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4 Verständnis für echte Kunst, keine innerliche Teilnahme an dem Geschick seiner Nebenmenschen. Enger Horizont bei großem Selbstbewußtsein — Genußsucht, in Schranken gehalten durch ein maßvolles Temperament; Selbstsucht, versteckt hinter ange nehmen Umgangsformen — das waren die Hauptzüge des Charakterbildes, das Helene allmählich^von ihrem Bräutigam aewann. ' Nun ja: sie hatte ihn niemals alsLGott verehrt. Als die Liebe zu ihm über sie kam, gab sie sichIdem Triebe hin. Sie liebte ihn, wie er war oder sein mochte, ohne zu fragen warum. Und auch jetzt noch, da sie an Artur soviel Menschliches, Allzu menschliches entdeckte, ja so manches, das ihr fast mißfiel — noch blieb ihr jede Anwandlung von Reue über ihre Wahl fern. Gin bombensicherer Telephonunterstand unserer Feldgrauen im Westen. Als die Einladungen zur Hochzeit besprochen wurden, die Frau Marbach aus Arturs Kosten ausrichtete, wurde zwischen den Verlobten zum ersten Male Wernitz wieder erwähnt. Artur fragte: „Und wie soll es mit dem steinernen Gast gehalten werden?" „Wen meinst du?" Artur lachte. „Wen anders als meinen verabschiedeten Vetter? Ich gab ihm den Spitznamen, den er in der Schule trug. Die Statue des Komturs, als sie Don Juan ins Gewissen redete, wird ihre Kinnbacken gerade so bewegt haben, wie Wer nitz dies beim Sprechen zu tun pflegt." „Knaben sind unbarmherzig untereinander." „Aber aufrichtig. — Wie geht es Wernitz?" „Woher soll ich das wissen? — Für uns ist er tot." „Er hätte sich an Käthe oder Elise trösten können." „Aber Artur!" „Warum denn nicht? Damals freilich habe ich einen Au genblick gedacht, er könnte zum Revolver greifen. Ich war ein Tor, Leute seines Schlages kleben am Leben, und wenn es noch so elend geworden ist." (Fortsetzung folgt.) Nominelle«»! (Aus den letzten. Kämpfen in der Champagne.) Ein paar dolle Tage liegen hinter mir, wie ich sie nicht wieder zu erleben hoffe. Nach 45 Km. langem Anmarsch zogen wir am Sonntag früh (26. 9.) in Stellung rechts von der Chaussee Somme—Py-Souain. Der Vormittag verlief ruhig, aber um drei Uhr setzte ein Trommelfeuer aus unsern Graben ein, das nicht von Pappe war. Sie schossen nur Stunden, aber das genügte! Unterstände oder dergleichen gab es noch nicht. Wir mutzten also während der ganzen Schießerei im Graben sitzen. Hatten auch ziemlich schwere Verluste. Plötzlich hörten sie auf, in den Graben zu schießen, und verlegten ihr Feuer nach hinten. Kaum halten wir das bemerkt, da ertönte der Ruf: Aufpaffen! Sie kommen! Da kamen sie an, die Herren mit ihren blauen Stahlblech helmen und den hellblaugrauen Röcken! In Gruppenkolonne, dicht geschloffen, rannten sie gegen unsere Verhaue. Aber kaum waren von uns die ersten Schüsse salvenartig hchausgejagt, als die Kerls auch schon am Boden lagen. Da man nicht wußte, wer gtroffen und unverwundet war, wurde immer weitergeknallt, bis es auf einmal hieß: Munition sparen! Da fingen auch schon die ersten an, zurückzulausen; aber ich glaube, weit sind sie nicht gekommen. Und viel ist nicht zurückgelangt! Nach einer halben Stunde ungefähr war der Angriff abgeschlagen. Aber erst nach einer ganzen Weile ließ die Aufregung bei uns nach. Die Franzmänner versuchten zwar noch ein paar mal, sich aufzuraffen, aber alle diese Versuche brachen in dem wohlgezielten Feuer unserer tapferen Märker zusammen. Endlich kam die Nacht. Die Leute arbeiteten wie wild an Unterständen. Schlaf, Luxus! Morgens fing es um 5 Uhr an, schummrig zu werden. Plötzlich um 5V- Uhr hören wir sehr lebhaftes Gewehrfeuer, und kurz darauf sehen wir auch an un serem Drahtverhau schwarze Gestalten. Aber schon nach den ersten Schüssen machten sie — kehrt, marsch, marsch! und suchten zu verschwinden. All zu vielen dürfte es nicht gelungen sein. Denn, wenn sich so ein Mensch da zwischen den Leichenhügeln erhob, und die Beine in die Hand nahm, um wegzulausen, dann machte die ganze Kompagnie Scheibenschießen, und unsere Leute schießen gut! Der Montag vormittag verlief verhältnismäßig ruhig, bis um drei Uhr ein liebliches und für alle Beteiligten sehr lympha tisches Trommelfeuer einsetzte. In der Zeit von einer halben Stunde — zuerst habe ich noch zählen können — fielen auf den Abschnitt zwischen zwei Schulterwehren, in dem ich satz, dreißig schwere Granaten! Wir saßen im Graben an die Wand geklatscht, zitternd vor Kälte und Regen. Gin jeder glaubte wohl sein letztes Stündchen gekommen. Mein ganzes Leben zog noch einmal an mir vorüber, und all die Liebe und Güte, mit der Ihr uns von Kindheit an umgeben habt. Aber auch das Be wußtsein, daß ich Luch noch viel schuldig bin! Gebe Gott, daß ich nach Friedensschlutz nachholen kann, was ich bis jetzt ver säumt habe! Das waren so meine Gedanken, während die Fran zosen mit ihrer furchtbaren amerikanischen Munition, mit den amerikanischen Langrohrgeschützen unsern Graben bearbeiteten, daß man meinte, es bleibe kein Stein bei dem andern. Nach zwei Stunden hörten sie aus und kamen wieder an. Wieder in dichten Reihen! Da war das ekelhafte Trommelfeuer ver gessen! Nun konnten wir unsere Kameraden rächen, die ameri kanische Sprengstücke entzweigerissen hatten. Ihr hättet nun sehen sollen, wie die Hasen fielen sie, keiner von den Lebenden, Unverwundeten traute sich überhaupt auch nur eine Bewegung zu machen, denn wir patzten auf. Ich hatte mir natürlich auch sofort ein Gewehr eines Verwundeten gegriffen und tüchtig mit geschossen. Der Schweiß troff mir nur so von der Stirn, vergessen waren Regen, Kälte und Entsetzen; so glühend wurde das Ge wehr, daß die Tropfen, die von der Stirn herabfielen, aus der Gewehrkammer aufzischten! Denn gerade, als die erste Sturm kolonne den Graben verließ, brach die Sonne strahlend hervor, uns die Ziele herrlich beleuchtend. Die drei Sturmkolonnen lagen 20 Mtr. vor dem Drahtverhau und konnten weder vor wärts noch rückwärts. Da ließ sich endlich, zum erstenmal in der ganzen Zeit, unsere Artillerie vernehmen und schoß mit Gra naten in die Kolonnen. Wir jubelten alle auf. Denn während des ganzen Trommelfeuers hatte sie nicht einen Schutz abgegeben. Fetzt wurde der Franzmann nervös. Blieb er liegen, haschte