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neckte ihn über seine augenfällige Nervosität ir» nicht eben zarter Weise. Ein paar Mal hatte er ihre spöttischen Bemerkungen ab» sichtlich überhört; dann aber fertigte er sie, unbekümmert darum, daß seine Worte von einem Dutzend fremder Ohren gehört werden mußten, mit einer Erwiderung ab, die ihr eine heiße Zornröte ins Gesicht trieb und ihr für den ganzen Nest des Soupers gründlich die Laune verdarb. Als einer der anwesenden Herren einen launigen Trinkspruch auf die Gastgeber ausbrachte und als die Gläser hell zusammen- klangen, vermied es Eberhard geflissentlich, mit seiner Frau oder mit seiner Schwägerin anzusloßcn, obwohl Gabriele ihm von ihrem Platze aus mit dem gefüllten Champagnerkelch zuwinkte. Es war beinahe unmöglich, daß sie diese demonstrative Zurück haltung nicht bemerkt haben sollte; aber ihr schönes Gesicht be hielt nichtsdestoweniger sein statuenhaftes Lächeln und sie hörte den Schmeicheleien ihrer Kavaliere mit derselben müden Gelassen- heit zu wie bisher. Auch nach der Aushebung der Tafel bildete sie noch für eine kleine Weile den Mittelpunkt eines Kreises, darin sehr lebhaft und heiter geplaudert wurde. Als jedoch eine junge Dame im nebenan belegenen Musiksalon zu singen begann und als sich infolge dessen alles dorthin drängte, nahm sie die Gelegenheit wahr, um sich zurückzuziehen. Nur Ilona, deren scharfen Augen nichts entging, halte ihre Absicht bemerkt, und wie die Sorge um das Wohl der Schwester überhaupt den einzigen liebenswürdigen Zug in ihrem Charakter auszumachen schien, eilte sie auch jetzt an ihre Seite. „Du willst fort? — Fühlst Du Dich nicht wohl? — Soll ich Dich auf Dein Zimmer begleiten?" Aber Gabriele wehrte kopfschüttelnd ab. .Nicht doch. Ich bin bloß ein bischen abgespannt und möchte eine Stunde ruhen. Sorge nur, daß meine Abwesenheit nicht auffällt, und beruhige Eberhard, wenn er nach mir fragen sollte. Diese kurze Stunde bliebe ich gern ungestört." Langsam und etwas mühselig stieg die junge Schloßherrin die Marmortreppe empor. Atem schöpfend blieb sie oben im ersten Stockwerk eine Minute lang stehen. Dann erinnerte sie sich eines angefangenen Romans, den sie am Morgen in der Bibliothek neben dem Arbeitszimmer ihres Gatten hatte liegen lassen, und obwohl eS ihr ein wenig davor graute, mutterseelen- allein durch den Halbdunkeln Gang dorthin zu gehen, siegte doch die Neugier, das Ende der spannenden Geschichte kennen zu lernen, über ihre Furchtsamkeit und sie that, wenn auch mit klopfendem Herze», ein paar Schritte nach jener Richtung. Da Plötzlich bot sich ihren entsetzten Augen ein furchtbarer, Grausen erregender Anblick. Aus der Dämmerung, in die sich das Ende des lang gestreckten Ganges verlor, hoben sich mit voller Deutlichkeit die Umrisse einer geisterhaften, weiblichen Ge stalt in schneeweißem, gürtellos herabfließendem Gewände. Die Helligkeit war zu schwach und die Entfernung zu groß, um Gabriele auch das Antlitz der gespenstischen Erscheinung erkennen zu lassen; alles, waS sie noch wahrzunehmen vermochte, war, daß die weiße Gestalt unbeweglich auf derselben Stelle blieb, den rechten Arm wie drohend gegen sie erhoben. Dann löste sich der gräßliche Schrecken, der für einen Moment den Schlag ihres Herzens hatte still stehen lassen, in einem gellenden Schrei, und wie ein gehetztes Wild ranntp sie nach der entgegengesetzten Richtung davon, ihrem Schlafzimmer zu, von wo aus sie durch ein Glockenzeichen die ganze Diener schaft alarmieren konnte. Vor ihren Augen tanzten Millionen feuriger Funken und gleich dem Rauschen eines empörten Meeres brauste es ihr in den Ohren. „Die weiße Frau von Nudow!" das war der einzige Gedanke, dessen sie in diesen schrecklichen Augenblicken fähig war, und „Sterben! — Sterben!" schrie es ihr in grauenhaften Lauten aus jedem Winkel entgegen. Sie wollte rufen, doch nichts als ein klangloses Aechzen kam aus ihrer trockenen Kehle. Als sie die Schwelle des Schlafzimmers erreicht hatte, irrten ihre Augen mit wildem, wahnsinnigem Blick in dem Prächtigen Gemache umher, denn von drei, vier, zehn ver- schiedenen Stellen zugleich wähnte sie das Tod verkündende Ge spenst zu sehen. Mit Aufbietung ihrer ganzen Kraft wollte sie sich nach dem weißen Elsenbeinknopf des Telegraphen Hintasten; aber ihre Arme griffen nur noch in die leere Lust, und wim mernd brach sie am Fußende des Bettes zusammen Erst drei Viertelstunden später wurde sie so von einem Stubenmädchen gefunden. Die aufs Aeußerste erschrockene junge Person, die von der Bewußtlosen keine Antwort auf ihre Fragen erhielt, glaubte nicht anders, als daß ihre Herrin tot sei und lief laut schreiend und jammernd in die Festräume hinunter, wo man seit einer kleinen Weile zu tanzen begonnen hatte. Ein älterer Diener, der sich an der Thür aushielt, verhinderte zwar, daß sie durch ihre Schreckenskunde eine allgemeine Panik hervor rief; aber als dann zwei Minuten später Eberhard, Ilona und der SanitätSrat mit verstörten Mienen aus der Gesellschaft hinweg eilten, verbreitete sich das Gerücht von einer schweren Erkrankung der Schloßherrin doch blitzschnell unter de» Gästen. Der improvisierte Ball wurde sofort abgebrochen; eine schwüle, beklemmende Stimmung trat au die Stelle der bisherigen Fröhlichkeit und nur in vorsichtigem Flüstertöne noch wurden ernsthafte, sorgenvolle Unterhaltungen geführt. Niemand wagte sich zu entfernen, obwohl sicherlich jeder den lebhaften Wunsch hatte, von hier fortzukommen, und als nach etwa einer halben Stunde, die den in peinlicher Ungewißheit harrenden Gästen lang genug geworden sein mochte, Eberhard von Rochlitz wieder erschien, bleichen Antlitzes und ersichtlich nur mühsam seine Fassung bewahrend, wurde es in dem glänzend er hellten Raum totenstill. Er machte nur ein paar Schrite in den Saal hinein nnd sagte mit gedämpfter, unsicherer Stimme: „Ich muß den ver ehrten Herrschaften leider die für mich sehr traurige Mitteilung machen, daß meine Frau schwer erkrankt ist. Ihr Zustand gicbt Anlaß zu den ernstesten Befürchtungen, und ich bitte um Ver zeihung, wenn ich mich Ihnen unter solchen Umständen nicht länger zu widmen vermag. Ich weiß nicht, ob ich Sie ersuchen darf, noch eine Weile ohne uns fröhlich zu sein — jedenfalls hoffe ich —" Er mußte plötzlich abbrechen, weil ihn die Bewegung zu über wältigen drohte. Einer der älteren Freunde des Hauses trat auf ihn zu und drückte ihm mit Worten warmer Teilnahme die Hand. Einige andere noch folgten diesem Beispiel, der Rest aber war augenscheinlich froh, daß der bedauernswerte Gatte sich wieder zurückzog, ohne erst eine ausdrückliche Bemitleidung von feiten jedes Einzelnen abzuwarten. Natürlich hatte man es jetzt mit dem Aufbruch überaus eilig. Kaum zwanzig Minuten nachdem Eberhard seinen Gästen die erschütternde Mitteilung ge macht, daß der Tod an die Pforten von Nudow geklopft, lagen die prächtigen Repräsentationsräume, die unter anderen Um ständen wohl bis zum Morgengrauen von Lachen und Plaudern fröhlicher Menschen widerhallt hätten, grabesslill und ver ödet da. — Das Schlafzimmer der jungen Freifrau aber war der Schau platz herzzerreißender Szenen. Unter den Bemühungen des SanitätSrals war Gabriele wieder zum Bewußtsein gekommen; und zugleich mit der klaren Besinnung war ihr auch die Er innerung an daS Entsetzliche zurückgekehrt, das sie vorhin er lebt hatte. „Die weiße Frau — ich habe die weiße Frau von Rudow gesehen, — ich muß sterben —" das war die verzweifelte Klage, die immer wiederkehrle, wenn ein vorübergehendes Nachlassen der grausamen Schmerzen sie in den Stand setzte, sich in zusammen hängenden Worten auszudrücken. Und umsonst waren alle Be- mühungen ihrer Umgebung, sie davon zu überzeugen, daß sie daS Opser einer Täuschung geworden sein müsse. Mit dem beharr lichen Trotz eines eigensinnigen Kindes wies sie jeden Versuch zurück, ihr die gespenstische Erscheinung aus natürliche Weise zu erklären, und als Eberhard sie im sanftesten und liebevollsten Tone zu belehren suchte, daß diese sagenhafte, weiße Frau über haupt noch nie und nirgends erschienen sei, wandte sie ihm ihr Gesicht mit einem so wilden, haßverzerrten Ausdruck zu, daß ihm daS Wort auf den Lippen erstarb und rief, unbekümmert um die Anwesenheit der Fremden: „Du lügst! — Hat nicht Dein eigener Vater sie vor seinem Tode gesehen? Ach, daß ich nie in dieses Haus gekommen wäre! Daß ich Dich nie kennen gelernt hätte! Dir verdanke ich dies alles — Deinetwegen muß ich sterben. Ich verfluche den Tag, an dem ich Dir zuerst begegnet bin und die Stunde, da ich mich bereden ließ, Dir zu gehören —" Die qualvollen Leiden hatten das sonst so apathische, leiden schaftslose Wesen zur rasenden Furie umgewandelt, und die Er regung vermehrte so unverkennbar die Gefahren ihres Zustandes, daß der Arzt den Freiherrn durch Blicke und Zeichen bitten mußte, daS Zimmer zu verlassen. Ruhelos wanderte Eberhard jetzt in dem anstoßenden Ge mache auf und nieder. Die wilden Verwünschungen seines kranken Weibes hatten ihm in liesster Seele weh gethan, doch nicht sür einen einzigen Augenblick regle sich etwas wie Groll gegen sie in seinem Herzen. Er hatte den Glauben an ihre Liebe längst ver loren und er war überzeugt, daß sie ihm heute zum erstenmal ihr wahres Empfinden gezeigt hatte; aber er vergaß nicht, daß es grausame, körperliche Leiden gewesen waren, die sie dazu getrieben. Ein Gedanke, von dem er nicht begriff, daß er ihm erst jetzt durch das Hirn zuckte, ließ ihn plötzlich in seiner Wanderung inne halten. Da er nicht klingeln wollte: öffnete er die Thür des Vorzimmers, wo sich auf seine Anweisung mehrere Dienst boten zur Entgegennahme etwaiger Befehle aushielten. Er sah, daß Hildens Zofe unter ihnen war, und er winkte das Mädchen zu sich heran: „Fräulein von Rochlitz hat sich bereits zur Ruhe begeben, nicht wahr?"