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Allgemeiner Anzeiger : 14.12.1901
- Erscheinungsdatum
- 1901-12-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190112146
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19011214
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- Zeitungen
- Saxonica
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- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1901
-
Monat
1901-12
- Tag 1901-12-14
-
Monat
1901-12
-
Jahr
1901
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 14.12.1901
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Uolttische Rundschau. Deutschland. * Der Kaiser ist Dienstag abend in Slawentzitz angekommen und wurde vom Herzog von Ujest am Bahnhofe empfangen. * Der bayrische Ministerpräsident Graf Crailsheim sprach sich am Montag bei Beratung des Post-Etats im Finanzausschuß des Ab geordnetenhauses wie schon früher aufs be stimmteste für die Erhaltung des Reser vatrechts aus. Man könne seitens des Reichs nicht auf die Zustimmung Bayerns hin sichtlich der Vereinheitlichung der Postwertzeichen rechnen. Die Einführung einer Weltpostmarke hält der Ministerpräsident für einen Traum. *Dem Koburg-Gothaer Staats minister Heutig wurde unter Dekorierung mit dem Großkreuz des sächsischen Hausordens von dem Regierungsverweser Erbprinzen Hohenlohe- Langenburg der Adel verliehen. In dieser Auszeichnung ist offenbar ein Zeichen des Dankes für die großen Verdienste zu erblicken, die der koburg-gothaische Staatsminister sich um die Verständigung mit dem Landtage in Sachen des Dominialeigentums erworben hat. Staats minister v. Hentig führt erst seit einem Jahre die Geschäfte der Herzogtümer. *An Reichsmünzen wurden aus geprägt !m Monat November für 9 940 040 Mark Doppelkronen, 1378 580 Mk. Fünfmark- stiicke, 1 611 792 Mk. Einmarkstücke, 97 170,50 Mark Fünszigpfenniastiicke, 96 353,40 Mk. Zehn- Pfennigstücke, 190 699,85 Mk. Fünfpsennigstücke. *Das Defizit im neuen preußischen Staats Haushaltsetat wird mit Rück sicht auf die fortwährend zurückgehenden Eisen bahneinnahmen auf 80 Mill. Mk. geschätzt. Oesterreich-Ungarn. * Ministerpräsident v. Körber verhandelte kürzlich mit den deutschen Parteien und den Jungtschechen über einen Aus gleich. Die Alldeutschen blieben der Sitzung fern mit der Begründung, sie wollten nicht eher in Verhandlungen eintreten, als bis die deutscheSprache zur Staatssprache erhoben ist. Frankreich. * Gegenüber Behauptungen, daß der ehe malige französischeGesandte Pichon sich in Peking Pelzsachen im Werte von 250 000 Frank angeeignet habe, erklärt Pichon, daß er lediglich für 900 Frank Pelz sachen, deren Wert Pichon aber nicht an gibt, gekauft und den Händlern bar be zahlt habe. * Frankreich scheint mit seinen Untersee booten recht zufrieden zu sein, denn in Toulon find nicht weniger als 20 Boote im Bau begriffen. Das Unterseeboot „Triton" machte bei Cherbourg während 24 Stunden interessante Versuche. Das Boot fuhr auf der Oberfläche, tauchte unter und lud unterwegs seine Akkumulatoren wieder. Alles ging sehr gut von statten trotz schlechten Wetters. England. * Der Gesamtbetrag der Kosten des südafrikanischen Krieges wird sich für England bis April 1902 auf 172 617 000 Pfund (3,5 Milliarden Mark) belaufen. Und dabei find 3,5 Milliarden Mark nur die offiziell an gegebenen Kosten, die Wirklichkeit stellt sich weit höher. Schweiz. *Der Bundesrat genehmigte den zwischen dem Chef des Eisenbahndepartements und den Vertretern der Vereinigten Schweizer bahnen abgeschlossenen Kaufvertrag unter dem Vorbehalt, daß der Vertrag der Bundesversammlung zur Genehmigung vorgelegt werden soll, nachdem auch die Generalver sammlung der Aktionäre zugestimmt haben wird. Holland. *Wie aus dem Haag verlautet, sieht man dort zum Frühjahr einem Besuche des deutschen Kaiserpaares entgegen, in Erwiderung des Besuches, der das königliche Paar diesen Sommer an den Berliner Hof brachte. Dieser Besuch des deutschen Kaiser Dir Tochter des Kerkermeisters. 4) Roma» von Karl v. Leistner. (Tortsttzung.! .Das Zuhören ermüdet dich wohl, liebes Väschen?" Mit dieser Frage ließ Olaf Lindström das Buch, aus welchem er seiner Koustne Char lotte von Ahlburg vorgelesen hatte, in den Schoß finken. , . Die junge Dame richtete sich wie rm Traume erwachend empor und bestätigte hierdurch die Vermutung, daß sie nicht bei der Sache gewesen, nur zu deutlich. „Es wäre höchst ungerecht von mir, Olaf, erwiderte das Mädchen in etwas mattem Tone, „wollte ich dir oder dem geistreichen Autor die Schuld an meiner Zerstreutheit beimessen. Nachdem du aber die traurigen Erlebnisse der letzten Jahre mit Mama und mir zu teilen hattest, sollte es dich nicht befremden, wenn mich die persönliche Lage während einzelner Augen- bl cke mehr beschäftigt, als das Schicksal der vom Dichter geschaffenen Gestalten." Nun war es Olaf, der mit der Entgegnung zögerte. In seinen jugendlich hübschen, aber eines festen mä- nlichen Gepräges noch ent behrenden G fichlszügen zeigte sich gegenwärtig eine gewisse Bemngenheit. Bevor er zum Entschlusse kam, wurde das Zwiegespräch durch Charlottens beide Schwester chen ziemlich stürmisch unterbrochen. Die an der Gicnze dec eigentlichen Kinder jahre stehende Selma bemühte sich, die kleine siebenjährige Dora trotz hartnäckigen Wider paares am holländischen Hof dürste am besten die Gerüchte von dem Zerwürfnis zwischen dem jungen Ehepaar, die nicht verstummen wollen, widerlegen. * In Amsterdam hat der Vorstand der Dock arbeiter in anbetracht der ungenügenden Be teiligung des Auslandes und der unter den holländischen Arbeitern herrschenden Uneinigkeit beschlossen, die Bewegung für die Boy- kottierungderenglischenHandels- schiffe einzustellen. (Das war von vornherein nicht anders zu erwarten.) Ruhland. *Die Zertrümmerung des deut schen Konsulatsschildes in War schau hat zu einem Sühneakt Veranlassung gegeben. Der Generalgouverneur und die Spitzen der Warschauer Zivil- und Militär behörden haben dem deutschen Generalkonsul in Warschau amtliche Besuche gemacht, um ihr Be dauern wegen des Angriffs auf das deutsche Konsulatsgebäude auszudrücken. Die russische Regierung wird ein neues Konsulats schild anfertigen und in Gegenwart von Ver tretern der Behörden wieder anbringen lassen. Auch das Strafverfahren gegen die Schuldigen ist bereits im Gange. Balkanstaaten. *Jn dem neuen serbischen Preß gesetz werden nur der König und die Königin sowie deren Eltern und Kinder als unverletzliche Mitglieder des königlichen Hauses bezeichnet. (Das Königspaar, dessen beiderseitige Eltern und die königlichen Kinder bilden bekanntlich zusammen drei lebende Personen.) Amerika. * Einen wichtigen Schritt auf dem Wege der Nusdehnungspolitik unternahm der Aus schuß des amerikanischen Kongresses, indem er einstimmig empfahl, mittels einer großen Pan amerikabahn eine Verbindung zwischen Nord- und Südamerika herzustellen. Die beteiligten Staaten gewähren, wie es heißt, ungehinderten Uebergangsverkehr. In den zur Ausführung des Planes betrauten Ausschuß wurde Präsident Roosevelt gewählt. Es ist sehr zweifelhaft, ob sich Südamerika ohne weiteres zu diesem hübschen Vorschlag ver stehen wird. * Zur Bekämpfung der Anarchisten ist die amerikanische Regierung in Unterhand lung mit England und anderen europäischen Mächten getreten über gemeinsame Maßnahmen gegen die Anarchisten, wobei die Washingtoner Regierung entsprechend der Ankündigung in der Botschaft des Präsidenten Roosevelt, vornehm lich die Verhinderung der Einwanderung euro päischer Revolutionäre im Auge hat. Afrika. *Aus Südafrika wird gemeldet, daß zur Sicherung deS Bahnbetriebes vom Kaplande nach den Burenländern die Blockhäuser vermehrt und unterein ander durch Stacheldraht verbunden werden — ferner daß Bothas Kommando „zer sprengt" sei (man kennt das!) und daß de Wet mit nur 1000 Mann im Nordosten stehe. Kitchener erfreut sich angeblich einer „be trächtlichen Verstärkung" seiner Armee durch Burenrekruten aus dem Bezirk Rusten- bürg! (Das mögen nette Buren sein! Sie sollten sich ja hüten, den echten Buren in die Hände zu fallen!) * Wie aus guter Quelle verlautet, beschlossen die Burenführer in ihrer letzten Versammlung (bei Heilbronn im nördlichen Oranjestaat), über keinen Friedensschluß zu verhandeln, der die Einverleibung der Buren - staaten, unter welcher Form immer, ent halten würde. (Damit werden die immer wieder von England ausgestreuten Gerüchte über die Verschiedenheit der Anschauungen Krügers und der Burenführer und über die größere Friedens sehnsucht der letzteren widerlegt.) Ans dem Reichstage. Der Reichstag setzte am Montag die Inter pellation Arendt betr. die Veteranenfürsorgc wegen plötzlicher Erkrankung des Schatzsekretär Frhrn. v. Thielmann von der Tagesordnung ab. Es standes vom bisherigen Spielplätze aus an der Hand herbeizuziehen, während sie rief: „Dora ist heute wieder so abscheulich eigen sinnig, daß du mir zu Hilfe kommen mußt, Lotte!' „Zwingen kann mich auch Lotte nicht, daß ich die neue Gouvernante gern habe, gerade so wenig, als du selbst!" wehrte das schwarz- lockige hübsche Kind mit trotziger Gebärde ab. „Lieb mag ich sie doch nicht haben, auch wenn sie kein so häßliches, altes Gesicht hat, wie die vorige." Nach diesen Worten ging sie mit Selma von tannen. Zwischen den Zurückbleibenden herrschte noch eine Weile hindurch Stillschweigen. Während sich die Kousine in der einen Ecke der Bank müde zurücklehnte und ihr Köpfchen mit halb geschlossenen Augen seitwärts beugte, hasteten Olafs glühende Blicke unverwandt aus der schlanken Gestalt. „Du leidest, Charlotte!" sagte er endlich und immer noch zaghast. „Wird es denn der heilenden Zeit nie gelingen, deinen Schmerz zu stillen und diesen melancholischen Schleier, der sich über deine Züge breitet, zu verbannen? Ferdinand Kron aber —" „Nenne den Namen nicht!" rief das Fräu lein ausschreckend. Dabei traf den jungen Mann ein so greller Blitz aus den dunklen Augen, daß er die sein'gen in scheuer Befangenheit senkte. Dennoch schien er auf das Thema nicht verzichten zu wollen, da er nach einigen Sekunden begann: „Ich werde es von nun an vermeiden, wenn wurde die erste Beratung des Zolltarifs fortgesetzt. Abg. Beumer (nat.-lib.) trat für die Erhöhung der landwirtlchaftlichen Zölle, für die Syndikate und für die Tbätigkeit des wirtschaftlichen Ausschusses ein. Abg. Rösicke-Kaiserslautern (B. d. Landw.) wieder holte die Darlegungen des Abg. Frhrn. v. Wangen heim, indem er betonte, die Landwirtschaft brauche einen Minimaltarif. Nach einigen kurzen Be merkungen des Abg. Beck-Aichach (Zenir.) wurde ein Vertagungsantrag angenommen. Am 10. d. steht zunächst auf der Tagesordnung die Interpellation Radziwill u. Gen.: „Ist dem Herrn Reichskanzler bekannt, daß die Vor gänge in Wreschen nicht nur bei uns, sondern auch im Auslande ein Aufsehen erregt haben, welches ge eignet ist, dem Ansehen deS Deutschen Reiches Ab bruch zu thun? Welche Stellung nimmt der Herr Reichskanzler dieser Angelegenheit gegenüber ein?" Graf Bülow erklärte sich zur Beantwortung der Interpellation bereit. Abg. FürstRadziwill (Pole) begründet die Interpellation und erklärt ausdrücklich, daß es seiner Partei nicht um irgend welche Agitationen zu thun sei, sondern daß lediglich der Ernst der Situation sie veranlaßt habe, den Reichskanzler zu interpellieren. Auf die Vorgänge in Wreschen selbst eingehend, gibt er der Ansicht Ausdruck, daß man dort von dem Stock in allzu ausgiebiger Weise Gebrauch gemacht habe. Er müsse zugeben, daß die Kinder gegen den Gebrauch der deutschen Sprache beim Religions unterricht passiven Widerstand geleistet hätten, und daß es zu einem solchen Schulkrawall gekommen sei. Man suche nach Möglichkeit die polnische Mutter sprache zu unterdrücken, während die preußischen Könige früher den Polen volle Gleichberechtigung und Aufrechterhaltung ihrer nationalen Eigentüm lichkeiten versprochen haben. Reichskanzler Graf Bülow erklärt, daß er auf die von den Interpellanten geschilderten Vor gänge nicht eingehen werde, da es sich hierbei um eine rein preußische Angelegenheit handle und er jedes Eingreifen des Reiches in die durch die Ver fassung den Einzelstaaten vorbehaltene Zuständigkeit zu verhindern habe. Dagegen müsse er, soweit die Interpellation besage, daß durch die Wreschener Vorgänge dem Ansehen des Deutschen Reiches irgendwie Abbruch geschehen sei, erklären, daß ihm davon nicht das mindeste bekannt sei. Jedwede Be sorgnis, daß sich durch diese Vorgänge die Be ziehungen des Reiches zu Oesterreich-Ungarn und Rußland irgendwie ungünstig gestaltet hätten, könne er vollkommen zerstreuen. Sowohl die österreichisch- ungarische, wie die russische Regierung haben an läßlich der in Galizien und Warschau verübten Ausschreitungen nach jeder Richtung hin be- fricoigende Remedur eintreten lassen und volle Ge- nugthuung gegeben. — Die Regierung lasse sich durch ausländische Beurteilung inländischer Vor gänge, sowie durch ausländische Stimmungen und Strömungen überhaupt nicht impressionieren; für ihn sei nur die Staatsraison und die Pflicht gegen das Deutschtum maßgebend; dieser Pflicht werde er eingedenk bleiben und gegenüber der ernsten Gefahr, die unserem Volkstum von polnischer Seite droht, auch ferner thun, was seines Amtes sei. Es wird eine Besprechung der Interpellation be schlossen. Abg. Roeren (Zentr.) bezeichnet als einziges Mittel, Wieder geordnete Zustände in den polnischen Landesteilen herbeizusühr en, die ehrliche Umkehr auf dem betretenen falschen Wege Der Unterschied zwischen Reichs- und Staatsangehörigkeit und Natio nalität, d. h. Volksangehörigkeit werde viel zu wenig gewürdigt. Die Polen seien preußische Staats angehörige, deutsche Reichsangehörige, ob sie wollen oder nicht; aber Polen ihrer Nationalität nach, gerade wie die Deutschen in Oesterreich ihrer Volks zugehörigkeit nach Deutsche, ihrer Reichsangehörigkeit nach Oesterreicher seien. Was würden wir sagen, so fragt Redner, wenn die Polen in Preußen dasselbe thälen, Wit die „Alldeutschen" in Oesterreich? Wenn ihre analoge Losung lautete: Los von Preußen? wenn Hunderttausende von österreichischen Gulden, ähnlich wie die staatlich geduldete Mecklenburger Gotteskasten-Sammlung, diese landes- und hoch verräterischen Bestrebungen unterstützten, wenn Dutzende bezahlter Agitatoren diese Bewegung schürten? Die Verwendung deS Ansiedeluvgssonds, die mehr der Protestantisterung als der Germani- fierung dienlich sei, kritisiert Redner scharf, wobei er zahlreiche Belege aus der jüngsten Vergangenheit beibr ingt. Abg. Graf Limburg-Stirum (kons.): Die Interpellation hätte lauten müssen: „Ist dem Reichs kanzler bekannt, daß die Wreschener Vorgänge zu Ausschreitungen im Auslande gegen deutsche Ver treter geführt haben, und was ist dagegen ge schehen ?" ES ist ja selbstverständlich, daß die Negie rung solche Ausschreitungen nicht dulden darf. Anderseits hat mich die Antwort deS Reichskanzlers erfreut, sie hat mir gezeigt, daß die Regierung wieder den richtigen Weg eingeschlagen hat. Ich verstehe auch nicht, wie man katholische Kirche und Polen- du es wünsch st. Aber nur das eine ver künde mir, ob dein Herz sich durch den unglück seligen Ausging jener Neigung so sehr ver blutet hat, daß es dauernd unfähig geworden ist, sich nochmals zu erwärmen. Kannst du seiner trotz allem Vorgefallenen nie vergessen? Verzeihe mir, Charlotte, wenn ich es zum ersten Mal wage, diesen wunden Punkt zu berühren. „Glaubst du aus vollster, innerster Ueber- zeugung daran, daß er und kein anderer es war, der unsere Familie durch die ruchlose That ins Unglück stürzte?" forschte Charlotte, statt auf die von ihm vorgebrachte Frage zu antworten. Auf das, was er erwidern werde, mußte sie großen Wert legen, das war aus der Spannung in ihren Zügen zu erkennen. „Ich?" Olaf zuckte förmlich zusammen, als diese heikle Entscheidung so plötzlich gerade von ihm begehrt wurde. „Ja, du! Wenn du an der Schuld des durch den Richterstuhl und die öffentliche Meinung vor mehr als anderthalb Jahren Verurteilten nicht Zweifel hegen würdest, so wäre es rücksichtslos, ja grausam von dir, seiner in solchem Zusammenhänge mir gegen über zu erwähnen, wie du es soeben thatest. Mein Inneres hat sich ja auch bis zur Grenze der Möglichkeit gesträubt gegen die furchtbare Annahme, daß er — er, den ich heiß und auf richtig liebte, zum Mörder meines Vaters ge worden sein sollte. Warum richtetest du jene Frage an mich? Wäre eS nicht eine Unge heuerlichkeit, wenn die Tochter dem noch ein liebendes Andenken bewahren wollte, der —" Charlottens hastig hervorgestobene Rede tum identifizieren kann. Redner weist auf die be stehende großvolnische Agitation hin, die es er fordere, das Deutschtum zu stützen und zu stärken. Die Aufregung iw Ausland hat den Nutzen gehabt, daß wir gesehen haben: wir haben eine starke preußische und deutsche Regierung. Abg. v. Dziembowski (Pole): Man weise immer aus die böse polnische Agitation hin, aber di« Leute in Wreschen hätten sich bis zum letzten Augen blick loyal verhalten. Ueber die Züchtigung der Kinder war auch die deutsche und jüdische Bevölke rung empört. Redner verliest eine Depesche au» Wreschen, wonach eins der gezüchtigten Kinder cm Bauchfellentzündung gestorben sei, und zwar 5 Tage nach der Züchtigung. Ob das Kind infolge der Züchtigung gestorben sei, darüber müsse erst die Untersuchung Klarheit geben, denn die Angelegenheit sei der Staatsanwaltschaft übergeben worden. ES sei ungerecht, daß der Lehrer, der die Züchtigung vorgenommen habe, noch im Amte sei. während die durch das Verhalten des Lehrers Erbitterten zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt worden sind. Redner weist darauf bin, daß erst durch die Aufbauschung des ,Posener Tageblatts^ der Staats anwalt die Vorgänge in Wreschen zum Gegenstand einer Anklage gemacht habe. Die GermaniflerungS« bestrebungen haben nur Haß und Erbitterung er zeugt. In der ganzen Welt habe man das Urteil über die'e Vorgänge gesprochen. Abg. Sattler (nat.-lib.): Die Antwort deS Reichskanzler? hat UNS befriedigt, denn es handelt sich um eine preußische Sache, in die wir uns von keinem Ausland dreinreden lassen. Die Vorgänge in Warschau sind nicht geeignet, dem Ansehen deS Deutschen Reiches zu schaden. Die betreffenden Regierungen haben denn auch diesen Vorfällen gegen über ihr Bedauern unserer Regierung zum Ausdruck gebracht. Es wäre ein Unglück für die polnisch« Bevölkerung, wenn die Agitation Erfolg damit hätte, die ehemals polnischen Landesteile von Preußen loS« zureiben. Daß es eine solche Agitation gibt, werd« Sie trotz aller Kasuistik nicht aus der Welt schaff« können. Die katholisch-polnische Geistlichkeit hat stets der großvolnische» Agitation gedient. Die An- siedelungskorrmUsion war eine Notwendigkeit in sozialer und wirtschaftlicher Beziehung, um eine besser« Verteilung des Grundbesitzes herbeizuführen. Auf diesem Wege muß weitergeschritten werden. Abg. Ledebour (soz.): Wir verurteilen da» System der Kinderfolterei, der büreaukratischen ChikaM von Grund aus. Bei den Vorgängen in Wresch« bandelt es sich nicht um eine Schädigung des deutsch« Ansehens im AuSlande, sondern um «ine Schädigung, die es im Jnlande erlitten hat. Zentrum und Pol« machen ja nur in einer gewissen Feiertagsstiwmung Front gegen die Regierung, sonst sitzen sie ja am den Bänken der Brotverteuerer. Für die Pol« wird eS eine Rettung erst dann geben, wenn da» Proletariat aller Länder sich ve-einigt haben wird. Darauf wird die Weiterberatung vertagt. Von Ralf und Fern. Nm den Absatz der Lose der preußischen Klaffenlotterie, der infolge Erhöhung des Stempels bei der Vermehrung der Flotte er heblich zurückgegangen ist, zu heben, beabsichtigt der Finanzminister der ,Bresl. Zig/ zufolge nach dem Muster anderer Staatslotterien neben den Gewinnen eine Prämie in Höhe von 300 000 Mk. einzustellen. Lehrermangel herrscht in mehreren Teilen Deutschlands; Lehrerinnen hingegen scheint es zur Zeit genug zu geben. Auf die Aus schreibung einer einzigen Stelle an der „Karo linenschule" in Eisenach waren 68 Bewerbungen eingegangen. Sämtliche Damen hatten die Staatsprüfung für höhere Töchterschulen be standen. Der diesjährige Heringsfang aus hoher See ist beendet; am 6. d. ist der letzte Logger nach Emden zurückgekommen. Das Ergebnis ist für alle Gesellschaften günstig; erheblichere Unfälle haben sich nicht ereignet. Auf der Hohkönigsburg entstand dieser Tage auf bisher unaufgeklärte Weise ein Schadenteuer, durch welches das dort errichtete Baubüreau vollständig eingeäschert wurde; hierbei find verschiedene wertvolle Pläne, Bücher und sonstige Schriftstücke ein Raub der Flammen geworden. Da die provisorische Wasserleitung bereits eingefroren war, konnten LöschversuO nicht vorgenommen werden. Der größte Gasmotor der Welt wurde von der Deutzer Gasmotorenfabrik zu Hörde ausgestellt. Derselbe verwertet Hochofengas. Die Prüfung ergab 1200 Pferdestärken, die für eine Drehstrom-Dynamomaschine dienen. wurde hier durch das Uebermaß ihrer Auf regung gehemmt und sie preßte die Hände zuerst auf die wogende Brust, dann verhüllte sie mit denselben dos bleiche Antlitz. — Al fie sich etwas gefaßt hatte und ihr Verwandter die Antwort immer noch schuldig blieb, forderte sie ihn von neuem zur Aeußerung auf. Endlich sagte er beinahe heftig: „Was bringt dich auf den sonderbaren Ge danken, daß eben ich an der Schuld des mir von jeher unsympathischen Mannes zweifeln soll? Ist sie nicht durch zahlreiche schlagende Beweise dargethan und vermagst du ihn etwa selbst sreizusprechen? Nein, er ist schuldig — er muß es sein!" Nach einer Pause sichte Olaf Lindström in verändertem Ton hinzu: „Freilich kann ich für meine Person nicht leugnen, daß ich es wohl niemals über mich brächte, an einem geliebten W sen zu ver zweifeln, welches mein ganzes Sein aus üllt und welches unbeschränkt über mich herrschen wird, so lange ich lebe; auch dann nicht, wenn sich die ganze Welt gegen dasselbe verschwören würde. Und ein solches Wesen gibt es für mich, Charlotte. O, wende dich nichi ab von mir l Du wolltest wissen, warum ich nach dem Zustande deines Herzens forschte — ich 'hat es um meinetwillen, weil ich den Gedanken n-cht fassen kann, daß meine heiße Liebe niemals zum ersehnten Ziele führen sollte!" Charlotte entgegnete vorläufig nick's, aber ihre fast farblosen Wangen wurden von einer leichten Schattierung flüchtig angehaucht, als sie das feurige Bekenntnis aus dem Munde ihre- Vetters vernahm
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