Suche löschen...
Allgemeiner Anzeiger : 31.12.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-12-31
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190212318
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19021231
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19021231
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Bemerkung
- Vorlagbedingter Textverlust
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-12
- Tag 1902-12-31
-
Monat
1902-12
-
Jahr
1902
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 31.12.1902
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Politische R»«dlcha«. Die Exekution gegen Venezuela. «Nach Meldungen auS New Jork soll sich Präsident Roosevelt nach einer neuer lichen Kabinettsfitzung entschlossen haben, das Schiedsrichteramt im Venezuela- Konflikt abzulehnen. * Aus Caracas wird gemeldet, die Nachricht, daß Präsident Castro an einer Krankheit leide, sei unrichtig. Er erfreue sich viel mehr seiner gewohnten Gesundheit. * Das italienische Geschwader ist im Blockadegebiet vor Venezuela sehr rührig. Es drohte sogar eine Reibung zwischen ihm und dem englischen Befehlshaber, weil ein italienisches Kriegsschiff einen amerika nischen Dampfer entgegen den englischen Intentionen ausgehalten hatte. Die Sache wurde aber wieder beigelegt. * Da sich die Blockade der venezo lanischen Küsten als nachteilig für den amerikanischen Handel erweist, haben 15 Jmporthäuser ihre Aufträge für die Ver. Staaten eingestellt. Man glaubt, daß der Vorrat von Lebensmitteln in Caracas nicht mehr als 14 Tage ausreichen werde. *DaS venozolanische Kanonenboot „Miranda" ist im südlichsten Teil des Sees von Maracaibo außer dem Bereiche der Verbündeten. Der deutsche Kreuzer „Falke" versuchte, die Meerenge von Mara caibo ohne Lotsen zn durchfahren, gab aber den Versuch als zu gefährlich auf. *Der Führer der Aufständischen, Matos, bat bett deutschen Kommodore Scheder um eine Konferenz. Scheder verwies ihn an Kommodore Montgomerie, den Kommandeur des britischen Kreuzers „Cbaryb- dis", als den der Anciennität nach älteren Offizier. Letzterer lehnte es ab, Matos zu empfangen. * Nach einer Meldung der New Iorker,World' aus Willemstad hatte der „Panther" die Prisen ins Schlepptau genommen, als der deutsche Konsul seine Hilfe verlangte. Da die Prisen ankerlos waren, der „Panther" aber seine Anker nicht entbehren konnte, hatte er nur die Wahl zwischen Freigeben oder Ver senken der venezolanischenSchiffe. „Panther" that letzteres, ging dann in den Hafen zurück, landete eine Abteilung und nahm den Konsul an Bord. * * * Deutschland. * Der Preuß. Landtag ist durch könig liche Verordnung auf den 13. Januar einberufen worden. «Der Chef de«. Zivilkabinetts des Kaisers Dr. v. LucanuS ist an Lungenentzün dung erkrankt. Da das offiziöse Telegraphen- Büreau die Nachricht verbreitet, scheint die Er krankung nicht unbedenklich zu sein. Herr v. LucanuS steht im 72. Lebensjahre. «Fünf Schiffe find im Jahre 1902 der Marine neu eingerriht worden, nämlich das Linienschiff „Braunschweig", der Panzer kreuzer „Friedrich Karl" und die Kreuzer „Frauenlob", „Arcona" und „Undine". Neu tnAngriff genommen wurden die durch den Marine-Etat für 1902 bewilligten acht Schiffe. Insgesamt befinden sich jetzt sechs Linienschiffe, drei Panzerkreuzer, sechs Kreuzer und zwei Kanonenboote auf drei kaiserlichen und sechs Privatwerften im Bau. Vier erst- tlasfige Linienslhiffe wurden im Bau vollendet und in Dienst gestellt: „Kaiser Karl der Große", „Wittelsbach", „Zähringen" und „Wetiin", während Lie Linienschiffe „Kurfürst Friedrich Wilhelm", „Brandenburg" und „Weißenburg" die Flagge strichen, um auf der Werst in Wilhelmshaven modernisiert zu werden. Außer dem großen Kreuzer ,Prinz Heinrich" wurden auch einige kleinere Kriegsfahrzeuge im Bau vollendet. «Die Aufhebung der Kommunal abgaben für Lebensmittel soll nach dm Bestimmungen des neuen ZolltarifgesetzeS vom 1. April 1910 ab erfolgen. Infolge dieses Be schlusses waren Vertreter deutscher Stadt- Verwaltungen in Berlin zusammengekommen,! um gemeinsame Maßregeln für die Zukunft zu! beschließen. Vertreten waren die Städte München, Dresden, Breslau, Straßburg i. E., Nürn berg, Wiesbaden, Stuttgart, Aachen, Darmstadt, Mainz, Mülhausen i. E., Kassel, Potsdam, Würzburg, Freiburg i. B., Karlsruhe und Metz. ES wurde zunächst eine Petition an den Reichstag beschlossen, die inzwischen aber gegenstandslos ge worden. Weiter wurde eine Eingabe an den Bundesrat gerichtet mit der Bitte, den in Betracht kommmden Städten eine Entschädigung von ReichSwegen für die erheblichen Aufwendungen zu gewähren, die ihnen durch die Pensionierung der zahlreichen, am 1. April 1910 außer Funktion tretenden Steuerbeamten erwachsen werden. Oesterreich-Ungar«. «Der österreichisch-ungarische Ausgleich soll nach der ,Voss. Ztg.' bereitsfertig sein. Nur wolle sich Minister v. Szell die Verkündigung dieser Thatsache für seine Neujahrsrede ausbewahren, um Kronprinz« sstn von Kachs««. diese zu einem historischen Ereignis zu gestalten. Jm Widersvruch hiermit wird der ,Köln. Ztg.' aus Budavest gemeldet: Szell hat sich über die Ergebnisse der jüngsten Wiener Besprechungen in privaten Kreisen ziemlich unzufrieden geäußert. Keine der beiden Regierungen ist auch nur um Haaresbreite von ihrem bisherigen Standpunkt abgewichen. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Regie rungen beziehen sich auf eine Gruppe staats finanzieller Fragen. Belgien. «Einer amtlichen Mitteilung zufolge hat König Leopold unlängst den größten Teil der seinerzeit von der Prinzessin Louise gemachten Schulden beglichen. Auch geht aus derselben Meldung hervor, daß der König den Prinzessinnen Steohanieund Louise eine Rente von je 50 000 Frank jährlich auSgesetzt hat. Rußland. «Der Kaiser von Rußland spendete 50 000 Rubel für die durch das Erdbeben in Anditschan (Turkestan) Betroffenen. Balkanstaaten. «König Alexander von Serbien äußerte sich in einer Ansprache über die Thronfolge: Immer wieder wird behauptet, der König und die Königin wollten die Lösung dieser Frage überstürzen. Ich habe aber wieder holt erklärt, daß derzeit kein Grund zum Aufrollen dieser Anaelegenheit vorliege und daß ich, falls sich die Notwendigkeit erweist, diese Frage nur in voller Uebeinstimmung mit meinem Volke ihrer ersprießlichen Lösung zuführen werde. Amerika. * Nachdem General Nord in Haiti be reits von den Truppen als Präsident aus gerufen worden war, haben ihn auch die Kammern gewählt. Damit dürfte vorläufig in der Negerrepublik die Ruhe wiederkehren. Afrika. * In Marokko find die Truppen des Sultans von den aufständischen Stämmen in einem blutigen Treffen vollständig ge schlagen worden: die Aufständischen sollen Leichfiamen die Köpfe abgeschlagen und diese vor dem Zelte des Prätendenten aufge- pstwzt haben. Der Sultan übergab dem Gowerneur von Seira den Oberbefehl über die Truppen und bestimmte einen englischen OMer zur Ausbildung seiner Truppen. Aus dem Süden find Verstärkungen eingetroffen, um bö der Wiedereroberung von Tazza mitzu wirken. Aste«. * Au; China erzählt der »Daily Telegr.', daß dem Sönig Leopold von Belaien in einem Handschreiben des Kaisers von China Konzes sionen in der Nähe von Ki- autsch ou gewährt worden seien. (Ueber Konzessionen in der Nähe von Kiautschou ent hält der dertsch-chinefische Vertrag, durch den Kiautschou ass 99 Jähre an Deutschland ver pachtet vorder ist, ganz genaue Angaben.) Dir Verhaftung der Familie Humbert. Die endlich erfolgte Verhaltung der Familie Humbert drängt natürlich alles andere in den Hintergrund. Die Blätter bringen spaltenlange Berichte mit allen möglichen Einzelheiten und sogar mit Interviews der Verhafteten. Romain Daurignac hat folgende Mitteilung gemacht: Wir find am 9. Mal in Madrid eingetroffen. Unter der Menge der Dtenge der Besucher, die zu der Krönung des jungen Königs herbei strömten, wurde es uns möglich, unbemerkt durchzuschlüvsen. Di? Zeitungen haben über unsere Irrfahrten sse phantastischsten Dar stellungen veröffentlicht. Man hat uns in ganz Frankreich und in der ganzen Welt herumreisen lassen. Wir find weder in Lyon, noch in Havre, geschweige denn in Amerika gewesen. Am Abend fuhren wir von lern Bahnhofe am Ouai d'Orsay direkt nach Mrdrid, wo wir in der Calle Urquijo zwei Zimmir für 60 Frank monatlich mieteten. Am Tag« der Krönung wohnten wir dem Umzug durch die ganze Stadt bei. Wir hatten ein Fenster an einer der Straßen, die der Zug passierte, gernietet, Fahnen herausgehängt und dem jungrn Könige zuqe- jubelt. Am 4. Juli zogen wir nach der Calle Ferraz; wir haben in Madrid nie einen Dienst boten gehabt; ich selbst besorgte alle Gänge und Einkäufe. . . Therese Humbert selbst hat dem Madrider Mitarbeiter des ,Temps', dem von dem dortigen Polizeipräfekten eine Unterredung mit ihr ver stauet worden war, folgendes gesagt: „Ich habe den lebhaften Wunsch, noch heut abend nach Paris zurückzukekren und hoffe, daß die Auslieferunas - Formalitäten möglichst ab gekürzt werden." Der Zustand ihrer Tochter, sagte fie ferner, flöße ihr ernste Besorgnisse ein. Eva leide an einer Herzkrankheit und die Auf regungen bei der Verhaftung hätten ihren Zu- stand erheblich verschlimmert. Nichts läge ihr, sowie ihren Angehörigen mehr am Herzen, sss sich vor der französischen Justiz zu verantworten und die Leute, die ihr „Unglück" verschuldet hätten, besonders den Anwalt des Bankiers Cattani, zu verklagen. Die Dame scheint also keineswegs gebrochen zu sein, sondern den Kampf trotz den für fie in sehr ungünstiger Weise veränderten Umständen frisch und froh gegen die Gläubiger, die Hineingelegten und die Richter selbst sortsühren zu wollen. Die alte Frau Humbert, die Witwe des ehemaligen Justizministers und Mutter Frederics, ist durch die Kunde von der Verhaftung der Schwindlerbande aufs heftigste erschüttert worden. „Mein Märtyrertum soll also aufs neue be ginnen!" klagte fie einem Mitarbeiter des ,Temps'. Sie schilderte darauf die traurige Existenz ihres Sohnes, der von der tyrannischen Therese terrorisiert wurde und wie ein Ein siedler lebte. „Man hat mir letzthin erzählt, daß er oft die Hintertreppe für die Dienstboten benutzte, um nur nicht mit den Leuten, die seine Frau empfing, zusammenzutreffen," fuhr die alte Dame fort. „Mich beängstigte sein trau riges, niedergeschlagenes Aussehen, dessen Ur sache ich nicht ahnte. Eines TageS fragte ich ich ihn in seinem Salon in Gegenwart seiner Frau, weshalb er so traurig dreinschaue. „Frederic", fiel Therese hastig ein, „sag' deiner Mutter, daß du glücklich bist!" — „Ich wäre schon glücklich," sagte er darauf zu seiner Frau, „wenn du dich nur weniger mit Geschäften ab gäbst." Die Greisin erwiderte auf die Frage des Journalisten, ob fie von ihrem Sohne seit seiner Flucht irgent welche Nachrichten erhalten hätte, laut ausschlachzend: „Nein! An allem ist Therese allein schuld." versicherte fie. „Man kann sich kaum vorstellen, wie unglaublich tyrannisch fie ihre Umgebung behandelte!" Die Frage, warum es so lange gedauert hat, bis die Familie verhaftet werden konnte, wird vielfach erösiert. Der,Frkf. Ztg.' wird über diesen Punkt folgendes geschrieben: Daß die endlihe Festnahme der Humberts just in Madrid erfolgte, hat für den, der mit Madrider Verhältnissen einigermaßen vertraut ist, nichts Ueberraschendes. Schreiber dieser Zeilen, der vor umigen Monaten Madrid ver lassen hat, äußert« im verflossenen Juni ge sprächsweise im Ccsö (seine Madrider Freunde werden sich dessen im gegenwärtigen Moment vielleicht erinnern), faß die Humberts, wenn fie gut beraten seien, fich eßentlich nirgends anderswohin als nach Madrid penden mußten. Das haben die Humberts, wie fich nun ergibt, in der That gethan und damit hre feine Witterung bewiesen. Dennhättenfie andeswohin, selbst in irgend einen exotischen, selbst Lberseeischen Winkel zu ent schlüpfen versucht, sie wären sehr wahrscheinlich schon vor Monats aufgespürt worden. Daß man fie nun sMßlich auch in der spanischen^ Residenz ausgehchen hat, beweist bloß, baß man eben im Falle her Humberts nirgends mehrauf der Welt vor der Polizei absolut sicher ist, sebft nicht in Madrid! Sonst genießt man in dieser Stadt die denkbar größte persönliche Freiheft; es ist unmöglich, irgendwo von dem Polizei organ weniger behelligt zu werden als hier, und wäre nickt die verhältnismäßige Weitläufigkeit und Umständlichkeit der Reise ins Zentrum Kastiliens und die manchen zurückschreckende Schwierigkeit des abgeschlossenen spanischen Verkehrs — es vüre gar nicht einzusehen, warum nicht alle irgendwie und irgend wes halb von Staats- Md Polizeiwegen verfolgten Existenzen fich in Madrid ihr schützendes Asyl suchen sollten. Vemmtüch gibt es immerhin eine stattliche Anzahl solcher Existenzen, die hier in absoluter Verborgenheit ungestört ihres Da seins fich zu erfreuen vermögen. Wenigstens kann man fich, wie ich persönlich erfahren habe, in Madrid Jahre md Jahre lang aufhalten, ohne Ausweise irgvdwelcher Art zu benötigen. Mag man die Woinung wechseln so ost man will — nie wird es dem Portier Seikommen, einem Neuankömussng die Legitimation abzu- verlanaen, weil nie ein Polizist fich um die Kontrolle der Hausbewohner kümmert. Eine städtische Einwohnklkontrolle, die Wohnungs wechsel, An« uni Abmeldungen verzeichnet, existiert meines Mfsens in Madrid überhaupt nicht, und wenn fi« existiert, so wird sie derart gehandhabt, daß ihr Wert ein ganz illusorischer ist. Darum hält es auch immer noch schwer, zuverlässige Angaben über die wirkliche Ein wohnerzahl und BeMerungsverhältnisseMadrids zu erhalten, wie dies der letzte Zensus vom Jahre 1901 wiederum bewiesen hat. Daß nun der wegen ihrer oft bedenkichen Lässigkeit viel verschrieenen Madrider Polizei ein so hervor ragend guter Fauq zwar spät aber doch geglückt ist, wird diese sicherlich mit nicht wenig Stolz erfüllen. Man kann in diesem Falle sagen: sie hatte mehr Glück als — Fleiß. Ich sage: tzleiß. Denn an Verstand fehlt eS den Madrider Polizemganen, wie fie oft schon be wiesen, keineswegs — nur die kastilische Träg heit mit ihren Befleiterscheimmgen ist ihnen ost ein Hindernis. Diese verhältnismäßig gute ' Meinung über de Madrider Polizei hat fich nicht bestätigt; ist, wie die neuesten Mel dungen besagen, erst durch einen anonymen Brief auf die richige Fährte gebracht worden. Red.) K Hrnggold. 26) Roman von Anna Seyffert-Klinger. «Fortsetzung.) Anni sah still vor fich nieder. Käthe beob achtete fie fast angstvoll. Was fie soeben zu hören bekommen hatte, gab ihr doch sehr zu denken. Anni war leidenschaftlicher und dabei zerfahrener, nervöser, als Käthe es je vermutet hatte. Das K!nd war nicht oberflächlich, son dern nur irregeleitet, vielleicht lurch eine zu nachsichtige Erziehung oder schlechte Roman- lekiüre. Freilich, wenn die eigene Mutier zu harmlos war, um tiefer zu sehen, wer durfte es dann wagen, ernst und eindringlich vor dieser Heirat zu warnen! „Ich eigne mich nicht zur Studentenbraut," unterbrach Anni plötzlich heftig das peinliche Schweigen. „Einer solchen Dauerprüfung auf Liebe und Treue fühle ich mich nicht gewachsen und daher ist es am besten, ich heirate, und zwar dort, wo ich erwarten darf, daß man meine Wünsche respektiert! . . ." Die ernste Stimmung war schon wieder verflogen. „Das ist alles recht armfelig hier, nicht? Paß aus, bei meiner Hochzeit sollt ihr fürstlich bewirtet werden! . . . Aha, jetzt geht's zu Tisch — endlich — hast du ounger? Nein? Ich aber. Mein Magen wird schon ganz rebellisch! . . . Dort kommt mein lieber Karins — ein statt licher, eleganter Mann, nicht wahr, Käthe? Er weiß, was er will, vielleicht nimmt er es eines Tages gar mit meinem Trotz auf — und vielleicht lerne ich ihn sogar lieben — wer kann es wissen?" Sie eilte mit der ihr eigenen gaz^llenhaslen Leichtigkeit ihrem Verlobten entgegen, um ihm aus ihren bestrickenden Augen einen ihrer zündenden Blicke zuzuwerfen, von denen ihr Herz nichts wußte. Käthe folgte ihr langsam nach. War ihre ves söhnlicheStimmung auch selbstsüchtigen Motiven entsprungen, so sorgte fie fi t, doch jetzt um so aufrichtiger um die jüngere Freundin, und ver geblich sann fie darüber nach, wo Anni wohl die Bekanntschaft eines Studenten gemacht haben könne — jedenfalls doch auf den Bahn fahrten von Steglitz nach Berlin. Daß ihr eigener Bruder Hans gemeint war, auf diese so naheliegende Erklärung kam die sonst so kluge Käthe nicht. Ihre beiden Brüder waren dem Hochzeits feste fern geblieben, und es war Kä he ganz recht so gewesen. Wußte fie doch nun, daß Heinrich fich in seinem Schmerz nicht allein überlassen war — fie hatte es Hans auf die Seele gebunden, Heinrich zu unterhalten, ihn unauffällig seinen trüben Gedanken zu ent reißen. Wenn fie geahnt hätte, wie notwendig auch Hans des Trostes und freundlichen Zuspruches bedurfte, wie zerrissen sein Herz war! Hans liebte die nixenhafte, bezaubernde Anni voll leidenschaftlicher Glut und schwärme rischer Verehrung. Er sah ihre Fehler nicht, wußte nur, daß fie ihm verloren war für alle Zeit und weinte heimlich seine bitteren Thränen. 15. Durch die deutschen Taunen brausten Wim erstürme, und in den langen dun'lc« Nächten sanken unaufhaltsam die Schneeflocken nieder. Wer ein trauliches Heim besaß, lauschie beim flackernden Feuer den geheimnisvollen Stimmen im Kamin oder träumte wohl im Zwielicht von dem blauen Himmel Italiens, dem ewig sonnigen, märchenumwobenen. Freilich hat der nordische Winter seine hohen Reize, besonders für kerngesunde, robuste Naturen, wer aber Eisluft und Nebel meiden muß, der jühlt fich zu dieser Zeit wohl and geborgen in einer der blütenreichen Ville« am Tiber. Die Wellen des stolzen Stromes erglänzten weiß im Mondlicht, am Ufer blühten die Rosen und etwas Wetter zurück stand eine Villa, alt und grau, mit offener Säulenhalle, von der aus man den Blick aus die leise murmelnden, glitzernden Wellen des Flusses hatte. Ein einsamer Herr mit schneeweißem Haar schreitet langsam durch die Gänge von blühenden Myrten und Orangen, oftmals stehen bleibend, als lausche er erwartungsvoll in den Abend frieden hinaus. Dann wieder gleiten seine Augen mit un nennbarem Behagen über all die blühende Schönheit um ihn her, und in seinen Zügen spiegelt fich die Ruhe eines abgeklärten Geistes wieder. Es ist Baron Albers, welcher fich durch den köstlichen Abend hat hinauslocken lassen, um einer wachsenden Unruhe zu entfliehen. Der Baron erwartet seine Gemahlin, und fie müßte von ihrer Ausfahrt längst zurück sein. Lisa pflegt mit Vorliebe die Sdätstunden des Nachmittags zu Ausflügen nach irgend einem sehenswerten Punkt der an Schönheiten überreichen Umgebung zu benutzen. Manchmal ist fie in Begleitung Bekannter, oft, sehr oft aber auch allein, und dann zählt ihr Gatte die Stunden, die Minuten, bis seines Lebens Sonnenschein ihm wieder leuchtet Der Baron beteilig! fich selten an diesen Exkursionen, deren Ziel ein halb zerfallener Tempel ist, ein altersgrauer Palazzo, oder auch eine der herrlichen Kirchen, auf deren kunst reichen Mosaikfliesen Andächtige zu jeder Tages zeit ihr Gebet verrichten. Heute ist die Baronin vor der Peterskirche ausgepiegen. Einer weichen, sehnsuchtsvollen Stimmung folgend, gesellt fie fich zu der Schar der gläubig Frommen, um, überwältigt von der Großartigkeit dieses unvergleichlichen Gottes hauses, stille Einkehr zu halten. Der Glanz der Kerzen blendete ihr A«ge, tue getragenen Melodien, die fie umrauschten, hoben ihre Seele, wie fie es gewünscht, hoch über alle Alltäglichkeit empor. Die junge Fra» lehnt fich, anscheinend leicht ermüdet, gegen «ine der strebenden Säulen. Von Zeit zu Zeit hat fie einen heißen, leiden schaftlich in ihr emporflammenden Kampf rn überwinden. So auch heute. Als sie kam, war alles Aufruhr in ihr, heftige Empörung gegen ihr unnatürliches, be klagenswertes Dasein. Doch schon hah Wie immer, das Pflicht gefühl gesiegt, und nichts mehr in dem Bl r der schönen Augen erinnert an Schmerz u ° heimliche Oual.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)