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Allgemeiner Anzeiger : 13.12.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-12-13
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190212134
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19021213
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19021213
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- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Bemerkung
- Vorlagebedingter Textverlust
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-12
- Tag 1902-12-13
-
Monat
1902-12
-
Jahr
1902
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 13.12.1902
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V-Mische Rundschau. Deutschland. * Der Kaiser wird der diesjährigen Letz - linger Hofjagd am 12. und 13. Dezember nicht beiwohnen. Die Jagd findet jedoch in jedem Falle statt. Der Monarch wird sich durch den Kronprinzen vertreten lassen. * In dem Antworttelegramm des Kaisers an die K ru p ps ch e n A r b ei t er in Essen gelegentlich einer Trauerseier iür ihn heißt es: „Wenn Beamte und Arbeiter ihrem unvergeßlichen Ches Treue halten, so ist dieses die beste Abwehr gegen Angriffe, welche ehrlose Menschen gegen den Verewigten gerichtet haben, und die giftigen P eile, die von ihnen geschlendert, werden auf fie zurückspringen." — Aebnlich wie nach Kiel antwortete er nach Bochum: „Ich vertraue der Ehrenhaftigkeit der deutschen Arbeiter, daß fie fortan jede Ge meinschaft mit den Leuten abbrechen werden, welche durch schamlose Angriffe einen ehren haften deutschen Mann geopfert haben." * Der Großherzog von Weimar hat sich in Bückeburg mit der Prinzessin Karoline Elisabeth Ida von Reuß älterer Linie verlobt. *Der Herzog von Altenburg, dessen Befinden sich bedeutend gebessert hat, wird sich binnen kurzem nach San Remo be geben. *Die Vertreter DeNschlands und Englands haben am Sonntag nachmittag drei Uhr- dem venezolanischen Mi nister des Auswärtigen im Namen ihrer Regierungen gleichzeitig Ultimaten übersandt, in welchen fie unverzüglich Befriedi gung ihrer Forderungen verlangen.— Präsident Castro mag jetzt sehen, ob es ihm ge'ingt, noch weiter auf dem hohen Pferde zu bleiben. *Mit Ausnahme von Mecklenburg — so wird der ,Köln. Volksztg/ aus Berlin geschrie ben — haben fich alle Regierungen im Bundesrat in allm Stadien der Beratung d a - gegen erklärt, beim Zolltarif über die Regierungsvorlage hinaus zu gehen. *Die ,Nordd. Allg. Zig.' schreibt: „In mehreren Blättern werden irreführende An gaben über die Stellung der verbündeten Regie rungen zur Frage der Kündigung der Handelsverträge, über bereits schwebende Handelsvertrags-Verhandlungen mit andern Staaten und endlich über eine neue Militärvorlaqeals Wahlparole verbreitet. Alle diese Behauptungen, deren Abficht leicht zu durchschauen ist, find aus der Lust ge griffen." * Die Verwendung von Erzeugnissen der deu 1 schen Kolonien für Zwecke der Heeresverwaltung an Stelle fremd ländischer Erzeugnisse empfiehlt eine Verfügung, die kürzlich an d e Truppenteile der deutschen Armee ergangen ist. Es kommen hierbei vor nehmlich Bedarfsartikel für die Mannschafts- Verpflegung in Betracht: Kaffee, Thee, Kakao, Speiseöl und ähnliche Waren. * Abg. Singer hat den Vorsitz in der GesLL'tsordnungs Kommission des Reichstages niedergel egt. *Wie der Mässet meldet, hat Kardinal Ramvolla dem Bischof Fritzen mitgeteilt, daß die Verhandlungen über die Errichtung einer katholischen Fakultät für Straß burg am ö. Dezember zum Abschluß gelangt seien. Der Papst habe zu der Errichtung seine Zustimmung gegeben. Frankreich. * Kriegsminister Andrä hat am Sonntag wieder mehrere seiner bekannten Reden gehalten, die immer Stachel gegen Deutschland enthalten. Auf eine Ansprache des Maires von Nancy erwiderte er, er wisse, daß man in dieser Grenzstadt mehr als überall sonst davon überzeugt sei, daß das Rechtnicht allein zum Siege gelange, sondern auf eine starke Armee gestützt sein müsse. Zu den Offizieren, die der Minister empfing, bemerkte - K Hruggotd. 21) Roman von Anna Scyffert-Klinger. «gorNetzimg.) Anni schmiegte fich in Oskars Arm und sah aus strahlenden Augen zu ihm auf. Klsrins pr ßte das reizende junge Geschöpf mit leidenschof Ücker Heftigkeit an fich, nachdem er der Mama pflichtschuld gst die Hand geküßt hatte. Wie ein Wonn-rausch war es über den kühlen, nüchternen Menn gekommen. AnfonqS mochte es vielleicht nichts w iler als ein flüch tiges Spiel gewesen sein, was jetzt in Hellen Flammen seine Brust durchglühte. Damals be merkte er Heinrichs zärtliches Interesse für Anni, und es bereuet? ihm ein schadenfrohes Ver- gnügen, den „Freund" zu quälen und ihn zur Egersucht anzustacheln. Dann erkannte er, daß Anni Winklers Auf- merlsamleiten mit größtem Gleichmut entgegen- nabm, daß fie noch ein Kind war und garnicht verstau, was Heinrichs Blicke, sein von müh sam beherrsckter Leidenschaft durchglühtes W-rben ihr zu sagen wünschte. ES ha te einen eigenen Reiz iür ihn, alles daran zu fitzen, um die unschuldsvolle Harm- kofigkeit des Kindes in ein staunendes Ver stehen zu verwandln. Er ward mit Wort und Blick um fie, doch nicht in Heinrich? zarter, fast schüchternen Weise, sondern kühn, mit stürm scher Ungeduld, uno eines Tages n utzte er es sich eingestehen, dvß der Rausch, über den er b sher ungläubig gelächelt, auch ihn umsangen Hult, doch nicht bekämpfen, find wir die Konservativen, die Hüter der Gesellschaftsordnung. Wenn die Herren im preußischen Abgeordnetenhause monatelang Obstruk tion treiben, so hat da? nichts auf sich. Ich will nur kur, auf die Kanalvoelage verweisen. (Ruf rechts: Die Majorität kann jede Obstruktion machen!) Sie sehen nur den Zolltarif, den Sie vor Weih- machicn in der Tasche haben wollen. Und nun die fünf Minuten! DaS ist absurd, lächerlich, tolll Und weshalb? Wegen angeblichen Mißbrauchs. Sie wollen uns provozieren mit diesem Antrag. Aber Sie werden uns nicht aus der Ruhe, aus der Fassung bringen. Und wir werden weiter arbeiten und haben leinen Zweifel darüber, wer zuletzt siegen wird. Abg. Richter (frs. Vp.) bekämpft den Antrag, weil er eine Aenderung der Geschäftsordnung mit Rücksicht auf eine bestimmte Vorlage für unzulässig halte. Nachdem sich Abg. Barth (frs. Vgg.) gegen den Antrag ausgesprochen, stellt Abg. v. Normann (kons.) den Antrag auf Schluß der Debatte, der in der Abstimmung angenommen wird. Da während derselben der Abg. Singer das das Wort zur Geschäftsordnung verlangt, aber nicht erhalten hatte, cntspinnt sich unter großer Erregung des HauseS eine lebhafte Debatte zwischen dem Vizepräsidenten Grafen Stolberg unb Singer, der die Ungültigkeitserklärung der Abstimmung ver langt, da er den Slntrag auf llebergang zur Tages ordnung über den Schlußanttag stellen wollte, einen Antrag, den Graf Stolberg als unzulässig erklärt und hierauf dem Abg. Singer nur vaS Wort für den Uebergang zur Tagesordnung über den Antrag Gröber erte'lt. Hiergegen protestiert Singer neuerlich. Gras Stolberg kehrt sich aber nicht an den Protest und gibt unter großer Unruhe bei den Sozialdemokraten und unter eben solcher Heiterkeit auf der Rechten das Wort an Gröber gegen den Uebergang zur Tagesordnung. Hierauf wird zunächst der Antrag Singer auf Uebergang zur Tagesordnung über den Antrag Gröber-Bassermann mit 208 gegen 88 Stimmen bei 4 Stimm-Enthaltungen abgelehnt und sodann der Annag Gröber-Bassermann mit 176 gegen 125 Stimmen bei 6 Stimm-Enthaltungen an genommen. Später wird mitgeteilt, daß nach defini- üver Feststellung der Antrag Gröber mit 206 gegen 92 Stimmen bei 8 Stimm-Enthaltungen ange nommen sei. Nunmehr fährt das Haus in der Beratung des Zolltarifgesetzes fort. Von den 38 Referaten ist jetzt zunächst an der Reihe das Referat des Abg. Schlumberger über Seide und Wolle. Zugleich geht ein Antrag Baudert ein, einzelne dieser Positionen an die Kommission zurück mverweisen. Vizepräsident Büsing erteilt dem Abg. Baudert zur Begründung seines Antrages das Wort; Redner wird aber nach fünf Minuten vom Präsidenten ver anlaßt, abrubrechen. Dem Aog. ReißhauS (soz.), der einen Antrag einaebracht, eine andere Einzelposition an eine Kom mission zu verweisen und hierzu sprechen will, wird vom P Lside--ten das Wort verweigert wegen der Gleichartigkeit mit dem Anträge Baudert. Weiter melden fick noch die Abg. Singer und Baudert zum Worte zur Geschäftsordnung. Beide antworten auf eine entsprechende Frage de» Präsidenten: „Um eine Mitteilung zu machen!* Beiden antwortet der Präsident Büsing: Wenn Sie mir nicht sagen wollen, wozu Sie daS Wort wünschen, dann kann ich eS Ihnen auch nicht erteilen. Schließlich werden die Anträge Baudert und ReißhauS mit großer Mehrheit abgeIehnt. Nach weiterrr Debatte zur Geschäftsordnung er hält dann noch Abg. ReißhauS das Wort zum Referat über „sonstige tierische Spinnstoffe", worauf Vertagung eintritt. » -- Von Uall rmd Fern. Der Kaiser wird «ach Tt. Louis ein- gelade«. Der Präfioent der im Jahre 1904 zu St. LouiS stattfindenden Meltau- stellung, David R. Francis, hat an Kaiser Wilhe m die formelle Einladung abgesandt, die Weltausstellung zu besuchen oder den Kronprinzen als Vertreter zu entsenden. Die diesjährige« Nobelpreise find folgenden Gelehrten zuerkannt: Prozessor Theodor Mommsen-Charlottenburg (Litteratur), Professor des Völkerrechts von Martens - Petersburg (Friedenspreis), Dr. Ronald Rotz von der Schule für tropische Medizin in Liverpool (Medizin), Professor Enul Ficher- Berlin (Chemie) und den holländischen Professoren Lorenz und Zeemann (Physik). „Geh' zu Bett, Kind!" rief die Professorin herüber, welche die AwrSumungsarbeiten über wachte; „wir nehmen uns in acht, du sollst ungestört schlafen können!" „Ich gehe noch erst eine Stunde im Garten unten spazieren, Mama, latz mich nur, ich könnte doch nicht schlafen!" „So nimm wenigstens ein Tuch um, damit du dich nickt erkällest!" „Lisa," sagte Ewald leise, „ich wollte den Baron einer bestimmten Angelegenheit wegen zur Rede stellen, er verweigerte mir jedoch jede Auskunft. Vermutlich weißt du nicht, um waS es fich handelt —" „Wenn du von Papas Werke sprichst, so bin ich unterrichtet." Ewald ging auf Fußspitzen bis zur Thür und sah fich scheu um. „Das Geheimnis ist noch einem dritten bekannt," sagte er flüsternd, nachdem er fich überzeugt, daß memand in der Nähe war. „Albers wollte mir mein Wort zurückgeben, er bot mir die Freiheit an, Ewald —" „Lffal Schwestcrberz I Und das erzählst du so ganz beiläufig? Geschah das im Laufe des Abends ? So findet diese unnatür 'che Ver bindung nicht statt? Gottlob, und —" Aibers hatte mein Jawort, Ewald, ich nahm seine G>oßmut nicht an!" „Lisa, um des Himmels Willen, so konntest du nur unter dem Druck der Verhält- n sie handeln!" Sie schüttelte leicht das Köpfchen. „Ich werde aus eigenster Entschließung tue Gattin des Barons;" fie hob eine der halbwelken er, man müsse zwischen Ueberlieferung und Routine zu unterscheiden wissen. Frankreich, das in Sachen der Bewaffnung den ! anderen vorangehe, müsse auch im Punkte der Erziehung der jungen Soloaten Neues schaffen. Der junge Soldat von heute sei nicht mehr der Ersatzmann von ehemals; die jetzige Manneszucht müsse auf Ueber - zeugung gegründet sein. Er rechne auf die Offiziere, daß fie den Gesetzen Gehor sam, der Republik Hingebung und der Regierung Achtung erzeigen. G«gla«d. *Der König von Portugal Hai nach mehrwöchigem Aufenthalt England am Montag wieder verlassen. nnd der französische Kommandant als zeitweilige Maßnahme bestimmte Truppen abteilungen zur Abwickelung der Geschäfte zu rückzulassen. Der englische Kommandant behält fich dasselbe Recht gegebenen Falles vor. * Der Schah von Persien hat eine Reform durchgeführt, welche man allgemein für unmöglich gehalten hatte, indem er seinen Harem aus beinahe den dreißigsten Teil seines srüheren Bestandes verminderte. Als der Schah nach seinem Vater Nasr-Eddin den Thron be stieg, sand er im Harem 1760 Frauen und 260 Söhne und Töchter vor. Nach der gegen wärtig durchgeiührten Umgestaltung besitzt der Schab in seinem Harem nur noch 60 Frauen und 30 Kinder. Großherros Mithelm Ernst vo« Sachsen- Mrimar. Spanten. * Der neue Marineminister beabsichtigt eine Privatindustrie für den Schiffsbau ins Leben zu ruien, welche im stände sein soll, ein zur Verteidigung der Küsten genügendes Geschwader von Kriegsschiffen zu bauen. Eine Anleihe zu diesem Zwecke hält er nicht für nötig, vielmehr soll das Marinebudget „mit Mäßigung" erhöht werden. Richlaud. * Die Arbeiterunruhen in Rostow am Don dauern fort. Die Verhaftungen werden fortgesetzt. An der Eisenbahnlinie nach Wladi kawkas wurden 600 Soldaten, an der Linie nach Tichorjetzki 500 Soldaten eingestellt. In Tichorjetzki nähern fich die Unruhen ihrem Ende. Balkanftaaten. * Der Chef dermacedonischenRevo- lut ionäre bulgarischer Staatsangehörigkeit Oberst Jankow hat mit 20 Insurgenten, welche fich von Macedonien nach Griechenland retteten, aber auf behördliche Veranlassung Griechenland verlassen mußten, vom Piräus kommend, den Bosporus passiert. Jankow begibt fich direkt nach Varna. Die Die türkischen Behörden hatten Kenntnis von seiner Durchfahrt und veranlaßten den Dampier, der einige Stunden im Hafen bleiben wollte, die Weiterfahrt sofort auszunehmen. Afrika. * Nach Mitteilungen aus Tanger ist in Marokko ein n euer Thronprätendent erstanden, der fich Hamid ben Mohamed Hassan nennt und der herrschenden Dynastie anzuge hören behauptet; er soll in Tazza eine Hof haltung errichtet, eine Regierung eingesetzt, fich des Schatzes, der Waffenniederlagen und der Batterien bemächtigt haben. Auch lasse er in seinem Nrmen kaiserliche Erlasse ergehen und erkläre, daß er den Truppen des Sultans eine Schlacht liefern wolle. . Affe«. *Aus Schanghai werden die euro päischen Truppen vorläufig noch nicht völlig zurückgezogen werden. Nach einem Bericht des englischen Kommandanten an seine Regierung beabsichtigen der deutsche Deutscher Reichstag. Am 9. d. steht auf der Tagesordnung der An trag Gröber (Ztr.) u. Gen., den ersten Satz des 8 44 der Geschättsordnung, der lautet: „Sofortige Zulassung zum Worte können nur diejenigen Mit glieder verlangen, welche über die Verweisung zur Geschäftsordnung reden wollen" — folgendermaßen abzuändern: „DaS Wort zur Geschäftsordnung wird nur nach freiem Ermeßen des Präsidenten erteilt. Eine von demselben zugelafsene Bemerkung zur Geschäftsordnung darf die Dauer von fünf Minuten nicht übersteigen." Abg. Singer (soz.) beantragt, den Antrag Gröber von der Tagesordnung abzusetzen und be- antragt zugleich namentliche Abstimmung über diesen Antrag. Abg. Bassermann (nat.-lib.): Ich bitte Sie, den Anttag Singer abzulehnen, denn der Antrag Gröber ist durchaus zulässig, von einem Rechtsbruch kann absolut nicht die Rede sein. Es geht nicht länger an, daß man eine sachliche Diskussion da durch unmöglich macht, daß man fortwährend zur Geschäftsordnung redet. Die Linke will nur den Zolltarif verschleppen. Die Mehrheit hat aber den festen Willen, den Zolltarif zu erledigen. Meine Freunde werden alle für den Antrag Gröber stimmen. Abg. Pachnicke (fr. Vgg.) schließt sich dem Abg. Singer an und sucht nachzuweisen, daß eS un- zulä sig sei, jetzt schon den Antrag Gröber zur De- batte zu stellen. In namentlicher Abstimmung wird hierauf der Antrag Singer auf Absetzung von der Tagesord nung mit 225 gegen 56 Stimmen abgelehnt. Nunmehr begründet Abg. Gröber (Ztr.) seinen Antrag. Schon 1848 in der National-Versammlung hat Robert v. Moht darauf hingewiesen, wie wichtig eine gute Geschäftsordnung sei. Sie solle dazu dienen, um eine geordnete, eine beschleunigte und eine würdige Geschäftsführung zu ermöglichen. Eine derartige Geschäftsordnung, die es der Min derheit ermöglicht, die Mehrheit zu terrorisieren, ist daher unhaltbar. Da wird die Meh heit so frei sein, sich zu Helsen zu wissen. Bei dem Zolltarif hat wag nun im großen Obstruktion getrieben, zu erst mit zahllosen namentlichen Abstimmungen und dann, nachdem man diese abgekürzt, durch endlose Reden zur Geschäftsordnung. So hat eine sonst wohlgemeinte Bestimmung nur dam geführt, daß alles in Verwirrung geriet. Um die» zu verhindern, haben wir nach eingehenden Erwägungen unseren Antrag gestellt, der Unfug darf nicht weiter gehen. Wir werden jeder Abänderung der Geschäftsordnung zunimmen, die eine geordnete, beschleunigte und würdige Ge'chä'tSsährung ermöglicht. Denn höher als die Geschäftsordnung steht uns die Existenz des Reichstags. Abg. Bebel (wz.) Herr Gröber hat noch nie so schwach gesprochen wie heute. Für heilig und unantastbar halten wir Fortschrittsleute — denn wir sind die wahren Fortschriitsleute — die Ge schäftsordnung nicht. Wir haben früher auch den Aenderungen der Geschäftsordnung zugestimmt. Aber man darf die Geschäftsordnung nicht aus einem Werkzeug der Gerechtigkeit zu einem Werkzeug der Parteien machen. Es ist nicht richtig, daß die So zialdemokraten die Geschäfte verhindern wollen. Seit den achtziger Jahren waren wir schon zuerst drei Dutzend Mann stark hier, und haben uns stets sachlich an den Beratungen beteiligt. Die Beschuldigungen des Abg. Gröber gegen uns sind also unrichtig. DaS Zentrum hat wohl ganz vergeßen, daß es selbst einmal eine revolutionäre Partei war und zu den ReichSfeinden gerechnet wurde. Sogar al» eine Partei des Meuchelmords wurde daS Zentrum hin gestellt, eine That, die ein noch hier sitzendes Mit glied zu dem Ausruf: „Pfui!" hinrtß. Dar Zentrum hat also keine Veranlassung, uns Vorwürfe zu machen. Ob der Tarif angenommen wird oder nicht, das hat mit dem Bestehen der Staats- und Gesell schaftsordnung nichts zu thün. Eher noch kann das Zustandekommen des Hungertarifs die bestehende Ordnung erschüttern. Wenn wir daher den Tarif ihn allein, auch dir reizende Anni hatte dre Sprache der Leidenschaft verstehen gelernt, ihr junges Herz schlug ihm unruhig entgegen, und Klarius zögerte nicht, Besitz von demselben zu nehmen. Arm in Arm begab daS überglückliche Paar fich in den Festtrubel zurück; langsam, von sehr verschiedenen Empfindungen bewegt, folgte ihnen die Mama. Es war absolut nichts an dieser Verlobung auSzusetzen, und dennoch vermoch e die Mutter es nicht, ein G- ühl banger Sorge zmückzu- weisen. Sie sah es ja, daß ihr Liebling mit heißer Glut geliebt wurde, an der Persönlichkeit des Verlobten war nichts, garnichts zu be mängeln, und dennoch Sie winkte Käthe heran und zog fie ins Vertrauen. „Hoff ntlich bl findet fich Anni hin sichtlich deines Bruders Heinrich in einer Täu- schung," sagte fie herzlich, „ich wäre ja trost los, wenn euch durch das Kind Schmerz zu gefügt würde." „Nach dieser R chtung hin mache dir keine Sorgen, Tante," erwiderte Kälhe verständig. „So, wie ich Heinrich kenne, befindet er fich selbst in einem Irrtum, wenn er Anni zu lieben glaubt; es ist ein Glück, daß fie ihn abgewiesen hat, früher oder später wird er das selbst ein sehen." Frau Holder fühlte fich in ihrer Mutter eitelkeit ein wenig verletzt. „Es freut mich, daß du die Angelegenheit so klar und objektiv beurteilst," sagte sie in einem merklich kühleren Ton als vorher; „so wirst du es auch ver stehen, daß ich Anni in ihrem jungen Glücke selbst vor den: Schatten einer Unannehmlichkeit schützen möchte und mit ihr im Hotel Wohnung nehme. Wenn Anni morgen an der Hochzeits feier teilzunehmen wünscht, so bleibe ich ihret wegen noch einen Tag, andernfalls reisen wir morgen schon nach Hause." „Ganz wie du denkst, liebe Tante," gab Käthe freundlich zurück; „bei uns wird es sehr still sein, wenn Annis frohes Lachen fehlt, aber wir mußten ja daraus gefaßt sein, fie eines Tages wieder Abschied nehmen zu sehen." Inzwischen wurde lustig weiter getanzt, daS Bombardieren vor dem Hause mit alten Krügen, Gläsern und Schalen hatte allmählich aufgehört. Lisa flog von einem Arm in den andern; ihr Verlobter beteiligte fich nicht am Tanze, wünschte aber, daß seine Braut fich in ihrem Frohgenuß nicht stören lasse. Er freute fich über ihre lebhaft geröteten Wangen, ihre sanfte, liebliche Schönheit; fie sollte fich jedem Ver gnügen, zu dem ihre Jugend fie berechtigte, rücknal los hingeben, so wollte es der Baron. Das Helle Tageslicht schaute bereits zu den Fenstern herein, als die letzten der Gäste und mit ihnen Baron Albers fich verabsch edeten. Der Morgen ihres Hochzeitstages — ein wenig übernä titigt und blaff r als sonst ging Lisa von einem Zimmer ins ande e. Sie war doch nicht mehr so sterbenrunglöck- lich al-, Mher. Sie wußte, der Baron würde ihre Erfindungen ehren, ihr Wed r lästige Zärtlichkeiten erweisen, noch solche von ihr er warten: dieses Bewußtsein gab ihr daS ver lorene Gleichgewicht ganz und gar zurück.
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