraten, sich den berechtigten Reform wünschen seines Volkes nicht länger zu wider setzen. Zar Nikolaus ist andere Wege gegangen. Wie die Dinge sich weiter entwickeln, kann niemand voraussehen. Wir werden uns in die inneren russischen Verhältnisse nicht einmischen. Wir wünschen nur, daß sich Zustände dort ent wickeln, die Rußland wieder zu einem festen und gesicherten Bollwerk des Friedens machen, und wenn die neue Ordnung der Dinge dazu beiträgt, daß eine Wiederannäherung der beiden Völker erreicht wird, so begrüßen wir das mit Freuden. Das russische Volk hat diesen Krieg nicht gewollt, und es kann jetzt ohne Sorge vor unserer Einmischung sein. Wir begehren nichts, als möglichst bald wieder in Frieden mit ihm zu leben, in einem Frieden, der auf einer für beide Teile ehrenvollen Grundlage aufge baut ist. Zum erstenmal versammeln sich in den nächsten Tagen die neuen Vertreter des ameri kanischen Volkes zu einer außerordentlichen Sitzung, um über die Frage von Krieg und Frieden zwischen Amerika und uns zu entscheiden. Deutschland hat niemals die Absicht gehabt, Amerika anzugreifen und hat diese Absicht auch heute nicht. Wir haben nichts gewünscht, als daß England seine Blockade politik gegen uns nach den Geboten der Mensch lichkeit einrichte. Präsident Wilson und Staats sekretär Lansing haben die englische Blockade politik als ungesetzlich bezeichnet. Wir haben dann, weil wir kein anderes Mittel hatten, den verschärften U-Boot-Krieg als Antwort auf die englische Politik gewählt. Will das amerikanische Volk hierin einen Grund sehen, dem deutschen Volk, mit dem es über hundert Jahre im Frieden gelebt hat, den Krieg zu erklären, und will es damit das Blutvergießen verlängern, dann tragen nicht wir die Verantwortung dafür. Die chinesische Regierung hat ihre Be ziehungen zu uns abgebrochen, obwohl sie bisher stets freundschaftlicher Natur waren. Es ist nicht geschehen aus einem freien Entschluß heraus, sondern unter dem Druck unserer Gegner. Auch dürften finanzielle Schwierigkeiten dabei eine Rolle gespielt haben. Man hofft, unseren Handel in China zerstören zu können. Wir unsererseits hoffen, daß wir nach dem Frieden alles wieder aufbauen können und daß China die notwendige Widerstandskraft hat gegenüber der Habgier und dem Eigennutz seiner jetziger Beschützer. Über die militärische Lage ist wenig zu sagen. An unserer Ostfront kom men größere Operationen zurzeit nicht in Frage. An der Westfront verlaufen unsere Operationen planmäßig und führen zu einer täglich wachsenden Operationsfreiheit. Auf allen übrigen Kriegsschauplätzen sind die Fronten un überwindlich, einen Beweis dafür liefert die mazedonische Front, wo die bulgarischen und deutschen Truppen sich in glänzender Ab wehr gegen französische Angriffe größten Stiles halten. Uber den U-Boot-Krieg will ich nur sagen, daß er sich im März ebenso günstig entwickelt hat wie im Februar. Da alle Vorredner in ihren Ausführungen hauptsächlich die innere Politik erörtert haben, kann auch ich nicht daran Vor beigehen. Ich habe manche wertvolle Anregung ausgesprochen gehört, muß aber doch sagen, daß mir immer wieder der Gedanke gekommen ist, woran soll ich jetzt zuerst arbeiten, und ich arbeite, daß der Krieg glücklich zu Ende geht. Ich will nicht wiederholen, was ich über die Zukunstspolitik schon gesagt habe. In der Frage der Reform des preußischen Wahlrechts kann ich keine andere Stellung einnehmen, als die, die ich im preußischen Abgeordnetenhaus vor kurzem schon ausgesprochen habe. Die inneren Kämpfe, die mit der Reform des Wahl rechts verbunden sein würden, dürfen wir nicht auf uns nehmen. Das Gebot der Stunde ist, unsere Kraft in der Abwehr gegen den Feind zu vereinigen. Der Einsatz, um den es sich hier handelt, ist wohl zu gewaltig, als daß man sich von Stimmungen Hinreißen lassen dürfe. Ich muß den Krieg zu einem glücklichen Ende führen und muß diese Erwägung bei allen meinen Hand lungen vorausstellen. Ich habe mich auch durch die heutigen Ausführungen nicht davon über zeugen lassen können, daß die Reform sofort vorgenommen werden könnte. Ich muß für mich dieselbe Toleranz in Anspruch nehmen, die ich auch Ihnen zugestehe, daß Sie die ehrliche Überzeugung achten, und meine Über zeugung ist eben, daß die gegenwärtige Stunde nicht die richtige ist in einem Temperament, wie es seitens einzelner Redner geschehen ist, die Frage der Wahl-Reform zu behandeln. Wir sollten die politischen Kämpfe aufheben bis zu einer Zeit, wo wir wieder mit vollerer Sicherheit in die Zukunft unseres Volkes blicken können. Deutschland hat noch nie eine größere Zeit mitgemacht wie die heutige und da kommt es darauf an, daß über allen Meinungs-Zwistigkeiten der Grundsatz der Einheit im Volke erhalten bleibt. Abg. Werner- Gießen kritisiert das Ver halten des früheren Botschafters Gerard. Den Vorwürfen tritt Staatssekretär Zimmermann entgegen. Das Haus vertagt sich. , "" verschiedene Uriegrnachrichten. Guter Stand -es U-Boot-Krieges. Im Hauptausschuß des Reichstages machte der Staatssekretär des Reichsmarineamts v. Capelle vertrauliche Ausführungen über den U-Boot-Krieg, aus dem mit erfreulicher Deut lichkeit erhellt, daß alle Erwartungen sich bisher in voll st em Umfang er füllt haben. Das im kürzesten Monat trotz der ungünstigsten Witterung, trotz des Eisgangs in unseren Flußmündungen, des langanhaltenden Nebels und der langen Nächte erzielte Ergebnis von 781500 Tonnen im Februar eröffne d i e besten Aussichten für die Zukunft, um so mehr, da nicht nur die Zahl der U-Boote in der Front in stetigem Wachsen begriffen sei, sondern auch die Boote selbst immer leiflungs- - fähiger würden. Alle in den feindlichen und auch einem Teil der neutralen Blätter ent haltenen Angaben über die Vernichtung von ' zahlreichen U-Booten seien erfunden. Die Ver luste hielten sich im Gegenteil an der unteren Grenze dessen, was die Marine von Anfang an in ihre Berechnungen eingestellt hätte. * Der Szenenwechsel im Westen. Von besonderer militärischer Seite wird der .Züricher Post' über die deutsche Frontverkürzung geschrieben: Hindenburg wußte, daß ein frei williger, den Gegner täuschender Rückzug das Vertrauen einer guten Truppe zur Führung nicht erschüttert, sondern in gleichem Maße stärkt wie jede andere erfolgreiche Operation. Welche Er wägungen nun nach dem furchtbaren Erlebnis des Schlachtens an der Somme für den Ent schluß bestimmend waren, ob mehr defensive oder offensive Absichten, das ist noch ein Geheimnis der deutschen Heeresleitung. Französische und englische Flieger wollen festgestellt haben, daß eine seit vielen Monaten mit allen Mitteln der Jngenieurkunst ausgebaute Linie von Reims über Laon—La Fore—St. Quentin—Cambrai gegen Lens zieht. Dabei könnte eine Frontverkürzung von 50 Kilometer erzielt werden, die immerhin ins Ge wicht fiele. Vrobnen. 12j Roman von M. Berger. (Fortsetzung.) „Die Zeit hat größere Wunden geheilt und die Notwendigkeit kennt kein nie!" sagte Frau Lang ruhig. „Geh' auf dein Zimmer, mein Kind, ich werde deinen Vater hier er warten." Hedwig gehorchte. „Lege ein gutes Wort für mich und für ihn ein, er verdient es um dich, denn er ehrt und liebt dich; zerstöre nicht mein Glück, denn ohne ihn kann hier mich nichts mehr freuen." Hedwig drückte einen Kuß auf den Mund der Mutter und verließ dann das Zimmer. Sie gestand sich, daß sie an dem Verhältnis ihrer Tochter zu dem Doktor schuld sei; sie hatte den berühmten Mann zu auffallend pro tegiert; sie hätte gegen eine Verbindung der beiden noch vor vierundzwanzig Stunden nichts gehabt; mit Freuden hätte sie „ja" gesagt. Jetzt war die Sache eine andere; der Doktor war Sohn eines Betrügers, alle Welt wußte es und machte ihre Randglossen dazu. Da durch wurde die Angelegenheit in ein anderes Licht gerückt. Doktor Faller war kom promittiert; man mußte auf irgend eine mehr oder minder anständige Art die Beziehungen mit ihm abzubrechen suchen. Gewiß, Hedwig tat ihr leid. Aber wer hätte an diesen Skan dal gedacht; was würden die Leute sagen, wenn sie. die stolze Frau, auch jetzt noch den Verkehr des Doktors in ihrem Hause duldete. „Wie werden sich unsere Feinde und meine guten Freunde freuen," sprach sie zu sich und las noch einmal den Artikel durch, dessen Schluß bemerkung sich geradezu gegen ihre Familie richtete. „Hedwig muß ihn vergessen, ich kann ihr nicht helfen. Auf den Doktor aber werde ich einzuwirken suchen; ich kenne ihn, er tritt zurück, denn er ist stolz!" Das war das Re sultat ihrer Überlegung und, daß sie daran nicht rütteln ließ, bewies der harte, entschlossene Aus druck ihrer Gesichtszüge. Die Kommerzienrätin konnte grausam und hart sein, wenn sie es ihren Zwecken dienlich erachtete. Als der Kommerzienrat, mürrisch und miß gestimmt, in das Zimmer seiner Gemahlin trat, fand er diese ruhig, wie immer, und heiter, als ob nichts vorgefallen wäre. „Wo ist Hedwig?" war seine erste Frage. „Auf ihrem Zimmer!" „So!" „War Paul schon hier?" „Vor einer halben Stunde, er will ver reisen l" „Er geht wohl denr Skandal aus dem Wege!" knurrte der Kommerzierat und seine Stirne zog sich in finstere Falten. „Welchen Skandal meinst du?" fragte Frau Lang. Der Kommerzienrat schaute seine Frau ob dieser Frage ziemlich verwundert an. „Wenn Paul hier war, wirst du wissen, was ich meine." „Ich bin eingeweiht; was nützt das Leugnen; was gedenkst du zu tun?". „Was mir die Ehre meines Hauses und der Partei gebietet!" „Der Partei?" „Der Partei!" wiederholte der Kommerzien rat und strich sich aufseufzend den Vollbart. „Ahnst du, wer hinter dieser Geschichte steckt? Dein sauberer Herr Neffe, das Hupferchen! Doktor Beer hat die Beweise." Das war der Kommerzienrätin in der Tat äußerst unangenehm; dadurch wurde der Skandal nur noch größer, denn er erhielt so einen pikanten Hintergrund. „Es ist zu spät, Vorwürfe nützen nichts, nur Taten," fuhr der Kommerzienrat erregt fort. „Morgen ist die Wahl und heute das Schand flugblatt, das uns allen ins Gesicht schlägt. Ich habe den Doktor protegiert, seine Kandi datur vorgeschlagen, auf mich stürmt alles ein. Ich weiß mir keinen Rat. Baron Trewitz und seine Freunde sind in Heller Wut, dringen darauf, daß Doktor Faller zurücktrete, während Grübel und seine Freunde erklären, einstimmig den Gegner zu wählen, wenn Faller zum Rück tritt gezwungen würde. Ich habe ihn hierher bestellt." „Ist das all' dein Sorgen?" „Erst die Partei, dann meine Privat angelegenheit. Doktor Faller war mir ein gern gesehener Gast, in Zukunft ist ihm dies Haus verschlossen. Unter einem schicklichen Vorwand werde ich ihn uns fern zu halten wissen." „Glaubst du, daß das so leicht ist. Er liebt Hedwig und sie erwidert seine Neigung." Der Kommerzienrat sprang von seinem Sitze auf und durchmaß mit erregten Schritten das Zimmer. „Himmel und Hölle," wetterte er, „auch das noch; und.das kannst du fo ruhig sagen," herrschte er seine Gemahlin an. „Mein Gott, Gustav, spiele nicht den aus den Wolken Gefallenen! erwiderte diese ruhig. „Wir habend es beide stillschweigend gefördert, daß es so kam." „Freilich, wer hätte auch daran gedacht, daß er der Sohn eines Defraudanten und Selbst mörders sei. „Hedwig wird ihritz vergessen," sagte er hart, und ärgerlich warf er sich in einen Sessel. Doktor Faller wird nie mein Schwiegersohn." „Wenn Hedwig nun nicht will!" „Wann hätte je in diesem Hause ein anderer Wille geherrscht, als der meine," brauste er auf. „Sie muß wollen. Ich habe für die Ehre und das Emporkommen dieses Hauses gerungen, rücksichtslos jeden vernichtet, der mir hemmend im Wege stand; ich habe selbst das Unrecht nicht gescheut. Die Wege, die zur Größe und zum Reichtum führen, wollen nicht mit Lack schuhen beschritten sein; da muß man fest aus treten. Ich bin am Ziele, ungestraft hat mir niemand getrotzt und mein eigen Blut sollte sich gegen mich auslehnen!" „Mit Gewalt wirst du bei ihr wenig er reichen," mahnte Frau Lang. „Du kennst den starren Willen Hedwigs, sie ist nach dir geartet. Was sie für recht hält, setzt sie durch, und du bist ihr gegenüber schwach, denn du liebst sie abgöttisch." Die Kommerzienrätin hatte recht; ihr Gatte liebte Hedwig, seine strahlende, schöne Tochter, nimmer hätte er vermocht, ihren Bitten zu widerstehen, aber hier gatt kein Besinnen. So
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