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Allgemeiner Anzeiger : 07.02.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-02-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190302072
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- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19030207
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19030207
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1903
-
Monat
1903-02
- Tag 1903-02-07
-
Monat
1903-02
-
Jahr
1903
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 07.02.1903
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Politische Rundschau. Die Exekution gegen Venezuela. * Castro macht allerlei Winkelzüge, um die Erledigung der Streitfrage hinzuhallen. Er fordert jetzt, daß die Forderungen aller Mächte gleich behandelt werden sollen, während natürlich Deutschland, England und Italien für sich ein Vorzugsrecht bean spruchen. Sie haben ja auch sozusagen „zuerst die Siegel angelegt." Leider stellt sichFrank - reich auf den gleichen Standpunkt wie Castro, wodurch die Verhandlungen sehr erschwert werden. Deutschland. *Der Kaiser hat, dem Reichstage eine neue große Marinetafel zugehen lassen, die eine Gegenüberstellung der für den Front dienst geeigneten Panzerdeckkreuzer, Panzer kreuzer und Linienschiffe der englischen und der deutschen Marine bringt. Der Arbeit ist der SchWbestand am 1. November 1902 zugrunde gelegi. *Der .Reichsanzeiger' veröffentlicht eine Danksagung des Kaisers für die ihm zum Geburtstage dargebrachten Glückwünsche. Es heißt darin: „Ich habe aus diesen Kundgebungen mit Be friedigung ersehen, mit welcher freudigen Teilnahme meiner von allen patriotisch fühlenden Deutschen im In» und Auslande gedacht worden ist. Die Aeußemngen der Liebe und des Vertrauens, welchen ich auch auf meinen Reisen im vergangenen Jahre in allen von mir berührten Städten und Ort schaften des Reiches in fo reichem Maße begegnet bin, und das Bewußtsein, daß neben der lauten Festesfreude manch treue Fürbitte für mich auS frommen Herzen in Palast und Hütte zu Gott dem Herrn emporgesandt worden ist, haben mich an meinem Geburtstage wahrhaft beglückt." *Die Gerüchte über einen Verzicht des Kronprinzen von Sachsen auf die Thronfolge und auf sein militärisches Kom mando entbehren auch nach dem.Leipz. Tagebl.' jeder Begründung. *Ueber den Termin der Neuwahlen zum Reichstag ist, wie offiziös mitgeteilt wird, eine Entscheidung noch nicht getroffen. „Vorläufig kann nur soviel als sicher gelten, daß die Wahlen nicht, wie eine Zeitlang er wogen wurde, im Herbst stattfinden werden. Wahrscheinlich wird man wieder, wie vor fünf Jahren, einen Tag im Juni festsetzsn. Spätestens in der ersten Maiwoche dürfte dann der gegenwärtige Reichstag geschloffen werden." Frankreich. *Der Kriegsminister Andrö verfügte die Zurückversetzung von 60 Schülern der Polytechnischen Schule zu ihren Regi mentern, weil sie die Erledigung einer schriftlichen Arbeit verweigerten. England. * König Eduard ist an einer Erkältung, die mit Fiebererscheinungen verbunden ist, er krankt. Schweden-Norwegen. * Der norwegische Storthing bewilligte 45 000 Kronen für die Maßnahmen zur Be kämpfung der Arbeitslosigkeit. Balkanstaate». * Der Sultan kommt den Wünschen Rußlands in der promptesten Weise nach. Der russische Botschafter Halle die Aufmerksam keit des Sultans auf die christenfeindliche Hal tung des Gouverneurs von Ipek ge- lentt, der u. a. mit Gewalt im Christenviertel die Errichtung eines MlitSrspitals durchgesetzt hat. Der Sultan hat den Gouverneur ab- gesetzt. Und zugleich wird gemeldet: Das letzte der vier russischen Kriegsschiffe, welche die Erlaubnis erhalten halten, die Meerengen zu passieren, hat unter der Handelsflagge die Durchfahrt vollzogen. Amerika. * Präsident Roosevelt wird aller Wahr scheinlichkeit nach in der Neger-Frage doch nachgeben müssen und zunächst die in den Südstaaten mit so viel Erbitterung aufge nommene Ernennung des schwarzen Dr. Crum als Zollinspektor für den Hafen von Charleston zurückziehen. Es verlautet nämlich, daß fast sämtliche Senatoren der Südstaaten unter der Hand bei ihren Kollegen aus den Nordstaaten so energisch agitiert haben, daß es ihnen ge lungen ist, sich in dem Senats-Ausschuß für Handel und Gewerbe eine große Mehrheit gegen die erwähnte Ernennung zu sichern. *Jn Washington wurde eine Schiffs werft eingewriht, auf welcher Tag und Nacht gearbeitet werden soll, indem die An gestellten in drei Schichten arbeiten. Man will die Beendigung des Baues derjenigen Schiffe energisch betreiben, an denen schon länger als zwei Jahre gebaut wird. Die Behörden be absichtigen, auch auf anderen Werften Tag und und Nacht arbeiten zu lassen, falls hinreichende Arbeitskräfte vorhanden find. Ktaatsminifter Dr. v. Delbrück ch. *Argentinien und Chile haben durch ihre Gesandten vorgeschlagen, die Vereinigten Staaten sollten die für Argentinien und Chile in Europa im Bau befindlichen Kriegs schiffe ankaufen. Afrika. * Aus Marokko wird mehrseitig bestätigt, daß der Prätendent Bu Hamara eine gänzliche Niederlage erlitten hat: die Meldungen gehen nur darüber auseinander, ob er gefallen, gefangen oder ge flohen sei. * Verschiedene Buren unter Maritz be reisen Madagaskar, um Land für eine Burenniederlassu n gauszusuchen. Falls es ihnen gelingt, noch eine weitere Anzahl Landgenoffen zur Ueberfiedelung nach Mada gaskar zu bewegen, so wollen sie sich in der Nähe Les Sees Jkaffy niederlassen. Der Süden der Insel wurde seines Bodens und Klimas halber als wenig geeignet für An siedelungen erachtet. Aste». * Der Maharadscha von Schivafi - Rab (Indien) hat auf seine Würden und Titel zugunsten seines 12 jährigen Sohnes verzichtet. Die englische Regierung hat diese Thronent sagung angenommen und den Sohn als Maharadscha anerkannt. Es ist dies das erste Mal, daß ein indischer F-ürst abge- dankt hat. Deutscher Reichstag. Am 3. d. widmet Vize-Präsident Graf Stol berg dem verstorbenen Minister Dr. v. Delbrück einen warmen Nachruf. Darauf tritt das HauS in die zweite Beratung des Etats. Sie beginnt mit dem Etat des Reichstags. Abg. Pachnicke (sr. Vgg.) erwähnt die Not wendigkeit, die Geschäftsordnung des Reichstags zu revidieren und gewisse Bestimmungen authentisch zu interpretieren. Ferner beschwert er sich darüber, daß auf einzelnen Bahnen Vie Unterbeamten nicht ge nügend orientiert sind, daß die Freikarten der Ab geordneten zur Fahrt in der ersten Klasse berechtigen. Er bittet, die Verwaltungen mögen das Personal über die bestehenden Bestimmungen instruieren. Abg. Singer (soz.) fürchtet, daß bei einer Revision der Geschäftsordnung durch diesen Reichs tag nur eine Verschlechterung herauskommcn werde. Redner tritt dafür ein, daß den Abgeordneten wieder freie Fahrt auf allen Bahnen gewährt werde. Auch sür eine Besserstellung der Hilssbeamten des Reichs tags tritt Redner ein und bringt dann die im Dezember vom Grasen v. Ballestrem erlassene Ver fügung über den Zutritt des Publikums zum Reichstag zur Sprache. Dadurch würden die Abgeordneten sörm» lich vom Verkehr abgeschlossen. Der Abgeordnete könne nicht immer im voraus wissen, wer ihn sprechen wolle, und daher nicht immer im voraus eine Legitimation ausstellen. Es müsse durchaus in das Belieben des Abgeordneten gestellt werden, wen er im Reichstage empfangen wolle. Die Verfügung sei eine Folge der Vorgänge im Dezember. Es empfehle sich, dieselbe zurückzunehmen oder abzu ändern. Abg. Bachem (Zentr.) erwidert, daß die Ver fügung des Präsidenten vom 7. Dezember 1902 unter den damaligen Verhältnissen eine Notwendig keit gewesen sei. Damals habe infolge der herrschenden Sensationslust ein solcher Andrang des Publikums zu den Tribünen stattgefunden, daß tat sächlich die Bewegungsfreiheit der Abgeordneten darunter gelitten habe. Sollten sich daraus für ruhigere Zeiten Mißstände ergeben haben, so zweifle er nicht, daß der Präsident zu deren Beseitigung die Hand bieten werde. Der Anregung des Abg. Singer bezüglich der Besserstellung der Hilfsbeamten des Reichstags könne er zustimmen. An der Debatte beteiligen sich noch die Abgg. Singer (soz.), v. Liebermann (Antis.), Müller-Sagan (fr. Lp.), der eine Besserstellung der Stenographen Wünscht, Ledebour (soz.), Pachnickc (fr. Vgg.) und Spahn (Ztr.), der noch auf die Anstellungs verhältnisfe der Unterbeamten eingeht, womit diese Debatte schließt. Ohne weitere erhebliche Erörterungen wird der Etat des Reichstages genehmigt. — Es folgt der Etat des Reichskanzlers und der Reichs kanzlei. Hierzu liegt eine Resolution Barth und Müller-Sagan vor, in welcher um Vorlegung eines Gesetzentwurfes betr. Neueinteilung der Reichstags- Wahlkreise unter Berücksichtigung der seit Gründung des Reiches erfolgten Verschiebung der Bevölkerung ersucht wird. Abg. Spahn (Ztr.) drückt zunächst sein Ein- verstängnis mit der Absicht der Regierung aus, die Geheimwahl in der angekündigten Weise sicher zu stellen, und richtet an die Regierung die Frage, wie es mit den Diäten für die Reichstagsabgeordneten und der Aufhebung des Jesuitengesetzes stände. Reichskanzler Graf Bülow erwidert bezüglich des ersten Punktes, er persönlich verschließe sich nicht den Zweckmäßigkeitsgründen, die für die Ge währung von Anwesenheitsgeldern an die Mitglieder des Reichstages geltend gemacht werden, messe ihnen vielmehr erheblichen Wert bei, obwohl nach Erfahrungen in anderen Parlamenten der von der Maßregel erwartete Erfolg einer stärkeren Be teiligung an den Sitzungen nicht ganz sicher er scheine. Nach der bet Feststellung der Verfassung ausgesprochenen Absicht sei jedoch die Diätenlofigkeit ein Korrelat des allgemeinen gleichen Wahlrechts, und er müsse den Standpunkt vertreten: keine Diäten ohne Aenderung des Wahlrechts, sei es durch eine Altersgrenze für das aktive Wahlrecht, durch Einführung der Wahlpflicht oder in anderer Richtung, Vorschläge, die auf eine Mehrheit im Reichstage kaum zu rechnen haben würden. Eine Aenderung der Verfassung dürfe an sich nur infolge zwingender Umstände vorgenommen werden. Aus diesen Gründen sei er heute noch nicht in der Lage, die Zustimmung des Bundesrats zur Gewährung von Anwesenheitsgeldern aussprechen zu können. Die vollständige Aufhebung des Jesuitengesetzes dürfte wegen der Fortdauer der Gründe, die zum Erlasse des Gesetzes geführt haben, die Zustimmung der ver bündeten Regierungen nicht finden. Dagegen sei anzuerkenncn, baß die konfessionellen Verhältnisse es nicht mehr notwendig erscheinen lassen, die von dem Gesetze betroffenen Niederlassungen unter die Aus nahmebestimmung des § 2 des Jesuitengesetzes zu stellen, vielmehr glaube er, daß die allgemeinen Reichs- und Staatsgesetze genügen werden, den konfessionellen Frieden zu sichern. Abg. Spahn (Zentr.) spricht namens des katholischen Volkes seinen Dank für die Erklärung des Kanzlers hinsichtlich Aufhebung des 8 2 des Jesuitengesetzes aus. Abg. Bassermann (nat.-lib.) gibt seiner Genugtuung Ausdruck über die Sicherung der Ge heimwahl und plädiert sodann sür Gewährung der Diäten. Nach den Worten des Reichskanzlers glaube er hoffen zu dürfen, daß die Regierungen in nicht zu ferner Zett auch auf diesen Wunsch des Reichs tages eingehen würden. Redner erklärt sich schließ lich noch namens seiner Freunde gegen den Antrag Barth-Müller-Sagan. Abg. Fürst Bismarck (kons.) bekämpft das Verlangen nach Diäten. Die Majorität der ver- f bündeten Regierungen lege mit großem Rechte Wert auf Aufrechterhaltung des bestehenden Zu standes. Seinerzeit sei die Diätenlofigkeit al» Korrelat des allgemeinen gleichen Wahlrechts be schlossen worden. Der erste Reichskanzler habe da mals gemeint, man müsse mit dem Wahlrecht erst beruhigende Erfahrungen abwarten. Sind nun die bisherigen Erfahrungen beruhigend? Nein, denn der Reichstag sei radikalisiert worden durch das ständige Anwachsen der Sozialdemokratie. Und diese Radikalisierung würde durch Diäten noch ge fördert werden. Abg. v. Vollmar (soz.) erwidert, daß die Vermehrung der sozialdemokratischen Mandate ganz unabängig von der Diätenfraae sei. Abg. Barth (fr. Vgg.) hält die völlige Auf hebung des Jesuitengesetzes für das richtigste. Ferner geht er auf die Zollpolitik des Reichskanzlers ein; mit einem solchen Zolltarif werde es dem Reichs kanzler schwer werden, gute Handelsverträge abzu schließen. Abg. Richter (fr. Vp.) betont dem Abg. Fürst Bismarck gegenüber, die Diätenfrage habe aufgehört, eine politische Frage zu sein. Nachdem noch kurz Abg. Hasse (nat.-lib.) das Wort genommen, vertagt sich das Haus. Vr-utzisch-r zandtag. Im Abgeordnetenhaus brachte am Dienstag be der Beratung des Etat« der indirekten Steuern Finanzminister Frh. v. Rheinbaben den Fall Löhning zur Sprache. DaS Vorgehen der Behörde gegen Löhning sei nur durch dessen politisches Verhalten veranlaßt worden. ES sei erwiesen, daß er den Maßnahmen der Regierung entgcgengewirkt habe. Er habe nicht nur geduldet und befürwortet, daß sein« Subaliernbeamten bei den Kommunalwahlen in Posen ihre Stimme zugunsten der Polen abgaben, er habe auch wiederholt mit seinen Untergebenen die Maßnahmen der Regierung einer abfälligen Kritik unterzogen und sich nicht gescheut, öffentlich seine gegensätzliche Stellung zur Ostmarkenpolitik zu betonen. Solche Beamte müssen entfernt werden. Die Verlobung sei keineswegs der Grund zum Ein schreiten gewesen. Die Ausführungen des Ministers riesen zwar den Protest des Abg. Kindler (srs. Vp.). der sich über den in Posen herrschenden „Kastengeist" verbreitete, Wie des Abg. Schröder (Pole) hervor, wurden aber von den übrigen Rednern: Abg. Graf zu Limburg-Stirum (kons.), v. Zedlitz (freikons.) und Sattler (nat.-lib.) vollinhaltlich gebilligt. Uan Uah »nd Fer». Brandkatastrophe. In der Michaelkirch- siraße 23 zu Berlin, ehemaliges Grundstück der Berliner Brotfabrik, ist am Dienstag ein vier stöckiges Fabrikgebäude vollständig niederge brannt. Ein Arbeiter verbrannte, sechs Personen wurden schwer und zwölf leicht verletzt. Lie Sechshnndertjahrfeirr der Ver leihung der Stadtrechte an Hanau wurde dort Sonntag vormittag durch Gottesdienste einge leitet: am Abend sanden Festkommerse statt. Am Montag wurden Feiern in den Schulen und der königlichen Zeichen-Akademie adgehalten; abends wurde ein Fackeizug veranstaltet. Selbstmord oder Verbrechen? Der die Universität zu Kiel besuchende Sohu des Di rektors der Marineschule, Kapitäns zur See Ehrlich ist im Düsternbrooker Gehölz erschossen aufgesunden. Lurch eine Dynamit - Explosion wurde auf der Zeche „Ewald" bei Essen (Ruhr) ein Bergmann getötet und ein anderer tödlich verletzt. Die Liebe! Ein Schloffergeselle in Hanau hat am 31. v. vormittags die Frau des Former meisters Boraft durch Dolchstiche schwer verletzt. Er wollte die 16 jährige Tochter sprechen, die er in letzter Zeit wiederholt mit Liebesanträgen bedrängt hatte, aber abgewiesen worden war. Der Attentäter wurde verhaftet; da er sich mit dem Dolchmeffer selbst erheblich verletzt hat, so mutzte er ins Landkrankenhaus überführt werden. Sich selbst bestohlen. In der Zeit kurz vor Weihnachten wurde ein bedeutender Ein bruchsdiebstahl im Geschäft des Goldschmieds Hennies in Hildesheim ausgeführt. Die au gestellten Nachforschungen nach den Dieben waren trotz angekündigter Belohnung bisher ohne Erfolg. Jetzt scheint man eine Spur des Täters gefunden zu haben und zwar, wie der ,Hild. Kur.' mitteilt, in der Person des — Ge schäftsinhabers selbst. H. wurde verhaftet. K Uruggow. 36 ? Roman von Anna Seyffert-Klinger. ctz-rnerimg.: Der See ist sehr breit an dieser Stelle und daS Boot wett über die Mitte hinaus. Drüben befinden sich dunkle Waldungen, die selten be treten werden, die Tannen werfen ihre kühlen Schatten weit in das Wasser hinaus. Anni sieht und hört nichts mehr, wie das Murmeln und Glucksen unter dem Boot, ein Schwindel hat sie ergriffen, eine große Mattig- leit nimmt fie gefangen. Jetzt ist das Boot aus dem Sonnenglanz heraus, kühl d^rch- schauert es die finge Frau, ein jähes Er schrecken läßt fie auffahren. Kaum weiß fie noch, was geschehen, wo fie sich befindet, mit einer hastigen Bewegung wendet fie sich um, stützt unwillkürlich beide Hände auf den Rand des Bootes — da ist es auch schon geschehen, das kleine Fahrzeug um- gesch agc-n, kieloben treibt es weiter, auf der stahlblauen Flut aber bläht sich ein weißes, seidig schimmerndes Gewand. Ein vielstimmiger Aufschrei vom Ufer ertönt, mit verdoppelten Kräften arbeiten sich die ge übten Ruderer heran, sic haben Hans, welcher mit einem Schifferknecht zusammen sich gleich falls scharf in die Riemen legte, längst überholt. Drüben in den Binsen jedoch saß ein ein samer Angler. Er hatte den ganzen Vorgang beobachtet, bedächtig seine Rute eingezogen und war, von der linken Seite her kommend, direkt aut das ziellos treibende Boot losgesteuert, während Anni nach der andern Richtung schaute. Der Mann, ein derber Handwerker aus dcm Mittelstände, wurde der Retter der jungen Frau. Das Wasser hatte ihr so ort das Bewußt sein geraubt. Die leichten Kleider jedoch hielten fie gleich Flügeln über den Wellen. Es waren noch keine zwei M nuten vergangen, als fie schon geborgen in dem fremtzen Boote lag. Für den starken Mann war cs ein Leichtes ge wesen, die schlanke, zierliche Gestalt über Bord zu heben. Er trocknete ihr Gesicht, rieb die Stirn, die Handflächen, und als er dann merkte, daß fie leise zu atmen begann, ruderte er mit aller Kraft den anderen entgegen und brachte fie auch, mit Eiwilligung der Herren, von denen einige hier mit eingestiegen waren, an das Land zurück. Hans hielt das blonde Köpfchen, in dessen Locken noch die Seerosen lagen, in seinem Arm, die Augen waren gesch offen und aus Lem ge lösten Haar rann in klaren Tropfen das Wasser, die Herren hatten die Röcke ausgezogen und diese dicht über die nassen Kleider gelegt. Inzwischen hatte man am Ufer einen des Weges kommenden Wagen angehalten, auf dem selben ein Lager improvisiert und in begreif licher Unruhe die Retter und die unglückliche Frau erwartet. Sie wurde, noch immer bewußtlos, nach einem nahe gelegenen Restaurant gefahren, wo Käthe mit Hilfe der Wirtin fie der nassen Kleider entledigte und fie tüchtig abrieb. Die Gesellschaft war unterdes, einer nach dem andern, nur nach dem Festplatze zurück- geteyrt, um auf Anregung Winklers und Dr. Siemanns noch einen Imbiß zu sich zu nehmen. Es geschah in bedrücktester Stimmung. Die Spötter von vorhin waren sehr stille geworden. Es lag doch zu klar auf der Hand, daß die junge Frau den festen Entschluß gefaßt hatte, zu sterben, diese Erkenntnis wirkte um so er schütternder, da die Unglückliche noch im Lenze ihres Daseins stand — zweiundzwanzig Jahre, und schon alle Illusionen dahin, der Lebens mut so tief gesunken — in ihren Gedanken lag doch so viel Tragisches, daß das Mitleid bei allen erwachte. Dann fuhr die lange Kette der eleganten Magen heimwärts mit schweigsamen Insassen. Die Toiletten hatten viel Geld gekostet, fatal war und blieb es doch, daß man so wenig auf seine Rechnung gekommen war. Anni hatte ohne ärztliche Hilfe ihr volles Bewußtsein zurück erlangt, freilich nur, um bald darauf in beängstigende FieberpHantafien auszubrechen. Käthe wurde cs unheimlich. Sollte die Aermste doch noch ein Raub des Todes werden? So jung, so glückberechtigt? Die Doktorin hatte die Wirtin hinaus geschickt, damit fie nichts von dem wirren Ge plauder höre. Ohne jede HUfe kleidete fie dann die Fiebernde an, als diese lichtere Mo mente hatte. Draußen stand ein bequemer Wagen bereit. Anni legte den Weg dorthin zu Fuß, wenn auch ein wenig schwankend, zurück, freilich immer vor sich Hinmurmelno. Hans hielt sich in gemessener Entfernung, um durch seinen Anblick die Kranke nicht noch mehr zu erregen. Käthe sah es, wie er litt. Sie nickte ihm traurig zu. Der Doktor setzte sich mit in den Wagen, und dann ging es langsam nach Berlin zurück. Die kühle Abendluft brachte der Leidenden Linderung, fie schlief ein und verhielt sich während der ganzen Fahrt ruhig. Einige Herren hatten sich erboten, Klarins in schonender Weise von dem Vorgefallenen in Kenntnis zu setzen, aber der Hausherr war plötzlich verreist auf einige Tage, lautete der Bescheid. So empfingen sremde Gesichter, die neugierigen Mieten der Dienstboten, allein die schwer leidende Hausfrau. Nun konnte jedoch für alle Bequemlichkeit der Kranken gesorgt werden. Ein Arzt war auch bald zur Stelle, welcher erklärte, daß das Bewußtsein bald zurückkehren werde und Anlaß zu ernster Sorge nicht vorhanden sei. Aeußerste Ruhe und sorgfältige Pflege seien freilich unerläßlich, wenn böse Folgen verhütet werden sollten. Käthe entschloß sich nun, so schwer ihr dies auch wurde, zur Trennung von ihrem Gatten. Er fuhr nach Steglitz zu den Kindern zurück, und sie richtete sich in dem Krankengemach häuslich ein. Ehe der Doktor ging, legte er beide Hände auf Käthes Stirn und sah ihr aufmerksam in die Augen. „Du gefällst mir gar nicht, mein Schatz," flüsterte er, „du bist ja gleichfalls so aufgeregt und überreiz:, daß du der Ruhe be darfst, ich sorge mich ernstlich um dich und lasst/ dich ungern hier zurück!" i
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