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Allgemeiner Anzeiger : 16.12.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-12-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190312168
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- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19031216
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19031216
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1903
-
Monat
1903-12
- Tag 1903-12-16
-
Monat
1903-12
-
Jahr
1903
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 16.12.1903
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Dr. Ries, der wegen Beleidigung des Ministers Ruhstrat in Oldenburg zu sechs Monat Gefängnis verurteilt wurde, hat ein Gnadengesuch an den Großherzog gerichtet zwecks Umwandlung der Freiheitsstrafe in Geld strafe. Ein untergegangener Fischcreidampfer. Die Emdener Neptun-Fischerei-Gesellschaft gibt in einer Todesanzeige bekannt, daß kein Zweifel mehr darüber herrsche, daß der Logger „Mara" mit seiner ganzen Besatzung, bestehend aus 14 Personen, während des Orkans am 21. No vember in der Nordsee untergegangen ist. Sechs Diann der Besatzung, unter ihnen der Kapitän, waren aus Nienbrügge in Schaumburg-Lippe. Drei Dampfdrvschken sind auf der Kruppschen Germaniawerft zu Kiet hergestcllt worden und zwar, wie aus Kiel geschrieben wird, eine für den Kaiser, eine zweite für den Prinzen Heinrich und endlich ein Versuchswagen für die Werft selbst. Diese Fahrzeuge haben bis jetzt nicht die auf sie gesetzten Hoffnungen erfüllt, da bei den Probefahrten infolge der Schwere des Wagens die Gummi-Luftreifen brachen. Die Versuche werden indessen fortgesetzt, und man hofft, mit Hilfe einer etwas leichteren Bau art zu dem gewünschten Ziele zu kommen. Der Dampf wird mittels Erdölflamme erzeugt die Spannung wird auf 30 bis 50 fachen Luftdruck gebracht uud die Maschinen lassen an Geschwindig- keil und Widerstandsfähigkeit nichts zu wünschen übrig. Es ist wahrscheinlich, daß die Dampf droschken, wenn ihre praktische Brauchbarkeit erwiesen sein wird, auch für militärische Zwecke Verwendung finden werden. Wieder ein Unfall beim Schleifen fahren. In der Turnhalle zu Leipzig-Eutritzsch war eine Schleifenbahn erbaut worden, auf welcher sich ein Kunstfahrer produzieren wollte. Aber schon der erste Versuch mißglückte. Der junge Mann war die Anlaufsbahn herabgesaust und hatte schon die Mitte der Schleife passiert, als er durch ein Ausrichten seines Körpers die Führung seines Rades verlor, nach rechts aus bog, mit aller Gewalt gegen eine das Schutznetz haltende Eifenstange ansuhr und außerhalb des Netzes zu Boden siel. Hilfreiche Hände leisteten ihm den ersten Beistand. Der Waghalsige trug, wie das .Leipziger Tageblatt' mitteilt, Kontusionen am Kopfe davon und wurde in ein Kranken haus gebracht. Einen seltenen Hering hat ein Kauf mann in Saaz in einer Heringstonne gefunden. Ja dem Fische findet sich nämlich sowohl Rogen als auch Milch vor. Der Kaufmann, der seit 30 Jahren viele Tausende von Heringen verarbeitet, ist ein rogener und gleichzeitig milcherner Hering noch nicht vorgekommen. Der selteile Fisch wurde an den Zoologen Professor Lendenfeld nach Prag gesandt. Ein Konzert mit Hindernissen hat dieser Tage im Fürther Philharmonischen Verein statt gesunden. Erst wurde ein Besucher irrsinnig; er betrat die Musikbühne und stellte sich neben den Kapellmeister Bruch, so daß dieser den Vortrag abbrechen mußte. Dann wurde eine Dame ohnmächtig, was wiederum eine solche Störung verursachte, daß der Kapellmeister ab klopfen mußte. Schließlich schlug der Solist des Abends, Pianist Ansorge, bei seinem Vor trage zwei Saiten des Flügels ab, so daß das Konzert zum dritten Male unterbrochen wurde. Der vermißte Münchener Ministerial beamte Regierungsrat Dr. Gastrow ist aufge sunden worden. Er hatte in einer Münchener Badeanstalt versucht, sich die Adern aufzu schneiden und wurde schwer verletzt ins Kranken haus überführt. Gräfin Stephanie Lonyay will sich in ihrer Heimat Belgien, im Lande ihres geliebten Vaters, anfiedeln. Sie steht wegen Ankaufs einer Besitzung in der Nähe von Laeken bei Brüssel in Unterhandlungen, die dem Abschlusse nahe sind. Die Gräfin und ihr Gemahl werden künftig den größten Teil des Jahres in Belgien verleben. Einen gräßlichen Selbstmord hat der Gutsbesitzer Smetana in Naudnitz bei Pilsen verübt. Der in guten Verhältnissen lebende Diann errichtete auf dem Dachboden seiner Villa aus Holz und Stroh einen Scheiterhaufen, begoß denselben mit Petroleum, zündete ihn an uud erhenkte sich dann über dem Feuer an einem Dachbalken. Als man das Feuer ^löscht Dann wurde dec Bruder der alten Ulrike ver nommen; er gab seine Antworten auf die Fragen des Gerichtspräsidenten so, wie wenn ein Schulknabe eine Lektion auswendig gelernt hat. Einen geradezu widerlichen Eindruck machte auf mich die Erscheinung der alten Kammerfrau Ulrike, eine häßliche, unheimliche Person. Wäh rend sie ihre von gehässigen Farben getränkten Aussagen machte, wagte sie es, den Angeklagten einmal anzusehen; beider Blicke kreuzten sich, oie Alte schlug schnell die Augen nieder, machte aber dessenungeachtet die erdrückendsten An gaben. Im Kreuzverhör berief sich der alte Diener immer auf seine Schwester, da er ein schwaches Gedächtnis habe, was man vorhin eben nicht an ihm bemerkt hatte. Nun mußie der Staatsanwalt seines Amtes walten. Keinem entging es, daß derselbe nur mit Anstrengung sprach, als täte er sich selbst Gewalt an, als wollte das „Schuldig" nicht über seine Lippen, und dennoch, nach dem Buch staben des Gesetzes mußte er solches bei den Geschworenen beantragen. Des Doktors An walt hingegen verteidigte seinen Klienten mit einer Wärme, mit überzeugender Beredsamkeit, daß man hätte denken sollen, er müsse damit alle Anschuldigungen, die gegen Falk ins Treffen geführt worden, in ihr leeres Nichts zurückschleudern. Dem war aber nicht so; Falk wurde zu lebenslänglichem Zuchthause verurteilt." Entsetzlich!" rief Assessor Rosen in ge preßtem Tone, indem er vom Sessel aufsprang und alles, was vor ihm auf dem Tische stand, zurückschob. Dem Baurat ins Gesicht st'> fuhr er dann fort: hatte, war der Leichnam des Mannes bereits stark verkohlt. Smetana dürfte diese grauenhafte Tat im Wahnsinn begangen haben. Ein weiblicher Dippold ist in Trautenau in Böhmen verhaftet worden. Die 41jährige Witwe Kuhn züchtigte ihre fünfzehnjährige Stieftochter auf das grausamste, so daß das Kind starb. Nach Aussage der anderen Stief geschwister kam es nicht selten vor, daß die Mutter die Kleine zu Boden warf und den Kopf des Kindes dann viele Male hinter einander heftig auf das Ziegelpflaster stieß. Eins der beliebtesten Straf- und Erziehungs mittel der Stiefmutter bestand zur Winterszeit darin, daß sie das Kind in dürftigster Kleidung stundenlaug in Frost und Schnee hinausjagte. unter der schmelzenden Schneedecke die Leiche der einen Verunglückten. Das zweite Opfer kam dieser Tage unter schweren Eismassen zum Vorschein. Offenbar hatten sich die Trümmer der großen Eislawine zu einer Art Gletscher vereinigt nnd die zweite Leiche tief in sich ein geschlossen. Beide Leichen waren noch gut er halten. Eine tolle Sache. In der Aula der Moskauer Universität sollte dieser Tage der Schriftster Anton Tschechow sein neues Drama „Der Kirschengarten" und der Schriftsteller Leonid Andrejew seine neue Erzählung „Auf der Bahnstation" vorlesen; die Vorlesung war von dem „Verein der Literaturfreunde" ver anstaltet worden. Es herrschte ein so ungeheurer Oer MarkusplatL in Veneäig unter Master. Einen eigenartigen Anblick bot der Markusplatz zu Venedig in den ersten Dezembcrtagen dieses Jahres. Seine weite Fläche deckte ein sanft ge wellter Wasserspiegel; über die Marmorplattcn seines Prachtpflasters, auf dem sonst ein internationales Publikum promeniert, die immer hungrigen Tauben von San Marco fütternd, glitt die gekielte Gondel und der flache Kahn verkehrsvermittelnd hinüber und herüber; um die Stufen der Markuskirche, um die Bogenhallen der Prokurazicn murmeln die Wellen der Lagunen. Der Spätherbst, der im Norden Deutschlands seither nur sehr wenig Schnee brachte, hat die Südabhänge der Alpen um so reichlicher damit bedacht, und die erholungs bedürftigen Nordländer, die die normale Milde eines südlichen Herbstes und Winters an Ort und Stelle erwarteten, sind bis jetzt noch nicht auf ihre Rechnung gekommen. Diese Schneelasten schickten gewaltige Wassermassen nach Süden, so daß auch der Spiegel der venezianischen Lagunen rapid stieg, den Markusplatz und viele andere Teile der Dogenstadt überschwemmend. Hoffentlich tritt das Wasser bald, ohne ärgeren Schaden anzu richte», zurück, denn die altersschwache Pracht der bejahrten Königin der Adria bedarf dringend der Schonung. Die Aufregung unter der Bevölkerung ist natur gemäß außerordentlich groß; die Verhaftung ent zog sie regelrechter Lynchjustiz, die die Volkswut an ihr ausüben wollte. Das Geheimnis des Herrn Cros, der durch Briefe eines Verwandten „wichtige Auf schlüsse zur Humbertsache" machen wollte, hat sich, wie ja schon manches in der endlosen Affäre, als purer Schwindel herausgestellt. Jctzt bedauert der nationalistische Abg. Berry, auf dessen Betreiben Cros von der Unter- suchungskommisston vernommen wurde, lebhaft sein Vorgehen. Denn Monsieur Eros' Onkel, Herr Vidal in Perpignan, gab seiner Ver wunderung darüber Ausdruck, daß ein so be schränkter Kopf wie sein Neffe in Paris ernst genommen würde. Die ganze Geschichte von den wichtigen Briefen sei total erfunden. Vidal hatte, von einer Düngerlieferung für ein Hum- bertjches Gut abgesehen, keinerlei Beziehungen zu jenen Leuten. Barengeneral Viljoen heiratet. Der am Mittwoch in London eingetroffene ehemalige Burengeneral James Viljoen wird sich dem nächst mit einer Künstlerin namens May ver heiraten. Aus der Eislawine zu Tage ge kommen. Im Gebiet des Monte Leone am Simplonpaß ging im März 1901 eine große Eislawine nieder, wodurch zwei Bäuerinnen aus Simpeln verschüttet und getötet wurden. Alles Suchen nach den Leichen war vergeblich. Im letzten Frühjahr endlich fand ein Bursche Andrang, daß nicht nur die Aula, sondern auch die Gänge und der Hof des Univerfitäts- gebäudes dicht mit Menschen gefüllt waren, und da passierte denn das Merkwürdige, daß Tschechow und Andrejew nicht in den Saal hineingelangen konnten. Unter diesen Um ständen konnte die Vorlesung nicht stattfinden. Renntierseuche. Traurige Nachrichten aus dem Norden Sibiriens sind in Tobolsk einge troffen. Auf dem weiten Gebiet des Obdorsk bis zum Flusse Nyda ist eine Seuche unter den Remitieren ausgebrochen, die sie herdenweise vernichtet. Das Fallen dieser Tiere hat einen derart großen Umfang angenommen, daß eine Fahrt durch jenes Gebiet zur Unmöglichkeit ge worden ist. Die Seuche soll die auf das Renntier übertragene sibirische Rinderpest sein. Die Verbreitung einer derartigen Seuche, wie es die sibirische Rinderpest ist, kann zum Ruin der dortigen Bevölkerung des hohen Nordens werden, deren Existenz von dem Nenntier ab hängt. (ZsrlektsbMe. 8 Mainz. Der 86jährige, dem Trünke ergebene Landwirt N. aus Stadecken hatte am Abend des 8. September mit seinem 62 jährigen Knecht einen Streit. Als der Knecht in den Hof ging, folgte ihm R. und gab einen Revolverschuß auf ihn ab. Am Morgen starb der Schwerverletzte. R. hatte sich vor dem Schwurgericht wegen Totschlags zu ver antworten. Die Geschworenen verneinten den Tot schlag, bejahten aber die Schuldftage auf Körper verletzung mit tödlichem Erfolg unter Zubilligung mildernder Umstände. Der Angeklagte wurde zu 3 Jahr Gefängnis verurteilt. Saarbrücken. Die hiesige Strafkammer ver urteilte den Lehrer Zerndt aus Hirzweiler bei Ott weiler wegen Majestätsbeleidigung zu 4 Monat Ge fängnis. Der Lehrer hatte im Unmut darüber, daß er Reparaturen an seinem Schulhanse. die er selbst eigenmächtig hatte vornehmen lassen, auch selbst be zahlen sollte, schwere Schmähungen gegen den Kaiser und das Kaiserhaus ausgestoßen. Aus Alken. Am 1. Januar 1906 steht dem griechischen Staate eine nicht zu verachtende Erbschaft zu; es sind ungefähr acht Millionen Drachmen, und die Erbschaft hat eine eigene Geschichte. Im Jahre 1806 lernte der Erblasser, damals noch ein junger Mann, der sür die Befreiung seines Vaterlandes schwärmte, Johannis Dompolis, den von denselben Gefühlen beseelten Kapodistria in St. Petersburg kennen. Sie wurden innige Freunde und schwuren einander, ihr Leben dem Vaterlande zu weihen und besonders für die Bildung in ihrem Vaterlande zu sorgen. Kapo distria büßte diesen Schwur, den er gehalten, mit dem Tode; sein Freund hat den Schwur auch gehalten, denn er vermachte 1849 seinem Vaterlande sein in der Kaiserlichen Bank von St. Petersburg hinterlegtes Vermögen, das er sich erworben hatte, unter der Bedingung, daß es bis zur hundertjährigen Wiederkehr des Tages, an dem er Kapodistria kennen gelernt hatte, d. i. bis zum 1. Januar 1906, in der Bank mit Zinseszinsen verbleibe, und dann zur Er richtung einer Universität in der Hauptstadt Griechenlands verwendet werde. Der Erblasser hatte sicher den guten Glauben, daß Athen dann nicht mehr die Hauptstadt Griechenlands sein werde, sondern die großgriechische Idee sich verwirklicht haben würde und Konstantinopel die Hauptstadt sei. Denn es gab im Jahre 1849 schon eine Universität Athen, und man konnte kaum annehmen, daß der Mann Athen habe mit einer zweiten Universität beglücken wollen. Die Sache hat aber noch einen andern Haken. Der Erblasser war russischer Untertan, wie so viele Griechen damals Untertanen anderer Staaten waren, und er schreibt in seinem Testament: „Da ich mich glücklich schätze, russischer Untertan zu sein, so gewähre ich der kaiserlichen und der griechischen Regierung gleiche Stimmen, um alles, was die Gründung der Universität, den Ankauf der Immobilien und die Errichtung des Gebäudes betrifft, sowie die gerechte uud schick liche Verwaltung der Einkünfte der neuen Uni versität und den praktischen Organismus zur nützlichen und ersprießlichen Erziehung der Jugend zu bestimmen." Dann sordert er, daß die neue Universität auf den Grundlagen der griechisch-orthodoxen Kirchen fußen solle. Diese Mitüberwackung macht der Presse schon heute schwere Bedenken, sie erblickt darin wiederum eine finanzielle Überwachung, und vielleicht hat der Erblasser darin eine gute Idee gehabt, denn auch bei der internationalen Finanzüberwachung stehen sich die Zweige der griechischen Ver waltung nicht schlecht, die ihr unterstehen. buntes Allerlei. Ein schwieriger Fall. Die Stadtver waltung von Pawtucket veranlaßte die Unter bringung John Bardens im Gefängnis zu Howard, weil er die Wahlsteuer von einem Dollar nicht bezahlte. Barden soll nach dem Gesetze eingesperrt bleiben, bis er den Dollar Wahlsteuer, sowie die entstandenen Kosten und drei Dollar pro Woche für seine Verpflegung im Gefängnis bezahlt. Nachdem er 23 Wochen gesessen, richtete Barden ein Gnadengesuch an Gouverneur Garvin von Rhode Island, dem er versicherte, keinen Cent zu besitzen, also un möglich zahlen zu können. Der Gouverneur vermag den Unglücklichen nicht zu begnadigen, weil derselbe überhaupt keines Verbrechens schuldig gesprochen ist. Wenn die im Januar zusammentretende Staatsgesetzgebung sich nicht Bardens erbarmt, kann dieser bis in alle Ewig keit weüerbrununcn. „Weißt du, ich habe den Eindruck, als müsse der Mann völlig schuldlos sein, und daß man aus irgend einem Grunde eine nichts würdige Kabale gegen ihn ins Werk gesetzt hat. Du erwähntest vorhin seine Kollegen; meinst du nicht, daß da vielleicht einer aus Neid und Mißgunst mit der Alten im Bunde — „Nein, nein, so etwas ist nicht denkbar. Ich kann dich im Gegenteil versichern, daß alle hiesigen Ärzte sich in der Sache sehr ehrenvoll verhalten haben und all' diesen Zeugen durch aus fernstehen." „Nun, dann ist die alte Ulrike — die ich schon hasse, ohne sie gesehen zu haben — das Triebrad! Vielleicht war dieses Weib neidisch und eifersüchtig auf die Gunst, die der Doktor bei ihrer Herrin genoß, und mißgönnte ihm das reiche Erbe." „Das kann ich mir auch kaum als wahr scheinlich denken, denn wie es heißt, soll die alte Kammerfrau nicht wenig dazu beigetragen haben, daß die Baronin Bardow sich wieder mit ihrem in der Ferne weilenden Neffen aus söhnte, welchem ja nun auch die Erbschaft zusällt." Der Baurat füllte die Gläser aufs neue, und Rosen das seinige zuschiebend, nötigte er diesen zu trinken. „Ich danke, lieber Millner. Es ist mir un- mögüch jetzt dem Weine zuznsprechen; deine Mitteilungen haben mich warm genug gemacht. Aber tue mir die Liebe an, die Lücken in deiner Erzäh'ung anszmüllen, welche du freigelassen hast. In der ganzen trüben Sache hast du Frau Falk, für welche ich tiefe Teilnahme em pfinde. nicht erwähnt. Wie verhielt sich denn die Beklagenswerte dem Trauerspiel gegen über ?" „Oswald, damit habe ich absichtlich zurück- gehalten, weil daS Benehmen der Frau Doktor, man könnte wirklich sagen: ein Trauerspiel sür sich allein ist," antwortete der Baurat, indem auch er von seinem Wein nur nippte und dann das volle Glas bedächtig auf den Tisch stellte. „Heute noch kann ich nicht sagen, auf welche Weise sie so umgehend von der Verhaftung ihres Mannes Kenntnis erhielt. Sie traf über raschend schnell aus dem entfernten Badeorte an der Nordsee mit ihren Kindem hier ein. War ihre Art früher schon kühl und zurück haltend gewesen, so war sie jetzt völlig ver schlossen und unzugänglich. In der letzten Zeit bekamen wir sie nicht einmal zu sehen, trotz unseres stets nachbarlich gehaltenen Einver nehmens. Sie ging immer nur am Abend aus und auch dann nur tief verschleiert, als dürfe sie nicht mehr der Welt, und diese ihr nicht mehr ins Gesicht sehen. Mit ihres Mannes Anwalt, unserm braven alten Justizrat Görner kam sie indessen täglich zusammen; sie empfing den alten Herrn auch jederzeit in ihrem Hause. Uns andern war sie völlig unnahbar, und hätte meine Frau es nicht verstanden, der seltsamen Dame wie durch Zufall gerade vor ihrer Tür einigemal zu begegnen, so wären auch wir für sie gar nicht mehr auf der Well gewesen. Marie jedoch gab es bald auf, ihren Weg zn kreuzen, da die Frau für Trost und Teilnahme ganz unempfänglich war, wie sie es heute noch ist. Aber was keiner geglaubt hatte, sie er schien zur Verhandlung im Gerichtssaal unter den Zuhörern, ganz in Schwarz gekleidet und ohne Schleier. Sie sah andachterfüllend schön aus, obgleich bleich wie Marmor. Die großen Augen nur schienen zu leben und waren be ständig nach einer Richtung hingewendet, nach der Tür, durch die der Angeklagte eintreten mußte. Ich hatte sie bemerkt, ehe die Verhand lung begann, und suchte in ihre Nähe zu gelangen; sie wurde meiner ebensowenig ge wahr, wie der Gegenwart anderer. Ich konnte sie unbemerkt beobachten. Als Falk herein geführt wurde, erbebte sie am ganzen Körper. Gleichzeitig flog aber auch ein stolzes Lächeln über ihre Züge, als er seinen Platz auf der Anklagebank mit jener Ruhe und Gelassenheit einnahm, die man an ihm gewohnt war, wenn er an das Bett eines Kranken trat, um dessen Leidensbeichte anzuhören. Und dann, als er die wenigen Worte seiner Verteidigung sprach, hing ihr dürstender Blick an seinen Zügen, als wolle sie ihre Seele in ihn versenken. Als mau die Zeugen aufrief, warf sie einen kurzen Blick auf diese; in dem Blick lag eine Welt voll Ab scheu, der sich in ihrem sonst so starren Gesichte malte. Ob Falk sie im Saale vermutete, oder wohl gar gesehen hatte, darüber kann ich nichts sagen. Ich denke mir aber, daß er minder ruhig ge wesen wäre, wenn er ihre Anwesenheit bemerkt hätte. Erst als daS Urteil über ihn gefällt wurde, schien ein tiefer Schmerz sein ganzes Nervensystem zn durchschauen!. Sa e (Fortsetzung folgt.)
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