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Allgemeiner Anzeiger : 12.02.1916
- Erscheinungsdatum
- 1916-02-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191602121
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1916
-
Monat
1916-02
- Tag 1916-02-12
-
Monat
1916-02
-
Jahr
1916
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 12.02.1916
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Italienische Stimmungen. Aus Italien erklingen in der letzten Zeit eigenartlge Töne, die um so seltsamer berühren, als sie von maßgebender Stelle erschallen. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß ein großer Teil des italienischen Bölkes nicht im entferntesten so „kriegsbegeistert" war, wie einige bezahlte italienische Hetzblätter die Welt glauben lassen wollten. Bei der strengen Zensur wurden alle Pressestimmen, die sich in Italien gegen den Krieg aussprachen, entweder rechtzeitig unterdrückt, so daß sie nicht in die Öffentlichkeit dringen konnten, oder es wurde dafür gesorgt, daß sie nicht über die Grenzen Italiens Ihren Weg nahmen. Auf diese Weise kannte die italienische Regierung in der Welt den Wahn aufrechterhalten, daß das ganze ita lienische Volk den Krieg wolle. Sogar der .Corriere della Sera', der am schärfsten zum Kriege hetzte, muß jetzt bereits zugestehen, daß „man begreifen müsse, wie nach denkliche Angst an Stelle des Enthusiasmus der ersten Tage trete". Jetzt sind es also nicht mehr einige Blätter der kriegsgegnerischen Kreise Italiens, die von dem Kriege und seinem wahr scheinlichen Verlaufe eine eigenartige Vorstellung haben, welche der der Negierung Italiens recht wenig entspricht, sondern auch die Hetzpresse be ginnt nachdenklich zu werden. Diese Tatsache wird um so bemerkenswerter, wenn man dazu die jüngsten Reden des italienischen Minister präsidenten Salandra selbst zum Vergleich heran zieht. Sein jüngstes Wort: „Wir, die wir vielleicht müde sind," soll zwar in dieser Be ziehung nicht überschätzt werden, es klingt aber jedenfalls anders, wie bei Beginn des Krieges. Der Grund für diese auffälligen Erscheinungen, die sich in Italien in der letzten Zeit häuften, ist in erster Reihe in der militärischen Lage Italiens zu erblicken. Der Italiener ist ein eigenartiger Charakter, er ist nämlich ebenso schnell sLr eine Sache begeistert, wie ernüchtert, wenn der Verlauf der Angelegenheit nicht seinen Erwartungen entspricht. Wenn bei Beginn des Krieges Italiens gegen Österreich sich in Italien in weiteren Kreisen des Volkes etwa wie Kriegsbegeisterung zeigte, so war es nicht die Stimmung, die in den Augusttagen 1914 unser Volk beherrschte, die bei aller gewaltigen Be geisterung für die Verteidigung des bedrohten Vaterlandes doch sehr ernst und der schweren Verantwortung voll bewußt war. In Italien war es ein großer Rausch, der die Schwierigkeiten und den blutigen Ernst der Dinge völlig übersah und sich mir mit der selbstverständlichen Hoffnung des nun be ginnenden großen Siegesmarsches gen Wien nährte. Es war ein wahrer Phrasentaumel, in dem jede ernsthafte Überlegung hätte er sticken müssen, auch wenn jemand den Mut oder die Anlage dazu in sich gefühlt hätte. Nun begann der Krieg und zeigte dem erstaunten Volke, daß der „Siegesmarsch'^ nur recht lang- 'sam vor sich ging. Wie die wahre Stimmung des Volkes in Italien ist, konnten wir aus der amtlichen italienischen Veröffentlichung erkennen, in der jüngst darauf hingewiesen wurde, daß die Schwarzseher Unrecht hätten, da das italie nische Heer tatsächlich bisher Großes geleistet hätte. Damals fiel auch das Wort, daß es schon als großer Sieg anzusehen sei, wenn bis her noch kein Feind auf dem Boden Italiens stände. Nun ist inzwischen vor dem seit Monaten heiß umstrittenen Tolmeiner Brückenkopf von den Österreichern ein beträchtlicher Erfolg erzielt worden. Vor mehreren Tagen konnte auch mit der Eroberung der Oslavijahöhe ein schöner österreichisch-ungarischer Erfolg im Raume von Görz gemeldet werden, Anzeichen dafür, daß sich allmählich die Überlegenheit unserer Ver bündeten hier bemerkbar macht. Die Lage in Albanien ist auch nicht so rosig, wie Volk und Regierung Italiens bei Beginn des Krieges geträumt hatten. Es gibt also — von unseren großen Erfolgen auf dem Balkan ganz zu schweigen — genügend Gründe, die eine Ab kühlung der kriegerischen Stimmung Italiens begründen könnten. Die erwähnten Äußerungen Salandras und! des ,Corriere' sind jedenfalls merkwürdig. Es! kommt nun dazu, daß offenbar in ganz Italien s die größte Verstimmung gegen England wegen der wucherisch hohen Schiffsfrachten herrscht, die das wirtschaftliche Leben Italiens stark ge fährden. Kurz, es geht nichts nach dem Wunsche des italienischen Volkes, das nicht dazu ge schaffen ist, mit eisernem Mute schwere Prü fungen zu ertragen. Wenn man auch allen diesen Erscheinungen nicht einen entscheidenden Wert wird beimessen dürfen, so beleuchten sie doch die Lage in Italien sehr grell. <Zen,.: Bin.) * Ein Teil der italienischen Presse, der nicht wahrhaben will, daß es im Ministerium zu kriseln beginnt, versucht es noch immer mit Beruhigungsartikeln. So schreibt der,Popolo d'Jtalia': Die militärischen Ergebnisse befriedigen uns: die von uns erzielten Ergebnisse sind trotz der größten Schwierigkeiten vergleichsmäßig besser als die irgendeines anderen kämpfenden Heeres. Keine andere Nation hätte mehr leisten können. Aber nicht zufrieden sind wir mit der diplomatischen Aktion, die eine feste Richtlinie vermissen läßt. Unser Krieg ist nicht nur nationaler Kampf. Der Hauptgrund für diesen unseren Krieg ist nicht Trient oder Triest, sondern die Verhinderung der deutschen Vor herrschaft in Europa. Es gibt bei uns sehr viel mehr Leute, als man glaubt, die daraus, daß Deutschland nicht der Krieg erklärt ist, wahnwitzige Schlüsse ziehen. In Mailand und Turin rief die Menge: Krieg mit Deutschland! Die Regierung sollte die Mahnung der Straße, der sie ihr Dasein verdankt, verstehen. Aber Salandra schweigt, und die neutralistische Oppo sition handelt. — Hier wird mit entzückender Deutlichkeit offen eingestanden, daß das Kriegs kabinett sein Dasein der Straße verdankt. verschiedene Nnegsnachrichten. (Von der mil. Zemurbehörde zugelasscne Nacbrichten.) Unsere Kameruner in Spanisch-Guinea. Wie amtlich gemeldet wurde, sind 900 Weiße und 14 000 Eingeborene aus Kamerun nach Spanisch-Guinea übergetreten. Sie wurden entwaffnet und interniert. — Die 14000 über getretenen Eingeborenen natürlich nicht sind etwa nur Soldaten der Schutztruppe, denn so groß ist die Schutztruppe während des ganzen Ringens nie gewesen, sondern hauptsächlich Träger, Familien der eingeborenen Soldaten und andere Flüchtlinge. -k- Der Ruf »ach der sranzösischen Offensive. Im ,Jntransigeant' wendet sich Leon Bailly gegen den Obersten Repington und den von ihm gepredigten Abnutzungskrieg. Man führe ihn schon seit 18 Monaten und dürfe sich weder auf ihn ausschließlich verlassen noch so lange warten. Frankreich brauche einen Waffensieg, nur ein solcher könne zu einem dauernden Frieden führen. Der Abnutzungs- krieg werde Deutschland wohl zwingen, die er oberten Gebiete herauszugeben, ihm aber den Glauben an seine militärische Überlegenheit und die Hoffnung auf Revanche lassen. Frankreich verliere wohl weniger Menschen als der Feind, aber deswegen dürfe der Abnutzungskrieg doch nicht monatelang dauern. Die Moral der Truppen würde versagen, wenn man ihnen den Glauben raubte, daß französische Tapferkeit das letzte Wort gesprochen habe. Man müsse dringend hoffen, daß eine Offensive möglich sei und bald bevorstehe. Die Verteidigung von London gegen Luftangriffe. Die.Times' meldet, daß Admiral Sir Percy Scott Ende dieser Woche seinen Befehl über die Artillerie zur Verteidigung von London gegen Luftangriffe niederlegen wird. Ver mutlich ist er jetzt mit seiner Organisation so weit, daß der Stab der Armee in England, deren Ober befehlshaber French ist, nach der Ansicht der Re gierung das Oberkommando übernehmen kann. Da durch wird die Leitung teilweise von der Admiralität auf das Kriegsamt übertragen. * Italienische Truppe» nach Saloniki? Aus englischer Quelle verlautet, der ent scheidende Ministerrat, der jüngst in Nom unter dem Vorsitze König Viktor Emanuels statt fand, habe beschlossen, trotz des Widerstandes Cadornas 100000 Mann nach Valo na und 50000 Mann nach Saloniki zu schicken. Sind sie müde? In Besprechung der Reden Sasonows, Poin- carös, Vanderveldes und Salandras hebt die bulgarische Presse den müden Grundton hervor, der allen diesen Kundgebungen gemein sam sei; auch im Ministerwechsel in Rußland erblickt die bulgarische Presse aller Parteien ein Anzeichen für das Erlahmen der russi schen Widerstandskraft. Die Blätter schöpfen daraus die Hoffnung auf baldigen Frieden, betonen jedoch, daß der Vierbund an gesichts des nahen Zieles in seinen An strengungen nicht Nachlassen dürfe. So sagt Mix': Alle bisherigen Bemühungen des Vier verbandes waren fruchtlos und berechtigen unsere Feinde zu keiner Hoffnung mehr. Ihre einzige Hoffnung ist und bleibt der Friede. Er folge erzielten bisher nur die Mittelmächte. Diese müssen mit aller Kraft trachten, bis zuletzt Sieger zu bleiben. Nur dann werden wir den ersehnten dauerhaften Frieden erlangen. bin greller Xriegskelä. Zum 7V. Geburtstag Prinz Leopolds von Bayern. Der 70. Geburtstag des Prinzen Leopold von Bayern fällt in den größten Krieg aller Zeiten, an dem es dem Prinzen vergönnt war, einen ungewöhnlich ruhmvollen Anteil zu nehmen. Zum erstenmal hörten wir den Namen des Prinzen in diesem Kriege am 4. August 1915 erwähnen, also ungesähr ein Jahr nach Beginn des Weltkrieges. Es war die gewaltige Zeit, in die das Ringen der Riesenheere um den Besitz der mächtigen Festung Warschau fiel. Am 4. August 1915 berichtete unsere oberste Heeresleitung, daß die Russen vor Warschau aus der Blonie-Stellung geworfen worden seien, und daß die Armee des Prinzen Leopold von Bayern sich im Angriff auf die Festung selbst befinde. Der Name dieses neuen Heerführers gewann sofort das allgemeine Vertrauen, hatte er doch im Heere auch während der Friedens zeiten einen ungewöhnlich guten Klang. Die kommenden Ereignisse zeigten, daß auch das hohe Alter der Tatkraft und Geistesfrische des Prinzen nichts hatte anhaben können. Schon am 5. August wurde von der Armee des Prinzen Leopold von Bayern die äußere und innere Fortlinie durchbrochen und genommen. Die Stadt wurde daraufhin am Vormittag von unseren Truppen besetzt. Eine der gewaltigsten Festungen der Welt wurde in verhältnismäßig sehr kurzer Zeit vom Prinzen durch Waffen gewalt gebrochen. Trotz heftigen Widerstandes der Russen, der sich auch in einer Beschießung von Warschau zeigte, gelang es der Armee des Prinzen Leopold am 8. August das östliche User der Weichsel zu gewinnen. Bei der Breite des Flusses und dem Mangel an verbindenden Brücken, die von den Russen in die Luft gesprengt worden waren, war auch dies ein bedeutender Erfolg. Am 10. August war Prinz Leopold östlich von Warschau schon bis an die Bahnlinie Stanis- lawow—Nowo Minsk gelangt. Nun ging der Siegeszug gen Osten unauf haltsam weiter. Am 11. August wurde er der Führer einer besonderen Heeresgruppe, da die Größe des Unternehmens eine Teilung der Ost armee in drei Heeresgruppen notwendig gemacht hatte. Am 12. August wurde Siedlce genommen und der Vormarsch gegen den Bug fortgesetzt. Am 14. August wurden bei Losice die feindlichen Linien durchbrochen und mehrere Tausend Ge fangene gemacht, worauf in der Nacht vom 45. zum 16. August der Übergang über den Bug von dem linken Flügel der Heeresgruppe des Prinzen erzwungen wurde. Die Mitte, die den Durchbruch bei Losice gemacht hatte, warf am gleichen Tage den Feind aufs neue, der noch einmal Widerstand versucht hatte. Fast täglich konnten von nun an größere Erfolge des Prinzen berichtet werden, der auch viele Tausend neuer Gefangener machte. Am 24. August näherte er sich bereits dem Bialo- wieska-Urwald, in den sich die Russen zurü^ ziehen mußten. „Der schwer geschlagene Feind flüchtete sich in den Bialowieska-Forst", io melde! unser Heeresbericht. Es begannen nun die Vst« folgungskämpfe in diesem Wald, die siegreich und schnell verliefen, trotzdem ein ungewöhN« liches Schlachtfeld große Anforderungen all Führung und Mannschaften stellten. Am Sedantage war der Austritt aus dem Nordost« rand des Urwaldes erkämpft. Es folgten nun siegreiche Kämpfe im Sumpf- und Flußgebiet der Nozanka und anderer Flüsse. Nachdem Prinz Leopold nun die deutschen Fahnen bis tief in das Innere Rußlands ge tragen hatte, begann der Stellungskrieg, in de« sich augenblicklich noch die Heere des Prinzen befinden. Z«ns.- Politische Hunälckau. Deutschland. * Das ,Reichsgesetzblatt' veröffentlich einen kaiserlichen Erl aß, wonach den Kriegs teilnehmern, denen für 1914 oder 1915 oder für beide Jahre bereits Kriegsjahre on- zurechnen sind, ein weiteres Kriegsjahr anzurechneu ist, wenn sie die Bedingungen auch für das KÄenderjahr 1916 erfüllt haben. * In der letztem SitzungdesBundes- rats gelangten zur Annahme: Der Entwurf einer Verordnung über die Einfuhr von Kartoffeln aus dem Ausland und der Entwurf einer Verordnung über die Speise kartoffelversorgung im Frühjahr und Som mer 1916. Österreich-Ungarn. *Der Vollzugsausschuß der alttschechischen Partei hielt eine Sitzung ab, in der folgender Antrag angenommen wurde: „Der Vollzugs ausschuß der alttschechischen Partei hat die auf denZus ammen s ch ru ß derAltts cy e ch en, der Iungtscheche», der Nationalso zialen und derFortschrittlichenPar- t ei zu einer einzigen Partei unter dem Namen „Nationalpartei", andererseits die auf die Schaff ung eines Verbandes aller tschechischen politischen Parteien in den böhmischen Ländern abzielenden Verhandlungen und die abgeschlossenen Verhand-, lungen genehnfigt. Damit ist die Vereinigung der getrennten tschechischen Parteien vollzogen. Italien. * Die englandfeindliche Stim mung ergreift immer weitere Kreise des Landes. Nicht nur der .Kohlenmangel, den man auf Eng lands Verschulden zurückführt, ist die Ursache, sondem vor allem, weil das Gerücht mit immer größerer Bestimmtheit auftaucht, daß die Re gierung die Insel Sizilien an Eng-, land wegen dessen Vorschüsse verpfänden mußte. * Einen furchtbaren Reinfall erlebt Italien bei dem Versuch, den serbischen Skup- schtina Mitgliedern eine Sitzung in Ro m zu ermöglichen. Die Serben erhoben in der Sitzung heftige Anklagen gegen Italien, das Serbien preisgegeben habe, so daß die Zensur die Berichte über die Sitzung in der Presse unterdrückte. Es wird bekannt, daß Nizza als Ort für die Skupschtinaversammlung gegen Italien bestimmt wurde; ob die Fran zosen aber den serbischen Abgeordneten Nedc- steiheit gewähren werden? Rustland. * Der Ackerbauminister ließ verlaut baren, daß es nötig sei, im ganzen Reiche zwei fleischlose Tage inderWoche einzuführen, wenn man ein ruinöses Abnehmeu des Viehbestandes vermeiden wolle. Das Mi nisterium schlägt außerdem vor, die Fleisch rationen der Soldaten herabzusetzen. Balkanstaaten. *König Konstantin von Griechen land hat einen Erlaß unterzeichnet, durch den alle Griechen der Jahrgänge 1892 bis 1914, die sich im Auslande aufhalten und sich der Militärpflicht entzogen haben, unter die Fahnen gerufen werden, mit Aus nahme derer, die in Rußland, in der Türkei, in Bulgarien oder Rumänien ihren Wohnsitz haben. Auf eigner Schotte. 4j Roman von Guido Kreutzer. (Foryktzung.) Hielt ihren starrenden Lanzen und Schwertern den Schild des Eigenmenschen entgegen und wehrte sich mannhaft. Zwang ein trotziges Lächeln auf sein Gesicht und schirmte die Frau an seiner Seite. Aber es schwirrten auch Pfeile nm ihn, federleicht und ungefährlich, die ihn nicht töteten, nur streiften, kaum die Haut fitzten: und doch so schmerzten. Weil sie in das Gift ver höhnenden Ironie, des beißenden Spottes und der dünkelhaften Uberhebung ge taucht waren. Und da räumte er das Schlacht feld, er — ein Scharrehn! Verlor den Mut und die Freudigkeit, noch länger für die Frau zu stehen. Warf Schild und Schwert beiseite und ging zu seinen Standesgenossen über. Wurde wieder Schablone und zum Verräter an seinem eignen Weibe. Er hatte den Traum deS Eigenmenschen ausgeträumt; und mit dem Erwachen kam die Ernüchterung. Langsam, un merklich fast; aber unaufhaltsam. Nicht einmal der HanS, dec in jener Zeit rftboren wurde, vermochte es, die beiden Gatten einander wieder näher zu bringen. So er weiterte sich denn der Riß immer mehr und mehr, bis er zu einer breiten Kluft wurde, über die keiner der beiden mehr versuchte, eine Brücke gegenseitiger Verständigung zu schlagen. Der Graf fühlte sich auf Trerow und an der Seite seiner Frau unbehaglich, ohne zu bedenken, daß er selbst sie erst zu dem gemacht hatte, was sie ^war: ein Menschenkind, in dessen Innerem alles zermürbt und zerbrochen war. Und so suchte er denn das, was er in ihr mit brutaler Faust niedergeschlagen haste, anderswo. Wurde der heimatfremde Gesellschaftsmensch, der moderne Zigeuner, der die innere Leere und Hohlheit seines Herzens auszufüllen suchte durch rauschende Vergnügungen und galante Abenteuer. Aber wie das immer fo ist: der, den es am meisten augeht, erfährt gewöhnlich am letzten davon. Die Gräfin hatte bisher keine Ahnung von dem Treiben ihres Mannes gehabt. Und wenn ihr auch seine immer länger währende Abwesenheit von Trerow auffiel — sie fragte nie nach den Gründen. Dazu war sie zu fein fühlend und wohl auch zu scheu. Nur im stillen — da grübelte sie und bangte sich um ihn; suchte tausend Nothelfer für sein unstätes Leben aufzustellen. Weil ihr die Erklärung dafür fehlte. Und dann erhielt sie mitten in dieses Grübeln hinein einen Brief. Anonym. Mit offenbar verstellter Handschrift. In Berlin auf- gegeben. Und der Verfasser dieses Brieses schrieb ihr kurz und brutal: „Ihr Mann be trügt sie systematisch. Er ist Habitus an ver schiedenen unsrer hiesigen Trikottheater. Seien Sie auf der Hut. Und wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, Frau Gräfin, so ist es der: Schlagen Sie Ihre Nebenbuhlerin mit ihren eigenen Waffen. Gehen Sie bei irgend einer Lebedame in die Lehre, sehen Sie ihr die Mätzchen und Kunststücke ab. Und — Sie werden den Grafen wieder an sich fesseln." Diese jäh über sie hereinbrechende Wahrheit war für die stille blasse Frau ein vernichtender Schlag. Im innersten Winkel ihres Herzens hatte sie sich doch immer noch einen Altar errichtet, auf dem sie dem Manne opferte, den sie geliebt hatte — so rein und so rückhaltslos, wie nur eine Frau lieben kann. Und nun dieses Grinsende, Höhnende: „Ihr Mann betrügt sie systematisch l" Ein Jahr schleppte sie sich noch hin, bis sie endlich, gebrochen an Leib und Seele, still erlosch. — „Es sollen wohl Berge Weichen und und Hügel hinfallen. Aber meine Gnade soll nicht von dir weichen — spricht der Herr, dein Erbarmer!" Und Hans Scharrehn sah mit scheuen Augen zu dem alten Manne hinüber, der wie ein be geisterter Verkünder des Prophetentums der ewigen Liebe und Verzeihung vor ihm stand. Es dauerte Sekunden, bis er sich aus seinen Sinnen wieder in die Gegenwart zurückfand. Erst nach der Beisetzung der Leiche, als er an der Seite seines Freundes Albrecht Grona, der die Königliche Domäne Roggenthin gepachtet hatte, die lange Allee zum Schlosse hinunter- ging — erst da regte sich wieder das Leben in ihm. Wie mit erwachenden Augen sah er um sich. In feierlichem Zuge pilgerten ihm die Pappeln entgegen, deren schneeüberladene Äste wie dünne bepuderte Arme aussahen. Und wenn man scharf aufpaßte, konnte man zwischen all dem wirbelnden Flockengiwirr bereits das Trerower Scyloß er kennen, das mit seinen breit ausgeladenden Seitenflügeln und der langen Mittelfront io trutzig von seiner kleinen Anhöhe herab in die Lande sah. Trutzig und herrisch, wie der Wahlspruch der Scharrehns, das »paiurguLm üooü- — niemals sich beugen! Das stand mit großen ungefügen Lettern ein gehauen über dem massigen Backsteinaufbau des Mittelportals; und darunter das Wappen: die weiße Eule im schwarzgelb geteilten Felde; dem ersten Scharrehn vom Kaiser Siegmund verliehen nach der Schlacht bei Böhmisch-Brod, in der die Hussiten vernichtend aufs Haupt geschlagen wurden. Jener Heinrich Maximilian Scharrehn hatte da mals mit seinen drei Reitfähnlein eine ent scheidende, Attacke gegen die irregulären Utra- guistenhorden geritten. So zu lesen in dem Adelsbrief, der als unschätzbares Familiendolu- ment sich vom Vater auf den Sohn vererbt hatte und noch heute hoch in Ehren gehalten wurde. Der Noggenthiner Albrecht schob seinen Arm unter den des Freunds^. „Es ist Dir doch recht, Hans, wenn ich Dich noch ein wenig heimsuche. Wir haben so manches miteinander zu besprechen." Der Ulan atmete tief auf. .Was fragst Du erst noch?* 3. In dem mit gediegener Pracht eingerichtete" Arbeitszimmer des Trerower Schlosses setztest"! Albrecht Grona in einen bequemen Sessel, scht"b die Beine übereinander und steckte sich eine Zigarre an. Der andere betrachtete diese umständlich^ Vorbereitungen aufmerksam: dann legte er
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