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„Immer und immer wieder, doch sie blieb unerschütterlich, ob gleich ich auf grund meiner Beobachtungen zu der Ueberzeugung kam, sie liebe mich. Ihre beharrliche Zurückweisung bedeutet weder Gleichgültigkeit noch eigensinnige Kälte. Was uns auseinanderhält, ist mir ein unlösbares Rätsel. In dieser meiner Herzensnot rufe ich Dich zu Hilfe. Du stehst Hanna unbefangen gegenüber — von der Thorheit, eifersüchtig zu sein, bin ich natürlich längst geheilt —, mit Deinem klaren Blick wirst Dn sofort erkennen, ob ich mich nur selbstgefällig täusche, wenn ich mich von ihr geliebt glanbe, und das Geheimnis durchschauen, das mich verwirrt." „Möchtest Du es ergründen, selbst auf die Gefahr hin, den Zauber zu zerstören, der Dich gefangen hält?" „Auf jeden Fall. Diese Ungewißheit ist mir unerträglich. Dn hast mir abgeraten, sie zu heiraten, nur weil sie ihr tägliches Brot selbst verdienen muß; mir nötigt dieser Umstand Achtung ab. Für mich ist sie das Ideal einer Frau." „Ich riet Dir ab, sie zu heiraten, solange Du ihre Vergangen heit nicht kennst. Wenn sie Dir das Geheimnis dieser Vergangen heit rückhaltlos anvertrauen will und ihre etwaigen Enthüllungen Deine Liebe nicht erschüttern, werde ich nicht länger sagen: Heirate sie nicht! Aber sie muß Dir alles gestehen; es darf nichts ver schwiegen werden. Es wird dann Deine Sache sein, ob Du auf sie verzichten oder sie in Dein Herz aufnehmen willst." „Ich fürchte die Probe nicht." „Hast Du sie je gebeten, sich Dir anzuvertrauen?" „Das durfte ich noch nicht wagen." „Wenn sie so gut, wahr und aufrichtig ist, wie ich glaube, wird sie sich durch Deine Offenheit nicht gekränkt fühlen. Vielleicht hat sie Dir etwas zu bekennen, was sie nicht unaufgefordert beichten kann, was aber, einmal ausgesprochen, alle Zweifel be seitigt und jedes Hindernis zu Eurem Glück aus dem Wege räumt." „Ja, Du hast rechts ich will auf jede Gefahr hin vorgehen." „Und ich werde thun, was in meinen Kräften steht, um Dir zu helfen.- Ich will an Frau Lyndon schreiben — als Dein Freund kann ich viel besser sür Dich sprechen, als es Dir selbst möglich ist. Du übergiebst ihr den Brief und fragst sie dann offen und ehrlich, ob sie Dich liebt oder nicht, und gesteht sie Dir zu, Deine Neigung zu erwidern, weshalb sie sich weigert, Deinen Heiratsantrag an- znnehmen. Ich glaube, auf diese Weise wirst Du den Schlüssel zu dem Rätsel finden." „Du willst an sie schreiben?" rief Trevor verblüfft. „Du, der Du für sie fast ein Fremder bist?" „Wie kann der, den sie sür den Lebensretter ihres Kindes hält, ihr ein Fremder sein? Wenn ich Dir helfen soll, mein lieber Gottfried, muß ich nach meinem Sinne handeln dürfen. Ueber- gieb Frau Lyndon meinen Brief, und ich verbürge mich dafür, daß sie Dir ihr Vertrauen schenkt." „Gut, ich will es thun," erwiderte Trevor, den Freund mit mißtrauischem Blick musternd. 11. Nachdem die Freunde ihr Abendessen verzehrt hatten, wurde der Bries geschrieben. Der Mond glänzte an dem klaren Himmel. Die Stille der Nacht breitete sich über das allezeit ruhige Städtchen. Es schlug neun Uhr, als Trevor, den Brief Doktor Rollings in der Tasche, den Gasthof verließ — eine eigentümliche Stunde, bei einer Dame vorzusprechen, die sich seine Besuche ent schieden verbeten hatte. Doch im Begriff, einen verzweifelten Schritt zu thun, überlegte er nicht lange, wie unpassend er seine Zeit gewählt hatte. War es nicht schon Wahnsinn der Fran, die er liebte, den Brief eines anderen Mannes zu überreichen, der sich zu seinem Fürsprecher aufwarf, ihre Gunst durch den Einfluß eines Fremden gewinnen zu wollen? Er gedachte der überschwenglichen Dank barkeit, die Hanna Lyndon dem Arzt entgegenbrachte, der ihr in ihrer Angst nnd Sorge nm das kranke Kind wie eine zweite Vor- sehnng erschienen war. Vielleicht war die Erinnerung an jenen prüfungsreichen Abend mächtig genug, seinen Worten jetzt Noch ein großes Gewicht zu sichern. „Der gute Kerl!" sagte Trevor zärtlich. „Er wollte mir den Bries nicht zeigen, wahrscheinlich weil er Vorzüge in mir entdeckte und zu Preisen wußte, die ich gar nicht besitze." Bei dein Anblick ihres matt erleuchteten Fensters nahm er all seinen Mut zusammen. Er vernahm die träumerischen Akkorde eines Mendelssohnschen Liedes. Im nächsten Augenblick öffnete ihm ein Mädchen die Thür und sührte ihn ungesäumt in das Wohnzimmer, überzeugt, er käme, einen neuen Schüler anzu melden. „Ein Herr wünscht Sie zn sprechen, gnädige Frau." Hanna Lyndon stand vor dem Klavier, so einfach gekleidet, wie Trevor sie zum ersten Male gesehen hatte, dis dunklen Augen ernst und fest auf ihn gerichtet, nachdem ein flüchtiger Strahl freudiger Ueberraschung darin aufgedämmert war. „Herr Trevor!" „Ja, ich weiß, Sie haben mir verboten, Ihre Schwelle zu be treten, und doch wage ich es, trotz Ihres Verbotes, zu so unge ziemender Stunde zu kommen. Bitte, schenken sie mir nnr einige Minuten Gehör. Sie erinnern sich meines Freundes Rolling —" Hanna Lyndon erblaßte bis in die Lippen. „Wie sollte ich ihn vergessen?" „Doktor Rolling ist wieder hier." „Hier?" rief sie, den Blick nach der Thür richtend, als erwarte sie, er werde eintreten. „Wie würde ich mich frenen, ihn wieder zusehen!" „Es wird ihm eine Ehre sein, Ihnen morgen seine Aufwartung zu machen. Ich habe ihm, der mir teuer ist, wie ein Bruder, die Geschichte meiner hoffnungslosen Liebe erzählt." „O, bitte, nichts davon!" wehrte sie ab. „Ich habe ihm alles erzählt," fuhr Trevor fort, ohne sich von ihrer abweisenden Geberde beirren zu lassen, „und er hat Ihnen geschrieben, in der Meinung, sein Einfluß werde sie günstiger gegen mich stimmen. Sie weigern sich doch nicht, seinen Brief zu lesen?" „Nein," entgegnete sie, die Hand nach dein Brief ausstreckend, „ich kann ihm das nicht abschlagen." Sie zeigte weder Ueberraschung noch Aerger, sondern las das Schreiben von Anfang bis Ende mit dem größten Interesse. Ihr Gesicht verriet eine tiefere Bewegung, als Trevor sie je zuvor in ihren undurchdringlichen Zügen wahrgenommen hatte. Ihre Augen füllten sich mit Thränen, und ein halbunterdrückter Seufzer entschlüpfte ihren Lippen. „Die Beredsamkeit meines Freundes hat größere Macht über Sie als die meinige," rief Trevor mit wieder aufflammender Eifersucht. „Er führt Ihre Sache sehr gut," entgegnete sie mit einem traurigen Lächeln. „Doktor Rolling fordert mich auf, ganz offen gegen Sie zu sein und mir den unschätzbaren Wert eines Herzens wie des Ihrigen zu vergegenwärtigen, beschwört mich, meines eigenen wie Ihres Glückes wegen, Ihnen die jammervolle Ge schichte meiner Vergangenheit zu erzählen. Und wenn, nachdem sie alles erfahren haben, die Klugheit Ihnen rät, mich aufzngeben, haben Sie mir nur Lebewohl zu sagen und entzaubert fortzu gehen." „Ich glaube nicht, daß Sie mich zu entzaubern vermögen." „Dieser Brief verlangt von mir, was ich ans eigenem Antriebe niemals gethan haben würde, Ihnen meine Lebensgeschichte zn erzählen. Es soll geschehen und dann hassen oder verachten Sie mich, wie Sie wollen. Sie müssen wenigstens gestehen, daß ich mich nie um Ihre Liebe bemüht habe." „Ich weiß, daß Sie die grausamste, die unerbittlichste der Frauen sind." „Ich war es nicht immer. Vor Jahren war ich öfter in dem Hause einer vornehmen Dame, in Gesellschaft von Personen, die im Rang über mir standen, mich aber gern in ihrer Mitte sahen, weil ich gut genug sang und spielte, um sie zu unterhalten. Die Danie schwärmte fiir Musik und liebte es, sich mit musikalischen Leuten zu umgeben. Unter ihren Gästen befand sich während einer meiner Besuche ein Mann, dem die Musik zur zweiten Natur geworden, und dessen ganzes Sein in seiner Kunst aufzugehen schien. Er spielte mit einem so gewaltigen, leidenschaftlichen Ausdruck, daß die bekanntesten Melodien einen neuen Zanber gewannen. Blau glaubte den verkörperten Genius der Ntusik vor sich zu sehen nnd zu hören. Auch ich war entzückt von ihm wie meine Gönnerin. Sie freute sich darüber, brachte uns häufig zusammen, wob einen kleinen Roman um uns, veranlaßte, daß wir miteinander sangen und spielten, und führte mich in der besten Absicht auf den Weg, der mir zum Verderben werden sollte." „Sie liebten diesen Mann!" rief Trevor grollend. „Ich war wenigstens so verblendet, mich vollständig seinem Einfluß zu unterwersen, ich hatte keinen anderen Gedanken als ihn, und, von seinem Genie wie in einem Banne gehalten, glanbte ich ihn Ler aufopferndsten Liebe wert. Er war eine geheimnisvolle Persönlichkeit und hatte in dem Hause, in dem ich ihn kennen lernte, auf keine andere Empfehlung hin als sein Talent Zutritt erhalten. Seine Manieren waren die eines gebildeten Mannes; daß er dabei das überspannte Wesen eines Künstlers hatte, machte ihn mir nm so interessanter. Er bat mich, seine Frau zu werden, und setzte seine Bewerbung, obwohl ich nichts davon wissen wollte, mit einer Beharrlichkeit fort, bis er, von der wunderbaren Macht seines Talentes unterstützt, über alle meine Bedenken triumphierte, jeden Widerstand besiegte und mir die Einwilligung zu einer ge heimen Verbindung abschmeichelte. Es wäre nutzlos, die Gründe zu wiederholen, die er für die Notwendigkeit einer heimlichen Ehe ins Treffen führte. Genug, ich war so schwach und thöricht, nach manchem bitteren Kampf, anf seinen Vorschlag einzngehen." „Wozu bei diesen quälenden Erinnerungen verweilen?" rief Trevor. „Versprechen Sie mir nur, meine Fran zu werden, nnd ich nehme alles andere auf Treu und Glauben hin. Es gäbe keine