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den Besuch bei der Gräfin vor. Er machte sorgfältig Toilette, da es ihm darauf ankam, einen günstigen Eindruck bei der alten Danze zu erwecken, und begab sich um die Mittag szeit nach dem alten Schloß. Erstaunt über die vornehme Erscheinung ihres Gastes sahen ihm die biederen Wirts leute aus dem „Schwarzen Hirsch" nach. Trug ihr Gast doch selbst im Knopfloch seines Fracks ein buntes Ordensbändchen. Still und einsam lag das alte Schloß da. Der greise Haushofmeister empfing Hans mit höflicher Verbeugung. „Wollen Sie mich bei Ihrer Erlaucht mel den," sagte Hans. „Ich habe eine nichtige Angelegenheit mit Ihrer Erlaucht zu be sprechen." „Ach, das tut mir leid," entgegnete der Haushofmeister. „Ihre Erlaucht sind heute morgen mit dem Schnellzuge agereist" „Abgereist? — So plötzlich ? — Und wo hin, wenn ich fragen darf?" „Soviel ich weiß, wollen Ihre Erlaucht den Herrn Sohn, den Herrn regierenden Grafen auf Sch oß Büntheim besuchen und sodann in ein Seebad gehen." „Und ist die Frau Gräfin allein gereist?" „Erlaucht werden von ihrer Kammerfrau begleitet." „Ich meine, ob sich Fräulein Tollkühn in der Begleitung der Frau Gräfin befindet" „Allerdings, Fräulein Tollkühn begleitet ebenfalls Ihre Erlaucht." „Hat die Frau Gräfin für mich leine Nach richt hinterlassen?" „Nein, Herr Dobeneck." „Es ist gut. Ich danke Ihnen. Ich werde die Frau Gräfin in Schloß Büntheim aussuchen." „Ich glaube kaum, daß Sie Erlaucht dort noch antreffen. Erlaucht wollten sich nur einen Tag dort aufhalten, um dann weiter zu reisen." „Wohin?" „Ich weiß es nicht. Vielleicht nach Nor derney. In einigen Tagen könnte ich Ihnen Nachricht geben." „So werde ich wieder vorfragen." „Sehr wohl, Herr Dobeneck." Mißmutig entfernte sich Hans. Seine frohe Zuversicht war verschwunden, vollständig verzweifelte er indessen, als er m seiner Woh nung einen Brief des Oberförsters voifand, der lautete: „Geehrter Herr. Ihre Erlaucht 'ne Frau Gräfin von Har enstein, haben mich beauftragt, Ihnen mitzuteilen, daß sie mit meiner Entscheidung in Betreff Ihrer Verbin dung mit Fräulein Ilse einverstanden sind. Ihre Erlaucht halten es für das Beste, wenn Sie und Fräulein Ilse einige Zeit getrennt werden, und haben deshalb die junge Dame mit sich au' Reisen genommen. Ihre Erlaucht ersucht Sie, keine weiteren Versuche der An näherung zu machen. Von Ihrer Ehrenhaf tigkeit erwartet Ihre Erlaucht, daß Sie diesem Ersuchen nachkommen werden. Ergebenst Toll kühn, Oberförster." Trotzig auflachend warf Hans den Brief ruf den Tisch. Dann schellte er dem Kellner. „Wann geht der nächste Zug nach Berlin?" nagte er diesen. „Nachmittags um uns Uhr, Herr Dobeneck." ,Gut. Stellen Sie mir die Rechnung aus. Ich : um fünf Uhr." Xlll. Der regierende Graf Hsimar von Harten- Tm-Büntheim, der älteste Sotn dec „Tante ü«staucht" und Haupt der gräflichen Familw. sesieidete am Kaiserlichen Hof das Amt e'mes Ober-Ügermeisters. Im Herbst rief ihn der Hoftienst stets nach Berlin, wenn er nicht mi st , 246 Seiner Majestät, dem Kaiser, auf einem von dessen Jagdschlössern weilte. Graf Hilmar, eine hohe, stolze Erscheinung mit hagerem, vornehmem Gesicht, das zwei große blaßblaue Augen mit kaltem Glanze übergossen, stand -m fünfzigsten Lebensjahre und sah auf eine glän zende Laufbahn im Militär- und Hofdienst zurück. Außer seinem Amt als Oberjäger- meister bekleidete, er noch den Rang eines Generalmaiors Lia suüe ver Armee, und seine breite Brust zierte eine lange Reibe von Orden, die er sich teils im Hosdienst, teils auf den Schlacht feldern Frankreichs erworben hatte. Am Hof und in der ersten Gesellschaft galt er als einer der glänzendsten Kavaliere. War es deshalb nicht sehr natürlich, daß des Grafen Charakter von Stolz erfüllt war, der zuweilen in Hoch mut ausartete, zumal er mit einer Prinzessin aus einem souveränen fürstlichen Hause ver mählt war? Des Grasen einziger Sohn und Erbe, der ebenfalls den Namen Hilmar führte, stand als Leutnant bei dem Leib-Gardehmaren-Regimenl in Potsdam. Außer diesem Sohn besaß der Graf noch zwei Töchter, Komtesse Eleonore und Komtesse Viktoria, junge Damen im Alter von zwanzig und zweiundzwanzig Jahren, während der Erbgraf Hilmar vierundzwanzig Jahre zählte. Komtesse Eleonore, die älteste der Schwestern, war mit einem Prinzen Egon von Raudmtz-Schöningen, Besitzer einer großen Standesherr'chaft in Schlesien, verlobt. Die Vermählung sollte,- !jn dem bevorstehenden Win ter stattfinden. Der nahende Herbst vereinigte die gesamte gräfliche Familie in dem palastartigen Hotel auf der Straße „Unter den Linden" in Berlin. Auch die alte Erlaucht aus Ilsenburg traf gegen Ende des Monats September aus Nor derney ein, woselbst sie mit Ile einige Wochen geweilt hatte. Sie bewohnte den einen Flügel des Hotels, der von einem parkartigen Garten mit alten Bäumen umgeben war, während die Familie ihres Sohnes den anderen Flügel inne' hatte und die Räume des Mittelbaues zum gemeinsamen Gebrauch und für die glän zende Geselligkeit des gräflichen Hauses dienten. Am Morgen nach der Ankunft der alten Erlaucht saß diese in chrem Arbeitszimmer und ließ sich von Ilse die eingegangenen Briese vor'esen. Ilses liebliches Antlitz war trotz des Aufenthaltes an der See schmaler und blasser geworden; ihre Augen blickten ernster als früher, und die Gestalt in der eleganten, wenn auch einfachen Toilette erschien schlan ker und damenhafter. Einige gleichgiltige Briefe hatte sie mit leiser, aber deutlicher Stimme vorgelesen, während der alten Er laucht Augen mit mildem Ernst auf ihrem blassen Gesicht ruhten. Jetzt öffnete Ilse einen neuen Brief, warf einen kurzen Blick auf die Unterschrift und errötete jäh. „Was ist dir, Ilse?" fragte die Gräfin. „Ah, dieser Brief .... er ist .... ich vermag ihn nicht vorzulesen! Da ist er . . . entschuldige mich . . Sie reichte den Brief der Gräfin und eilte aus dem Zimmer. Erstaunt blickte ihr die alte Erlauckt nach. Dann sühne sie den Bnes näher an die kurzsichtig gewordenen Augen. „Ah, allerdings," murmelte sie überrascht, „jetzt verstehe ich die schmerzliche Verlegenheit des armen Kindes. Der Brief ist von Hans Dobeneck." Aufmerksam las sie die wenigen Zeilen des Briefes und blickte dann sinnend zur Erde nieder. „Es kann ja nicht sein," seufzte sie lefte und wollte sich erbeben, um nach ihrem Schreibtisch zu gehen. Ta klopfte es leise an die Tür. Die Kammerfrau trat ein und mel dete, daß Seine Erlaucht Gral Hilmar die Frau Gräfin zu sprechen wünsche. Die alte Gräfin ging ihrem Sohn eilig en gegen, der ihre beiden Hände- ergriff und sie ehrerbietig küßte. „Willkommen in Berlin, Mama," sprach er dann mit seinem liebens würdigsten Lächeln. „Verzeih, daß ich dich gestern abend nicht mehr begrüßen konnte. Ich war bei Hofe, und als ich heimkam, hattest du dich schon zurückgezogen. Ich mochte nicht mehr stören." „Ich danke dir, mein Sohn," entgegnete die alte Gräsin, „daß du so frühzeitig gekom men bist. Eleonore und Vicky," — so nannte man Komtesse Viktoria — „liegen wohl noch in den Federn, ebenso wie deine Gattin." „Allerdings," erwiderte lachend der Graf, „die Mädels werden mir hier wieder zu rich tigen Langschläferinnen. Die Neigung meiner Frau, bis Mittag zu schlafen, kennst du ja." „Freilich, freilich. Es freut mich nur. daß du noch nicht die schlechte Gewohnheit, lange zu schlafen, angenommen hast." „Als alter Soldat und Jäger bin ich an das Frühaufftehen gewöhnt. Uebrigens ist es mir sehr lieb, daß wir ein Stündchen noch für uns haben. Wir können die bewußte Ange legenheit jetzt gleich ins Reine bringen." „Ah — du hast also sichere Nachricht." „Ja, Mama. — Wie du dich erinnern wirst, schrieb ich dir nach Ilsenburg, daß die Nachforschungen nach dem Schicksal Bothos von Erfolg gewesen seien. Die Deutsche Bot schaft in Washington hat ermittelt, daß Botho zuletzt in Texas ansässig gewesen ist und sich dort auch verheiratet hat." „Ich sagte es dir ja, Hilmar, daß die Angaben der armen Mutter Ilses wahr seien." „Man konnte doch immer nicht wissen, Mama, und unserem Namen sind wir es schul dig, daß die Verhältnisse vollständig klar ge legt wurden, ehe wir Ilse als Mitglied un serer Familie der Gesellschaft vorstellten." „Das hätte schon längst geschehen können, wenn du dich nicht stets gesträubt hättest, Ilse als deine Nichte anzuerkennen." „Verzeih', Mama; es war nur meine Pflicht unserer Familie gegenüber. Gestatte, daß ich dir die Verhältnisse in aller Kürze noch einmal auseinanderfttze. Vor etwa fünf undzwanzig Jahren wurde Botho, mein jün gerer Bruder . . . ." „Und mein jüngster Sohn, vergiß das nicht. Hilmar." „Ich vergesse es nicht. Mama. Also vor fünfundzwanzig Jabren wurde Botho wegen —> sagen wir leich sinniger Streiche genötigt, den Dunst zu gucktieren. . Napa verstieß ihn und schickte ihn mit einem kleinen Vermögen nach Amerika. Botbo verlor das Recht, den gräflichen Namen von Hart-nstein-BüntheiM zu führen, er nannte sich in der Tat nur Hartstein. In Amerika verloren wir ihn nach einigen Jahren aus den Augen. Da taucht vor sechzehn Jabren. in Hamburg eine dem Tode nahe Amerikanerin auf, welche angibt, sie sei die Gattin Botbos und ibr zweijähri ges Kind die rech mäßige Tochter meines Bruders. Sie machte Ansprüche gellend, die sie nicht begründen konnte . . „Verzeihe, die du als derzeitiges Haupt der Familie nicht anerkennen wolftest. Die arme Frau machte auch wefter keine An sprüche, als daß ihre und Botbos Tochter den Namen ihres Vaters führen wllte und daß wir nach ihrem Tode für die Erziehung Ilses iorgt'en. Du schlugst diefts Verlangen rund weg ab . . . ." „Ich konnte nicht anders handeln. Die Ehre unserer Familie . . ." (Fortsetzung Mgl.)