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308 Ilse, ich sehe Ihre Gestalt, und — das Bild meiner Träume steht leibhaftig vor mir. Sie, Fräulein Ilse, Sie glichen ihm bis auf den kleinsten Zug! Jü das nicht sonderbar? Soll ich da nicht an Ahnungen, Geistercrscheinun- gen oder dergleichen denken?" Er hielt erschreckt inne, als sie spöttisch auflachte. „Ich muß Ihnen als Dichter und Künst ler wohl viel zu Gute halten," entgegnete sie mit scharfer Ironie, „aber ich mochte doch bit- len, Ihre Phantasie in meiner Gegenwart etwas mehr im Zaume zu halten." „Ich wollte Sie nicht verletzen . . ." „Sie haben mich nicht verletzt, nur in Er staunen gesetzt. Ich denke, wir kehren nach Hause zurück, Papa wird bald heimkehren, da muß ich für das Abendessen Sorge tragen." „Sie zürnen mir, Fräulein Ilse . . . .?" „Nicht im geringsten. Ihr Märchen war allerliebst. Sie sollten eine Novelle daraus machen." Sie zerpflückte die Blumen, welche sie vor hin gebrochen, und warf sie mit einer unge duldigen Bewegung in das Gebüsch. Schweigend gingen sie den Weg wieder zurück. Der sommerliche Glanz des Waldes schien dem jungen Künstler erloschen. In tiefem Schatten gleichsam lag der Wald, und der feine Nebelduft des Abends, der sich auf die Täler senkte und die fernen Berge umwob, verdichtete sich ihm zu schwerem Nebel, der sich drückend auf sein Herz und' seine Sinne legte. Nach einer Weile blieb er stehen. Ein schmaler Fußpfad zweigte sich von vem Wald wege ab, ein Wegweiser zeigte an, daß der Pfad nach Ilsenburg führte. „Verzeihen Sie, gnädiges Fräulein," sagte er förmlich, „daß ich Sie verlasse. Ich kann leider der freundlichen Einladung Ihres Herrn Papa zum Abendessen nicht folgen, ich habe noch einige wichtige Briefe zu erledigen. Da dieser Weg nach Ilsenburg führt, so gestatten Sie, daß ich mich gleich hier verabschiede. Leben Sie wohl, mein Fräulein . . " Er grüßte höflich und verschwand dann mit raschen Schritten in dem Seitenpfad, ehe Ilse ein Wort der Erwiderung fand ' Sie blickie ihm mit erschreckten Augen nach Als die Büsche ihn verschlungen hatten und der Schall seiner raschen Schritte verhallt war, seuszte sie tief auf, wie erwachend aus einem Traum. Dann schritt sie langsam und müde, mit gesenktem Haupte dem väterlichen Hause zu. VNl. Alwine Bartling befand sich in fieberhafter Aufregung. Sie erwartete nach dem, was zwischen ihr und Hans Dobeneck vorgesallen war, von Tag zu Tag eine Erklärung seiner seits, aber ein Tag nach dem andern schlich hin, ohne daß der junge Künstler auf jene Unterredung zurückkam. Und doch batte er am Tage nach dem Besuch bei der alten Erlaucht Frau Bartling mitgeteilt, daß er sich jetzt ent schlossen habe, vorläufig wenigstens in Ilsen burg dauernden Aufenthalt zu nehmen. Frau Bartling gab deshalb auch die Hoffnung nicht auf, den jungen Mann durch engere Bande, als die der Freundschaft, an sich zu fesseln^ Auch Alwine ward durch die Mitteilung auf das Freudigste bewegt. Als aber mehrere Tage vergingen, ohne eine Erklärung Hans Dobenecks zu bringen, fiel sie in ihre alten Zweifel und ihre frühere Hoffnungslosigkeit zurück. „Er liebt mich nicht, Mama," sagte sie mit Tränen in den Augen. „Was hilft es mir, wenn er hier bleibt — er wird* mir stets em Fremder sein. Ich wünschte wahrhaftig, daß er fortginge; am besten wäre es gewesen, ich hätte ihn niemals kennen gelernt." „Wer wird Oeich den Mut verlieren," tröstete Frau Bartling. „Dobeneck ist von einer zarten Aufmerksamkeit für dich; mir 'cheint es, als ob sich diese Aufmerksamkeit in letzter Zeit noch erhöht hätte. Vielleicht wagt er es nicht, sich offen zu erklären, vielleicht stehen andere, uns unbekannte Verhältnisse dieser Erklärung hinderlich entgegen, Verhält nisse, die er erst beseitigen muß. Ich, an deiner Stelle, würde ihm ein wenig entgegen- kommen." „Nein, Mama, das vermag ich nicht. Er ist so lieb und gut zu mir, ich täte ihm un recht, wenn ich das nicht anerkennen wollte, aber ich weiß, daß es nicht die wahre Liebe ist, die ihn mit mir verbindet, es ist nur Freundschaft, brüderliche Liebe. . . " „Was da Freundschaft und brüderliche Liebe! Das gibt es nicht zwischen jungen Leuten! Wenn er dich nicht liebt, wenn er sich nicht erklären will, dann ist etwas da zwischen gekommen — eine andere Neigung . ." „Du glaubst, Mama, daß er eine andere liebt?!" rua Attru-e nbw'°en^. „Ich habe meine Gedanken. Seit er bei der Gräfin gewesen und das Forstbaus zur Plcssenburg besucht hat, ist er ein anderer ge worden. Denkst du nicht an Ilse Tollkühn, die Tochter des alten Oberförsters? Hat er uns nicht erzählt, daß Fräulein Ilse feine Lieder singen soll?" * „Ah — du könntest recht haben! Doch nein — Ilse ist fast noch ein Kind." „Ein Kind von siebzehn oder achtzehn Jahren! Und ein wildes Ding, das mit sei nen roten Backen und großen Augen einem Mann schon den Kopf verdrehen kann." „Es wäre entsetzlich!" „Laß micb nur machen. Ich werde un serem Freunde schon die Augen über die rote Försterstochter öffnen." „Was willst du tun?" „Ich will — dock das laß meine Sorge sein. Verliere nur nicht den Mut, es wäre von Dobeneck schlecht gehandelt, wenn er dich jetzt noch verlassen wollte, um dem wilden Ding, der Ilse nachzulaufen. Heute abend ist ja wohl das Konzert in der Schloßkirche?" „Ja, Mama. Und nach dem Konzert ist Gesellschaft bei der alten Gräfin." „Richtig! Gestern hat mich die 'Gräfin ebenfalls eingeladen — mich und dich. Wir werden natürlich hingehen." „Du meintest doch, Mama, daß wir diese Einladung ablehnen." „Wir passen allerdings wenig in diese Künstlergesellschast hinein, aber wie die Sachen liegen, halte ich es für das Beste, wir gehen hin. Da können wir gleich einmal sehen, wie es mit Dobeneck und Ilse Tollkühn steht. Wir wären ja sicherlich nicht eingeladen worden, wenn Dobeneck nicht bei uns wohnte. Im Vertrauen gesagt, Alwine, ich habe der Gräfin gegenüber eine Andeutung fallen lassen, wie es mit dir und Dobencck steht." „Mama? !" „Nun, weshalb nickt? Die alte Gräfin .zeigte sich ein wenig erstaunt, dann lächelte ne verständnisvoll und memie: „Ah, deshalb hat sich der Herr entschlossen, hier zu bleiben! Es sollte mich freuen, wenn er hier sein Glück fände." -- Du siehst, mein liebes Kind, daß ich für dich gesorgt habe." „Ich bin dir sehr dankbar, Mama, fürchte aber, es ist alles umsonst." „Das wollen wir erst einmal abwarten. Was ich mir erst einmal vorgenommen habe, das habe ich auch stets durchgeführt. Vertraue nur' deiner Mutter." Alwine lächelte trübe vor sich hin. Ihr liebendes Herz sah schärfer, als der kluge Siim der Mutter. Aber doch verscheuchte sie heule alle trüben Gedanken. Sie wollte ihm heiter und freundlich entgegentreten, denn sie wußte sehr wohl, daß Trübsinn und Mißmut ihr Ge sicht durchaus nicht verschönen, daß dagegen Heiterkeit und Frohsinn ihrem Antlitz einen sanften Reiz verliehen, der es fast schön er scheinen ließ. Sie schmückte sich aufs Sorg fältigste, ja, sie verschmähte selbst kleine künst liche Mittel nicht, um ihrem Gesicht einen jugendlichen Schmelz und ihren blauen Augew einen lebhafteren Ausdruck zu geben. Ein Strauß frischer Rosen vervollständigte ihre Toi lette. Lächelnd bettachtete sie sich im Spiegel. Sie sah in der Tat heute sehr vorteilhaft aus. Das knapp anliegende grauseidene Kleid, init weißen Spitzen verziert, hob ihre schlanke, kräftige Gestalt auf das Vorteilhafteste hervor. Ihr weiches, aschblondes Haar hatte der erste Haarkünstler Ilsenburgs zu einer geschmack vollen, modernen Frisur arrangiert: ein Kranz kleiner, duftiger Löckchen umgab ihr frisches Gesicht und verlieb ihm einen jugendlichen Ausdruck. Eine kostbare Perlenschnur schlang sich um ihren weißen Hals, an den Armen glänzten reiche Spangen, und in den Ohren >u.nkelten gleich blitzenden Tautropfen echte Diamanten. Alwine nickte ibrem Spiegelbilds lächelnd zu. Sie war mit sich zufrieden; sie wußte, daß sie alle anderen Ilsenburger Damen über strahlen würde. In der alten Klosterkirche des Schlosses versammelte sich gegen Abend eine zahlreiche Menge. Nicht nur die Einwohnerschaft des Städtchens, sondern auch fast sämtliche Som mergäste erschienen; ja, von Wernigerode sogar waren einige Mitglieder der fürstlichen Familie gekommen, um dem Konzert der alten Erlaucht beizuwobnen. Tas Konzert verlief auf das Glänzendste. Die Künstler, Sänger und Sän gerinnen wurden nach jedem Vortrag lebhaft applaudiert. Ein Sturm der Begeisterung folgte aber den Schön-Jlse-Liedern von Hans Dobeneck, die von Ilse Tollkühn in meister hafter Weise vorgetragen wurden. „Sieh nur die kleine Hexe!" flüsterte Frau Bartling ihrer Tockter zu. „Wer hätte das von dem wilden Dinge erwartet? Nun ja, es fließt ja in ihren Adern Künstlerblut, da ist es denn kein Wunder, wenn sie so singen kann." Alwinens Augen hingen mit gespanntester Aufmerksamkeit an Ilse Tollkühn und Hans Dobeneck, der sie begleitete. Sie mußte ein gestehen, daß Ilse in ihrem weißen Kleide, mit der Fülle der lichtgoldigen Locken, in denen ein kleiner Kranz frischer Waldblumen ruhte, eine märchenhaft schöne Erscheinung war. Der Glanz der taufrischen ersten Jugen» umwob verklärend die zierliche Elfengestalt, und die traumhafte Befangenheit des eben zur Jungfrau erblühten Kindes verlieh ihr einen zauberischen Reiz, den keine Kunst hervorzu- hringen imstande war. Alwinens Herz wurde von einem bitteren, schmerzlichen Gefübl er füllt, während sich ihre Augen nicht von dem lieblichen Bilde des jungen Mädchens zu tren nen vermochten. Es war nicht der New, welcher sich in ihr Herz schlich, sondern em Gefühl der Resignation, welches ihr Herz krampfhaft zusammenpreßte und ihr Tränen in die Augen trieb. Aber erleichtert atmete sie auf, als sie die steife Zurückhaltung be merkte, welche in dem Benehmen Ilses Han- Dobeneck gegenüber hervorlrar. (Fortsetzung folgt.)