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Allgemeiner Anzeiger : 21.02.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-02-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190302214
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19030221
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19030221
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1903
-
Monat
1903-02
- Tag 1903-02-21
-
Monat
1903-02
-
Jahr
1903
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 21.02.1903
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Denkmalsschändung aus einem Schlacht felde. Das am Waldessaum von Fröschweiler errichtete Denkmal des Posenschen Infanterie- Regiments Nr. 57 wurde von ruchlosen Burschen beschädigt. Von den vier Erinnerungs tafeln des Regiments blieb eine einzige un berührt» Die Täter konnten bisher nicht er mittelt werden. Schwarzer Diamant. In der Nähe von Haltern wurden an der Lippe neue große Kohlen funde gemacht. Mit Pfeil und Bogen hat in Bützow i. M. ein Knabe seinem kleineren Bruder ein Auge ausgeschossen. Der größere legte auf den jüngeren an, ließ die Sehne fahren und der Pfeil, ein Rohrhalm mit einer Spitze aus Hollunderholz, traf den Bruder ins Auge, daß es zerplatzte. Der Selbstmord eines 13jährigen Knaben, Schülers der Ober-Realschule, macht in Mülhausen von sich reden. Der Knabe lebte m guten Verhältnissen und wurde in der Schule und zu Hause gut behandelt, so daß ein Grund zum Selbstmord nicht ersichtlich war. Kame raden erzählten, daß er einen geringfügigen Streit mit einem Mitschüler gehabt und darauf gesagt habe: Entweder erschieße ich den oder mich. Ernst nahm diese Drohung niemand. Den Revolver hatte er sich erst von einem Mit schüler erhandelt. Ein schwerer Unglücksfall ereignete sich bei dem Abbruch eines Hauses zu Osnabrück. Die Decke stürzte ein und begrub vier Arbeiter unter den Trümmern. Ein Arbeiter, Familien vater, wurde getötet, ein anderer schwer ver letzt; die übrigen kamen mit leichten Verletzun gen davon. Die Untersuchung wurde sofort ein geleitet. Grauenvoller Selbstmord. Das 17 jährige Dienstmädchen Else Pilzer in Breslau hat einen schrecklichen Selbstmord begangen. Das Mäd chen übergoß seine Kleider mit Petroleum und stecke sie in Brand. Ehe Hilfe kam, war sie den Wunden erlegen und wurde verkohlt aufge sunden. Das Motiv der Tat ist unbekannt. Kirchenraub. In Zielenzig brachen dieser Tage Spitzbuben in die katholische Kirche ein und plünderten den Opfcrstock; die Entwendung Ler silbernen Geräte ist ihnen nicht gelungen, weil die Diebe gestört wurden. In der Forst von Tinkleningken (Ost preußen) wurden durch einen vom Sturm ent wurzelten Baum zwei Waldarbeiter erschlagen, zwei andere schwer verletzt. Ein erstes Frühlingszeichen kommt aus dem Reichslande. Am 14. d. früh segelten schon sechs Störche i. bedeutender Höhe über den Bienwald der nördlichen Heimat zu. Wald arbeiter überbringen die ersten Schneeglöckchen aus dem Walde, welche unter dem Namen „Hornungsblumen" allgemein bekannt sind. Ärmere Leute pflücken diese Blumen und bringen sie als die ersten Frühlingsblumen auf den Markt. Ei» wirklich „pietätvoller" Streit, der seinesgleichen suchen dürfte, spielt gegenwärtig an einem Zivilgericht in München. Vor einiger Zeit starb dort ein Privatier und hinterüeß seinen fünf Erben je 20 000 Mk. Der Ver storbene wurde, wie die dortigen ,N. Nachr.' Eteilen, auf dem Totenbette photographiert, Und auch eine Todesanzeige wurde in den Blättern aufgegeben. Nun streiten sich die pietätvollen Erben um Bezahlung der Kosten der Photographien und der Todesanzeige. Die Witwe will von den Jnsertionskosten deshalb nichts bezahlen, weil sie nicht unter den »trauernden Hinterbliebenen" aufgeführt worden sei. Die Kinder und übrigen Erben wollen an den Kosten für die Photographien mit 63 Mk. deshalb nichts bezahlen, weil sie diese nicht be stellt hätten. Der Streit um diese wenigen Mark zwischen den 20 000 Mk.-Erben zieht sich uun schon monatelang hin. Die unbequeme Kritik! Der Münchener Kunstverein, der begreiflicherweise nur lobende Kritiken vertragen kann, hat einen Ausweg ge sunden, um sich die unbequeme Kritik, die nicht alles blind anerkennt, vom Leibe zu halten. Er beschloß, solch renitenten Kritikern einfach den Besuch zu verbieten, und machte mit Eduard Engel von der Münchener Zeitung' den Anfang. Dies der neueste Münchener Kunstskandal. Die Zahl der Slawen berechnet der Statistiker Professor Niederle in Prag gegen wärtig auf 138 591300 und zwar 95 300 000 Russen und Ruthenen, 19125 000 Polen, 9 500 000 Tschechoslawen, 8 210 000 Serben und Kroaten, 4 850 000 Bulgaren, 1 450 000 Slo wenen und 156 800 Wenden. Erschossen. Der seit vier Jahren erblindete 22jährige bekannte Pianist Rudolf Schneiberg in Prag hat sich wegen unglücklicher Liebe er schossen. Ein neuer Arztestreik. Eine Ver sammlung der Hilfsärzte an den Wiener Kranken häusern beschloß am Mittwoch in den Ausstand zu treten, falls bis dahin die Forderungen der Aerzte nicht bewilligt wären. Eine sonderbare neue Erwerbung des Museums Caruavalet in Paris, welches haupt sächlich Erinnerungen an die Geschichte ber Stadt Paris sammelt, sind drei gläserne Augen Gambettas aus den Jahren 1875, 1876 und 1877. Der Künstler, der sie verfertigte und, wie es scheint, immer einen kleinen Vorrat zur Verfügung seines berühmten Klienten hielt, schenkte sie bem Museum mit einigen Auto graphen, die über die Echtheit keinen Zweifel zulassen. Eine ziemlich abgeschmackte „Re liquie" ! Grohe Fallissements in St. Louis. Sieben Firmen in St. Louis, welche sich mit Pferderennen beschäftigen, haben falliert. Wie verlautet, beträgt die Zahl der Opfer über 100 000, und die Gesamtverluste sollen sich auf 5 Millionen Dollar belaufen. Die Gesellschaft hielt zahlreiche Rennpferde, mit welchen sie spekulierte. Die Regierung hat eine Unter suchung dieser Angelegenheit angeordnet. GericktskaUe. Bamberg. Die hiesige Strafkammer verurteilte den Bürgermeister Jäck von Vierreth wegen Unter schlagung und Urkundenfälschung zu einem Monat Gefängnis. Jäck hatte einen ihm zur Auszahlung übergebenen Betrag behalten und die Unterschriften der Empfänger gefälscht. Königsberg. Wegen Beleidigung des Magistrats kollegiums wurde von der ersten Strafkammer des hiesigen Landgerichts der Chefredakteur der .Ost- preußischen Zeitung' zu 300 Mark Geldstrafe bezw. 30 Tagen Gefängnis verurteilt. Der Staatsanwalt hatte 500 Mark Geldstrafe bezw. 50 Tage Gefängnis beantragt. Straßburg i. E. Ein eigenartiger Fall von Erpressung hat die Strafkammer zu Straßburg i. E. beschäftigt. Derselbe betraf den ehemaligen Förster Rott aus Steinsalz. Rott hatte einen Hausfreund einst in ÜLArnnti ertappt, wie derselbe die Haus- freundbefugnisse in der kühnsten Weise überschritt. Rott zog es vor, seine Ehre nicht zu rächen, sondern ließ sich durch Geld zu dem Versprechen bewegen, keine Anzeige zu erstatten. Nach und nach steigerten sich diese Schweigegelder auf 14 OM Mark, bis schließlich der Hausfreund nicht mehr zahlen konnte. Der erpresserische Ehemann, der mit seiner Ehre in so schamloser Weise Wucher Meb, erhielt eine viel zu gelinde Strafe; er wurde zu 4 Monat Gefängnis und 5 Jahr Ehrverlust verurteilt. Vie Silberhochzeit der erbprinz- lichen Miningenschen Paares. Am 18. Februar d. begingen die erb- Prinzlichen Herrschaften von Meiningen das Fest ihrer silbernen Hochzeit. Als am 2. April 1877 die Kunde von der Verlobung der ältesten Tochter des Kronprinzenpaares, Prinzessin Charlotte von Preußen mit dem Erbprinzen Bernhard von Meiningen durch die Hauptstadt lief, konnte man in der Tat von einer Über raschung reden, denn die jugendliche Prinzessin war am Tage zuvor erst konfirmiert worden. Schon einmal hatte eine Charlotte von Preußen einem Erbprinzen von Meiningen die Hand zum Lebensbunde gereicht. Das war die Mutter des Bräutigams, eine Tochter des Prinzen Albrecht, die leider schon im Alter von 23 Jahren starb. Erbprinz Bernhard war den Berlinern schon eine bekannte Persönlichkeit. Er gehörte den Sardefüsilieren an und be wohnte eine bescheidene Garyonwohnung in der Chauffeestraße. Am 1. April hatte er seinen 26. Geburtstag gefeiert. Zu allen Zeiten hat der Berliner Freud und Leid in seinem Herrscher hause warm mitempfunden und so wurde auch dieses frohe Ereignis mit herzlichem Jubel be grüßt. Am 18. Februar 1878 feierte das Königl. Haus eine Doppelhochzeit. Die schöne Tochter des Prinzen Friedrich Karl, Prinzessin Elisabeth, reichte am selben Tage dem Erbgroßherzog von Oldenburg ihre Hand. Den beiden glücklichen Brautpaaren, denen tausend frohe Wünsche zum Altar folgten, blieb leider in ihrer Ehe der Herzenswunsch unerfüllt, einen Thronerben zu besitzen. Der Sohn des Erbgroßherzogs starb bald nach der Geburt, nur eine Tochter, Herzogin Sophie Charlotte von Oldenburg blieb das einzige Kind dieser Ehe. Die schöne Erb großherzogin starb leider in ihrem 36. Jahre. Aus der Ehe des Erbprinzen Bernhard mit seiner Gemahlin Charlotte lebt eine Tochter, die an den Prinzen Heinrich XXX. von Reuß ver mählt ist. Mn seltenes Glück war dieser Prin zessin beschieden, denn ihre Wiege umstanden in seltener Frische des Körpers und Geistes vier Urgroßmütter, deren Namen die Prinzessin Feodora trägt. Es waren von mütterlicher Seite: die Kaiserin Augusta, die Königin Vik toria von England; von väterlicher Seite: die Herzogin Marie von Meiningen und Prinzessin Marianne der Mederlande, die geschiedene Ge mahlin des Prinzen Albrecht. Wäre der Bund des Reußischen Prinzenpaares mit Kindern ge segnet, dann wäre die Königin von England Ururgroßmutter geworden. Prinzessin Feodora war die älteste Urenkelin der Königin, die bei ihrem Tode 36 Urenkel zählte. Vas Vorspiel äes grossen Vumbert-Pro?e sses. Der Verleumdungs-Prozeß des Bankiers Caüani gegen Frederic und Therese Humbert und Marie Daurignac hat begonnen. Beim Eintritt der Angeklagten entsteht lebhafte Be wegung. Frederic Humbert umarmt vor den Geschworenen Therese Humbert in zärtlicher Weise. Therese erklärt pathetisch, daß Cattani die Ursache ihres Unglückes sei; sie führt zahl reiche Fälle an, in denen sie arg bewuchert wurde und beteuert, daß sie selbst rechtschaffen sei und von der Zukunft nichts zu befürchten habe. Hierauf gibt Frederic Humbert an, daß er sich der Erklärung der Therese Humbert an schließe und sagt, daß er für alles, was ge schehen sei, die Verantwortung übernehme. Er greift Cattani und dessen Schwiegersohn heftig an, bringt gegen verschiedene politische Persönlich keiten Beschuldigungen vor und sucht das Ver halten des früheren Advokaten und jetzigen Ministers Valle als ein strafbares hinzustellen. Der Vorsitzende unterbricht ihn in sehr ener gischer Weise. Therese Humbert ruft ihm nun zu: „Laß' das, mein Freund, für den Hauptprozeß. Dawerden wirnoch viele andere interessante Sachen erzählen." (Gelächter.) Frederic Humbert teilt noch mit, daß der Aufenthalt der Humberts in Madrid niemals ein Geheimnis war. Derselbe sei an sehr hoher Stelle bekannt gewesen. Der Vorsitzende unterbricht Frederic Humbert noch mals/ welcher sich nun niedersetzt. Der als erster Zeuge vernommene Kommissar im Konkurse der Humberts, Linol, gibt technische Details über die Operation der Humberts und erklärt, baß er sich mit der Angelegenheit Cattani nicht zu be schäftigen hatte. Hierauf wurde das Verhör unter brochen. Nach Wiederaufnahme desselben er klärt der Experte Verrecaue, der die Buch führung Cattanis einer Prüfung unterzogen hatte, daß er zwischen den den Humberts ge liehenen Summen und den in den Büchern ein getragenen Summen einen 63 prozenligen Unter schied festgestellt habe. Hierüber entspinnt sich zwischen dem Vertreter des Cattani und dem jenigen der Humberts eine Debatte. Therese Humbert erklärt noch, daß sie sich Vorbehalte, am Tage des Hauptprozesses ausführliche Auf klärungen zu erteilen, und fügt hinzu: „Ich werde bis dahin zu warten wissen, aber ich kann es kaum erwarten, zu sprechen, ich ersticke." (Heiterkeit.) Untersuchungsrichter Leydet weigert sich «uszusagen, indem er sich auf das Amtsgeheimnis beruft. Rommn Daurignac wiederholt dieselben Beschuldigungen gegen Cattani und behauptet, daß dieser die Buch führung inBeschlag nehmen ließ. Als erdie auf die Abreise der Humberts bezüglichen ZwischenfäLe erzählen will, ruft Therese Humbert: „Sage heute nichts, wir werden morgen sprechen, ich werde Photographien mitbringen. Denn gegen Caüani muß man gewappnet sein". Die Aus sagen des Emile Daurignac entbehren des Interesses. Retlinger, der Schwieger sohn Cattanis, gibt an, Therese Humbert habe von Cattani zwei Millionen ver langt, um die grichtliche Verfolgung hintertreiben zu können, die, wie sie sagte, gegen ihn ein geleitet worden war. Sie habe versichert, der Richter werde sich mit weniger nicht zufrieden geben. Romain Daurignac bestreitet, daß sich die Sache so verhalten hahe. Cattani selbst habe Therese Humbert gebeten, ihn zu retten. Ueber diesen Punkt entspinnt sich eine längere, ver worrene Diskussion. Retlinger spielt ans den Plan der Humberts an, Eva Humbert mit einer politischen Persönlichkeit zu verheiraten; Therese Humbert verbietet ihm, den Namen ihrer Tochter hier auszusprechen. Ein Angestellter Cattanis gibt eine sehr unklare Darstellung der Unter handlungen, die er mit Therese Humbert führte, um ihr einen Vergleich von feiten Cattanis anzubieten. Er behauptet, ohne Auftrag ge handelt zu haben; von Romain Daurignac durch Kreuz- und Querfragen in die Enge getrieben, verweigert er jedoch jede weitere Antwort. Nach dieser Vernehmung wird die Sitzung ohne Zwischenfall geschlossen; die Verhandlung sollte Montag fortgesetzt werden. „Sie ist verblüffend!" Die Schriftstellerin Gyp war es, welche dies im Saale zuerst ausrief. Ein großer Teil des Auditoriums, welches Theresens ersten Be merkungen ironische Zumfe gewidmet, wieder hotte am Sitzungsschluß das Bewunderungs wort der Gyp. Die Haft hat auf Theresens Gesundheit wohltätigen Einfluß geübt, ihr Teint war bei der Ankunft aus Madrid fahl, jetzt ist er rosig, man glaubt ihr die ungefähr 40 Jahre, welche sie eingestand. Ihr Organ ist überhell, sie kreischt im Affekt. Ihre Gebärden sind allzu reich. Einmal streifte sie recht bedenklich den Scheitel ihres Nachbars Frederic Humbert, und zwar als sie Cattani zurief: „Der Experte wies Ihnen nach, daß sie 63 Prozent genommen haben. Ich kann beweisen, daß Sie fünfhundert Prozent verlangten. Sie sind unter allen Wucherern meiner Bekanntschaft der schlimmste." Der Präsident unterbricht die Angeklagte mit folgenden Worten: „Aber Sie, eine hundert fache Millionärin, wozu brauchten Sie so teures Geld?" Therese verlor nicht die Fassung und erwiderte: „Weil man mir Geld an den Kopf und Schmuck an den Hals warf. Ich weiß, daß ich nicht fehlerlos bin, aber die Welt soll erfahren, wer das Unglück mitverschuldete. Sie möchten schon heute Namen wissen I Nein, ich ersticke fast und möchte lieber heute als morgen alles hinausschreien. Aber ich warte auf die großen Tage der allgemeinen Abrechnung. Nein, ich nenne hier keine neuen Namen, denn daß Cattanis Anwalt, der jetzt Justizminister ist Valls heißt, ist keine Neuigkeit. Aber ich ver lange, daß Sie, Herr Präsident, auch den Zeugen des Herrn Cattani verbieten, gewisse Namen zu nennen. Man versuchte beispiels weise, eine Persönlichkeit in die Debatte zu ziehen, welche sich um meine Tochter bewarb. Ich will nicht, daß von meinem Kinde hier gesprochen werde . . ." Dies alles und noch mehr wurde förmlich hervorgesprudelt. Jener sog. Zungenfehler, das lispelnde Z., mit dem Therese in ihrer Glanzzeit sich interessant zu machen versuchte, ist verschwunden. SuMes Allerlei. Ein neues deutsches Wort ist im ,Amts blatte des Reichspostamtes' zu lesen: das schöne Wort „Funkspruch" für „drahtlose Telegraphie". Ob „Funkspruch", wenn es auch einen sprachen reinigeirden Zweck erfüllt, zugleich sprachschöu ist, mag dahingestellt bleiben. sehr verändert, es schien, als habe die weiße Stirn erst jetzt das Denken gelernt. »Wie gut," sagte sie leise, „daß ich Sie Sestern gleich getroffen habe und daß Sie sich bereitwillig meiner annahmen, Herr Winkler I Meinen Mann sollten Sie sehen, er ist ungenieß- Ei Und wie er ausfieht! Ich glaube, er hat schreckliche Sorgen!" „Die Sie doch eigentlich mit ihm teilen müßten!" sagte Hans, im Anschluß an die Unterredung mit seinem Bruder unwillkürlich in einen strengeren Ton verfallend. „Das würde ich gern thun," bemerkt Anni kleinlaut, „aber da komme ich schlecht an bei meinem Manne. In diesen Dingen versteht er keinen Spaß — von seinen geschäftlichen Angelegenheiten erfahre ich nichts, und jede vertrauliche Andeutung oder Frage wird schroff zurückgewiesen." „Dann freilich ist ihm nicht zu helfen! Vielleicht täuschen Sie sich auch, Verluste hat jeder einmal zu tragen, und Ihr Gatte besitzt ja ein kolossales Vermögen." Sie schwieg bedrückt. „Wollen wir nun noch einmal Ihre Gruppe ansehen?" fragte sie nach einer Welle, „solch ein herrliches Kunstwerk! Und wie stolz ich darauf bin, daß Sie Mick in demselben verkörpert haben." Lange standen sie vor der lebensvollen Grupp-, deren Hauptfigur die Anni von einst Kigte, das übermütige, verzogene, eigenwillige Kind. Ein Seufzer trennte die Lippen der Men Frau. „Wie glücklich war ich damals!" flüsterte fie. „Es ist doch besser, zu wenig zu rmvKnde« als zu Piel." „Der Schmerz adelt uns," erwiderte der Künstler ernst, „erst wenn wir einen großen Schmerz erfahren, find wir fähig, Bedeutendes zu leisten. Sie stehen dem Schicksal jetzt ge wissermaßen gewappnet gegenüber, und was auch über Sie Hereinbrechen mag, es kann Sie nicht bis zur Verzweiflung daniederbeugen." „Was könnte mir so Schweres begegnen, daß ich einer so ungewöhnlichen Kraft bedürfte, um im Gleichgewicht zu bleiben?" fragte fie ängstlich. „Man sagt: wie gewonnen, so zerronnen! Es wäre möglich, daß Klarins eines Tages von vorn ansangen müßte." „Den Reichtum könnte ich entbehren, ich habe einsehen müssen, daß er zu unserem Glück wenig oder nichts beitragen kann." Sie seuzte. „Es gibt Schlimmeres. Zum Beispiel würde ich es nie lernen, allein mit dem Leben fertig zu werden. Zu jenen praktischen Frauen, welche voll Energie irgend einen Beruf er wählen, gehöre ich nicht. Ohne jene Stütze würde ich untergehen, außer stände, für mich selbst zu sorgen." Er erkannte recht wohl, daß fie sich mit dieser Erklärung ein rechtes Armutszeugnis gab, und doch brachte er es nicht fertig, ihr zu zürnen. „In diese Lage werden Sie ja auch nie kommen," sagte er lächelnd, „denn Klarius ist ein tüchtiger Kaufmann und als solcher gesucht! Freilich ist es ei« Unterschied, im Monat drei tausend Mark zu verausgaben oder gezwungen zu jein, daS ganze Jahr damit zu reichen!" Wisse« Sie," erwiderte fie mit einer Naivetät, die fie so reizend kleidete, „die luxu riöse, herrschaftliche Wohnung ödet mich seit langem furchtbar an! Ja, es kommt vor, daß ich alle Räume bis auf drei tagelang abschließe, um in der Täuschung zu sein, als verfüge ich nur über zwei bis drei Zimmer. Und ebenso ergeh! es mir mit den Toiletten. Ich mache mir aus der ganzen Garderobenherrlichkeit nicht mehr viel. Es war damals rein kindisch von mir, mich nach all dem Prunk und Glanz zu sehnen, heute denke ich über all diese Dinge ganz, ganz anders —" „So lange Sie noch in Seide daher rauschen und jeden Wunsch im voraus erfüllt wissen —" Sie erschrak wieder vor seinem spottenden, ungläubigen Ton. „Vielleicht wird mir doch noch einmal Gelegenheit, Sie von der Umkehr meiner Anfichten und Empfindungen zu über zeugen," sagte fie leise. Dann standen fie ganz unvermutet Lisa gegenüber, welche oft in den Vormittagsstunden die Gemäldeausstellung besuchte. Die beiden jungen Frauen hatten sich fett ihrer Verheiratung nicht gesehen. Nun blickten fie einander prüfend in die Augen. Mit beiden war in diesen vier Jahren eine bemerkenswerte Veränderung vorgegangen. Wer fie nebeneinander sah, hätte Lisa für eine Fürstin und Anni für deren Modistin halten können. Die einfache Eleganz der Baronin stach gar zu vorteilhaft von der hochmodernen Toilette Annis ab, die recht gewagte Farbcnzusammen- stellungen auswies. Trotzdem fand Lisa den „Schmetterling" zu seinem Vorteil verändert, und sie zögerte nicht, in liebenswürdiger Weise ihrer Freude über diese Begegnung Ausdruck zu geben. „Unser Künstler hat dein Gesicht damals in prophetischem Sinne aufgesaßt," sagte fie nach der ersten Begrüßung, „du wirst der Idealfigur zum „Jugendtraum" erst jetzt ähn lich! Eine solche Umwandlung hätte ich, auf richtig gesagt, gar nicht für möglich gehalten, liebe Anni." Diese errötete vor Freude. Aber doch zog schon wieder etwas wie Ungeduld über ihr leb haftes Gesichtchen. „Wenn nur nicht jede Besserung und Ver tiefung in uns so teuer erkauft werden müßtet seufzte fie, „ich wollte, es wäre mir alles, was ich während der letzten Jahre gelitten habe, erspart und ich selbst oberflächlich und über mütig geblieben!" „Wenn dieser Wunsch noch vorherrschend ist," entgegnete lächelnd die Baronin, „so werden die erduldeten Leiden nicht allzuschwer gewesen sein." „Ich fürchte das Alleinsein mit mir!" sagte Anni, es zog wie dunkle Schatten über ihr junges Gesicht. Die Baronin erschrak. In impulsivem Ver ständnis legte fie wie schützend ihren Arm um Annis zierliche Taille. „Das darfst du rächt, Kind, Las ist — Las Schlimmste —! Dann komme nur ost, recht oft zu mir, solange ihr in Rom seid, und wenn du dich einmal aus sprechen möchtest — bei mir findest du auf richtige Teilnahme!" Tr«« (Forts-gunz folgt.)
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