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19 Aber er lieh sich nicht warnen; der alte Haß stieg ihm zu Kopfe und raubte ihm die Besinnung. „Ich mühte ein Einfaltspinsel sein, wenn ich mir eine Fort dauer dieser Bekanntschaft gefallen liehe. Jetzt schon spielst du die Gekränkte, weil du dir einbildest, dah ich mit einer alten Bekannten etwas steter verkehre, als deiner Pensionsmoral passend erscheint . . . Oder memst du etwa, ich hätte nicht ent ziffert, was mir deine Augen seit drei Wochen beständig vor- werfen? Kommt nun noch der dazu und wittert die günstige Gelegenheit, Unkraut zwischen meinen Weizen zu werfen, dann wird vollends der Teufel los sem. Dem mutz vorgebeugt werden." „Du verkennst Wernitz, hast ihn von jeher verkannt," ver setzte Helene entrüstet. „Vor wenigen Minuten noch hat er mir zum Fneden geraten ..." Es war eine sehr unbesonnene Indiskretion, die Helerie in ihrem Eifer beging. Sofort loderte Artur auf. „Also bei ihm hast du dich schon Rat geholt? Er ist dir also die entscheidende Instanz selbst in deinem Verhalten gegen mich! Die intimsten Beziehungen in unserer Ehe breitest du taktlos vor ihm aus — vor dem von dir selbst verabschiedeten Liebhaber. Beispiellos! Das läßt sich kein Mann gefallen. Geh hinein!" Er deutete gebieterisch auf die Haustüre. Ein Ausdruck grimmer Wut erschien in seinen Zügen, der Helene Schrecken eiujagte. „Was hast du vor?" fragte sie zitternd. „Auseinandersetzcn will ich mich mit deinem impertinenten Freunde. Ein für alle mal. Aus meinem Wege werde ich rhn werfen. Und wenn er dabei zum Orkus hinabsährt — um so besser für mich. Gin Hammer, schwer genug, um damit seinen dicken Schädel zu zertrümmern wird sich wohl in der Werkstatt finden, worin er seine blöde Tugend in elektrisches Licht umsetzt..." Der rasch sich Entfernende war zu allem fähig. So meinte Helene. Um wenigstens das Schlimmste zu verhüten folgte sie ihrem Manne. Einen andern Weg einschlagend, lies sie, in der Hoffnung, den gefährdeten Freund noch rechtzeitig warnen zu können/ Doch als sie endlich das Maschinenhaus vor sich liegen sah, näherte Artur sich schon der Eingangstüre. Sie mutzte stehen bleiben, um Atem zu schöpfen. Arcs dem hochragenden Schlot stieg dichter schwarzer Rauch gen Himmel; drinnen rumorte die mächtige Dampfmaschine. Da bedachte Helene, datz Wernitz nicht allein sei, und ein Gefühl der Beruhigung kam über sie. Die rußigen Zyklopen, die das Feuer schürten, — die sehnigen Arbeiter, die an Schrauben und Ven tilen beobachtend standen - sie alle würden ihren Meister schützen und schirmen ... r Nun gewahrte sie noch obendrein, datz Artur sich vergeblich abmühte, Eintritt zu erlangen. Die Türe war verschlossen. Wohl rüttelte er daran, wohl pochte er — doch wer konnte ihn hören bei dem Lärm, der das Gebäude erfüllte? Schon glaubte Helene die Gefahr abgewandt, als sie an der Seite des Gebäudes eine schmale Tür bemerkte, an der sich die Inschrift befand: „Zutritt strengstens verboten!" Offenbar diente diese Türe den Arbeitern als Lin- und Ausgang. Der Gedanke, datz sie offen sein könnte, verursachte Helene aufs neue Herz klopfen. Auch Artur schien sich dieses Zugangs zu erinnern; er ueriietz die Haupttüre und schritt schnell an der Front des Ge bäudes entlang. Da gedachte Helene, ihm zuvorzukommen. Es gelang ihr auch, eben vor ihm einzutreffen. Sie stellte sich vor der Pforte auf und bat mit flehend erhobenen Händen: „Latz ab, Artur! Du wirst nichts erreichen als deine eigene Demütigung." Das Wort entflammte aufs neue seinen Zorn. „Gib nur den Weg frei!" zischte er. „Er oder ich!" Er ritz sie zurück. Sie taumelte bis über den Rand des Trottoirs hinaus. Als sie wieder umblickte, war Artur ver schwunden. Die Türe war offen gewesen. Sie führte in den Saal, worin die Dynamomaschine stand, dieses unheimliche Ungeheuer, das in seinem Schoße die Kraft erzeugt, die geheimnisvoll durch das Weltall kreist, bald leise und verborgen, bald mit zerstörender, wilder Gewalt . . . Lautlos, aber mit rasender Geschwindigkeit schwang sich der magnetische Stahlbogen um das dickte Drahtgewinde. „Zweitausend Volt!" klang Wernitz' Stimme aus einem inneren Raume. Da eilte Artur weiter. Ein dicker Metalldraht hing im Bogen vor ihm nieder. Er faßte ihn, um ihn passieren zu können, nur an den Verhaßten denkend, mit dem er endlich ab rechnen wollte. Er hatte in den Blitz gegriffen. Helene, die wenige Sekunden später einstat, sah Artur re gungslos auf dem Gesichte, die Arme vorgessteckt aus dem Boden liegen. Im Nu durchfuhr sie eine Ahnung von dem Geschehenen. Durch Gustav kannte sie die lebenzerstörende Macht hochgespannter elektrischer Ströme. Die Furcht, datz auch sie mit einem gela denen Drahte in Berührung kommen könnte, hielt sie an die Stelle gebannt. „Gustav! Gustav!" ries sie mit durchdringender Stimme. „Hebt die Transmission ab!" hörte sie Gustavs Befehl. „Es ist jemand vorne bei der Maschine." Nach einigen Sekunden hörte der Magnet auf zu Kreisen. Der Quell des Verderbens war geschlossen. Die Arbeiter strömten herein, Wernitz an ihrer Spitze. Als er den Körper am Boden sah, wußte er, was sich begeben hatte. „Lauft nach Ärzten, drei von euch!" wandte er sich an seine Arbeiter. Dann kniete er nieder neben dem toten Feinde und suchte nach seinem Pulsschlag — ohne Hoffnung. Noch immer wagte Helene sich nicht weiter vor. Sie sah Gustavs Bemühen und wartete wie gelähmt auf das entscheidende Wort von seinen Lippen. Aber Gustav schwieg; es war ihm unmöglich das Entsetz liche auszusprechen. Er flüsterte mit den zurückgebliebenen Arbeitern; eine Matratze wurde geholt und der Körper daraus gebettet. Fetzt blickte Helene in das Gesicht des Verunglückten. Nie mand brauchte ihr mehr zu sagen, daß es eine Leiche war, die sie vor sich hatte. Mit der Gewißheit kam ihr die Fassung, oder vielmehr jene kalte, tränenlose Energie, die sich so häufig nach einer plötz lichen heftigen Gemütserschütterung einstellt. „Ich möchte meine Mutter und meine Schwestern um mich haben. Gustav," sagte sie. * „Sie sollen sofort herbeigeholt werden." „Könntest du auch nach meinem Hause einen Boten senden?" „Auch das." Allein blieben Gustav und Helene an der Leiche Arturs 'zurück. Er blickte sie fragend an. „Unbegreiflich ist dir der Zusammenhang," sagte Helene mit einem scheuen Blick auf den Toten. „Du sollst ihn später er fahren. Nur du. Nimm einstweilen an, datz wir dich haben besuchen wollen, um — um dir für deine Freundschaft unsern Dank zu sagen." Dann aber von ihren Empfindungen überwältigt, ries sie aus: „O Gustav! Unerforschlich sind die Wege der Vorsehung! Wir sind nichts in dem verwirrenden Tumulte unserer Leiden schaften — nichts als Blinde, die zu einem unbekannten Ziele geführt werden!" Und die Hände ringend, fuhr sie fort: „Mein Gott, mein Gott! Ich zittere vor dir!" 18. Die Tagesblätter erzählten, datz Artur Blank, nachmittags mit seiner jungen Frau von der Hochzeitsreise zurückgekehrt, seinen Vetter, den Direktor Wernitz, den er abends in den Werken beschäftigt wußte, habe begrüßen wollen. Dabei habe Frau Blank ihn begleitet. Da es auf eine Überraschung abgesehen gewesen sei, so habe das junge Paar eine dem Publikum ver botene Türe zum Eintritt benützt. Der vorangehende Herr Blank, ohne Kenntnis von der gerade angestellten Maschinen probe und an keine XSefahr denkend, müsse dann mit dem Haupt leitungsdraht in Berührung gekommen sein. Plötzlich sei er, wie vom Blitze gefällt, tot zu Boden gestürzt. Das war so einfach, so durchaus glaubhaft — niemand im Publikum zweifelte an der Richtigkeit dieser Darstellung. Nur für ihre Mutter und ihre Schwestern mußte Helene eine etwas abweichende Version ersinnen. Nach dieser hätte Gustav ihr unterwegs dringend geraten, zu vergeben und zu vergessen. Sie sei ihm gefolgt und habe sich gleich daraus mit Artur ausgesöhnt, der dann, voll Dankbarkeit für die Vermittlung des von ihm so lange verkannten Vetters, vorgeschlagen habe, ihn gleich auf zusuchen, um ihm die Hand zu künftiger Freundschaft zu bieten.