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Und das Geschäft ging keineswegs schlechter, im Gegenteil. Die Menschheit fing allmählich an, die Berechtigung des Mi neralwassers offen anzuerkennen. Die Nachfrage wuchs. Zu den alten Kunden in Schlawc, Bütow und Schivelbein, in Berlin und in Rügen, waren neue gekommen. Bis hinauf nach Zoppot gingen die Prengelschen Flaschen. Und Friedrich Prengel selbst merkte man es auch nicht au, daß er älter wurde. Er lebte streng geregelt, versah sein Ge schäft, besuchte Berlin, nm sich auf dem Laufenden zu halten, fütterte seine Angoramcerschweinchen und führte seinen Dachs- hnnd Fidns spazieren, grüßte im Stadtpark die schöne Freifrau v. Bornhövede, die immer noch fo bleich war wie eine Lilie und immer noch ihr schwarzes Witwengewand trng, ging wöchentlich dreimal in den „Schwarzen Adler", monatlich zwei mal in den Militärverein und einmal jede Woche in das städti sche Aktienbad, wo ihm Frau Nehfuß mit besonderer Sorgfalt ein Wannenbad l. Klasse vollaufeu ließ. In dieses ruhigen Mannes ruhiger Hut wuchs Wilhelm Hack heran, und wenn auch nicht sonderlich an Weisheit, so nahm er an Größe, Alter und Pflichttreue zu. Um ihn war eine Stille, die nichts Peinigendes kannte. Ihn weckte nicht der Nachtwind, der von den blühenden Gärten her Frühlingsgerüche und holde Gelüste in die Kammern trng und der Olga Andresen in ihrem Bette weinen machte. Ihn ärgerte nicht der Mond, der seinen. Weg über den wolkenlosen Himmel machte und den der Dachshund Fidus so lange und nachdrücklich anbellte, bis Herr Friedrich Prengel aufstand und ihn Fidus nämlich — mit zu sich ins Bett nahm. Lauge Zeit war sein Leben Ivie ein Schiff, das im Sonnen schein übers Meer fuhr. 4. Die erste von Wilhelm Hacks Gespielen, die als Schmetter ling aus ihrem Seidengewand ausflog, war die rothaarige Olga Audresen. Reiseziel: Berlin. Grund: Verwandte. In dem Mädel hatte schon immer etwas gesteckt. Sie hatte immer das Gefühl gehabt, daß mit ihr noch allerlei Groß artiges geschehen müsse. Jeder Tag war ihr zum Aufjauchzen. Sie hatte, seit sie selbständig denken konnte, nichts mehr mit der engen Welt von Köslin geuiein gehabt. Sie wollte hin aus, sie mußte hinaus. In Köslin konnte man vegetieren, aber nicht leben, in Köslin konnte mau nicht vegetieren, inan konnte hier unr sein Leben zermartern. Es war von selbst gekommen. Es lag in ihr. Es. war ihre innerste Naturanlage. Kaum fünfzehn war sie alt und schon sah sie fest den Weg ihres ganzen Lebens vor sich gezeichnet. Sie wollte Schauspielerin werden. Die Berliner Verwandten, die einen Sommermonat lang an der Ostsee und acht lange Tage in furchtbarer Langeiveile ui Köslin zugebracht hatten, hatten sie entdeckt. Sie bewun derten das Aussehen der lieben Nichte Olga, die so kluge blaue Augen, ein so schönes seidenweiches rotes Haar und eine so schneeweiße Haut hatte. Sie bestaunten ihr phänomenales Ge dächtnis, ihre Beweglichkeit, ihre Schmiegsamkeit, ihre früh reife Koketterie, ihre Zartheit, ihre Lebenslust. Tante Lotte besonders, die ledige Schwester des KrciS- steuerrates a. D. Emil Schünemann, Tante Lotte Andresen, mar sofort in ihre Nichte Olga verliebt. Und auch die Kreis steueirätin, Taute Alma, hatte ihr Wohlgefallen an ihr. Man beschloß, sich des Kindes anzuuehmen. Das mit dem Schauspielerin werdöu, das hatte ja noch Zeit und Weile, aber man konnte der Nichte wenigstens die Hand bieten, sich weiter zu bilden. Hier galt es kein Schwanken, hier gab es nur eine Ent schiedenheit. Jedes Hinausziehen wäre eine Sünde gewesen. In Köslin konnte das dürre Reis nicht zum Blühen kom men. Und solch ein liebes, hoffnungsvolles Pflegekind, das außerdem keine Mutter mehr hatte, fand sich nicht wieder. Der Kreisstenerrat teilte das Los der Angorameerschwein chen des Herrn Friedrich Prengel, dessen angenehme Bekannt schaft er in Köslin machte: er war kinderlos. Außerdem war er weiches Wachs in der Hand seiner Schwägerin und seiner Gattin. Tante Lotte überzeugte ihn, daß es Christenpflicht sei, euvaS für Olga zu tun. Frau Alma sekundierte. „Ganz meine Ueberzeugung!" erklärte der Steuerrat. Der Vater Andresen machte keine übermäßigen Einwen dungen' „Sic darf nur nicht zn hoch hinaus wollen," sagte er, „das ist eine Lehre, die man nie vergessen darf!" Tante Lotw stellte ihm vor, wie kostbar das Leben seiner einzigen Tochter sei, wie schlecht aufgehoben sic fernerhin in diesem eintönigen Neste sei, wie gut sie es bei ihnen in Berlin haben würde, sie, die zu Besserem berufen sei . . . Die rote Olga strahlte. Der Vater willigte ein. Wenn das wahr wäre, was Tante Lotte sagte, er wollte der letzte sein, der ihr den Weg abschuitt — Der nächste von Wilhelm Hacks Spielgefährten, für den die Vaterstadt zn eng wurde, war Gustav Metzler. Er wurde dabei erwischt, als er sämtliche Gashähne der „städtischen Realschule nebst Progymnasium" aufgedreht hatte. Der Ordinarius vou Quinta, der ihm auf Gummischuhen ge folgt war, ertappte ihn beim Oeffnen des letzten Gashahnes. So half dem Missetäter sein schönstes Leugnen, worin er eine gewisse Kunstfertigkeit und in deren Erlernung und Ausbil dung er den „Wert der Schule fürs Leben" erkannt hatte, ganz und gar nichts. Der Postmeister Metzler als Vater zahlte die ausgeströmten Kubikmeter und bedauerte, daß nicht das ganze Lehrerkollegium am Gase erstickt war. Gustav dankte seinem Schöpfer drei Tage lang, daß ge wisse Teile des menschlichen Körpers nicht im Plural vorhan den waren, und reiste dann gehorsam mit seinem Vater nach St. Pauli, wo ihm dicke Hosen, hohe Stiefeln, eine Seemanns bluse und eine Schiffskistc gekauft wurden. Dann kam er als Schiffsjunge an Deck von Herrn I. I. Petersens „Kap der guten Hoffnung". Schiffsjunge zu sein, das hatte sich Gustav schon immer sehnsüchtig gewünscht, und er war seinem Vater gar nicht böse, daß er ihn frisch von der Schule an Deck brachte. Hans Georg Freiherr v. Bornhövede aber kam in die Hanptkadettenanstalt zu Lichterfelde. Und wenn er einmal, Ostern, Pfingsten oder Weihnachten, auf Urlaub kam oder gar auf Sommerurlaub, wie die großen Ferien hießen, da suchte er nicht mehr den Andresenschen Hof auf. Er stolzierte erho benen Hauptes an dem Andresenschen Grundstück vorüber. Zwischen ihm, der er nun war, und ihm, der er gewesen war, lag eine große, weite Kluft. Ganz deutlich fühlte er, daß es im Leben nun einmal so eingerichtet war, daß es Gegensätze gab, die schwer zu vereinigen seien. Und die Kluft, die ihn, den Vertreter der bewaffneten Macht und der Offizierskaste, von den Vertretern des Zivils trennte, war sogar unüberbrück bar. Diese Welt lag hinter ihm. Diese Welt mit Heubodeu- zauber und sommersprossigen Mädels, wie Olga Andresen ge wesen war. ... Wer weiß, ob sie jetzt noch so rassig aussah! Er hätte es geru festgestellt, aus rejn wissenschaftlichem Interesse. Aber er sah sie nie. Und er hielt es unter seiner Würde, sich danach bei den wenigen, die er" von früher her kannte und auf Urlaub traf, zu erkundigen. Wilhelm Hack ließ sich auch nicht mehr ans der Straße sehen; den hätte er noch am ehesten fragen tönneu. Teun erstens war dieser Wilhelm ein erklärter Freund der schönen Olga Andresen gewesen und zweitens war das ein ganz pas sabler Mensch gewesen, dem nichts von der Derbheit und Plumpheit der anderen Schnlgenosseu anhaftete. Nein, Wilhelm Hack zeigte sich nicht mehr auf der Straße, er fing auch keine Laubfrösche mehr oder Salamander und Molche, und der Sinn, auf dem Andresenschen Grundstück sich in dem Geruch von Heu, Pferden, Stall und Wagenschmiere besonders glücklich zu fühlen, war eingeschlummert. Dafür war er auch nach vollzogener Einsegnung seiner drückenden Schul pflicht ledjg geworden und dem Bureaupcrsoual des Herrn F. F. Gerstenberger, Futtermittel en gros, eingereiht worden. Das Tor der Freiheit hatte sich vor ihm geöffnet, um sich f ebenso schnell wieder zu schließen. Er saß schon wieder, genau wie in der Schule, eingezwängt zwischen Stuhl und Tafel und tratzte mit der Feder über das Papier. „Eine schöne Handschrift haben Sie uich," meinte Herr Fedor Gerstenberger, „aber ich seh's, Sie geben sich Mühe, Hack. --Große Mühe!" „Also haben Sie Ihren Jungen doch zu dem Gerstenberger gegeben?" fragte Postmeister Metzler und strich mit dem Zeige finger rund über den Nany seines Stammglascs, ehe er es an die Lippen sctzle. (Forljeyung folat.)