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Allgemeiner Anzeiger : 15.10.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190210150
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19021015
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1902
-
Monat
1902-10
- Tag 1902-10-15
-
Monat
1902-10
-
Jahr
1902
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 15.10.1902
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Eise brandfreie Nacht. Die Berliner Feuerwehr hatte in der Nacht zum Donnerstag vollständige Ruhe, da nicht ein einziger Brand zu löschen war. Eine solche brandsreie Nacht ist seit längerer Zeit nicht dagewesen. Bon einer tollwütigen Katze gebissen wurden in Gebhardsdorf bei Görlitz zwei Kinder. Sie wurden der Tollwut-Schutzstation in Berlin zwecks Schutzimpfung zugesührt. Durch die Explosion einer Granate, die sich unter zum Einschmelzen verwandtem alten Eisen befand, wurden am Donnerstag in einer Maschinenfabrik zu Rheidt ein Arbeiter getötet und zwei schwer verletzt. Tödliche Unglücksfälle. Zwei tödliche Unglücksfälle werden aus Brieg gemeldet. Der Anstreicher Grottker war am Mittwoch mit dem Anstreichen von Fenstern beschäftigt. Hierbei stürzte er vom dritten Stockwerk ab und erlitt so schwere Verletzungen, daß er sofort seinen Geist aufgab. An demselben Tage ertrank ein Soldat des 146. Regiments beim Kahnfahren, indem sein Kahn über das Wehr hinabstürzte. Die Leiche ist bis jetzt noch nicht gefunden worden. Als eine hartnäckige Simulantin stellte sich die 33 jährige Dienstmagd eines Bauern in Martinie bei Wodnian heraus, die in dem Augenblick verhaftet wurde, als ihr ein Knecht aus demselben Hause gerade das Gesicht ein geseift hatte und den Bart rasieren wollte. Magdalene Zavadil, so ist ihr Name, nämlich ist ein Mann, den die Mutter schon gleich nach seiner Geburt als Mädchen in die Matrikeln eintragen ließ, um ihn vor der Wehrpflicht zu schützen. Er wird nun „umgetauft" und muß nachträglich drei Jahre dienen. Am Sterbetage Jahns findet in Graz die Enthüllung eines Jayn-Denkmals, des ersten in Oesterreich, statt. Ueber eine verbrannte Erbschaft wird aus Klausenburg berichtet: Der hier stationierte Honved-Oberstleutnant Gedeon Stojanowilsch hatte vor kurzem eine Erbschaft von 250 000 Kronen gemacht, die er in Wertpapieren in seiner Schreibtischlade verwahrt halte. Vor einigen Tagen vergaß der Oberstleutnant, als er die Wohnung verließ, seine Lade obzusoerren. Seine zwei Kinder spielten im Zimmer und entdeckten in der offenen Lade die Wertpapiere. Sie zogen dieselben aus der Lade heraus und beschmierten fie mit Tinte, worauf sie dieselben ins Feuer warfen. Als Oberstleutnant Stoja- Nvwlisch nach Hause kam, bemerkte er zu seinem Entsetzen das Geschehene und erlitt infolge der Aufregung einen Nervenschlag, so daß er jetzt noch krank daniederliegt. Blutthat eines Irrsinnige». In der ungarischen Gemeinde Kiszczempetes wurde der Tischler Mikulecz plötzlich von Tobsucht befallen und rannte, mit einem geladenen Revolver in der Hand, auf die Straße. Er lötete einen ihm entgegenkommenden Kaufmann und ver wundete mehrere andere Personen lebensgefähr lich; es gelang nur mit Mühe, den Rasenden zu fesseln. Naubansall in der Eisenbahn. Ein österreichischer Justizbeamter aus Triest, der am Dienstag von Paris aus einen Ausflug nach Versailles unternahm, wurde in dem Abteil erster Klasse der Westbahn kur; vor dem Ein laufen des ZugcS in den Versailler Bahnhof Von drei Mitreisenden überfallen und aus- geraubt. Die Banditen knebelten dann den Üeberfallenen, während einer von ihnen sich mit der entwendeten Brieftasche, die 300 Frank ent hielt, aus dem Staube machte. Als der Zug sich wieder in Bewegung setzte, stießen die im Wagen Gebliebenen den Ausgeraubten auf den Bahnsteig. Obgleich sofort die nötigen Maß regeln zur Verfolgung der Diebe getroffen wurden, entkamen diese. Dem Justizbeamlen blieb also nichis weiter übrig, als nach Paris zurückzukehren, um dort das Weitere ab zuwarten. Spure« der letzten Stürme zeigen sich an der englischen Küste. So wurde in einem englischen Hafen nördlich von Dover eine Flasche ans Land getrogen, die die kurze, aber doch so vielsagende Nachricht enthielt: „Gott helfe uns! Wir finken langsam. Island King." „Island King" ist der Name des unglücklichen Schiffes, von dem diese Flaschenpost wahrscheinlich das letzte Lebenszeichen war. Winter in den Schweizer Berge«. Auf der Paßhöhe des St. Gotthard ist die Meteorologische Station schon jetzt vollständig eingeschneit. Nachts zogen bei 5 Grar Kälte heftige Gewitter, von Schneetreiben begleitet, über den St. Gotthard hin. Die Höhe deS Neuschnees beträgt bereits einen Meter. Inden südlichen Alpen ist das Wetter ebenfalls un günstig. Regen und rascher Temperaturwechsel haben sich eingestellt. Der größte Kürbis. In Zürich ist in einem Schaufenster ein aus Adltsweil stam mender Kürbis ausgestellt, der 143 Pfund wiegt, also den früher aufgestellten Rekord von 80 Piund bei weitem schlägt. Wenn man rechnet, daß die Kürbisse erst Mitte Juni blühen, so muß er jeden Tag 1V- Pfund schwerer geworden sein. Zur Eriuueruug an den Einsturz des Markusturmes wird m den öffentlichen Gärten von Venedig ein Denkmal errichtet werden. Der Unterbau des Denkmals soll aus Marmor- und Mauerblöcken des alten Turmes bestehen. Auf diesem Fundamente wird sich ein Obelisk mit einer auf drn Sturz des Campanile von San Marco bezüglichen Inschrift erheben. — Die internationale Subskription für die Wieder errichtung des Turmes ergab bis jetzt 1439 806 Lira, also etwa die Hälfte der erforderlichen Summe. In die Mordaffäre von Bologna werden immer mehr Personen verwickelt. Jetzt wird auch der Advokat Riccardo Murri, dcr Onkel des Mörders Tullio Murri und der Gräfin Lmda Bonmartini, verdächiigt. Alle drama tischen Szenen, welche Riccardo Murri dem Untersuchungsrichter erzählte, sollen sich als er logen erwiesen haben. Ricca»do sei die einzige Person, die angeben könnte, wie, wann und von wem die Familie Murri Kenntnis von der Ermordung des Grafen Bonmartini erhielt, ein Umstand, der noch völlig unaufgeklärt ist. Zwei Geiängnisschwestern, welche mehrere Briefe der Gräfin Linda an den oben genannten Onkel Riccardo und ihren Geliebten Secchi bei einer das Gefängnis verlassenden Strafgefangenen vorfanden und die Schreiben zuerst einem Bologneser Blatt zur Veröffentlichung und dann dem Untersuchungsrichter übergaben, wurden auf direkten Befehl des Ministers ihres Amtes ent- Koben; die Oberin des Gefängnisses wurde strafversetzt. Der dänische Marinemimster ver unglückt. Wie aus Kopenhagen telegraphiert wiro, kam Donnerstag nachmittag Marine- Minister Johnke, welcher an Ischias le'det, auf der Treppe des ReichstagsgebSudes zu Fall und erlitt eine Beschädigung der Hüfte. Der Oberschenkel scheint gebrochen zu sein. Der Minister, welcher große Schmerzen empfand, wurde sofort nach dem nahe liegenden Friedrichs- Hospital überführt. — Das Befinden des Ma rineministers, bei welchem ein Bruch des rechten Oberschenkels festgestellt wurde, ist verhältnis mäßig zufriedenstellend. Eine verschwundene Insel. Der Kom mandeur der atlantischen Flotte der Ber. Staaten hat unlängst festgestellt, daß die kleine Insel Bermuja, die auf großen Karten in dem südlichen Teile des Mexikan schen Meerbusens zu finden ist, jetzt verschwunden ist, ohne eine Spur zu hinterlassen. Er suchte den Meeres boden nach Riffen oder Untiefen irgend welcher Art ab, konnte aber nichts finden, was über den Verbleib der Insel Aufschluß gegeben hätte. Der Admiral hat danach für die Schiffahrt eine Anweisung erlassen, daß in jenen Mecres- teilen die größte Vorsicht geboten sei. Es be steht nämlich die Vermutung, daß auch dort vulkanische Vorgänge mitgespielt haben, die ebenso gut dazu führen könnten, daß eines Tages durch einen heftigen untermeerischen Aus bruch eine neue Insel entstände. Eine furchtbare Familientragödie, dessen Opfer sämtlich Deutsche find, erregt in Queensland lebhafteste Teilnahme. In Woo- roolin (West Queensland) wohnte ber 37 Jahre alte, allgemein als ruhig und fleißig bekannte Farmer Albert May, dessen Vater aus der Ge gend von Züllichau in Brandenburg eingewan dert war. Ende voriger Woche nun erhielt Moys Bruder die Nachricht, Alberts Familie liege im Sterben. Eiligst begab er sich nach dessen Behausung und hörte beim Näberkommen einen Schuß; er sprengte die verschlossenen Thüren — ein entsetzlicher Anblick bot sich ihm dar; die Frau war mit ihren drei Kindern durch Beilhiebe von ihrem Manne getötet wor den, dann hatte sich dieser erschossen. Offenbar hatte das Ehepaar im gegenseitigen Ein verständnis gehandelt, was auch Briefe be stätigen. Der Grund zu dieser That war verletzte Ehrliebe, die Mutier der Frau hatte diese beschuldigt, ihr 12 Pfund gestoben zu haben. Der bevorstehende Prozeß hatte den Leuten alle Besonnenheit geraubt und fie in den Tod getrieben. Die Mutter mußte schleunigst die Gegend verlassen, um sich vor der Erbitterung der Bewohner zu schützen. Gerichtshalle. Erfurt. Der verheiratete Maurergeselle H., der am 1. April, dem Tage, an dem sein jüngües Kind getauft wurde, auf der Straße in Jecha oie 16 jährige Klara Frobin überfallen hatte, wurde vom Schwurgericht wegen Sittlichkeitsverbrechens zu zwei Jahr Zuchthaus und fünf Jahr Ehrverlust vcrurtetlt. Leipzig. Die Affäre Stietencron hat noch nicht ihr Ende gefunden. In dem Prozeß der Mutier und des Großvaters des italienischen Arbeiters Frazzi gegen den Baron v. Stietencron auf Ent schädigung wegen Tötung deS Arbeiters Frazzi er kannte am Donnerstag das Reichsgericht auf Auf hebung des Urteils deS 3. Zivilsenats deS Ober landes gerichtS Kolmar vom 8. Slvrtld., durch welche» die Kläger mit ihren An prüchm entgegen dem Urteil des Landgerichts Zabern abgewiefen waren, und verwies die Sache an den zweiten Zivilsenat des ObcrlandeSgerichtS Kolmar. Der vielgenEte Kirrenoberst Schirl hielt am Montag abend in Halle im großen Saale der „Kaisersäle" einen Vortrag. Major v. Riedenau führte den Gast ein und stellte ihn der Versammlung, unter der sich auch eine An zahl Offiziere mit Exzellenz v. Prittwitz und Gaffron an der Spitze befand, vor. Die ,Saale-Ztg/ berichtet weiter: Schlicht und sym pathisch erzählte der Kommandant des deutschen Korps im jüngsten Transvaalkrieg in etwa anderthalbstündigem Vorträge von Land und Leuten in Südafrika und seine eigenen Erleb- niffe. Wer geglaubt halte, daß es dabei an Seitenhieben auf unsere lieben englischen Vettern nicht fehlen und ihm daher Gelegenheit geboten würde, seiner Buren-Begeisterung in stürmischer Weise Luft zu machen, kam nicht auf seine Kosten; denn Herr Schiel vermied taktvoll, wie die Dinge nun einmal lugen, Saiten anzuschlagen, die in den deutschen Her zen während des unglückseligen Krieges so ost berührt worden find. Auch über den Verlauf des Krieges berichtete der Vortragende wenig, da er bekanntlich gleich zn Beginn des Kampfes in Gefangenschaft geriet. So beschränkte er sich denn darauf, in der ersten Hälfte seines Vor trages ein Bild der Vorgeschichte des Buren volkes zu geben, aus der die Jahre 1838 (erste Bereinigung der Buren), 1839 (ihr erster großer Treck nach dem Norden), 1852 (siegreiche Kämpfe mit den Zulus und Gründung der Südafrikanischen Republik) und 1880/81 (Krieg mit England) als Marksteine hervorragen. Das Verlangen der Engländer, daß alle Ein gewanderten gleiches Stimmrecht haben sollten, führte dann im Jahre 1899 abermals zum Kriege mit England. Momente aus diesen Kämpfen hielt der Vortragende im zweiten Teile seiner Ausführungen fest. Als Grund für die Niederlage bezeichnete er die veraltete mili tärische Organisation der Buren, die, in Sicher heit gewiegt, auf ihren Lorbeeren von 1881 aus geruht hätten; ferner die Lockerung der Dis ziplin unter den Bürgerkorps als Folge der eigenartigen Stellung der Aeldkornets. Ein- ! gehend schilderte dann Oberst Schiel den Kampf! bei Elandslaagte am 21. Oktober, bei welchem er von einer Kugel niedergcstreckt und gefangen genommen wurde, seinen Aufentha't im Lazarett zu Ladysmith und auf dem Transportsch ff „Pene lope" und den Fluchtversuch der Gcmngenen aus dem Lager von Nmonstown. Mit vieler Mühe hatte man wochenlang mittels der Eß löffel an einem Schacht gegraben; als aber die der Flucht günstige Stunde gekommen war, sah man sich durch den Verrat eines jungen Buren entdeckt, dcr als Belohnung die Freiheit erhielt. Wegen wiederholten Fluchtversuchs wurde dann Oberst Schiel nach St. Helena gebracht; der Transport dorthin war, besonders für die ge wöhnlichen Gefangenen, reich an Leiden und Entbehrungen. Auf der einsamen Insel empfingen die Buren viele Beweise der Zunei gung aus der deutschen Heimat: Liebesgaben und Lektüre, und herzliche Dankesworte für deren Uebersendung bilden den Schluß des Vortrages. Zu Ehren des Redners erhebt sich die Versammlung von den Sitzen. Sein Bild auf Postkarten war im Laufe des Abends massenhaft gekauft worden; der Ertrag ist ledig lich zur Errichtung eines Denkmals für die bei Elandslaagte gefallenen Kameraden bestimmt. Gin „KriMinalfaU". Mit was für Kapitalverbrechen zuweilen die Kriminalpolizei, die ohnehin genug zu thun hat, beschäftigt wird, zeigt ein tlaffischer Fall aus der Köthenerstraße in Berlin. Hier besitzt eine alte Dame, eine Rentnerin, eine Katze, die fie sehr lieb hat. Als fie sah, daß daS Tier mehr und mehr erkrankte und erkannte, daß fie fich von ihm trennen müsse, steckte fie es in einen alten Korb und übergab es einem ihr bekannten Jungen, daß er es nach der tierärztlichen Hoch schule bringe, um es vergiften zu lassen. Auf dem Hasenplatze fing die Katze an erbärmlich zu miauen. Arbeiter, die es hörten, vermuteten, daß der Junge die Katze gestohlen habe, um fie an einen Vivisektor zu verkaufen. Sie nahmen den Burschen, der gerade nicht zu den aufgewecktesten gehört, in die Mitte und öffneten den Korb, um einmal zu sehen, was er berge. Die gefangene Katze benutzte die Gelegenheit zur Flucht, setzte über die Köpfe der Arbeiter hinweg und hatte im nächsten Augenblicke den Gipfel eines Baumes erklettert. Nan meinte ein Schiffer, der fich die Sache auch mitange- sehen hatte, der Korb ohne die Katze könne dem Jungen auch nichts nutzen, er dagegen könnte ibn sehr gut gebrauchen. Gutmütig wie er ist, gab der Junge den Korb hin und wollte nun der Dame berichten, wie es ihm ergangen war. Da er fie nicht zu Hause traf, so hielt er die Sache für erledigt und kümmerte fich nicht mehr darum, bis am zweitfolgenden Tage die Herrin der Katze ihn selbst aufsuchte, um fich nach deren Schicksal zu erkundigen. Treuherzig erzählte ihr der Junge die ganze Geschichte. Seine Vermutung, daß die Katze noch auf dem Baume fitzen könnte, traf zu. Sie erkannte auch ihre Herrin, kam herunter und ging wieder mit ihr nach Hause. Die gute Dame aber begab fich zur Polizei und zeigte den Jungen an, weil er vermutlich von vornherein garnichi die Absicht gehabt habe, die Kotze nach der Hochschule zu bringen, son dern von dem Gedanken ausgegangen sei, fich durch Aneignung deS Fahrgeldes für die Straßenbahn oder Omnibus widerrechtlich zu bereichern. So muß denn nun diese Staats aktion die Kriminalpolizei beschäftigen, und eS wird eine ganze Menge Verhöre, Vernehmungen und Schreibereien tosten, bis fie erledigt ist. Bunke» Allerlei. Eine gute Antwort erhielt einmal der gestrenge Herr Direktor X. in G., der für einen ertränkten Lehrer den Unterricht versah. Ats nicht alles nach seinem Willen ging, rief der heißblütige Pädagoge wütend: „In der Klosse find vierzig Kamele." „Nun, was lacht ihr denn noch," fuhr er fort, als er sah, daß trotz deS Ernstes der Lage ein Lächeln üoer die Gesichter der also Geschotterten huschle. Da erhebt fich der Primus und soricht: „Herr Direktor, wir Schüler find nur 39!" alle Pforten geöffnet hatte! Mit welcher un sagbaren Verehrung hatte er zu dem Bilde des Verstorbenen emporgesehen. Die Stimme der Mutter ließ ihn heftig zu sammenschrecken. „Setze dich zu mir, mein Sohn — du weißt ja noch nichts. . . . Dein Baler besaß einen intimen Freund." „Professor Götte," stammelte Ewald, dem es nicht anders war, als treffe ihn ein blendender, vernichtender Strahl. „Jawohl; und an Arno Götte, welcher wie 'rin anderer Papas gute Eigenschaften zu schätzen wußte und in welchem dein Vater sein Ideal verehrte, wurde er zum Betrüger! Götte Hußte, daß er nicht wieder genesen konnte, und übertrug auf seinem Schmerzenslager die Ver öffentlichung dieses Werkes, sowie das Ordnen keines geistigen Nachlasses dem einzigen Freunde. Götte starb, Papa nahm fich mit liebevoller Sorgfalt, ganz im Sinne des Heimgegangenen, seiner Werke an, nur die letzte Arbeit, die Götte ihm besondcrs ans Herz gelegt hatte und Vie fast vollendet, nur im Manuskript vorhanden Har, unterschlug er, schrieb fie ab und gab das Bierk — vier Jahre nach Göttes Tode — als sein geistiges Eigentum heraus — es machte ihn vlit einem Schlage zum berühmten Mann." Die Matrone schwieg, und auch Ewald starrte m finsterem Schweigen vor fich hin. „Papas Annahme, daß niemand um den Betrug wisse," fuhr fie nach einer Weile steckend fort, „erwies fich als irrig, und zwar hat der Mall in dieser Angelegenheit sein verhängnis volles Spiel getrieben." DaS Weitersprechen wurde der alten Dame sichtlich schwer, und doch durfte fie auf halbem Wege nicht stehen bleiben. Ewald hob vor Spannung den Kopf. „Baron Albers wußte um das Geheimnis? Du Haft niemals den Namen des Barons aus gesprochen, Mama!" „Und doch kenne ich ihn seit meiner frühesten Jugend! Er war — er bewarb sich einst um meine Hand, Ewald! Vielleicht habe ich, ohne es zu wollen, Hoffnungen in ihm geweckt, die fich nie erfüllen konnten. Als ich ihn zurückwies, schwur er, fich für die erlittene Demütigung zu rächen. Trotzdem blieb er meinem Elternhause nicht fern, sondern wußte fich Papas Vertrauen zu erringen, der damals schon bei uns verkehrte. Auch später war der Baron unser bester Freund und ich Kurzsichtige ließ mich durch seine stets gleiche Ergebenhett täuschen. Ich vergaß den Schwur und glaubte an seine Freundschaft. Eines Tages, als er in Papas Abwesenheit in dessen Arbeitszimmer fich aufhielt, um ihn zu erwarten, und Papa verabsäumt hatte, den Schreibtisch zu verschließen, spionierte er, was er wohl schon oft gethan hatte, in demselben herum und entdeckte das von Götte geschriebene Manuskript, dessen Handschrift ihm den Betrug verriet, denn auch Professor Götte war ihm, als Papas Freund, wohlbekannt gewesen. Der Baron nahm das Originalwerk an fich und ängstigte von nun an durch anonyme Zuschri ten den armen Papa in der grausamsten Weise. — Albers hat auch Papas frühen Tod auf dem Gewissen. Erst als ich Witwe war, offenbarte er mir sein verabscheuungswürdiges Treiben unter erneuien Drohm gen, den Betrug aufzu ¬ decken. In meiner Seelenangst beschwor ich ihn, auch ferner zu schweigen, und, um das Andenken meines Gatten, um die Ehre unseres Namens vor dem Urteil der Welt zu retten, erklärte ich mich zu jedem Opfer bereit. Meine Furcht, der Baron werde auch jetzt noch eine Heirat mit mir wünschen, erwies sich als un begründet, doch er sah Lisa, welche damals zwölf Jahre alt und ein liebliches, entzückendes Kind war. Nie werde ich den Blick vergessen, mit dem er von dem Kinde auf mich sah, um mich dann in dem zu treffen, was mir das Liebste, Heiligste war, in meiner einzigen Tochter. . . Sobald wir uns allein im Zimmer be fanden, sprach er mir kurz und bündig seine Bedingungen aus. „Wenn Sie mir dereinst die Kleine zur Gattin geben, mich als Schwiegersohn will kommen heißen wollen, meine gnädige Frau, so bewahre ich bis in alle Ewigkeit unver brüchliches Schweigen und gebe am Hochzeits tage Ihrer Tochter das bewußte Manuskript unbeschadet in Ihre Hände zurück!" „Meine arme, liebe Mama!" bemerkte Ewald tief erschüttert, „das war eine wahrhaft teuflische Rache! Wie furchrbar mußt du in all den Jahren unter diesem Verhängnis ge litten haben!" Die alte Dame legte ihre zitternde Hand in die kraftvolle Rechte ihres Sohnes. „Ich fand nicht den Mut, den Anmaßenden zurückzuweisen, Ewald. Ich hoffte auch auf die Gnade des Himmels! Lisa war damals ein unmündiges Kind. Was alles konnte bis zu ihrem achtzehnten Jahre geschehen! .... Ich bezwang meine Verbitterung und Verachtung und gab das geforderte Versprechen, meine Tochter von jenem Moment ab als verlobte Braut zu betrachten . . . Die Jahre schwanden und ich hörte nicht das mindeste don Albers. Ich hatte längst mein seelisches Gleichgewicht zurückgewonnen, jeder hoffnungsfrohe Gedanke war mir willkommen. Vielleicht, so meinte ich, hatte der Baron mich nur erschrecken, mir meinen Frieden stören wollen, vielleicht auch weilte er nicht einmal mehr unter den Leben den oder er batte die unselige Geschichte über haupt vergassen. Durch solche Mutmaßungen beruhigte ich gelegentlich in mir emporsteigende Angstgefühle. Ihr beide wäret mein höchster Stolz, meine ganze Freude! Und wer glaubt denn auch an Gespenster, wenn die Sonne scheint! Lisas Konfirmalionstag, an dem ich, ganz von meinem mütterlichen Glück durchdrungen, erwachte, sollte mich eines andern belehren. Ich erhielt ein Schreiben von Albers, in dem er mich in spöttischer Weise beglückwünschte und mich ermahnte, dafür Sorge zu tragen, daß das Herz seiner kleinen Braut fich keinem andern zuwende. Von da ab begannen doppelte Qualen sür mich. Die schreckliche Angst, Lisa könne viel leicht Zuneigung für einen Mann auS unserem Bekanntenkreise hegen, sowie die Furcht vor deS Varons Rückkehr folterten mich unausgesetzt." Tr« (Fortfetzunz folzt.)
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